Vorsicht ist geboten: In China werden Gläubige der Kirche des Allmächtigen Gottes verfolgt. Sie treffen sich zum gemeinsamen Gebet deswegen zum Beispiel in einer Scheune. Foto: Kirche des Allmächtigen Gottes

Kameras an jeder Straßenecke, in Angst vor den Nachbarn, Überwachung auf Schritt und Tritt: Alltag für viele religiöse Gemeinschaften in chinesischen Städten. Sophia Bai ist Christin der Kirche des Allmächtigen Gottes. Im Interview berichtet sie über die Verfolgung ihrer Religionsgemeinschaft in einem Land ohne Glaubensfreiheit.

 

Interview mit Sophia Bai

Sie gehören der Kirche des Allmächtigen Gottes (KAG) an, deren Mitglieder in China massiv verfolgt und unterdrückt werden. Sie mussten deswegen sogar aus ihrer Heimat fliehen. Wie geht die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) gegen Ihre Religionsgemeinschaft vor?

Die Kirche des Allmächtigen Gottes (KAG) ist eine neue christliche Kirche in China, die wegen der Erscheinung und Arbeit des Allmächtigen Gottes entstand. Seit ihrer Gründung im Jahr 1991 erfährt die KAG kontinuierlich die brutale Unterdrückung und Verfolgung durch die chinesische Regierung. Im Laufe der Jahre hat die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) wiederholt landesweite Sondereinsätze zur Unterdrückung der KAG eingeleitet. Sie will uns vollständig vernichten.

Die KPCh nutzt Hightech-Überwachung, bezahlt Informanten, führt Tür-zu-Tür-Befragungen durch, sammelt biologische Informationen und überwacht Telefone und Internet – alles, um Christen zu identifizieren. Es folgen Massenverhaftungen. Allein in den Jahren 2018 bis 2019 sind mindestens 17.000 Christen in verschiedenen Provinzen und Städten im ganzen Land verhaftet worden. Um die verhafteten Christen zu zwingen, Informationen über die Kirche zu verraten oder ihren Glauben aufzugeben, foltert die KPCh sie, unterzieht sie gewaltsam einer Gehirnwäsche, verurteilt sie zu Gefängnisstrafen und Zwangsarbeit und droht ihnen mit lebenslanger Überwachung und Kontrolle. Sie führt eine terroristische Auslöschungspolitik gegen KAG-Christen. Nach unvollständigen Zahlen wurden seit der Gründung der KAG mindestens 180 Menschen nachweislich bis zum Tod verfolgt. Allein im Jahr 2019 wurden 1.355 Personen verurteilt. Die längste verhängte Gefängnisstrafe in dem Jahr betrug 12 Jahre.

Darüber hinaus hat die KPCh gefälschte Nachrichten verbreitet, um die KAG zu verleumden und ihre Verfolgung zu rechtfertigen. Der bekannteste Fall ist der „Zhaoyuan Mordfall“ vom 28. Mai 2014 in der Provinz Shandong. Er hatte nichts mit unserer Kirche zu tun und doch schob die KPCh der KAG die Schuld zu. Der Mord diente als Vorwand, um die „Hundert-Tage-Schlacht“ durchzuführen, in deren Verlauf mindestens 1.900 Christen der KAG verhaftet wurden. Die Verfolgung durch die KPCh hat mindestens 500.000 Christen gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen und zu fliehen.

Foto: Wikipedia; gemeinfrei. Bearbeitung: studio medimacs Bozen

Gibt es in China Unterschiede zwischen der Religionsfreiheit auf dem Land und in der Stadt?

Nein, es gibt keinen Unterschied. Seit Xi Jinping an die Macht gekommen ist, hat die Verfolgung von Gläubigen ihren Höhepunkt erreicht. Insbesondere im Jahr 2018 führte die KPCh landesweit neue Vorschriften zu religiösen Angelegenheiten ein, die umfassend gegen Religionen gerichtet waren; eine große Zahl von Hauskirchen, Drei-Selbst-Kirchen und katholischen Gemeinden wurde landesweit verboten. Prediger und Gläubige wurden verhaftet und mit schweren Urteilen belegt; buddhistische und taoistische Statuen und Tempel unter freiem Himmel wurden im ganzen Land abgerissen und tausende Mönche und Nonnen in Tibet wurden inhaftiert, misshandelt und gefoltert.

