Besonders indigene Frauen zwischen 20 und 40 Jahren aus dem peruanischen Hochland wurden Opfer von Zwangssterilisationen (Symbolbild). Foto: Pedro Szekely/flickr cc BY-SA 2.0

In den 90er Jahren wurden in Peru Frauen und Männer gegen ihren Willen unfruchtbar gemacht. Von den Zwangssterilisationen waren vor allem Indigene und ärmere Frauen betroffen. Seit 1997 kämpfen sie für Aufarbeitung und Entschädigung – bisher ohne Erfolg. Bringt eine Anklageerhebung gegen Ex-Präsident Fujimori nun endlich neue Hoffnung?

 

von Linda Fiene

Seit mehr als 20 Jahren herrscht Straflosigkeit für das, was schätzungsweise 300.000 peruanischen Frauen und 20.000 Männern in der Zeit von 1996 bis 2001 widerfahren ist: Sie wurden sterilisiert, oft ohne Zustimmung oder ohne das Wissen, was mit ihnen geschehen war; dafür mit Gewalt und Lügen. Verantwortlich war die Regierung unter Präsident Alberto Fujimori, die das Vorgehen ursprünglich als positive Maßnahme zum Wohle des Landes vermarktete. Mit der Senkung der Geburtenrate von durchschnittlich 3,6 auf 2,5 Kinder pro Frau sollte Armut bekämpft werden. 


Von „Wohltaten“ zu Menschenrechtsverletzungen

Als der damalige Präsident Fujimori 1995 die Kampagne vorstellte, erhielt er breiten Zuspruch. Das Vorhaben erhielt finanzielle Unterstützung von der Weltbank, dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UN) und der US-Entwicklungsbehörde. Fujimori warb für Sterilisation als freiwillige Methode zur Empfängnisverhütung. Das klang nach einer revolutionären Idee, denn lange Zeit waren Sterilisationen im konservativen, katholischen Peru untersagt. Erst kurz zuvor hatte Fujimori das Verbot aufgehoben. Vor allem die unteren Schichten sollten daraus einen Vorteil ziehen.

Foto: Wikipedia; gemeinfrei. Bearbeitung: studio mediamacs Bozen

Doch die Realität sah anders aus: Da Gesundheitszentren eine bestimmte Quote von Sterilisationen durchführen mussten, stand das Personal unter Druck. Außerdem belohnte die Regierung höhere Anzahlen von Eingriffen. Aus Freiwilligkeit wurde Zwang. Unter falschen Versprechungen oder durch Lügen wurden besonders indigene und ärmere Frauen in die Gesundheitszentren gelockt und in die Einwilligung getäuscht. In anderen Fällen wurden Frauen direkt nach der Geburt sterilisiert und weder gefragt noch über den Eingriff informiert. Aber auch mit Drohungen oder unter Anwendung von Gewalt wurden Frauen ohne Zustimmung unfruchtbar gemacht.

 

Michaela Flores Banares, Indigene aus Curamba: „Sie haben mich dazu gezwungen. Als meine Tochter geboren war, fragten sie mich: Wie oft willst Du noch wie ein Kaninchen gebären? Willst du es machen wie eine Zuchtsau? Immer mehr? Hast du ein Auto, eine Mühle? Mit was willst du deine Kinder denn aufziehen?“ (Arte F (2009) op. cit.)

Anonymes Opfer, Indigene: „Sie sagten mir, mit Pillen oder Spritzen sei es auch nicht anders als mit der Operation. Wenn ich doch noch Babys wollte, könnte man die Eileiter wieder öffnen. Also entschied ich mich für den Eingriff. Es war ja nichts Endgültiges. Aber es kam anders. Die Ärzte hatten uns einfach angelogen. Manchmal packt mich die Wut, wenn ich daran denke. Aber mit uns armen Bauern kann man das eben machen.“ (Arte F (2009) op. cit.)

Guillermina, Indigene: „Als ich dort ankam, habe Ich ihnen gesagt, dass ich im dritten Monat sei. Sie erklärte mir, sie würden mich untersuchen und eine Urinprobe nehmen. Nach der Analyse sagten sie mir, ich wäre nicht schwanger. Aber ich war sicher, dass ich schwanger war. Dann hieß es, sie wollten das noch einmal genauer untersuchen. Ich wurde weggeführt und musste mich ausziehen. Dann haben sie mir ein weißes Hemd übergestülpt. Jemand gab mir eine Spritze, um mich zu betäuben. Und danach weiß ich nichts mehr. Als ich wieder aufwachte, merkte ich, dass sie mir den Bauch aufgeschnitten hatten. Ich hatte große Schmerzen und schrie. Ich habe geschrien wie eine Verrückte. Ich war verzweifelt und frage immer wieder: Was habt ihr mit mir und meinem Kind gemacht? Was habt ihr mit meinem Bauch gemacht? Ich bin ungebildet, kann nicht einmal lesen, bin nie in die Schule gegangen. Wie hätte jemand wie ich wissen sollen, dass sie mir mein Baby wegnehmen?“ (Arte F (2009) op. cit.)

