Vor der chinesischen Botschaft in Berlin fordern Menschenrechtler*innen der GfbV im Oktober 2020 das Ende der uigurischen Zwangsarbeit. Foto: © Hanno Schedler/ GfbV

Die chinesische Regierung zwingt Uigur*innen und andere Minderheitenangehörige, auf Baumwollfeldern zu arbeiten. Aus der Baumwolle entstehen Textilien, die über die Lieferketten von internationalen Modemarken auch nach Deutschland gelangen. Bündnisse aus der Zivilgesellschaft wollen involvierte Unternehmen zur Rechenschaft ziehen.

Von Linda Fiene

Wir alle haben Kleidungsstücke aus Baumwolle in unseren Kleiderschränken. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind darunter auch Textilien, deren Baumwolle in der chinesischen Region Xinjiang/Ostturkestan produziert wurde. Aus dieser Region im Nordwesten Chinas, Heimat der Uigur*innen, ethnischer Kasach*innen und Kirgis*innen, stammt ein Fünftel der weltweiten Baumwollproduktion. Die Baumwollernte erfolgt dort größtenteils von Hand.

Der Xinjiang-Experte Adrian Zenz enthüllte in seinem neuesten Bericht vom 14. Dezember 2020, dass die chinesische Regierung mehr als eine halbe Million Uigur*innen und andere Minderheitenangehörige zur Baumwollernte zwingt. Laut Propaganda der chinesischen Regierung sei dies ein wirksames Mittel zur Armutsbekämpfung, da die Arbeiter*innen einen Lohn bekämen. In Wirklichkeit dient die staatliche Maßnahme jedoch der weiteren Überwachung und Unterdrückung der Minderheiten in Xinjiang/Ostturkestan, wie der muslimischen Uigur*innen oder der ethnischen Kasach*innen. Damit ergänzt die chinesische Regierung ihren gigantischen Unterdrückungsapparat. Bisher war sie vor allem wegen der ausgeweiteten Überwachung, der Zwangssterilisation von uigurischen Frauen sowie der Masseninternierung von Uigur*innen und Kasach*innen in sogenannte „Umerziehungslager“ in der Kritik.

Zwangsarbeit als Mittel zur Überwachung und Unterdrückung

Das sogenannte „Arbeitskräftetransferprogramm“ der chinesischen Regierung nahm in den vergangenen Jahren verstärkt zu. Es basiert auf Zwangsrekrutierung und dem Transfer der Arbeiter*innen von ihrem Heimatort zum neuen Arbeitsort. Nach Analyse offizieller Dokumente der chinesischen Regierung kommt Zenz zu dem Schluss, dass allein die mehrheitlich uigurischen Regionen Aksu, Hotan und Kashgar im Jahr 2018 mehr als 570.000 Baumwollpfücker*innen stellten. Hinzu kommen Tausende aus anderen Minderheitenregionen sowie Uigur*innen, die aus Umerziehungslagern entlassen wurden. Manche bleiben in der Region, viele werden in andere Teile Chinas „transferiert“. In manchen Fällen werden die Kinder der Arbeiter*innen von ihren Eltern getrennt und in Heime oder Internate gesteckt. Dort sind sie umfassender Indoktrinierung ausgesetzt.

Die Baumwollpflücker*innen werden an ihrem Einsatzort in speziell abgegrenzten Schlafsälen untergebracht. Staatliche Regierungsbeamte oder Sicherheitskräfte kontrollieren und überwachen sie während und nach der Arbeit ständig. Es herrscht ein militarisierter Umgang. Die Ausübung der Religion ist verboten, die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Nach der Arbeit wird den Uigur*innen Mandarin- und Ideologie-Unterricht aufgezwungen.

Das System der Zwangsarbeit umschließt neben der Baumwollernte auch Fabrikarbeit. Dort herrscht ebenso ein Klima der Überwachung und Unterdrückung. Mit der Zwangsarbeit und den strikten Vorschriften soll die Lebensweise der Minderheiten reguliert werden. Das traditionelle Leben als Uigur*in und Kasach*in soll abgelegt werden. So sollen die Angehörigen von Minderheiten zu linientreuen chinesischen Staatsbürger*innen werden. Uigur*innen und Kasach*innen sollen ihre Identität, die mit ihrer Sprache, Religion und Kultur verbunden ist, verlieren.

