„Abnormal lange“ Bärte dürfen die Uiguren in Xinjiang nicht mehr tragen. Foto: Gustavo Jeronimo/ Flickr CC BY 2.0

Der Machtanspruch der Kommunistischen Partei über die Angehörigen muslimischer Nationalitäten im Nordwesten Chinas macht selbst vor den Körpern von Uigur*innen, Kasach*innen und Kirgis*innen nicht halt. Die Partei bestimmt unter anderem, was sie anziehen sollen, schickt Personen mit „zu vielen Kindern“ in Umerziehungslager und zerstört muslimische Friedhöfe.

 

von Hanno Schedler

Mit allen Mitteln will die Kommunistische Partei (KP) dafür sorgen, dass die im Nordwesten Chinas lebenden muslimischen Nationalitäten ihre Traditionen, ihre Sprache und ihre islamische Religion aufgeben. Sie sollen zu kontrollierbaren Staatsbürger*innen werden. Neben den Methoden der Gehirnwäsche in den rund 1.200 Umerziehungslagern im Nordwesten Chinas haben sich die chinesischen Behörden auch daran gemacht, die äußere Erscheinung von Uigur*innen, Kasach*innen und Kirgis*innen zu verändern.


Modeschauen, Schönheitssalons und Verbote

Im Jahr 2011 riefen KP-Funktionär*innen das sogenannte „Projekt Schönheit“ ins Leben, das uigurische Frauen ermutigen sollte, den Gesichtsschleier und ihr langes Gewand abzulegen. Die chinesischen Behörden organisierten Modeschauen und Schönheitswettbewerbe, die von Vorlesungen über Ethnienpolitik und soziale Etikette flankiert wurden. 2015 kamen dann die ersten Verbote: Die Behörden untersagten das Tragen von Kleidungsstücken, mit denen viele muslimische Frauen ihr Kopfhaar, manchmal auch ihr Gesicht oder andere Körperstellen bedecken. Gleichzeitig war es Männern von nun an verboten, „abnormal lange“ Bärte zu tragen.

Der US-amerikanische Xinjiang-Forscher Timothy Grose beschrieb vergangenes Jahr, wie er 2017 durch die Städte Urumqi und Turpan reiste und keine Frau mit Schleier oder in langen Kleidungsstücken sah. Im selben Jahr startete die KP ihre „Drei Neuheiten“-Kampagne, deren Ziele es waren, „einen neuen Lebensstil [zu] propagieren, eine neue Atmosphäre [zu schaffen] und eine neue Ordnung [zu] konstruieren.“ Vertreter*innen der staatlichen „All-China-Women’s Federation“ (dt. etwa: Bund aller chinesischer Frauen) gaben als eine Maßnahme dieser Kampagne zum Beispiel detaillierte Anweisungen, wie man sich schminkt.

2018 wurden in ganz Xinjiang/Ostturkestan 2.889 neue Schönheitssalons errichtet. Grose berichtete, wie Uigurinnen gezwungen wurden, Kosmetikkurse zu belegen. Bei diesen mussten die Teilnehmerinnen auch Hochchinesisch und chinesisches Recht lernen. Er zitierte eine Vertreterin der Frauen-Föderation Xinjiang. Es gehe um „drei Transformationen im Leben der Frauen. Zuerst werden Frauen das Bild, das sie von ihrem Körper haben, wandeln. Dann werden sie ihren Lebensstil ändern. Zuletzt werden sie ihr Denken verändern.“

Chinesische Behörden wollen weniger uigurische Kinder

Auch in die Familienplanung mischt sich die KP ein. In ihrem Buch „Betraying Big Brother: The Feminist Awakening“ (dt. etwa: „Das Hintergehen des großen Bruders: das feministische Erwachen“) beschreibt die US-amerikanische Journalistin Leta Hong Fincher, wie sich die Familienpolitik gegenüber muslimischen Nationalitäten geändert habe. Hatte die KP in ländlich geprägten Regionen jahrzehntelang erlaubt, dass Angehörige ethnischer Minderheiten bis zu drei Kinder bekommen durften, erklärte Hou Hanmin, eine hohe KP-Funktionärin, im Januar 2015, die Regierung müsse „beunruhigend hohe Geburtsraten“ in Süd-Xinjiang bekämpfen. Dort leben überwiegend Uigur*innen. Eine hohe Zahl von Geburten beeinträchtige nicht nur die physische und psychische Stabilität von Kindern und Frauen, sondern auch die „Qualität der Bevölkerung“ und bedrohe die soziale Stabilität. Fincher schreibt, dass uigurische Paare von der Regierung finanziell mit 6.000 Renminbi (im November 2015 ungefähr 880 Euro) „belohnt“ würden, wenn sie sich verpflichteten, weniger als drei Kinder zu bekommen.

In der im Februar 2020 veröffentlichten „Qaraqash-Liste“ wertet der Wissenschaftler Adrian Zenz ihm zugespielte Dokumente über die chinesischen Behörden im Bezirk Qaraqash aus. Seine Arbeit offenbart, dass Verstöße gegen die staatlichen Auflagen von Familienplanung bisher eine Hauptursache dafür sind, dass Uigur*innen in Umerziehungslager geschickt werden. Uigurische Personen, überwiegend Männer, deren Kinder in einem kürzeren Abstand als die offiziell vorgegebenen drei Jahre Mindestabstand geboren wurden, kommen in Lager. Ein weiterer Grund für Lagerhaft sei die Überschreitung der behördlich festgelegten Anzahl an Kindern.

Frauen, die aus Umerziehungslagern entlassen wurden, berichten von einem zusätzlichen, besorgniserregenden Aspekt: Die uigurische Geschäftsfrau Gulbahar Jelilova erzählte gegenüber dem australischen Nachrichtensender ABC, dass sie während ihrer 15 Monate in einem der Umerziehungslager erlebt habe, dass Frauen dazu gezwungen worden seien, unbekannte Medikamente zu nehmen. Diese hatten dafür gesorgt, dass ihre Periode ausgesetzt habe.


Selbst nach dem Tod gibt es keine Ruhe

Selbst darüber, wo sie begraben werden sollen, dürfen Angehörige muslimischer Nationalitäten nicht mehr selbst bestimmen. Anfang 2020 berichteten internationale Medien über die Zerstörung von mehr als 100 uigurischen Friedhöfen. Auf Satellitenbildern war zu sehen, wie auf ihrem Gelände Park- oder Spielplätze errichtet worden waren. Die Körper der Toten wurden wahrscheinlich woandershin gebracht. Die chinesischen Behörden rechtfertigten die Zerstörung: Man müsse den „Ansprüchen der Stadtplanung nachkommen und die Bauindustrie fördern“. Die französische Nachrichtenagentur AFP berichtete, in der Stadt Shayar auf drei zerstörten Friedhöfen Knochen gefunden zu haben.

Die chinesische Regierung begnügt sich nicht mit der Kolonisierung der Heimat der Uigur*innen und anderer muslimischer Nationalitäten, nicht mit der Kolonisierung ihres Geistes, sondern beansprucht auch die Kontrolle über ihre Körper – bis über den Tod hinaus. Neben der erbarmungslosen Indoktrinierung in Umerziehungslagern, der Trennung von Familien und der Verteufelung ihrer islamischen Religion ist ihre Körper-Politik ein weiterer Beleg für Verbrechen gegen die Menschlichkeit.


Hanno Schedler ist Referent im Bereich Genozidprävention und Schutzverantwortung bei der Gesellschaft für bedrohte Völker



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