Der Fluss Whanganui in Neuseeland gilt seit 2017 als rechtliche Person – eines der ersten und wichtigsten Beispiele dafür, wie die Natur auf rechtlicher Ebene geschützt werden kann. Foto: Felix Engelhardt/Flickr CC BY 2.0

Die Folgen des Klimawandels bedrohen Menschen weltweit. Die Verbindung zwischen Menschenrechten und einer gesunden Umwelt wird so immer deutlicher. Jonas Schubert hat mit David R. Boyd, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte und Umwelt, gesprochen.

 

Herr Boyd, Sie setzen sich für die Anerkennung des Rechts auf eine gesunde und nachhaltige Umwelt durch die Vereinten Nationen (UN) ein. Was erhoffen Sie sich von diesem Schritt?

Angesichts der vielfachen ökologischen Herausforderungen wäre die Anerkennung eines universellen Rechts auf eine sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt seitens der Vereinten Nationen sehr angebracht. Das Ökosystem, die Biodiversität und der Zustand des Planeten – die Grundlagen der menschlichen Existenz – stehen unter beispielloser Überlastung. Menschen sind abhängig von einer gesunden Umwelt, um ein würdevolles, gesundes und erfüllendes Leben zu führen.

Die Anerkennung des Rechts auf eine gesunde Umwelt würde Bewusstsein und Verständnis dafür schaffen, dass Menschenrechte und Umweltschutz in Abhängigkeit zueinanderstehen. Umweltschutz verdient die gleiche Relevanz wie andere grundlegende Faktoren für menschliche Würde, Gleichheit und Freiheit. Hilfreich wäre außerdem, dass die vielfältigen Verbindungen zwischen Umwelt- und Menschenrechtschutz in einem Recht zusammenlaufen.

Der ultimative Test für die Bewertung des Rechts auf eine gesunde Umwelt ist, festzustellen, ob dieses Recht zu mehr Gesundheit bei Mensch und Ökosystem beiträgt. Die Beweislage dafür ist positiv: Nationen, in deren Verfassung das Recht auf eine gesunde Umwelt verankert ist, haben schärfere Umweltgesetze und setzen diese besser um. Es gibt ein höheres Level an Umweltgerechtigkeit, größere Partizipation der Öffentlichkeit an Entscheidungsprozessen zu Umweltfragen und generell ein besseres Umweltschutzniveau.

Da sich die Auswirkungen von Verschmutzung, Klimawandel und Artensterben verschlimmern, muss jedes verfügbare Mittel genutzt werden, um den globalen Herausforderungen zu begegnen. Obwohl die Anerkennung des Rechts auf eine gesunde Umwelt kein Wundermittel darstellt, das all diese Probleme über Nacht lösen kann, wird es doch Menschen auf der ganzen Welt in ihrem Einsatz bestärken und inspirieren.

David Boyd ist seit August 2018 UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umwelt. In dieser Position führt er Studien durch, erstellt Leitlinien und berichtet über Entwicklungen in seinem Themengebiet, wie hier bei der Sitzung des UN-Menschenrechtsrates im März 2020. Foto: © Jean Marc Ferré/UN Photo

Was sind die grundlegenden Elemente des Rechts auf eine gesunde Umwelt? Gibt es gute Erfahrungen auf nationaler oder regionaler Ebene, auf denen ein global geltendes Recht aufbauen könnte?

Die wesentlichen Elemente des Rechts auf eine gesunde und nachhaltige Umwelt sind: saubere Luft, Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen, gesundes und nachhaltiges Essen, ein sicheres Klima, gesunde Biodiversität und intakte Ökosysteme sowie eine von Giften unbelastete Umwelt zum Leben, Lernen und Spielen.

Staaten haben konkrete Pflichten, um diese grundlegenden Elemente eines würdevollen Lebens zu schützen. Der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für Menschenrechte und Umwelt hat klargestellt, dass Staaten in dieser Hinsicht drei Arten von Menschenrechts-Pflichten haben. Dazu zählen „Verfahrens“pflichten, die Bildung und Bewusstsein in der Öffentlichkeit fördern; Zugang zu Informationen bereitstellen; Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sicherstellen; die Teilnahme der Öffentlichkeit an der Beurteilung geplanter Projekte, Richtlinien und Entscheidungen bezüglich der Umwelt ermöglichen; sowie bezahlbaren Zugang zu Rechtsmitteln zu garantieren. In materiell-rechtlicher Hinsicht, sind Staaten dazu verpflichtet, nicht selbst schädigend in das Recht auf eine gesunde Umwelt einzugreifen. Sie müssen zudem Eingriffe durch eine dritte Partei – vor allem Unternehmen – verhindern. Dazu sollten sie Gesetze, Richtlinien und Strategien durchsetzen, um das Recht zu erfüllen. Staaten haben außerdem eine besondere Schutzpflicht gegenüber gesellschaftlichen Gruppen, die besonders vulnerabel sind.