Internationaler Druck zeigt Wirkung

Der Bericht von Adrian Zenz war nicht die erste Veröffentlichung zum Thema Zwangsarbeit in China, die international für Aufmerksamkeit sorgte. Bereits im März 2020 hatte die australische Denkfabrik „Australian Strategic Policy Institute“ (Aspi; dt.: Australisches Institut für strategische Politik) eine Liste mit mindestens 82 bekannten internationalen Unternehmen veröffentlicht, die durch ihre Lieferketten potenziell von uigurischer Zwangsarbeit profitieren. Zu den Profiteuren gehören internationale Modemarken wie Nike, H&M und GAP, aber auch Technologie-Konzerne wie Huawei, Apple und Google. Auf der Liste sind auch deutsche Unternehmen wie adidas und Volkswagen zu finden.

Um gegen diese Menschenrechtsverletzungen aktiv zu werden, bildete sich im Juli 2020 eine weltweite Koalition aus mehr als 180 zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie trieben die Kampagne „End Uyghur Forced Labor“ (dt.: uigurische Zwangsarbeit beenden) voran. Darin forderten die Organisationen von Bekleidungsmarken und Einzelhandelsunternehmen, innerhalb von zwölf Monaten sämtliche Verbindungen zu Lieferanten abzubrechen, die an Zwangsarbeit beteiligt sind. Denn als Profiteure fördern sie die Ausbeutung und werden zu Komplizen des chinesischen Unrechtsregimes.

Der öffentliche Druck zeigte Wirkung: Aufgrund der schweren Vorwürfe gab der schwedische Modekonzern H&M im September bekannt, seine Zusammenarbeit mit dem chinesischen Lieferanten Huafu zu beenden. Der Garn-Produzent Huafu steht im Verdacht, von Zwangsarbeit Gebrauch zu machen. Zudem kündigte H&M an, keine Baumwolle aus der Region Xinjiang/Ostturkestan mehr beziehen zu wollen.

Zuvor hatte bereits die deutsche Firma adidas die Zusammenarbeit mit dem Lieferant Huafu für beendet erklärt. Adidas beteuerte, alle Geschäfte mit Zulieferern und Subunternehmen einzustellen, die mit Zwangsarbeit in Verbindung stehen. 

Mode ohne Opfer: ein guter Grund für ein starkes Lieferkettengesetz
Foto: © Initiative Lieferkettengesetz

Die Forderung nach einem Lieferkettengesetz wächst

Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferketten von großen Unternehmen sind ein bekanntes Problem, nicht nur in der Textilbranche. Oft haben internationale Konzerne wenig Überblick darüber, welche Bedingungen bei ihren Zulieferern herrschen. Oder sie weisen die Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern von sich. Die Erfahrungen zeigen, dass freiwillige Sorgfaltspflichten von Unternehmen nicht ausreichen, um Menschenrechte entlang von Lieferketten zu wahren.

Daher wurde in Deutschland die Forderung nach einem verbindlichen, gesetzlichen Rahmen laut: nach einem sogenannten Lieferkettengesetz. Dieses Gesetz soll Unternehmen für die Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in ihren Lieferketten haftbar machen. Gleichzeitig soll es für mehr Transparenz sorgen, da Unternehmen ihre Zusammenarbeit mit Zulieferern offenlegen müssen.

Bereits 2018 hielten die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag fest, ein solches Lieferkettengesetz zu verabschieden, falls Freiwilligkeit bei den Unternehmen nicht ausreiche. Um auf die Dringlichkeit des Problems hinzuweisen, bildete sich im September 2019 ein Bündnis aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Mittlerweile haben sich in Deutschland mehr als 110 Organisationen der „Initiative Lieferkettengesetzt“ angeschlossen. Sie machen öffentlich Druck auf die Politik, damit zeitnah ein starkes Lieferkettengesetz verabschiedet wird. Doch ein durchsetzungsfähiges Lieferkettengesetz alleine reicht etwa im Fall China nicht aus. Zusätzlich muss es EU-Sanktionen gegen die chinesische Regierung geben, um diese zum Handeln zu bewegen.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) unterstützt sowohl die Kampagne „End Uyghur Forced Labour“ als auch die „Initiative Lieferkettengesetz“. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass es starke zivilgesellschaftliche Bündnisse braucht, um Regierungen und Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen. Öffentlicher Druck wirkt, da große Unternehmen und auch Politiker*innen sich um ihre Reputation sorgen. Das haben beispielsweise die Reaktionen von H&M und adidas gezeigt.

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Linda Fiene ist Referentin für Lobbyarbeit bei der Gesellschaft für bedrohte Völker.

Quellen: Gesellschaft für bedrohte Völker; Bericht Adrian Zenz; Aspi; Business & Human Rights Resource Centre; Spiegel; ZDF; FAZ



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