Ein Fotoshooting im Flüchtlingslager mit Maombis neuster Kollektion am 13. Februar 2021. Kreative Leitung: © Samir Maombi Foto: © Thabit PHOTOGRAPHY

Kulturen aus Somalia, Äthiopien, dem Sudan: Sie alle beeinflussen die Muster und Schnitte von Samir Maombis Kleidungsstücken. Denn der junge Modedesigner lebt im Flüchtlingslager, umgeben von Menschen verschiedenster Herkunft. Mit seinen Modekreationen will er Geflüchteten Würde und Zuversicht zurückgeben.

Von Johanna Fischotter

„Can you hear me?“ – Können Sie mich hören? Die Worte schallen abgehackt aus dem Lautsprecher meines Handys. Von dem Bildschirm strahlt mir in grobkörnigen Pixeln das Gesicht von Samir Maombi entgegen. Es ist an diesem Freitag, dem 22. Januar 2021, bereits unser zweiter Versuch, per Videoanruf miteinander zu sprechen. Beim ersten brach die Verbindung nach wenigen Sekunden ab. Mehr als 5.800 Kilometer Luftlinie liegen zwischen mir in Göttingen und meinem Interviewpartner in Kakuma.

Kakuma ist eines der größten Flüchtlingslager der Welt. Es befindet sich im Nordwesten Kenias nahe der Grenze zur Republik Südsudan und zu Uganda. Seit 2009 lebt der mittlerweile 24-jährige Samir Maombi in dem Camp. In seiner Heimat, dem Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK), bekämpfen sich Rebellengruppen und die Armee der Regierung. Die Zivilbevölkerung gerät ständig zwischen die Fronten. Maombi hat seine Familie im Krieg verloren. Er selbst floh, überlebte und designt heute modische Kleidung im Flüchtlingslager.

Der junge Modedesigner Samir Maombi in seinem Atelier.
Kreative Leitung: © Samir Maombi
Foto: © Thabit PHOTOGRAPHY

Durch Fotos im Internet bin ich für diese Ausgabe auf den jungen Designer aufmerksam geworden. Über den internetbasierten Nachrichtendienst WhatsApp nehme ich Kontakt auf. Maombi schreibt mir, er müsse an dem Interview-Tag einen Ort im Camp finden, an dem die Internet-Verbindung stabil genug für ein Videogespräch sei. Es wird ein Interview unter außergewöhnlichen Bedingungen: Der Wind pfeift bei Maombi ins Mikro, Wörter kommen oft nur zur Hälfte an. Immer wieder müssen wir beieinander nachhaken, was wir gesagt haben.

Dann, mitten im Interview, bricht die Verbindung komplett ab. Ich probiere, Maombi wieder anzurufen. Keine Antwort. Auch auf meine schriftlichen Nachrichten reagiert er nicht. Doch eine halbe Stunde später klingelt mein Handy. Maombis Rückruf. Der Akku seines Handys sei leer gewesen. Er musste nun erst einmal jemanden finden, der*die eine Solarpaneele hat, um sein Handy zu laden. Strom ist eine Seltenheit im Camp.

Maombis neuer Standort im Camp ist gut für die Verbindung und windgeschützter. Wir verstehen einander jetzt deutlicher – theoretisch. Maombi hat sich offenbar neben einer Schar Hühner positioniert. Der Hahn besitzt eine unfassbare Ausdauer im Krähen… Rundum erschwerte Bedingungen für ein Interview und für einen jungen Modedesigner, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Das Interview führen wir trotz allem zu Ende. Mit gleicher Hartnäckigkeit findet Maombi hoffentlich auch irgendwann einen Weg, seine Mode auf die internationalen Laufstege zu bringen.

Das Interview:

Sie sind Modedesigner. Lassen Sie uns deswegen mit dieser Frage starten: Was haben Sie heute an – und warum?

Ich zeige es Ihnen [er hält die Kamera so, dass seine Kleidung zu sehen ist]. Ich trage weiße Schuhe und diesen bunten Jumpsuit. Beides ist sehr bequem. Ich laufe gerne darin herum. Ich fühle mich in diese Kleidung wohl. Sie gibt mir Selbstvertrauen. Das ist mein Style. Andere sehen diese Kleidung und bewundern sie. Ein gutes Gefühl.

Sie verfolgen Ihren Traum, Modedesigner zu werden, schon lange. Die Ausbildung zum Schneider haben Sie schon in Ihrer Heimat, der Demokratischen Republik Kongo, angefangen. Wie kam es dazu?