 

Das Gesundheitspersonal beschimpfte indigene Frauen und ärmere Frauen als „Gebärmaschinen“. Wehrten sie sich gegen die Sterilisation, wurden sie festgebunden. Oft erfolgten die Eingriffe unter schlechten hygienischen Bedingungen und manchmal ohne Narkose oder Schmerzmittel. Eine medizinische und psychologische Nachsorge gab es nicht. Es kam vor, dass Frauen, die bei der Sterilisation schwanger waren, eine Fehlgeburt erlitten oder ihnen ihr Neugeborenes weggenommen wurde. Tausende leiden bis heute unter den körperlichen und psychischen Langzeitschäden. 18 Todesfälle als direkte Folge der Sterilisation sind bekannt – doch aufgrund der Täuschungen und Vertuschungen des Staates könnten es mehr sein.

Gemeinsam stark: Frauen organisieren sich

Als Randgruppe gehörten die indigenen Gemeinschaften zu den ärmsten Bevölkerungsgruppen Perus. In abgelegenen Regionen im Hochland und im Regenwald hatten sie beschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung. Viele sprachen nur Quechua. Mit 5,5 Kindern pro Frau war die Geburtenrate hoch. Mehr Kinder bedeuteten mehr Arbeitskraft und sicherten das Überleben. Insbesondere richtete sich die Sterilisationskampagne gegen indigene Frauen zwischen 20 und 40, die bereits Kinder hatten.

Im Kontext von Diskriminierung trafen diese Frauen die Folgen der Unfruchtbarkeit hart. Eine Frau, die keine Kinder mehr bekommen kann, verlor in der patriarchalen Gesellschaft ihre Aufgabe. Konnte sie zusätzlich aufgrund der gesundheitlichen Folgen der Sterilisation nicht mehr auf dem Feld arbeiten, galt sie als „nutzlos“. Die Gefahr war groß, von dem Ehemann oder der Gemeinschaft verstoßen zu werden.

Als der indigenen Aktivistin Supa Huamán klar wurde, dass das Leid der indigenen Frauen aus ihrer Gemeinschaft keine Einzelfälle waren, begann sie 1997 damit, Aussagen von Betroffenen aufzuschreiben. Dabei arbeitete sie mit der peruanischen Rechtsanwältin Guilia Tamayo zusammen, die Informationen aus allen Teilen des Landes zusammentrug. Als eine der ersten veröffentlichte Tamayo 1998 einen Bericht, in dem sie die Sterilisationen in 90 Prozent der Fälle als unfreiwillig enttarnte und somit als systematische Menschenrechtsverletzungen beschrieb.

Es kam zu ersten Untersuchungen. Mit internationalem Druck wurde die Praxis vor dem US-Kongress vorgetragen. Daraufhin entzogen die USA die offiziellen Finanzhilfen für die Kampagne. Als auch weitere internationale Gelder ausblieben, stellte die Regierung Fujimoris zunächst die Quoten und später die Sterilisationen ein. Doch der Staat übernahm nie die Verantwortung für das geschehene Unrecht. Es gab keine Entschuldigung, keine Entschädigung.

Perus Ex-Präsident Alberto Fujimori bei einem Prozess im Jahr 2008. Foto: Iamtheboo/wikipedia cc BY-SA 3.0

Ein langer Kampf mit juristischen Mitteln

Als einer der ersten erhob 1998 der Ehemann von Mamérita Mestanza Klage. Die indigene Frau war acht Tage nach der Sterilisation an Infektionen gestorben. Als die Klage abgelehnt wurde, brachte die Familie zusammen mit Unterstützerorganisationen den Fall vor die Interamerikanische Menschenrechtskommission. Dort kam es zu einer außergerichtlichen Einigung, die 2003 von der peruanischen Regierung und der Familie von Mamérita Mestanza unterschrieben wurde. Die Regierung erkannte in ihrem Fall Verantwortung für die Verletzung des Rechts auf Leben und weiterer Rechte an. Zwar erhielten die Angehörigen eine finanzielle Entschädigung, doch der Staat kam anderen Versprechen – wie der Untersuchung anderer Fälle und Verurteilung der Verantwortlichen – nicht nach.