Die KPCh beschleunigte auch ihre „Sinisierung der Religionen“. Sie zwang in der Religion beschäftigte Menschen dazu, sozialistische Werte und parteibefürwortende Inhalte in ihre Predigten einzubeziehen. Gläubige mussten entsprechende Lieder singen, um die Partei zu loben, und den Xi-Jinping-Gedanken studieren. Bilder von Jesus Christus und dem heiligen Kreuz wurden durch Porträts von Xi Jinping ersetzt.

Die Behörden unterdrücken religiöse Gruppen wie die KAG, die Shouters und die All-Sphere-Kirche unter dem Vorwand, „mit Bandenkriminalität aufzuräumen und das Böse zu beseitigen“. Die KAG wird dabei am schlimmsten verfolgt. Unter der totalitären Unterdrückung der KPCh hat sich die Situation in Bezug auf die religiöse Verfolgung in China insgesamt verschlechtert. Es gibt keinerlei Religionsfreiheit in den Städten oder auf dem Land.

Wird es in der Stadt zu gefährlich, weichen die Gläubigen in die Natur aus: In einer Höhle sind sie vor Überwachungskameras geschützt. Foto: Kirche des Allmächtigen Gottes

Sind Sie, als Sie noch in China lebten, selbst einmal in eine kritische Situation aufgrund Ihres Glaubens geraten?

Ja. Im Frühjahr 2013 gingen eine Glaubensschwester und ich in ein Dorf, um das Evangelium zu predigen. Als die Versammlung zu Ende war, kamen Polizisten. Zum Glück konnten wir unsere religiösen Bücher noch gerade rechtzeitig verstecken. Sie nahmen uns zu der örtlichen Dienststelle mit. Während des Verhörs befragten uns vier Polizeibeamte – ich möchte nicht ins Detail gehen… Schließlich ließen sie uns vorübergehend wieder frei, weil sie keinen Beweis für unseren Glauben an Gott finden konnten. Aber sie befahlen uns, unsere Handys 24 Stunden am Tag eingeschaltet zu lassen, damit wir jederzeit vorgeladen und untersucht werden konnten. Ich war damals vor Ort als Evangelistin bekannt. Um nicht wieder von der Polizei verhaftet zu werden, verließ ich meine Heimatstadt.

Im Jahr 2014 startete die KPCh eine landesweite „Hundert-Tage-Schlacht“, um gegen die KAG vorzugehen. Sie setzte Hightech-Überwachung und Tür-zu-Tür-Untersuchungen ein, stiftete Nachbarn zur Anzeige an und führte umfassende Razzien gegen KAG-Christen durch. Ich war gezwungen, umherzuziehen und mich vor den Razzien zu verstecken. Aber im August 2014 wurde ich, nachdem ich gemeldet worden war, innerhalb von 10 Minuten nach meiner Ankunft im Haus einer Schwester vom örtlichen Nachbarschaftskomitee gestellt. Der Ehemann der Schwester sagte, ich sei seine Verwandte. Deshalb wurde ich nicht von dem Komitee an die Polizei übergeben.

Es gab viele ähnliche Erfahrungen und ich hatte die ganze Zeit Angst. Ich wusste nie, an welchem Tag ich wegen meines Glaubens an Gott verhaftet würde. So hatte ich keine andere Wahl, als nach Übersee zu fliehen. Dabei hatte ich rückblickend sogar noch Glück. Anders als viele andere Glaubensgeschwister wurde ich nicht gefoltert oder zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Im Ausland bei bewilligtem Asyl sind die Christen der Kirche des Allmächtigen Gottes endlich frei, sich offen über ihren Glauben auszutauschen. Foto: Kirche des Allmächtigen Gottes

Trotz der Unterdrückung leben Gläubige der KAG in aller Heimlichkeit ihre Religion aus. Können Sie uns beschreiben wie?

Um Christen aufzuspüren und zu verhaften, hat die KPCh Überwachungskameras in den Straßen und Gassen installiert. Außerdem stiftet sie Menschen zur gegenseitigen Anzeige an. Mitglieder von Gemeinde- und Nachbarschaftskomitees machen überall Patrouillen und Durchsuchungen. Wenn wir uns treffen oder das Evangelium predigen, müssen wir immer darauf achten, ob wir verfolgt werden. Wenn wir einen Treffpunkt betreten, müssen wir die Kameras meiden. Manchmal verkleiden wir uns. Die Anzahl der Teilnehmenden an jeder Versammlung beträgt im Allgemeinen nicht mehr als drei. Um von unseren Nachbarn nicht entdeckt und gemeldet zu werden, müssen wir unsere Stimmen leise halten, wenn wir singen und Gottes Wort lesen.

