Foto: Steven Lasry/Unsplash; Unsplash License

 

Angehörige der Bahá’í-Religionsgemeinschaft leben zum Teil schon seit mehreren Generationen in Katar. Doch ihre Situation spitzt sich immer weiter zu: Abschiebungen, verweigerte Visa, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt bedrohen die Existenz der Gemeinschaft. Katar verweist auf in der Verfassung und Gesetzgebung verankerte Religionsfreiheit. Doch die gilt für Bahá’í nicht.

Von Jascha Noltenius

Die Religionsgemeinschaft der Bahá’í wurde im 19. Jahrhundert im Iran gestiftet und wird dort seither unterdrückt. Durch die Islamische Revolution im Jahr 1979 systematisierte sich die bis heute währende, von der schiitischen Geistlichkeit ausgehende Verfolgung. Auf der gegenüberliegenden Seite des Persischen Golfes, im Emirat Katar, werden Bahá’í nach einem auffallend ähnlichen Muster zunehmend diskriminiert. Dadurch ist mittlerweile sogar die Existenz dieser friedlichen Religionsgemeinschaft in Katar gefährdet.

Bereits seit den 1940er Jahren migrierten Bahá‘í aus mehr als 30 Nationen nach Katar. Obwohl sie über Generationen hinweg tief in der katarischen Gesellschaft verwurzelt sind und einige sogar die katarische Staatsbürgerschaft innehaben, wurden sie nie in irgendeiner Form als Gemeinschaft anerkannt. Dieser Umstand erschwert ihr Gemeindeleben und ihre Religionsausübung erheblich.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde aus dieser Nichtanerkennung eine zunehmende Feindseligkeit: Die Bahá'í sahen sich Diskriminierungen und Druck ausgesetzt, die allein auf ihren religiösen Überzeugungen beruhten. Wie auch im Iran und im Jemen zielen die staatlichen Repressionen vor allem auf die Amtsträger der Gemeinde. So wurde der in Katar geborene und für die Koordinierung der Gemeindeangelegenheiten auf der Arabischen Halbinsel zuständige Omid Seioshansian Anfang 2021 deportiert und mit einer Einreisesperre belegt.

Im Jahr 2022 wurde der Vorsitzende des Nationalen Geistigen Rates, Remy Rouhani, rechtskräftig zu einer Haft- und Geldstrafe verurteilt. Ihm wurde haltlos das Sammeln von Spenden für terroristische Vereinigungen vorgeworfen. Sein Strafverfahren fand menschenrechtswidriger Weise in seiner Abwesenheit statt und die rechtlichen Einwände seines Verteidigers wurden nicht angehört. Diese eklatanten Verfahrensverstöße verdeutlichen den Einfluss, den die katarische Regierung auf die Justiz nimmt, um die politisch und religiös motivierte Verfolgung der Bahá’í voranzutreiben.

Keine Arbeit, keine staatlich anerkannten Ehen, keine Ruhe im Tod

Die Diskriminierung begann in den späten 1980er Jahren, als bei Razzien zahlreiche Akten über die Verwaltungsangelegenheiten der Bahá'í beschlagnahmt wurden. Bis heute wurden diese Unterlagen nicht zurückgegeben. Im Laufe der Jahre wurden Bahá'í aufgrund ihrer Religion aus Arbeitsverhältnissen entlassen oder in als „sensibel“ geltenden Bereichen wie dem Bildungswesen wegen ihrer Religionszugehörigkeit erst gar nicht eingestellt. Auch in Fragen des Personenstandsrechts (familienrechtliche Stellung; umfasst Daten wie Geburt, Eheschließung, Tod; Anm. d. Red.) sahen sich die Bahá'í vielen Hindernissen gegenüber. Im Jahr 2009 wurde der damalige Bahá'í-Friedhof in der katarischen Hauptstadt Doha mit Bulldozern planiert und Gräber wurden ausgehoben.

Darüber hinaus haben die katarischen Behörden in den vergangenen 15 Jahren – nach einem klaren Muster – Aufenthaltsgenehmigungen von Bahá'í entzogen oder sich geweigert, solche zu erteilen oder zu verlängern. Einzelpersonen und Familien verschiedener Nationalitäten (zum Beispiel US-Amerikaner, Briten, Kanadier, Ägypter, Inder, Iraner, Jordanier, Malaysier und Tunesier) waren von der Abschiebung bedroht, einige von ihnen, nachdem sie in der vierten Generation im Land ansässig waren. Diese Entscheidungen wurden eindeutig auf der Grundlage ihrer Religionszugehörigkeit getroffen. Kurzzeitvisa für Bahá'í wurden verweigert. Und selbst katarische Bahá'í-Bürger waren gezwungen, das Land zu verlassen, als ihren Ehepartnern die Aufenthaltsgenehmigung verweigert wurde. In Anbetracht der geringen Größe und der fragilen Existenz der Gemeinde ist jede Zwangsausweisung deutlich zu spüren.

