An einer Protestaktion der Gesellschaft für bedrohte Völker am 19. Mai 2022 vor der katarischen Botschaft haben sich auch Unterstützer von #BoycottQatar2022 beteiligt.
Foto: © Hanno Schedler/GfbV

Durch die Austragung der Fußballweltmeisterschaft will Katar sein Image aufpolieren: „Sport-Washing“. Doch der Autor und Journalist Bernd Beyer nimmt das nicht hin. Im Interview mahnt er die Korruption der FIFA und sklavenähnliche Zustände auf den WM-Baustellen an. Die Konsequenz daraus für das Verhalten der Fans sollte klar sein.

Der Journalist und Autor Bernd Beyer war zwischen 1981 bis 2015 verantwortlicher Lektor im Verlag Die Werkstatt. Sein Schwerpunkt liegt auf der Fußballgeschichte. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Fußballkultur. 2020 begründete Beyer die Initiative „Boycott Qatar 2022“ mit, um den bis dato relativ unorganisierten Frust und Protest gegen die WM in Katar zu kanalisieren.

Unter der katarischen Politik leiden Frauen, ethnische und religiöse Minderheiten und LGBTQIA+-Personen – darüber darf die WM nicht wegtäuschen!
Foto: © Hanno Schedler/GfbV

Wie kam es zu der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft an ein Land wie Katar?

Früher, auch in jenem Vergabejahr 2010, lief die Vergabe über das FIFA-Exekutivkomitee, in dem zum einen das Präsidium und zum anderen die Kontinentalverbände vertreten waren. Dann hat ein 25-köpfiges Gremium alle Bewerbungen geprüft und den Gewinner per Abstimmung festgelegt. Wer dort die absolute Mehrheit der Stimmen bekommen hat, hat den Zuschlag für die WM bekommen.

 

Sie sprechen von „früher“. Läuft das heute anders?

Ja, das hat sich verändert – gerade aufgrund der Vorkommnisse; Stichworte Bestechung und Korruption. Auch das sogenannte Sommermärchen, die WM 2006, ist mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit durch Korruption nach Deutschland gekommen. Man hat starke Indizien dafür, dass das Gleiche für die WM 2018 in Russland und die WM 2022 in Katar gilt. Die Mitglieder des damaligen Exekutivkomitees 2010 sind größtenteils nicht mehr bei der FIFA, weil den meisten von ihnen Korruption nachgewiesen werden konnte. Alle bis auf zwei Mitglieder sind dafür verurteilt oder zumindest angeklagt worden. Diese Korruption fand zwar nicht immer direkt in Zusammenhang mit der Vergabe einer WM statt. Trotzdem war das Gremium, das 2010 die Entscheidungen gefällt hat, mehr oder weniger eine kriminelle Vereinigung.

Daraufhin kam es zu Reformen. Das FIFA-Exekutivkomitee ist aufgelöst worden. 2016 wurde ein FIFA-Rat gegründet, in dem mehr Mitglieder vertreten sind. Dieser FIFA-Rat bereitet die Entscheidungen zur Vergabe der WM vor. Die endgültige Entscheidung erfolgt allerdings erst auf der FIFA-Generalversammlung.

 

Glauben Sie, dass diese Reform eine Verbesserung mit Blick auf die Korruption hervorrufen kann?

Nein, ich fürchte nicht. Ich glaube, der Entscheidungsprozess müsste durch unabhängige Gremien begleitet werden, die den Prozess transparent durchleuchten. Solange der Entscheidungsprozess in den Hinterzimmern der FIFA stattfindet, wird dieser immer anfällig für Korruption sein, egal wie groß oder klein das entsprechende Gremium sein mag.

 

Was müsste sich bei der Vergabe weiterer Weltmeisterschaften außerdem ändern?

Die Hauptansatzpunkte müssen die Vergabekriterien der FIFA sein, nach denen sie die Austragungsorte bestimmt. Zum einen muss der Prozess transparenter und unabhängig begleitet werden. Und zum anderen müssen die Vergabekriterien als solche inhaltlich überarbeitet werden. Im Moment geht es bei ihnen nämlich hauptsächlich um die wirtschaftlichen Chancen und Kriterien, die sich für die FIFA ergeben. Starke und autoritär strukturierte Staaten können diese sehr einfach erfüllen. Was fehlt sind Kriterien, die bestimmte Menschenrechtsmindeststandards vom jeweiligen Staat einfordern. Zudem fehlen zentrale Nachhaltigkeitskriterien. In Katar werden Stadien in den Sand gesetzt, die nach der WM kein Mensch mehr braucht.

 

Wenn wir von Katar reden, dann geht es meist um Arbeitsmigrant*innen, die Unterdrückung von ethnischen und religiösen Gruppen oder Frauen und die Diskriminierung von LGBTQIA+. Von der FIFA hört man oft das Argument, dass sie versuche, Brücken zu bauen und einen Dialog zuzulassen. Funktioniert das?

