Eine Ainu spielt ein traditionelles Instrument. Eigentlich war ein Auftritt der Ainu auch für die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Tokio geplant. Doch die Verantwortlichen strichen den Punkt aus dem Programm.
Foto: XonLoke/Pixabay; Pixabay License

Mit Spannung und Vorfreude erwarteten die Ainu, die indigene Bevölkerung Japans, die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2020. Endlich sollten sie die Chance bekommen, sich einem Weltpublikum zu präsentieren. Dann die Enttäuschung – nicht nur, weil die Spiele Corona-bedingt verschoben werden mussten, sondern weil sie aus dem Programm flogen.

Von Alina Loup

Am 24. Juli 2021 soll es endlich soweit sein: Die mit Ausbruch der weltweiten Corona-Pandemie um fast ein Jahr nach hinten verlegten Olympischen Spiele in Tokio sollen beginnen. Die Spiele werden mit Blick auf das globale Pandemie-Geschehen und die schwülen Temperaturen des japanischen Sommers kontrovers diskutiert. Doch für die Ainu, eine ethnische Minderheit Nord-Japans, hätte die Ankündigung, dass die Spiele nichtsdestotrotz stattfinden werden, theoretisch dennoch ein Anlass zur Freude sein können. Doch das Tokio Olympia-Komitee schob diesen Vorfreuden bereits im vergangenen Jahr einen endgültigen Riegel vor.

Olympische Spiele: Ein Katalysator für Kultur, Gesellschaft und Werte?

Die Olympischen Spiele 2021 sollen unter dem Leitbild „Streben nach persönlicher Bestleistung, gegenseitige Akzeptanz, ein Vermächtnis für die Zukunft weitergeben“ einen Beitrag dazu leisten, eine nachhaltige, glücklichere und spirituell reichere Gesellschaft zu erschaffen. So heißt es in einem offiziellen Dokument, das die Vision für die Eröffnungs- und Abschlusszeremonien der Olympischen und Paralympischen Spiele 2020 in Tokio zusammenfasst. Es sind schmuckvolle Worte, die das Motto von Olympia 2020/21 zieren. Ebenso symbolträchtig war die Ankündigung, dass eine traditionelle Ainu-Tanzaufführung Teil der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele werden sollte. Beides blieben bisher leere Worte.

Auf der Internetseite der Ainu Association of Hokkaido ist ein Ainu-Tanz-Video abrufbar.
Foto: Screenshot © Ainu Association of Hokkaido

Bereits im Februar 2020 nahm das Tokio Olympia-Komitee der Ainu-Bevölkerung die Hoffnung darauf, vor einem Weltpublikum auf ihre Existenz und ihre Kultur aufmerksam machen zu können. Die Pläne zur Eröffnungszeremonie wurden abgeändert und die angekündigte Ainu-Performance aus dem Programm gestrichen. Der Grund seien logistische Einschränkungen, die eine Aufführung des Ainu-Tanzes nicht möglich machten. Weitere Details wurden nicht bekannt gegeben. Man wolle jedoch auf andere Weise die Ainu-Bevölkerung in die Vorbereitungen zu den Olympischen Spielen involvieren. Diese Entwicklung war ein weiterer Rückschlag für die Ainu auf ihrem Weg, ihre kulturelle Identität auszuleben und ihre Rechte als indigene Minderheit Japans einzufordern.

Wer sind die Ainu?

Im Juni 2008 offiziell als indigenes Volk anerkannt, waren die Ainu über Jahrhunderte hinweg Opfer einer japanischen Politik, die die Auslöschung der Ainu-Kultur und -Sprache zum Ziel hatte. Ursprünglich waren die Ainu auf den Inseln Sachalin, den Kurilen und Hokkaido, der heute nördlichsten Präfektur Japans, beheimatet. Doch die japanische Bevölkerung, von der Hauptinsel Honshu aus kommend, verdrängte sie bereits seit dem 14. Jahrhundert zunehmend. Die Entmündigung der Ainu-Bevölkerung erreichte seit 1869 mit der Annexion des heute als Hokkaido bekannten Ezos ihren Höhepunkt.

Nach imperialistisch-kolonialistischer Manier sprach die Meiji-Regierung im 19. und frühen 20. Jahrhundert ein Verbot der Sprache und des Praktizierens ihrer kulturellen und religiösen Riten für die Ainu aus. Auch ihre traditionelle Lebensweise als Jäger und Sammler wurde ihnen rechtlich untersagt. Bis heute ist es den Ainu nicht gestattet, ohne Zustimmung der japanischen Behörden den traditionellen Jagd- und Fischfang-Praktiken nachzugehen.

