Text: Eine Kirche? Eine Schule? Von außen nicht zu erkennen. Auf jeden Fall ist dieses Gebäude Teil des „Religiösen Komplexes“, zu dem aber nicht nur Kirchen gehören.
Foto: © Kamal Sido/GfbV

 

Wer durch die Straßen Dohas schlendert, könnte denken, dass es im Emirat Katar keine Christ*innen gibt. Sie sind eine religiöse Minderheit, die seit Jahrzehnten gesellschaftlich und politisch diskriminiert wird. Die Regierung erlässt scharfe Restriktionen gegen Andersglaubende. So strebt das Golfemirat nach internationalem Einfluss.

Von Jannes Hater

„Ein Merkmal für eine echte Glaubensfreiheit ist das Recht, eine Religion zu verlassen, ohne dafür gesellschaftlich und staatlich geächtet zu werden. Wenn das nicht gegeben ist, dann gibt es keine Glaubensfreiheit in einem Land.“, konstatiert Dr. Kamal Sido nach seiner Katar-Reise im Frühjahr 2022 in Bezug auf die Religionsfreiheit vor Ort. Sido ist Referent für ethnische, religiöse und sprachliche Minderheiten und Experte für den Nahen Osten bei der Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker. Zwar ist in der Verfassung des Emirats das Recht auf freie Religionsausübung verankert, allerdings mit dem wichtigen Zusatz versehen, dass sie nur in einem Rahmen stattfinden dürfe, in dem die „öffentliche Ordnung und Moral gewahrt wird“. Was damit genau gemeint ist, wird nicht ausgeführt. Wie unter dem Vorwand der Wahrung einer öffentlichen Ordnung und Moral allerdings die Religionsfreiheit ganz gezielt eingeschränkt wird, zeigt ein Blick auf die religiösen Minderheiten des Landes.

In Katar gilt der Islam in der orthodox-sunnitischen Ausprägung des Wahhabismus als Staatsreligion. Dementsprechend ist die Gesellschaft konservativ und streng islamisch geprägt. Angehörige religiöser Minderheiten sehen sich dagegen einer kontinuierlichen Unterdrückung ausgesetzt. Christ*innen stellen mit 370.000 Gläubigen, circa 13 Prozent der Gesamtbevölkerung Katars, eine große religiöse Minderheit des Landes dar.

Das Christentum war bereits vom 4. bis 9. Jahrhundert in Katar verbreitet. Mit dem Aufkommen des Islams verschwand es zunächst jedoch vollständig aus der Region. Heute verzeichnet Katar aufgrund der steigenden Anzahl ausländischer Arbeitskräfte, die zum Großteil aus dem asiatischen und ostafrikanischen Raum kommen, eine konstant wachsende christliche Gemeinde. Diese wird in der Gesellschaft jedoch kaum wahrgenommen, da sie systematisch aus der Öffentlichkeit verbannt wird. Grund dafür ist der restriktive Umgang der katarischen Regierungen mit allen nicht-islamischen Religionen.

Haben die Gläubigen die Kirche erstmal gefunden und die Sicherheitsmaßnahmen über sich ergehen lassen, können sie irgendwann dann tatsächlich auch beten.
Foto: © Kamal Sido/GfbV

Ins Industriegebiet verbannt

Die katarische Regierung betrachtet den christlichen Glauben als fremden Einfluss, den es zu begrenzen gilt. Deswegen sind christliche Symbole in der Öffentlichkeit verboten. Dementsprechend unscheinbar sind die wenigen Kirchen des Landes, die kaum als solche zu erkennen sind: Sie sind weder mit einem Kreuz geschmückt noch offiziell ausgeschildert. Außerdem liegen fast alle Kirchen auf einem von der Regierung zur Verfügung gestellten Grundstück mitten in einem Industriegebiet. Dieses liegt rund 20 Kilometer vom Stadtzentrum Dohas entfernt und wird „Religiöser Komplex“ genannt. Diese Bezeichnung ist gewählt worden, um zu verhindern, dass die Namen christlicher Heiliger auf den spärlichen, inoffiziellen Ausschilderungen der Kirchen zu lesen sind.

Wöchentlich kommen etwa 75.000 bis 100.000 Gläubige in den „Religiösen Komplex“, um zu beten und Messen zu feiern. Der Andrang und die Nachfrage für zusätzliche Kirchen ist groß. Doch Anträge von Bischöfen auf weitere Grundstücke werden seit Jahren abgelehnt. Ein weiteres Problem für die Gläubigen ist, dass sich nicht jede*r den Besuch im „Religiösen Komplex“ leisten kann. Die Distanz zum Stadtzentrum Dohas erfordert eine Anreise mit Auto oder Bus, die sich ein Großteil der schlecht bezahlten Arbeitsmigrant*innen nicht leisten kann.

