Sauberes Wasser ist im überfüllten Camp Kutupalong knapp. Deswegen will die bangladeschische Regierung die Situation im Camp entzerren und siedelt Menschen auf die Insel Bhasan Char um. Doch die Insel ist nicht sicher.
Foto: © European Union 2018

Zuerst vertrauten Rohingya maroden Booten auf dem Meer ihr Leben an, um der Verfolgung in ihrem Heimatland Myanmar/Burma zu entkommen. Nun sehen sie sich in völlig überfüllten Flüchtlingslagern in Bangladesch mit Wasserknappheit konfrontiert. Eine Insel weit draußen im Meer lockt als Scheinlösung. Für die Rohingya lauten die Optionen nun: entweder zu wenig Süßwasser oder zu viel Salzwasser um sich zu haben.

Von Anna Plunkett
 

Die Notlage der Rohingya-Gemeinschaft erregte 2015 internationale Aufmerksamkeit, als sie als „Boat People” (dt.: Bootsmenschen) auf klapprigen Booten festsaßen, die keinen Hafen anlaufen durften. Das Wasser war eine große Chance, aber auch eine große Gefahr für die Rohingya-Gemeinschaft: Es bot die Möglichkeit, der Verfolgung in Myanmar/Burma zu entkommen – allerdings zu einem hohen Preis. Seit viele Rohingya in Camps innerhalb Bangladeschs Zuflucht suchen, ist ihre Beziehung zum Wasser noch komplexer geworden.

Karte: Wikiepdia; gemeinfrei. Bearbeitung: studio mediamacs Bozen

Mehr als eine Million Rohingya leben heute in Flüchtlingslagern in Bangladesch, die meisten von ihnen im Lager Kutupalong, dem zentralen Lager in Cox´s Bazar. Die Rohingya sind vor den Räumungsaktionen des Militärs im myanmarischen Rakhine-Staat geflohen. Die Einrichtung des Mega-Camps Kutupalong, das größte der Welt, hat ihre eigenen Herausforderungen mit sich gebracht – besonders in Bezug auf Wasser.

Die Region, in der sich das Camp befindet, ist hügelig und hat in der Trockenzeit einen niedrigen Grundwasserspiegel. Das führt zu zwei Kernproblemen: In der Regenzeit ist das überfüllte Lager anfällig für Erdrutsche. Rund 42.000 Menschen leben in Gefahrenzonen. Umgekehrt trocknet in der Trockenzeit der begrenzte Wasservorrat in der Region nahezu aus, was eine große Gefahr sowohl für die Geflüchteten als auch die Aufnahmegesellschaft darstellt. Dies hat dazu geführt, dass die Vereinten Nationen (UN) während der Trockenzeit Wasser für die Gemeinden in der Region per LKW heranschaffen.

Einer der Hauptgründe für eine solche Wasserknappheit ist die Geschwindigkeit und die Menge von Flüchtlingsankünften im Jahr 2017. Das Kutupalong-Camp war nicht in der Lage, mit den Massen an Menschen Schritt zu halten, die über den Sommer eintrafen und die Bewohneranzahl des Camps innerhalb von Wochen auf mehr als 750.000 ansteigen ließ. Um auf den dramatischen Anstieg der Nachfrage zu reagieren, arbeitete das Camp mit lokalen und internationalen Unternehmen und Stiftungen zusammen. Dadurch sollten für die Bedürfnisse der Gemeinschaft ausreichend Brunnen und Latrinen gebaut werden. Später wurden Versuche unternommen, die Wasserversorgung durch Chlorierungstanks und Wasserspeicher zu verbessern. Aufgrund der schieren Anzahl der Menschen stehen Wascheinrichtungen jedoch weiterhin unter großer Belastung, denn das System ist unter begrenzter Aufsicht und Planung errichtet worden.

Die Herausforderungen wurden durch die Probleme mit der Wasserverschmutzung im Camp deutlich: Erstens wurden Brunnen zu nahe an Latrinen gebaut. Zweitens blieben viele Brunnen, als sie vertieft und erweitert wurden, um dem hohen Zustrom von Geflüchteten gerecht zu werden, aufgrund des Platzmangels im Lager zu nahe an den Latrinen. Drittens hat die Verschmutzung des Wassers wegen mangelnder Hygienepraktiken wie Containersäuberungen deutlich zugenommen.

Für die Menschen ist dreckiges Wasser ein riesen Problem. Die Sorgen sind in der Pandemie weiter gewachsen, da Familien noch immer mehrmals am Tag anstehen müssen, um Wasser zu holen und nur wenig bis gar keinen Platz haben, um Abstand zu halten. Die Wasserversorgung und -qualität in Bangladeschs Flüchtlingslagern bleibt eine Hauptsorge und Herausforderung für die Campkoordinator*innen und NGOs sowie für die Geflüchteten und die Aufnahmegemeinschaften.

Bhasan Char: Schwimmende Insel oder Inselgefängnis?