Um eine juristische Aufarbeitung und Entschädigungen für mehr Frauen zu erreichen, strebte ein Verband von Betroffenen eine Sammelklage gegen Fujimori und drei Gesundheitsminister an. Der Staat verschleppte jedoch immer wieder die Ermittlungen. Schließlich wurden die Strafermittlungen 2009 eingestellt. Im gleichen Jahr wurde der ins Exil geflohene Ex-Präsident Fujimori wegen Korruption und mehrere Menschenrechtsverletzungen zu 25 Jahren Haft verurteilt. Zwangssterilisation war nicht unter an Anklagepunkten.

Der nationale und internationale Druck wuchs. Aktivist*innen und Menschenrechtsorganisationen forderten unermüdlich die politische Anerkennung der systematischen Sterilisationen zwischen 1996 und 2001. Um Gerechtigkeit zu erreichen, müssten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und Betroffene entschädigt und medizinisch betreut werden. Aufgrund des Drucks wurden in den 2010er Jahren die Ermittlungen mehrfach wieder aufgenommen. Aufgrund angeblich fehlender Beweise wurden sie jedoch immer wieder eingestellt und die Klagen abgelehnt. 2014 legte die Staatsanwaltschaft in Lima 2.000 Fälle zu den Akten. Auch die Geldgeber der Kampagne wurden nicht belangt. Nur sehr selten hatten einzelne Klagen auf unteren Ebenen Erfolg und es kam zu Verurteilungen von Gesundheitspersonal. Sterilisierte Männer reichten bisher noch keine Klage ein.

Zwar wurde 2015 eine offizielle Registrierung der Betroffenen ermöglicht; der peruanische Staat kam den Forderungen nach Aufarbeitung jedoch immer noch nicht angemessen nach – und dass obwohl in der Zwischenzeit verschiedene nationale und internationale Institutionen die Menschenrechtsverletzungen offiziell anerkannten: darunter eine unabhängige Kommission des peruanischen Kongresses, die peruanische Volksanwaltschaft, die UN-Kommission gegen Frauendiskriminierung und die Interamerikanische Menschenrechtskommission.


Etappensieg und erneute Verschleppung

Die Hoffnung war groß, als 2018 die Strafanzeige zugelassen wurde und die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Ex-Präsident Fujimori und drei seiner Gesundheitsminister erhob. Ihnen wird zur Last gelegt, für mehr als 2.000 Fälle von Zwangssterilisation, fünf davon mit Todesfolge, mitverantwortlich zu sein. Dies wurde von vielen als Meilenstein im Streben nach Gerechtigkeit gesehen.

Der erste Prozesstag gegen die Verantwortlichen hätte am Montag, den 9. Dezember 2019, stattfinden sollen. Die Erwartungen waren groß, denn dem Prozess wird Symbolcharakter zugesprochen. Doch kurz vor Beginn wurde eine Verschiebung des Termins auf März 2020 angekündigt. Daraufhin versammelten sich Betroffene und Aktivist*innen vor dem Gerichtsgebäude. Sie protestierten gegen die erneute Verzögerung, die den mehr als 20 Jahre andauernden juristischen Streit weiter in die Länge zieht.

Gleichzeitig sind Unterstützer*innen und Betroffene immer wieder Drohungen und Beleidigungen ausgesetzt. Sie klagen auch über Belästigungen von Behörden-Mitarbeitenden oder medizinischem Personal sowie Telefonterror. Bereits Ende der 90er Jahre wollten Regimetreue und Fujimori-Anhänger*innen den Aktivismus der Frauen mit Einschüchterungen zurückdrängen. Die Rechtanwältin Tamayo erhielt nach der Veröffentlichung ihres Berichts mehrfach Morddrohungen und musste schließlich aus Peru fliehen. Für die Betroffenen geht der lange Kampf um Gerechtigkeit weiter. Eins ist klar: Auch 20 Jahre nach den Verbrechen werden sie nicht schweigen.


Linda Fiene ist Referentin für Lobbyarbeit bei der Gesellschaft für bedrohte Völker.

 

[Quellen]
OAS, amnesty international, deutschlandfunk, blickpunkt-lateinamerika, infostelle-peru, EFE, Inter-American Commission on Human Rights]



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