Wenn wir Versammlung haben, organisieren wir Menschen, die außerhalb unserer Versammlungsorte wachehalten. Sobald sie ein Polizeiauto sehen oder Menschen bemerken, die uns beobachten, geben sie uns schnell Bescheid. Wir verlassen dann den Treffpunkt oder ändern ihn kurzfristig. Manchmal halten wir unsere Versammlungen in Getreidefeldern, Kellern, verlassenen Lagerhäusern, Höhlenwohnungen oder anderen Orten ab.

Trotz unserer Vorsicht werden Brüder und Schwestern ständig verhaftet und unsere Wohnorte werden ständig überwacht. Wir müssen oft umziehen. Aber selbst wenn die gejagten Brüder und Schwester einen neuen Unterschlupf gefunden haben, sind sie nicht außer Gefahr: Da die Datenbank der KPCh landesweit vernetzt ist, ist die Gefahr der Wiederentdeckung groß. Deswegen haben unserer Brüder und Schwestern an neuen Wohnorten Angst, ihre Häuser zu verlassen. Sogar wenn sie krank sind, wagen sie es nicht, ins Krankenhaus zu gehen. Sie könnten verhaftet werden, wenn sie ihre Ausweise vorzeigen. Viele Menschen müssen deswegen Schmerzen ertragen. Manche sterben sogar.

Sie leben in Deutschland und haben Asyl bekommen. Aber nicht allen Ihren Glaubensgeschwistern wird Asyl gewährt. Woran scheitert es?

Soweit ich weiß, wurden etwa 70 Prozent der KAG-Christen, die in Deutschland Asyl beantragt hatten, abgelehnt. Mehr als 20 Gläubige erhielten den Befehl, das Land zu verlassen. Wir haben nach Gründen für diese Misserfolge gesucht. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1). Aufgrund der sprachlichen und kulturellen Unterschiede zwischen China und dem Westen verstehen die Anhörungsbeauftragten einige der objektiven Hintergründe in China, die wir während der Anhörung erklären, nicht richtig. Das führt zu vielen Missverständnissen. Die Brisanz wird nicht deutlich.

2). Wegen der falschen Nachrichten der KPCh, die die KAG diskreditieren, behandeln einige Anhörungsbeamte unsere Aussagen mit gewissen Vorurteilen, obwohl die deutsche Regierung die Verfolgung der Kirche des Allmächtigen Gottes in China anerkennt. 

3). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) räumt den Antragstellern eine sehr kurze Frist ein, um ihre gesamte Verfolgungserfahrung darzustellen. Das gelingt dann nicht immer und die Anträge werden abgelehnt. Wenn wir schließlich in der Lage sind, in der Berufung vor Gericht unsere ganze Geschichte zu erzählen, lehnt das Gericht die Berufung mit der Begründung ab, dass die Beschwerde nicht mit der Erklärung beim BAMF übereinstimme.

4). Die Mehrheit der Antragsteller wurde mit der Begründung abgelehnt, dass sie gültige Ausweise erhalten hätten und China sicher durch den Zoll verlassen konnten. Deswegen bestehe kein Risiko bei ihrer Rückkehr. Obwohl Antragsteller Unterlagen von Sachverständigen zitierten, um zu erklären, dass Personen, die im Gefängnis waren und Mitglieder verfolgter Gruppen sind, aufgrund lokaler Korruption und anderer Gründe Pässe erhalten können, wies das Gericht die Berufung zurück.

Dieser Keller hat keine Fenster, sodass kein aufmerksamer Nachbar einen Blick auf die Gläubigen erhaschen kann. Trotzdem sind die Treffen ein Risiko für alle Beteiligten. Foto: Kirche des Allmächtigen Gottes

Was erwartet Glaubensgeschwister, die zurück nach China geschickt werden?

Wenn Christen zurückgeschickt und der chinesischen Polizei übergeben würden, kommt dies einer Auslieferung an die Henker gleich. Die KPCh lässt uns mit Sicherheit verhaften, einsperren und sogar bis zum Tode verfolgen. Insbesondere Christen, die an Dreharbeiten zu evangelistischen Filmen in Übersee teilgenommen haben oder die öffentlich die Wahrheit über die Verfolgung unserer Religionsgemeinschaft durch die KPCh enthüllt haben, werden brutal verfolgt, wenn sie zurückgeführt werden.