Zwei Wahrheiten sind in den vergangenen vier Jahren deutlich geworden. Erstens: Die Rohingya-Krise ist noch lange nicht vorbei, denn es treffen weiterhin Geflüchtete aus Myanmar in den Lagern ein, wenn auch in geringerer Zahl. Zweitens: Das Problem der exzessiven Überfüllung der Lager muss gelöst werden. Die derzeitigen Lager können die Gemeinschaften, die auf sie angewiesen sind, nicht dauerhaft versorgen. Andere mögliche Lagerstandorte wurden von der internationalen Gemeinschaft erwogen und diskutiert, aber die Regierung von Bangladesch hat eine eigene Lösung gefunden: Bhasan Char.

Bhasan Char bedeutet „schwimmende Insel“. Sie tauchte vor mehr als 25 Jahren aus dem Meer auf. Sie ist eine Schlickinsel und liegt Stunden vor dem Festland von Bangladesch. Die Insel ist von Überschwemmungen und Wirbelstürmen bedroht und blieb deswegen seit ihrem Auftauchen unbewohnt. Im Jahr 2018 begann die bangladeschische Regierung dort jedoch mit dem Bau einer Flüchtlingssiedlung. Sie sollte Teil ihrer Lösung für die Rohingya-Krise sein. Jetzt ist die erste Phase abgeschlossen und die Regierung hat begonnen, Geflüchtete auf die Insel zu bringen. Mittlerweile wurden mehr als 5.000 Menschen nach Bhasan Char umgesiedelt. Es wird erwartet, dass das Camp bis zu 100.000 Bewohner*innen beherbergen kann, wenn es fertiggestellt ist.

Doch die Entwicklung auf der Insel und ihre Nutzung ist höchst umstritten. Es bestehen ernste Sorgen, dass die Insel während der Zyklon-Saison wieder vollständig im Meer versinken könnte. Außerdem hat die Regierung von Bangladesch zwar viel in die Infrastruktur des Projekts auf der Insel investiert, darunter auch in ein vollständiges Hochwasserschutzsystem, sie war aber nicht gewillt, Untersuchungen zur Bewohnbarkeit durch UN-Beobachter*innen zuzulassen.

Zudem behauptet die Regierung, dass die Umsiedlungen völlig freiwillig erfolgen würden. Doch es werden Zweifel an der Richtigkeit dieser Behauptung laut. Zahlreiche Geflüchtete in Kutupalong betonen, dass sowohl von Seiten der Offiziellen im Lager als auch von Seiten der Regierung bessere Dienstleistungen und Ressourcen auf Bhasan Char versprochen worden seien sowie finanzielle Anreize für eine Umsiedlung. Darüber hinaus gibt es immer wieder Berichte über Familien, die auf Umsiedlungslisten aufgeführt sind, obwohl sie beteuern, nicht konsultiert oder überhaupt gefragt worden zu sein. Ungeachtet der Appelle von Menschenrechtsorganisationen, Umsiedlungsaktionen nach Bhasan Char zu verschieben, werden weiterhin Menschen auf die Insel gebracht.

Die Entwicklung von Bhasan Char ist zu einer eskalierenden Pattsituation zwischen der internationalen Gemeinschaft und der bangladeschischen Regierung geworden. Bangladeschs Regierungsbeamte und Ministerien betonen die Chance, die der Umzug auf die Insel bietet. Dagegen weigert sich die internationale Gemeinschaft, sich weiter an dem Projekt zu beteiligen, solange die Eignung des Standortes nicht ordnungsgemäß geprüft und beschlossen wurde. Daher gibt es trotz der steigenden Zahl an Geflüchteten auf der Insel dort bloß eine begrenzte bis keine Präsenz von NGOs. Internationale Organisationen verweigern Leistungen und Unterstützung für das Projekt, während lokale NGOs Schwierigkeiten haben, Spender*innen zu finden, die willens sind, an Bhasan Char mitzuwirken.

Die Auswirkungen treffen die Geflüchteten auf Bhasan Char, die nur begrenzt bis keine humanitäre Unterstützung oder Schutz erfahren und jetzt Stunden vom Festland entfernt ausgesetzt sind. Obwohl es noch keine Berichte über Wasserknappheit und Probleme gibt, befindet sich das Projekt noch in seiner Anfangsphase. Die gesamte Infrastruktur und alle Ressourcen müssen vom Festland herbeigeschafft werden. Und während in den nächsten Monaten wahrscheinlich noch mehr Geflüchtete auf der Insel ankommen werden, wird sich zeigen, ob sie bewohnbar ist oder nicht.

 

Herausforderungen im Bereich Wasser

Sowie die Rohingya-Krise voranschreitet, setzt sich auch die komplexe Beziehung der Gemeinschaft zum Wasser fort. Es ist klar geworden, dass die Situation in Kutupalong unhaltbar ist und Lösungen gefunden werden müssen. Während die Umsiedlung in weniger überfüllte Lager und Siedlungen eine dauerhafte Lösung darstellen könnte, scheint Bhasan Char selbst eine nicht überzeugende Antwort zu sein.

Es war die Bootskrise von 2015, die die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf die Notlage der Rohingya lenkte. Jetzt zeichnet sich eine traurige Symmetrie ab, da die Rohingya-Geflüchteten auf offenes Gewässer zurückkehren, um zu versuchen, ein besseres Leben fernab der überfüllten Lager zu finden.


Anna Plunkett promoviert am Department für Kriegsstudien am King’s College London. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf Konflikten und Menschenrechtsthemen im Grenzgebiet Myanmars.

Aus dem Englischen übersetzt von Rabea Hoffmann.



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