Als Reaktion darauf versuchte die Gemeinschaft lange Zeit erfolglos, Missverständnisse von Fall zu Fall zu klären. In jüngster Zeit ähnelt das Muster der Diskriminierung jedoch dem Muster der Verfolgung, mit der die Bahá'í-Gemeinde im Iran konfrontiert ist. Das deutet auf ein gewisses Maß an Einflussnahme aus diesem Land hin. 2017 teilten mehrere angesehene katarische Verantwortungsträger den Bahá'í vertraulich mit, dass die Regierung versuche, die Bahá'í aus dem Land zu „entfernen“.

Mitglieder der Bahá'í-Gemeinde in Katar trafen sich mit verschiedenen Regierungsvertretern, um Klarheit über den Bahá'í-Glauben, seine Grundsätze und seine Verwaltung zu schaffen. Sie baten wiederholt darum, ihre Grundrechte als religiöse Minderheit ausüben zu dürfen: einschließlich der Verwaltung der Gemeindefinanzen, der Ausstellung von staatlich anerkannten Heiratsurkunden, des Lebens ohne Angst vor Abschiebung und der Durchführung ihrer Gemeindeaktivitäten. Ohne Erfolg.

Scheinheilig von Religionsfreiheit sprechen

In einer gemeinsamen Mitteilung vom 16. August 2019 forderten der Sonderberichterstatter für Minderheitenfragen und der Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Vereinten Nationen die Regierung von Katar auf, eine Erklärung für seine diskriminierenden Praktiken zu liefern. Die katarische Regierung übermittelte ihre Antwort am 14. November 2019, ging aber nicht angemessen auf die Frage der religiösen Diskriminierung ein. Sie berief sich auf eine Reihe von Artikeln in ihrer Verfassung und anderen Rechtsvorschriften als Nachweis ihres vermeintlichen Engagements, einen Rechtsrahmen zum Schutz religiöser Minderheiten vor Diskriminierung zu schaffen.

In Wahrheit ermöglicht eine eigene Definition des Begriffs „Religion“ den Behörden jedoch, ihre diskriminierenden Praktiken fortzusetzen. Obwohl der Wortlaut der Artikel 35 und 50 der katarischen Verfassung Religionsfreiheit und Gleichheit vor dem Gesetz vorsieht, unterliegt jede Erwähnung von Religion in der Verfassung dem islamischen Scharia-Recht. Dieses erkennt aber nur den Islam, das Christentum und das Judentum als Religionen an. Dies verdeutlicht Katars eigene Stellungnahme ebenfalls, in der es heißt: „Die katarische Gesetzgebung unterscheidet nicht zwischen dem Islam und den anderen Religionen, die durch die Scharia geschützt sind, nämlich dem Christentum und dem Judentum.“

Die von Katar vorgelegten Abschnitte des Strafgesetzbuchs bieten also lediglich Schutz vor Beleidigung, Zerstörung, Verunglimpfung usw. für die „durch die islamische Scharia geschützten Offenbarungsreligionen“. Somit genießen alle Personen, die nicht einer dieser Religionen angehören, nicht denselben Schutz – einschließlich der Bahá'í.

Damit verstößt Katar gegen seine völkerrechtlichen Pflichten aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie dem Internationalen Pakt über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte. Beide Verträge hat die katarische Regierung ratifiziert und ist daher an die Gewährleistung der Menschenrechte für alle seine Bürger, unabhängig ihrer Religionszugehörigkeit, gebunden. Auch die Standards völkerrechtlicher soft law Instrumente (Übereinkünfte, Leitlinien oder Absichtserklärungen, die nicht rechtlich bindend sind; Anm. d. Red.), wie die UN-Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Weltanschauung sowie die UN-Minderheitenerklärung, verletzt Katar durch Diskriminierung der Bahá’í.

Die jüngsten Entwicklungen deuten darauf hin, dass die katarische Regierung ihre Politik der religiösen Diskriminierung fortsetzt und nicht die Absicht hat, sich an ihre internationalen Verpflichtungen und Standards zu halten, wenn es um die Behandlung der Bahá'í geht. Stattdessen hat sie ihre ablehnende Haltung und die völlige Missachtung der Menschenrechte beibehalten. Die Bundesregierung, die internationale Staatengemeinschaft und die weltweite Zivilgesellschaft müssen daher entschieden an Katar appellieren, die Menschenrechte aller Bürger, auch der Bahá’í, zu gewährleisten.

 

[Der Autor]
Jascha Noltenius ist Beauftragter für Menschenrechtsfragen der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland. Er studierte Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt im Internationalen Recht.

 



GfbV-Zeitschrift im Abo

Wir würden uns besonders darüber freuen, wenn Sie unsere Zeitschrift regelmäßig lesen möchten: Das Abonnement umfasst sechs Ausgaben im Jahr und kostet inklusive Versand 25 Euro pro Jahr (ermäßigt 20 Euro).

Jetzt Zeitschrift abonnieren oder kostenloses Probeheft anfordern.

Lesen Sie weiter