Solche Hoffnungen wurden immer wieder geäußert, zuletzt bei den Olympischen Spielen in China (2022) oder der Fußball-WM in Russland (2018). Die Hoffnungen, dass sich die Länder mit der Austragung der Events öffnen und liberalisieren, wurden jedoch alle enttäuscht. Ich befürchte, dass es bei der WM in Katar ähnlich sein wird. Zwar hat sich in Katar bei den Arbeitsbedingungen auf dem Papier etwas geändert; aber Menschenrechtsorganisationen haben ja bekanntlich festgestellt, dass sich in der Realität kaum etwas getan hat. Die meisten Arbeitsmigrant*innen müssen dort noch immer unter sklavenähnlichen Abhängigkeitsverhältnissen arbeiten, und viele bekommen ihren Lohn nicht ausgezahlt. In Bezug auf alle weiteren Rechte, die Sie angesprochen haben, hat sich überhaupt nichts getan, nicht einmal auf dem Papier. Man muss sagen: Die Entscheidung, die WM an Katar zu geben, war damals falsch und sie ist es heute nach wie vor.

 

Was macht die WM für Katar als Austragungsort so interessant?

Katar ist aktuell aufgrund seiner Erdöl- und Gasvorkommen ein wirtschaftlich sehr mächtiges Land. Allerdings weiß die Regierung auch, dass diese Vorräte endlich sind und sie sich früher oder später nach anderen Geschäftsfeldern umschauen muss. Das geschieht unter anderem durch die Beteiligung an großen internationalen Unternehmen. Begleitet werden diese Investitionen von Imagekampagnen, da auch Katar weiß, dass es politisch nicht wirklich kompatibel mit den europäischen und westlichen Demokratien ist. Hier kommt das sogenannte „Sport-Washing“ ins Spiel: Es wird versucht, durch das Austragen internationaler Sportereignisse einen Imagegewinn zu verbuchen. Sie versuchen, ihr Bild als Autokratie, die alle möglichen Menschenrechte unterdrückt, in der Öffentlichkeit zu kompensieren.

Als einer der Initiatoren der Initiative „Boycott Qatar 2022“ haben Sie viel Kontakt zu Fußball-Fanclubs und Vereinen. Wie blicken die auf die WM in Katar?

Die WM in Katar wird überwiegend kritisch betrachtet. Als die Entscheidung damals gefallen ist, herrschte erstmal eine gewisse Fassungslosigkeit und Ratlosigkeit. Den meisten war direkt klar, dass das keine sportliche Entscheidung war. Da der ganze Frust und Unmut über diese Entscheidung allerdings relativ unorganisiert und ohne eine politische Kampagne ausgedrückt wurde, haben wir uns vor circa zwei Jahren dazu entschlossen, die Initiative ins Leben zu rufen. Es hat sich schnell ein Kreis von sechs Fangruppen gefunden, die sich schon lange in den Bereichen gesellschaftliche Verantwortung, Antirassismus und im Kampf gegen Antisemitismus einsetzen. Sie bilden den aktiven Kern unserer Initiative, der sich inzwischen rund 80 weitere Fangruppen angeschlossen haben.

 

Was können Fans und was kann die Gesellschaft in Deutschland tun, um sich kritisch zu zeigen und die WM nicht zu unterstützen?

Da gibt es einige Möglichkeiten! Worum es uns geht, ist, dass Fans von sich aus sagen: „Wir schauen uns dieses Turnier nicht an.“ Dabei geht es nicht nur um das private Schauen der Spiele, sondern vielmehr darum, nicht an großen Public Viewings teilzunehmen oder diese gar nicht erst anzubieten. Die Verweigerung ist das eine. Aber gleichzeitig soll auf Veranstaltungen und in den sozialen Medien darüber aufgeklärt werden, was in der FIFA und in Katar schiefläuft.

In Fangruppen gibt es weitere Ansätze: Hinter dem Motto „Kicken statt Gucken“ oder „Back2Bolzen“ versteckt sich zum Beispiel die Idee, während der WM selbst Turniere für Fußballfans auszurichten und somit der WM in Katar die Aufmerksamkeit zu entziehen. Solche Alternativveranstaltungen sind natürlich auch ein politisches Statement. Es gibt auch Versuche von Fans, innerhalb ihrer Vereine Beschlüsse zu fassen, dass der Verein keine Spieler zur WM abstellen wird. Die Symbolik und die Diskussion hinter einem solchen Statement ist das eigentlich Zentrale.

Außerdem kann man auf Produkte verzichten, deren Unternehmen als Sponsoren bei der WM auftreten oder den Verkauf von Artikeln mit WM-Motiven stoppen. Dahinter steckt die Hoffnung, dass diese Aktionen dazu führen, dass eine WM weder für Sponsoren noch für Länder wie Katar weiterhin einen Imagegewinn bedeuten – sondern im Gegenteil: dass ein Turnier unter den Umständen wie in Katar sogar eher zu einem Imageverlust für alle Beteiligten führt.

 

[Info]
Tabea Giesecke führte das Interview am 22. Juni 2022 per Videoanruf. Jannes Hater transkribierte es anschließend.

 



GfbV-Zeitschrift im Abo

Wir würden uns besonders darüber freuen, wenn Sie unsere Zeitschrift regelmäßig lesen möchten: Das Abonnement umfasst sechs Ausgaben im Jahr und kostet inklusive Versand 25 Euro pro Jahr (ermäßigt 20 Euro).

Jetzt Zeitschrift abonnieren oder kostenloses Probeheft anfordern.

Lesen Sie weiter