Ich hatte schon immer eine große Leidenschaft für Mode – solange ich mich erinnere! Mode hat mir immer geholfen, mir Zuversicht gegeben. Deswegen wollte ich Mode machen. Heute glaube ich, dass Mode die Menschen auch zusammenbringt.

Was bedeutet Mode für Sie?

Mode ist für mich wie ein Ort. Wenn ich meine Kleidung trage, und wenn ich Leute sehe, die meine Kleidung tragen, bin ich glücklich. Es fühlt sich so an, als sei ich angekommen.

In Kakuma haben Sie ein eigenes Atelier, in dem Sie Ihre Kleidung entwerfen und herstellen. Über dem Laden steht: ‚Samir Fashion Design‘. Können Sie mir Ihr Atelier beschreiben?

Mein Atelier ist quasi das Zentrum der Mode in Kakuma. Die Menschen, die in mein Atelier kommen, kommen aus verschiedenen Ländern, gehören verschiedenen Volksgruppen an, haben verschiedene Kulturen. Aber sie kommen alle zu mir und ich designe ihre Kleidung: nach sudanesischer Kultur, nach äthiopischer Kultur, nach somalischer Kultur. In meinem Atelier treffen sich Menschen aus Burundi, Ruanda, Uganda… Alle kommen gleichzeitig. Sie sprechen miteinander, was sie bei kulturellen Ereignissen oder zu Geburtstagen tragen werden. Viele Leute hier mögen meine Kleidung. Sie verbindet die Menschen.

Wie funktioniert denn die Verständigung? Sprechen nicht alle unterschiedliche Sprachen, wenn sie aus unterschiedlichen Ländern kommen?

Die meisten Leute hier sprechen Swahili als gemeinsame Sprache. Einige können auch Englisch.

Wenn Sie sich jetzt gerade umschauen, was sehen Sie?

Wenn ich mich jetzt gerade umschaue… es ist ein wüstenartiger Ort. Früher hätte ich nie gedacht, an so einem Ort zu landen… Aber hier zu sein, ein Geflüchteter zu sein, hält mich nicht davon ab, an der Umsetzung meiner Träume zu arbeiten, daran, wer ich sein möchte. Ich danke Gott, dass ich am Leben bin und ich meine Träume verfolgen kann.

Wenn ich mich umschaue, sehe ich vieles: Menschen verschiedener Volksgruppen, ich sehe Menschen aus dem Sudan, Menschen aus Somalia. Als ich noch im Kongo gelebt habe, habe ich nie einen Menschen aus Somalia gesehen. Hier treffe ich so viele Menschen. Und ich lerne von ihnen, von den verschiedenen Kulturen. Ich bin umgeben von guten Menschen. Wenn ich gestresst bin, beraten sie mich und sind für mich da. Ich habe meine Familie verloren, aber die Menschen hier sind wie Mutter und Vater, Brüder und Schwestern für mich.

In Kakuma leben circa 150.000 Menschen aus mehr als 20 Ländern. Wie findet sich diese kulturelle Vielfalt in Ihrer Mode wieder?
Ja, wir sind viele Leute hier und die Geflüchteten kommen aus verschiedenen Ländern und haben verschiedene Kulturen. Meistens benutze ich Kitenge für meine Kleidung [Kitenge sind feste, buntbedruckte Stoffe; Anm. d. Red.]. Der Stoff repräsentiert die afrikanische Mode. Mit ihm können sich eigentlich alle identifizieren. Aber ich nutze auch andere Materialien wie zum Beispiel äthiopische Baumwolle. Viele Menschen im Camp kommen aus Äthiopien. Jede Kultur hat ihre eigenen Stoffe, die ich zu nutzen lerne. So wächst meine Arbeit mit den Kulturen und den Möglichkeiten der Materialien. Die Menschen kommen ja zu mir und wollen Kleidung, die ihrer Kultur entspricht. Die Designs hängen von der Kultur ab. Die Stoffe bekommen wir meist aus der kenianischen Hauptstadt Nairobi.

Gibt es ein Kleidungsstück, das wie kein anderes für „Samir Fashion Design“ steht?
Ja, der Jumpsuit! Wenn Sie einen Jumpsuit hier im Camp sehen, ist der typisch für „Samir Fashion Design“. Ich bin der einzige, der Jumpsuits herstellt. Aber auch die Bomberjacke oder die Hiphop-Jacke mit vielen Taschen repräsentieren meine Mode. Die finden Sie aber eher nicht im Camp.