Aufgrund der hohen Sicherheitskontrollen am Eingang des „Religiösen Komplexes“ vergleicht Kamal Sido seinen Besuch im christlichen Zentrum Katars mit einer Flughafenkontrolle. Gläubige müssen ihre Taschen scannen lassen, sich gegebenenfalls als Christ*innen ausweisen und werden auf dem gesamten Gelände von Überwachungskameras beobachtet. Aus diesem Grund beschrieb der in Katar lebende Pater Vincenzo den „Religiösen Komplex“ gegenüber dem Deutschlandfunk als „Gefängnis in der Wüste“.

Auch wenn sich die katarische Regierung damit rühmt, die christliche Glaubensfreiheit durch das Bereitstellen von Kirchen zu gewährleisten, unterwandert sie die aktive Ausübung des christlichen Glaubens auf diese Weisen doch erheblich. Sie setzt unter Druck beim Besuch einer Kirche und macht es insbesondere unterbezahlten Arbeitsmigrant*innen beinahe unmöglich, Kirchen überhaupt aufzusuchen.

Sozialer Druck, institutionelle Diskriminierung

Damit endet der konstante politische und gesellschaftliche Druck auf Christ*innen in Katar aber nicht. Die öffentliche Diffamierung des christlichen Glaubens im Staatssender Al Jazeera und die Hasspredigen gegen Andersgläubige sorgen dafür, dass viele Christ*innen ihren Glauben in der Öffentlichkeit aus Angst vor Ausgrenzung verschweigen. Insbesondere prekär angestellte Arbeitsmigrant*innen verstecken ihren christlichen Glauben im Arbeitsalltag, da sie befürchten, dass sich die ohnehin schon miserable Behandlung durch den Arbeitgeber weiter verschlechtert. Nicht selten konvertieren Migrant*innen als Schutzmaßnahme und aus Angst vor physischer Gewalt zum Islam.

Besonders problematisch ist die Lage derjenigen im Land, die vom Islam zum Christentum konvertieren wollen. Gesetzlich wird dies als Apostasie, also als Abfall vom Glauben, gewertet und steht unter Todesstrafe. Die staatliche Propaganda gegen alle Religionen außerhalb des Islam ist so ausgeprägt, dass Konvertierte auch innerhalb der eigenen Familie mit Ausgrenzung und Diskriminierung rechnen müssen.

Auch das Missionieren für den christlichen Glauben ist strengstens verboten und wird mit mehrjährigen Haftstrafen sanktioniert. Dabei gilt bereits die Verbreitung von christlichem Informationsmaterial als Missionierungsversuch. Kirchen und Glaubensgemeinschaften sind dementsprechend auf private und informelle Kommunikationswege angewiesen. Das deckt sich mit den Erfahrungen, die Kamal Sido in Katar gemacht hat. In seinem Bericht erzählt er: „Niemand dort weiß, wo die Kirchen sind oder dass es welche gibt.“

Religion ist Macht

In Anbetracht der außenpolitischen Verbindungen Katars zu radikalislamistischen Terrorgruppen wie der Hamas, Al-Qaida oder Boko Haram, die regelmäßig für Anschläge auf Christ*innen weltweit verantwortlich sind, kann die Unterdrückung der christlichen Gemeinde in Katar selbst wohl kaum verwundern. Das globale Netzwerk zu islamistischen Organisationen nutzt Katar seit Jahrzehnten als politisches Mittel zum regionalen und internationalen Machterhalt.

Dass Katar durch scharfe Restriktionen und öffentlichkeitswirksame Hasspredigten gegen Christ*innen und Konvertierte den christlichen Glauben maximal einschränkt, ist dementsprechend auch ein außenpolitisches Signal. Sollte Katar die Glaubensfreiheit von Andersglaubenden wahren, würden sie die Sympathien der Terrororganisationen aufgrund unterschiedlicher Weltanschauungen verlieren und so ihre Machtposition als Strippenzieher des weltweiten islamistischen Terrors riskieren. Das verbindende Element zwischen Katar und den Terrororganisationen ist das Streben nach dem politischen Islam (siehe dazu S. 30). Solange sie diese Ideologie teilen, wird sich die Situation für die Christ*innen in Katar nicht verbessern. Sie ist zum Gegenstand des geopolitischen Machtstrebens geworden, wodurch eine tatsächliche Glaubensfreiheit in Katar kaum vorstellbar ist.

 

[Der Autor]
Jannes Hater studiert Ethnologie und Politikwissenschaften an der Universität Göttingen. Seinen Schwerpunkt legt er auf das Themenfeld der globalen Gerechtigkeit und der Beziehung zwischen Mensch und Natur.



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