Bisher hat es viele Fälle gegeben, in denen Christen nach ihrer Rückführung nach China von der KPCh verhaftet und verfolgt wurden. Die Christin Zhao Xueliang wurde zum Beispiel aus Deutschland zurück nach China geschickt. Seitdem sie von der deutschen der chinesischen Polizei übergeben worden ist, fehlt von ihr jede Spur. Im Jahr 2017 erhielt Wu Xin, eine Christin der KAG in der Schweiz, einen Ausreisebefehl und wurde nach China zurückgeschickt. Sie wurde verhaftet und zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Wir appellieren hiermit an die deutsche Regierung, der Gefahr für das Leben der Christen der KAG nach ihrer Abschiebung nach China Rechnung zu tragen und uns Asyl zu gewähren.

Die KPCh verfolgt die Christen der KAG aber nicht nur in China, sondern streckt ihre Hand auch nach Übersee aus. Die KPCh hat das Durchgreifen gegen die KAG außerhalb Chinas zu einer ihrer Hauptaufgaben gemacht. Sie will wirtschaftliche und diplomatische Mittel einsetzen, um Druck auf demokratische Länder auszuüben. Sie hat eine große Zahl Gerüchte und falsche Nachrichten fabriziert, um die KAG zu diskreditieren und zwingt oder verleitet sogar die in China gebliebenen Familien von geflohenen Gläubigen dazu, im Ausland falsche Demonstrationen im Namen der Suche nach ihren Verwandten abzuhalten. So schafft die KPCh eine öffentliche Meinung und fordert ausländische Regierungen dazu auf, die Asylanträge von Christen der KAG abzulehnen, um ihr bösartiges Ziel zu erreichen: nämlich Christen an China ausliefern zu lassen, damit sie ihre Verfolgung fortsetzen können.

 

Wie finden sich Glaubensgeschwister – hier in Deutschland, aber auch in China? Wie sind die Mitglieder der Kirche des Allmächtigen Gottes miteinander vernetzt?

Da das Telefonnetz und Internet in China überwacht werden, können Brüder und Schwestern nicht miteinander telefonieren oder online miteinander kommunizieren. Unsere gesamte Korrespondenz findet mündlich oder handschriftlich statt. Immer müssen wir jemanden finden, der die Nachrichten überbringt. Das ist sehr zeitaufwändig und bei Briefen riskant.

Aber auch in Deutschland müssen wir verhindern, dass sich chinesische Spione einschleichen. Die Christen, die nach Deutschland geflohen sind, finden bei ihrer Ankunft in Deutschland die Kontaktinformationen der deutschen Kirchen im Internet. Sie kontaktieren sie und teilen ihr ihre persönlichen Daten mit. Die deutsche Kirche nimmt dann mit der Kirche in China Kontakt auf, um jede Person zu bestätigen, bevor sie aufgenommen wird. Deutschland ist ein demokratisches und freies Land. Wir sind frei, hier an Gott zu glauben. Brüder und Schwestern können direkt miteinander kommunizieren. Es ist so viel einfacher.

 

Die KAG zählt sich selbst zum Christentum. Erhalten Sie Unterstützung und Solidarität von anderen christlichen Gemeinden?

Die Kirche des Allmächtigen Gottes ist eine neue christliche Kirche, die 1991 gegründet wurde. Wir glauben, dass der Allmächtige Gott der zurückgekehrte Herr, Jesus, und der Christus der letzten Tage ist. Seit ihrer Gründung wurde die Kirche des Allmächtigen Gottes von der kommunistischen Regierung Chinas unterdrückt und verfolgt. Viele Christen wurden lediglich wegen ihres Glaubens verhaftet, inhaftiert und unmenschlichen Folterungen und Misshandlungen ausgesetzt. Um ihre Verfolgung zu rechtfertigen, hat die KPCh eine große Anzahl gefälschter Nachrichten erstellt. In Form von diskreditierenden Flugblättern, öffentlichen Aufführungen und Demonstrationen verbreitet sie überall Gerüchte, um die Menschen anzuregen, Christen der KAG zu hassen und zu diskriminieren. Bedauerlicherweise haben uns einige christliche Gruppen aufgrund religiöser Vorurteile oder durch das Hören der Gerüchte der KPCh missverstanden und bringen uns keine Solidarität für unsere Verfolgung entgegen.

Wir freuen uns aber auch zu sehen, dass einige christliche Pastoren sich nicht von den Gerüchten der KPCh täuschen lassen. Sie verurteilen die Einschränkung der Glaubensfreiheit durch die KPCh und bringen ihre Solidarität mit den verfolgten Christen der KAG zum Ausdruck. Sie unterstützen und helfen Christen, die nach Übersee geflohen sind, beispielsweise bei ihren Asylanträgen und im alltäglichen Leben sehr.


Johanna Fischotter führte das Interview.



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