„Hört den Djab Wurrung zu!“, „Rettet die heiligen Bäume“ – auf einer Demonstration in Melbourne stellen sich schon im Jahr 2019 viele Leute gegen den Ausbau des Highways. Foto: julian meehan/flickr CC BY 2.0

Auf dem Western Highway im australischen Bundesstaat Victoria passieren besonders viele Unfälle. Um die Gefahr zu bannen, will die Regierung die Straße ausbauen. Doch diesem Ausbau drohen heilige Bäume der indigenen Djab Wurrung zum Opfer zu fallen.

von Miriam Knapp

 

Es hätte ein Tag der Euphorie werden können: Der Premier des australischen Bundesstaates Victoria, Daniel Andrews, verkündete am 26. Oktober 2020 die Aufhebung des strengen Lockdowns zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Stattdessen ging eine Welle der Empörung durch Teile der australischen Bevölkerung, als bekannt wurde, dass der Zeitpunkt genutzt worden war, um einen umkämpften fiddleback tree zu fällen. Die Freude über ein Ende der Ausgangssperre sollte die Öffentlichkeit wohl von der Entweihung der heiligen Stätte der Djab Wurrung ablenken.

 „Es fühlt sich so an, als würden die Kettensägen mein Herz zerreißen“, schreibt die Djab Wurrung Eileen Sissy Austin an jenem Tag auf Twitter, einem Kurznachrichtendienst im Internet. Noch weitere heilige Bäume der Djab Wurrung Aboriginal People im australischen Bundesstaat Victoria sind zu diesem Zeitpunkt durch den geplanten Ausbau des Western Highways, der Hauptverbindungsstraße zwischen Melbourne und Adelaide, in Gefahr. Die Bäume stehen entlang eines zwölf Kilometer langen Abschnittes des Highways. Der Abschnitt weist eine hohe Unfallrate auf. Deswegen soll er ausgebaut und dadurch entschärft werden. Die Bäume stehen dem Vorhaben im Weg.

Besondere Bäume

Der fiddleback tree bildet einen Teil einer Gruppe von Jahrhunderte alten Bäumen, die für die Djab Wurrung eine große spirituelle Bedeutung haben. In von ihren Ahnen geschaffenen Hohlräumen in den sogenannten birthing trees (Geburtsbäumen) wurden schon mindestens 50 Generationen von Djab-Wurrung-Kindern geboren. Jedem Geburtsbaum steht ein grandfather tree (Großvaterbaum) zur Seite, der schützend über ihn wacht. Die Wurzeln beider Bäume sind miteinander verflochten und kommunizieren unterirdisch.

Auch der fiddleback tree, dessen Fällen nun für Schlagzeilen sorgte, hat einen festen Platz in der Geschichtserzählung der Djab Wurrung. Er ist ein directions tree, ein spiritueller, richtungsweisender Baum. Früher hatte jedes Djab Wurrung Kind einen eigenen richtungsweisenden Baum. Der Samen des Baumes wurde nach der Geburt eines Säuglings mit der Plazenta vermischt und anschließend in den Boden gepflanzt. Wegen dieses Rituals gehen die Djab Wurrung davon aus, dass die heiligen Bäume die DNA ihrer Vorfahren in sich tragen und sie vor bösen Geistern schützen. Kinder konnten stets zu ihrem directions tree kommen, um sich spirituellen Rat zu holen und Kraft zu schöpfen. Auch heutzutage nehmen manche Frauen nach der Geburt im Krankenhaus noch die Plazenta mit, um sie später in spirituellem Land zu vergraben.