Die vielen Vorteile einer formellen Anerkennung des Rechts auf eine gesunde Umwelt werden deutlich, wenn wir uns die Erfahrungen auf nationaler Ebene anschauen. In 155 Staaten wurde das Recht auf eine gesunde Umwelt bereits in der nationalen Verfassung anerkannt. Dies hat die Bedeutung von Umweltschutz enorm gesteigert und bietet eine Basis für die Verabschiedung von schärferen Umweltgesetzen und Standards. In Staaten wie Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Costa Rica, Frankreich, Portugal, Südafrika oder Spanien stellt das Recht auf eine gesunde Umwelt ein grundlegendes Verfassungsprinzip dar, das den gesamten Bereich des Umweltrechts beeinflussen. In Indien, Nepal und Uganda wurde das Recht auf eine gesunde Umwelt genutzt, um gesetzgebende oder regulierende Lücken bezüglich Luftverschmutzung, Plastikmüll und Waldschutz zu füllen.

David Boyd arbeitet mit den Haida First Nations aus Kanada zusammen. Die Haida setzen sich durch Proteste und Gerichtsverfahren für ihre Rechte und die ihrer Umwelt ein – beispielsweise gegen das kanadische Rohöl-Unternehmen Enbridge. Foto: Jeremy Board/Flickr CC BY 2.0

Philip Alston, Sonderberichterstatter der UN für extreme Armut und Menschenrechte, sprach im Juni 2019 von einer Klima-Apartheid. Sind Menschenrechte ein passendes Instrument, um massive Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten im Kontext globaler Umweltzerstörung zu adressieren?

Die Einhaltung des Rechts auf eine gesunde Umwelt soll ein Minimumlevel an Umweltqualität für alle Mitglieder der Gesellschaft garantieren. Sein Fokus liegt jedoch eindeutig auf den Bevölkerungsteilen, die überproportional von Umweltschäden betroffen sind oder keinen ausreichenden Zugang zu unentbehrlichen Umweltressourcen haben. Dazu gehören beispielsweise Frauen, Kinder, in Armut lebende Menschen, Mitglieder indigener Völker und traditioneller Gemeinschaften, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Minderheiten und vertriebene Personen.

Sich mit Klimawandel zu befassen, wirft Gerechtigkeitsfragen auf, sowohl zwischen als auch innerhalb von Ländern und Generationen. Die Hauptverursacher des Problems haben immense ökonomische Vorteile eingeheimst. Daher haben sie eine größere Verantwortung, das Problem zu lösen – gemäß dem Grundsatz der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten. Die schädlichen Auswirkungen des Klimawandels treffen diejenigen Menschen unverhältnismäßig hart, die in Armut leben. Ihr Beitrag zum Problem ist minimal und sie verfügen nicht über die Ressourcen, sich vor den Veränderungen zu schützen oder daran anzupassen. Der Klimawandel wirkt als Verstärker bereits bestehender Menschenrechtsbedrohungen wie Armut, Konflikte oder Ressourcenverknappung. Die Folgen sind der Verlust der Nahrungssicherheit und Lebensgrundlagen, der Zusammenbruch wichtiger Infrastruktur und fehlender Zugangs zu wesentlichen Basisleistungen wie Elektrizität, Wasser, sanitären Anlagen und medizinische Versorgung. Bis 2030 könnte der Klimawandel 100 Millionen Menschen zusätzlich in extreme Armut treiben.

Auf das Klima zurückzuführende Naturkatastrophen treffen einkommensschwache Länder und Small Island Developing States (dt. kleine Inselstaaten mit Entwicklungsländerstatus) besonders hart. Die Dürre 2011 in Ost-Afrika, sowie die Hungersnot 2011 bis 2012 in Somalia, waren extreme, durch den Klimawandel bedingte Ereignisse. In Kombination mit anderen Faktoren – zum Beispiel Konflikten und höheren Lebensmittelpreisen – überforderten diese Ereignisse die Resilienz der betroffenen Gesellschaften.

Aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels, Küstenerosion, Sturmfluten, Versalzung und anderer Folgen des Klimawandels mussten ganze Gemeinschaften umgesiedelt werden oder sind noch dabei. Dazu gehören: Vunidogoloa auf Fidschi; Nuatambu, Nusa Hope und Taro auf den Salomoninseln; sowie Shishmaref, Kivalina, Newtok und Isle de Jean Charles in den USA. Hunderten von anderen Gemeinschaften steht ein ähnliches Schicksal bevor.

Ein Klimaschutzansatz, der auf Rechten basiert, könnte ein wichtiger Katalysator für beschleunigte Maßnahmen sein, um eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Eine Zukunft, in der die gesamte Energie aus kohlenstofffreien Quellen erzeugt wird, in der Wälder gedeihen, in der die Ozeane gesund und Lebensmittel nachhaltig sind. Die vorhersehbaren und möglicherweise katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels auf diverse Menschenrechte verpflichten die Staaten, sofort zu handeln.

Kleine Inseln wie Kivalina sind besonders durch den Klimawandel bedroht. Kivalina gehört zu dem US-Bundesstaat Alaska. Die indigenen Inupiat bewohnen die Insel seit mehr als 100 Jahren. Bald könnte die Insel jedoch unbewohnbar werden. Foto: ShoreZone/Wikipedia CC BY 2.0

Inwiefern sind Indigene besonders von Umweltzerstörung und Klimawandel betroffen? Gewährt ihnen das Recht auf eine gesunde Umwelt besonderen Schutz?

Indigene Völker sind aufgrund ihrer engen Beziehung zu bestimmten Ökosystemen und ihrer traditionellen Territorien besonders gefährdet.

Ein Beispiel für die Auswirkungen des Klimawandels auf indigene Völker: Das Meereis in der Arktis geht zurück, was die Verbreitung von Tieren beeinflusst. Ebenso verkompliziert es das Reisen auf Eis, weshalb Jäger der Inuit die Essensversorgung nicht mehr sichern können. Indigene Völker auf pazifischen Inseln sind direkt davon bedroht, dass ihr Land durch den Klimawandel teilweise oder komplett verschwinden könnte. Zusätzlich haben Klimaschutz-Projekte in der Vergangenheit die Rechte Indigener verletzt. Beispiele dafür sind das Wasserkraft-Projekt „Barro Blanco“ in Panama oder das Projekt zum Schutz von Wassertürmen und zur Anpassung an und Eindämmung des Klimawandels in Kenia. Obwohl sie wenig zu den Ursachen beitragen, sind etwa 400 Millionen Indigene weltweit besonders durch den Klimawandel gefährdet.

Die katastrophalen Konsequenzen von Umweltschäden für indigene Völker hängen nicht nur mit ihrer engen Verbindung zur Natur zusammen, sondern auch mit der geringen ökonomischen und politischen Macht, die sie besitzen. Häufig erhalten sie kaum Kompensationen für ihre Verluste. Durch ihre Marginalisierung haben sie wenig bis keinen Zugang zu Entscheidungsprozessen oder rechtlichen Mitteln. Ihre Rechte auf ihre Territorien und Ressourcen werden teilweise nicht einmal von der Regierung anerkannt.

Daher haben Staaten erhöhte Verpflichtungen, indigene Völker vor den Schäden durch Ressourcenausbeutung zu beschützen. Unter anderem sollten Staaten: (a) die Rechte indigener Völker und traditioneller Gemeinschaften an Land, Territorien und Ressourcen anerkennen, die sie traditionell besitzen, bewohnen oder benutzen; (b) sie konsultieren und ihre freie und informierte Zustimmung einholen, bevor sie sie umsiedeln oder irgendetwas bewilligen, was ihr Land betrifft; (c) das traditionelle Wissen Indigener, sowie deren Praktiken zu Umweltschutz und nachhaltiger Landnutzung respektieren und beschützen; (d) sicherstellen, dass sie einen gerechten Anteil an den Gewinnen erhalten, die auf ihrem Land, Territorium oder ihren Ressourcen beruhen.