Also gibt es Unterschiede zwischen der Kleidung, die Sie im Lager verkaufen, und der, die Sie über das Internet vertreiben?
Auf jeden Fall. Das Camp liegt in einer wüstenartigen Gegend. Hier ist es sehr heiß. Wenn ich also eine Jacke designe, kann ich sie nicht in Kakuma verkaufen. Niemand würde sie tragen. Es ist viel zu heiß! Wenn ich eine Jacke designe, verkaufe ich sie eher in Nairobi. Nach Nairobi komme ich aber nur einmal im Jahr. Denn um das Camp zu verlassen, brauche ich eine spezielle Erlaubnis. Deswegen designe ich nicht so oft Jacken. Ich versuche aber, einen Markt außerhalb von Kakuma, vielleicht sogar außerhalb von Kenia, zu erreichen.

Samir Maombi arbeitet für seine Kreationen mit verschiedenen Arten von Stoffen.
Kreative Leitung: © Samir Maombi
Foto: © Thabit PHOTOGRAPHY

Mit welchen Problemen haben Sie in Ihrem Arbeitsalltag zu kämpfen?

[Nimmt sich Zeit, bevor er antwortet.] Ich habe viele Probleme… Ein Lager für Geflüchtete ist nicht der beste Markt für Mode. Leute von außen können nicht einfach vorbeikommen, um meine Produkte anzuschauen. Wir Geflüchteten können unsere Talente hier nicht zeigen. Mein Traum ist es, an großen Fashion Weeks teilnehmen zu können. Aber das geht nicht…
Ein anderes Problem ist der Strom. Wir haben keinen. Ich kann keine Nähmaschine oder andere elektrische Geräte benutzen. Vielleicht bekomme ich irgendwann einen Generator für mein Atelier… Im Moment benutze ich eine manuell betriebene Maschine. Sie arbeitet nicht so sauber und schnell wie elektrische. Die Arbeit dauert lange.
Geld ist noch so ein Dauerproblem. Wenn Kunden zu mir kommen und sagen, sie brauchen einen Anzug oder etwas Ähnliches, können sie das meistens nicht bezahlen. Vielleicht bringen sie die Stoffe mit; aber zahlen können sie nicht. Sie sind Geflüchtete, sie haben keine Arbeit. Und von dem wenigen, was sie haben, müssen sie Essen kaufen. All‘ meine schönen Sachen kann ich hier nicht verkaufen. Es ist eine tägliche Herausforderung und bitter… Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten hart, aber Sie bekommen nichts dafür.
Ein neues, aktuelles Problem hier im Camp ist Corona. Als Corona ausbrach, habe ich Masken aus Stoffresten genäht und sie verteilt – an alle, egal welcher Volksgruppe. Und ich habe drei Igbo-Jungen beigebracht, Masken zu nähen. So trägt jeder dazu bei, der Gemeinschaft zu helfen und sie zu schützen.

Mode im Flüchtlingslager… Böse könnte man jetzt fragen: Haben die Menschen nicht andere Probleme? Warum halten Sie modische Kleidung für Geflüchtete für so wichtig?

Kleidung gibt dir Würde. Sogar ein Flüchtling kann so schick aussehen, wie alle anderen Menschen auch. Gegen Geflüchtete gibt es viele Vorurteile. Leute denken: Ein Flüchtling ist ein verlorener Mensch. Aber wenn ich modische Kleidung für Geflüchtete mache, merken sie: Ich kann so gut aussehen, wie alle anderen Leute auch. Geflüchtete mussten ihre Kleidung in ihren Ländern zurücklassen. Aber mit meinen Klamotten sehen sie trotzdem gut aus. Die Kleider geben ihnen Zuversicht. Sie freuen sich an den Sachen und sehen dann wirklich zufrieden aus. Das macht mich glücklich und motiviert mich. Es gibt mir die Gewissheit, etwas Sinnvolles zu tun.

Was ist Ihr Ziel für die Zukunft mit Ihrer Mode?

Ich möchte Menschen helfen gut auszusehen. Auf den Wegen, die sie nehmen, sollen sie sich gut fühlen. Ich möchte als Geflüchteter ein erfolgreicher Modedesigner werden und so Menschen helfen, anderen Menschen zu helfen. Viele Geflüchtete verlieren ihre Hoffnung. Sie haben ihre Familien verloren, sie haben ihre Heimat verloren, sie haben einfach alles verloren. Aber es sind die kleinen Dinge, die Menschen Freude bereiten können und ihnen neues Selbstvertrauen schenken. Kleidung gehört dazu. Ich möchte anderen Flüchtlingen helfen, ein besseres Leben zu leben. Sie verdienen es.


Johanna Fischotter führte das Interview am 22. Januar 2021 per Videoanruf, transkribierte und übersetzte es aus dem Englischen.



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