Trotz der offiziellen Anerkennung der Ainu als indigene Minderheit Japans setzt sich die japanische Regierung kaum für ihre indigenen Rechte ein. Der Ainu-Bevölkerung fehlt es an politischer, rechtlicher und kultureller Autonomie, während ihre Kultur und Sprache vom Aussterben bedroht sind. Weltweit soll es nach Angaben des Endangered Languages Project (dt.: Projekt für gefährdete Sprachen; eine Zusammenarbeit zwischen indigenen Sprachorganisationen, Linguisten, Hochschulen und Industriepartnern) nur noch zwei Muttersprachler der Ainu-Sprache geben.

Olympia 2021: auch für das Ainu Museum eine Enttäuschung

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, soll ein Museum helfen: Die Eröffnung des neuen Upopoy National Ainu Museums in der Stadt Shiraoi auf Hokkaido sollte ursprünglich zeitgleich mit den Olympischen Spielen vergangenes Jahr erfolgen. So wollten die Betreiber von dem Olympia-Tourismus profitieren. Auf zwei Etagen und einem umliegenden Parkgelände wird hier den Besuchern ein Eindruck von Sprache, Geschichte, Kultur und Weltbild der Ainu vermittelt. Doch angesichts fehlender Zusprechung von autonomen Land- und Sprachrechten kritisieren einige Ainu-Aktivisten, dass das Museum nur die Entwicklung der Ainu-Kultur hin zu einer reinen Museumskultur fördere. Gleichzeitig bietet der Museumskomplex einigen Ainu-Angehörigen jedoch auch neue Perspektiven der Erwerbstätigkeit sowie einen geschützten Raum, ihre kulturelle Identität auszuleben und die Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen.

Doch wie bereits bei den Planungen rund um die Olympischen Spiele selbst scheint sich die Sichtbarkeit der Ainu und des neuen Nationalen Ainu-Museums bislang in Grenzen zu halten. Zwar sollte eine Kooperation mit dem aus Hokkaido stammenden Schauspieler-Ensemble „TEAM NACS“ innerhalb Japans die Vermarktung des Nationalen Ainu Museums ankurbeln, die mediale Aufmerksamkeit ist jedoch vergleichsweise gering. Anstatt die Olympischen Spiele zum Anlass zu nehmen, zumindest die Eröffnung des Ainu Museums zu bewerben, fehlt auch hier ein echtes Interesse der japanischen Regierung und Medien, den Ainu Gehör zu verschaffen. Mit dem Corona-bedingten Ausbleiben der ausländischen Touristen werden die Olympischen Spiele auch den Erwartungen rund um die Eröffnung des Nationalen Ainu-Museums daher kaum gerecht werden können.

Eine letzte Hoffnung und Möglichkeit gibt es noch, das neue Museum zu bewerben und die abgesagte Tanzaufführung zu verlegen, nämlich in die Heimatregion der Ainu: Sapporos, die Hauptstadt Hokkaidos, wurde zum Austragungsort der olympischen Marathon- und Fußball-Wettkämpfe erklärt. Bis Redaktionsschluss lagen jedoch keine konkreten Details vor, dass eine derartige Wertschätzung der indigenen Ainu-Bevölkerung geplant sei.

Während in den Jahren zuvor die First Nations Kanadas und die Aboriginal People Australiens einen festen Platz im Eröffnungsprogramm der Olympischen Spiele 2010 (Kanada) und 2000 (Australien) innehatten, bleibt für die Ainu-Bevölkerung Japans die Vision des Toleranz und gegenseitige Akzeptanz bringenden Olympia-Geistes vorerst nichts weiter als ein Traum. Lediglich die Webseite der Ainu Association of Hokkaido (dt: Ainu-Verband von Hokkaido) erinnert mit einem halbstündigen YouTube-Video an die einst geplante Aufführung.

 


Alina Loup studierte Anglistik und Japanologie an der Universität zu Köln. Im Rahmen ihres Studiums spezialisierte sie sich auf die Kultur, Geschichte und Sprache der Ainu. Als SEO Consultant, freie Illustratorin und Texterin lebt und arbeitet sie derzeit in Köln.



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