Die Rechte indigener Völker zu beschützen ist nicht nur durch die Menschenrechtsnormen vorgeschrieben, es ist zudem oft die beste Art und Weise, Biodiversität zu schützen. Das Wissen und die Praktiken der Menschen, die in artenreichen Ökosystemen leben, sind unerlässlich für dessen Schutz und nachhaltige Nutzung. In allen Teilen der Welt – von dem Fluss Gualcarque in Honduras bis zu den Kaya-Wäldern in Kenia, von Koh Kong in Kambodscha bis zu Standing Rock in den USA – setzen sich indigene Völker und lokale Gemeinschaften ein, um Ökosysteme zu schützen. Zwar verzeichnen sie ein paar Erfolge; aber zu oft wird ihrem friedlichen Widerstand mit Bedrohung und Gewalt begegnet.

Sie haben ein Buch über die Rechte der Natur geschrieben (Die Rechte der Natur: Eine rechtliche Revolution, die die Welt verändern könnte). Sie mögen Orcas: Haben sie denn Menschenrechte?

Um direkt Missverständnissen vorzubeugen: In meinem Buch spreche ich über die Anerkennung der Rechte von Tieren und der Natur. Ich sage nicht, dass Schimpansen, bedrohte Arten oder Ökosysteme Menschenrechte wie das Wahlrecht haben. In unserem westlichen Rechtssystem werden die Rechte nicht-menschlicher „Personen“ bereits seit vielen Jahren anerkannt. Beispiele dafür sind Unternehmen, die wir als rechtliche Personen definieren und deren Rechte im Gesetz festgehalten sind. Bei den weltweiten Diskussionen um die Rechte der Natur geht es um die Rechte solcher „Personen“, nicht um Menschenrechte. Wenn Unternehmen als rechtliche Personen anerkannt werden können, dann sollten das auch Orcas. Sie brauchen kein Wahlrecht – was sie aber brauchen ist das Recht auf eine saubere Umwelt, das Recht auf ausreichende Nahrungsversorgung und das Recht, nicht von Menschen belästigt zu werden.

Ein großer Faktor hinter der Umweltkrise ist meiner Meinung nach die Tatsache, dass wir Natur und Tiere als Güter betrachten, die wir besitzen können. Um noch einmal auf die vorherige Frage zu kommen: Indigene Kulturen weltweit haben Natur nie als Eigentum angesehen. Sie haben die Natur stets als Teil einer größeren Gemeinschaft betrachtet. Der Natur Rechte zu geben lässt nicht nur diese traditionelle Weisheit wiederaufleben, sondern bietet ebenso einen neuen Ansatz für den Schutz des Planeten und dessen Bewohner.

Neuseeland ist eines der spannendsten Beispiele in der Bewegung für die Rechte der Natur. Neuseeland hat eine erhebliche indigene Bevölkerung. Die Maori – und es sind die Maori, die die Anerkennung der Rechte der Natur in Neuseeland maßgeblich vorangetrieben haben. Es gab langjährige Verhandlungen, um das Unrecht auszugleichen, das den Maori durch die Kolonialregierung in den vergangenen 150 Jahren angetan wurde. Vor ein paar Jahren kam ein faszinierendes Abkommen zustande, das mit dem Fluss Whanganui zu tun hat. Dieser Fluss ist für einige Maori von großer kultureller Bedeutung. Das Abkommen benennt den Whanganui nun als rechtliche Person und hält eine Reihe von Rechten des Flusses fest. Daraufhin wurde eine Art Vormund-Modell etabliert, welches aus Vertretern der Maori und der neuseeländischen Regierung besteht. Das Abkommen wurde gesetzliche geregelt – ebenso wie ein weiteres Abkommen zu einer Region mit Bergen, Wäldern und Seen, früher bekannt als „Te Urewera National Park“.

Ich bin mir sicher, dass es Millionen von Menschen auf der Welt gibt, die begeistert davon wären, als rechtliche Vormünder eines Ökosystems, einer Spezies oder eines Tieres in ihrer Gemeinschaft zu wirken.


Jonas Schubert ist Experte für das „Kinderrecht auf eine gesunde Umwelt“ bei Terre des Hommes und ist im Vorstand des Forum Menschenrechte aktiv.

Aus dem Englischen übersetzt von Esther Wesselkämper.



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