Der Konflikt

Der am 26. Oktober 2020 gefällte, 350 Jahre alte fiddleback tree war laut der 2018 von Zellanach Djab Mara und seiner Familie gegründeten Botschaft der Djab Wurrung (Djab Wurrung Embassy), ein auf traditionelle Weise gepflanzter und gepflegter directions tree. Sein Fällen vergleichen manche Aktivist*innen mit dem Brand der Kathedrale Notre Dame in Paris im Jahr 2019 – mit dem Unterschied, dass man den Baum nicht restaurieren kann. Sich des unwiederbringlichen Werts der Bäume bewusst, hatten Aktivist*innen ein Protestcamp um die heiligen Bäume errichtet, um diese vor der Abholzung zu schützen. Nach dem Fällen des fiddleback trees kochten die Spannungen rund um das Protestcamp hoch: Ungefähr 60 Personen wurden festgenommen, laut Zeugenaussagen teilweise auch gewaltsam.

Der Konflikt spielt sich aber nicht nur zwischen den Djab Wurrung und der Regierung Victorias ab. Auch unter den Indigenen gibt es unterschiedliche Auslegungen, welche der Bäume „besonders heilig“ sind und welche der Entschärfung des gefährlichen Straßenabschnitts zum Opfer fallen dürfen. Nur zwölf Familien wurden von der Regierung als rechtmäßige, traditionelle Eigentümer*innen des Konfliktgebietes anerkannt: die Eastern Maar Aboriginal Association. Nur diese Gruppe wurde bezüglich der Bäume konsultiert. Den Einwänden anderer Djab Wurrung, wie etwa Zellanach Djab Mara, wurde keine Beachtung geschenkt.

Laut der Professorin Lee Godden der Universität Melbourne sei es aufgrund des komplizierten Prozesses von Landzuschreibungen und früherer Enteignungen problematisch, nur eine Gruppe der Djab Wurrung zu konsultieren. Die Eastern Maar Aboriginal Association befand sich außerdem nicht in einer Lage, dass sie den Ausbau der Straße komplett hätte ablehnen können. Die Vertreter*innen durften nur mitentscheiden, welche der Bäume geopfert werden würden.

Ein Erfolg vor Gericht

Die Konsultation der traditionellen Landeigentümer*innen schien für Victorias Regierung nur eine Pflichtaufgabe zu sein, die es auf dem Weg zu neuen Bauprojekten abzuarbeiten galt. Eine alternative Route, die den Straßenabschnitt weiter nördlich verlegt und das Gebiet umgangen hätte, das von spiritueller Bedeutung ist, wurde von der zuständigen Firma Major Road Projects Victoria unter anderem aus Zeit- und Kostengründen verworfen. Des Weiteren erfülle die nördliche Alternative nicht alle Umweltauflagen. Kritiker*innen wie der Anwalt Michael Kennedy stimmen dem nicht zu.

Doch es gibt Hoffnung. Trotz des Rückschlags, den der gefällte fiddleback tree bedeutete, gaben die Djab Wurrung ihren Kampf um ihre heiligen Bäume nicht auf – und verbuchten Erfolge: Im Dezember 2020 stoppte das Oberste Gericht die Bauarbeiten an der Straße. Der Anspruch auf die heilige Stätte sollte vor weiteren baulichen Maßnahmen erneut geprüft werden. Am 26. März 2021 vermeldete die Djab Wurrung Embassy auf dem sozialen Netzwerk facebook im Internet, dass die heiligen Bäume vorerst stehen bleiben, also leben würden. Die Regierung habe eine Kehrtwende vollzogen und wolle neue Pläne für das kulturelle Erbe erstellen. Ein erster Sieg.


Miriam Knapp studiert Kulturgeographie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg (FAU). 2014/15 verbrachte sie ein Schuljahr in Adelaide, Australien. Ende 2020 wurde sie durch den Aufschrei, der durch die australischen (sozialen) Medien ging, auf den Konflikt rund um die heiligen Bäume der Djab Wurrung aufmerksam.

Die Autorin verfasste diesen Artikel bereits Ende November 2020. Die vorliegende Version wurde von Johanna Fischotter leicht bearbeitet und aktualisiert.



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