Die Umgebung der Stadt Norilsk gilt als ökologisches Notstandsgebiet. Die Abgase der Industrie verschmutzen seit Jahrzehnten Luft und Boden. Foto: Ninaras/Wikipedia CC BY 4.0

Ob als Transportmittel, Statussymbol oder Kultobjekt: Autos sind aus unserem Leben nicht wegzudenken. Sie bringen uns von A nach B – und verursachen dabei jede Menge CO?. Viele setzen auf E-Mobilität als Lösung, denn E-Autos produzieren keine direkten Emissionen. Doch bevor ein E-Auto auf die Straße kommt, ist es ein langer Weg.

 

von Esther Wesselkämper

Mehr als 20 Prozent der CO2-Emissionen weltweit verursacht der Verkehrssektor: Autos, Nutzfahrzeugen, Schifffahrt, Luft- und Schienenverkehr. In Deutschland stießen die Fahrzeuge im Jahr 2018 laut „Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit“ etwa 162 Millionen Tonnen CO2 aus – der Großteil stammte von Autos.

Diverse Autohersteller – darunter BMW, Volkswagen und Mercedes-Benz – bieten bereits elektrische Alternativen zu Benzin- oder Dieselmotoren an. Der Anteil der E-Autos in Deutschland ist zwar noch relativ gering: 2019 waren laut Kraftfahrt-Bundesamt 1,8 Prozent aller neu zugelassener Fahrzeuge rein elektrisch betrieben. Aber die Nachfrage steigt. Käufer*innen von E-Autos versprechen sich eine saubere, umweltbewusste Alternative.

Das Problem: Die einzelnen Produktionsschritte eines E-Autos bleiben schwer nachvollziehbar. Die Lieferkette von Mercedes-Benz besteht zum Beispiel nach eigener Aussage aus diversen Stufen, auf denen es jeweils mehr als 20 Sub-Lieferanten geben kann. So ist der Kauf eines E-Autos mit weitreichenden Folgen verbunden – für Natur und Mensch weltweit.

Menschenrechtsverletzungen für Rohstoffe

Die meisten E-Autos laufen mit Lithium-Ionen-Batterien. Für deren Produktion benötigen die Hersteller Rohstoffe wie Lithium, Kobalt und Nickel. Deren Abbau gefährdet nicht nur die Umwelt, sondern geht oft mit Menschenrechtsverletzungen einher.

In Chile, Bolivien und Argentinien wird Lithium vor allem aus Salzseen gewonnen. Der Prozess verbraucht viel Wasser, wodurch Konflikte zwischen Einheimischen und Unternehmen um die knappen Wasserressourcen entstehen. Indigenen Gemeinschaften droht der Verlust ihrer Lebensgrundlage: Ohne Wasser können sie keine Lamas halten oder Quinoa anbauen.

In der Demokratischen Republik Kongo in Zentralafrika verunreinigt der Kobaltabbau Wasserquellen. Dadurch erkranken Anwohner*innen und Arbeiter*innen. In Kleinstminen kommt es immer wieder zu Gewalt und Kinderarbeit. Einige Autohersteller wie BMW und Mercedes-Benz versuchen, soziale Standards in den Minen zu sichern. Dazu arbeiten sie mit Hilfsorganisationen vor Ort zusammen. Politische Instabilität macht es jedoch schwer, die tatsächlichen Arbeitsumstände in den Minen zu kontrollieren.

Die Problematik um Lithium und Kobalt diskutieren die Autohersteller offen. Sie bemühen sich um einen nachhaltigeren Abbau und Lösungsansätze. Dazu gehört, den Kobaltanteil in den Batterien zu reduzieren – mithilfe eines höheren Nickelanteils. Diesen Ansatz verfolgt zurzeit beispielsweise Mercedes-Benz. Doch auch der Nickelabbau hat Konsequenzen.

Mit steigender Nachfrage an E-Autos verbessert sich auch die Infrastruktur. Laut „Statista“ gibt es 2020 mehr als 18.000 Ladestationen in Deutschland. Foto: Werner Hillebrand-Hansen/Wikipedia CC BY-SA 2.0

Nickelabbau in Russland

Das Unternehmen Norilsk Nickel (Nornickel) ist Weltmarktführer für die Förderung des Schwermetalls. Die Autoindustrie ist auf den Monopolisten angewiesen. Nornickels Minen liegen im Norden Russlands um die Stadt Norilsk herum, sowie auf den Halbinseln Kola und Taimyr. Die Region um Norilsk gilt bereits als ökologisches Notstandgebiet. 2016 sorgte eine Meldung aus Norilsk für Aufsehen: Der Fluss Daldykan färbte sich rot. Starke Regenfälle überfluteten einen filternden Damm einer Anlage und verunreinigten so das Wasser. Andere Flüsse, wie der Norilka, weisen bedenkliche Mengen an Kupfer, Eisen, Öl und Kobalt auf. Auch in der Erde finden sich giftige Stoffe aus der Industrie.

Ein weiteres Problem sind Abgase, die durch den Nickelabbau entstehen. 1,9 Tonnen Schwefeldioxid wehten 2018 laut dem Arktismagazin „The Barents Observer“ von Norilsk aus über die Taimyr Halbinsel. Schwefeldioxid ist ein stechend riechendes, giftiges Gas. Wenn es durch die Luftverschmutzung zu saurem Regen kommt, schadet dies ebenso Boden und Vegetation. Trotz allem kündigte Nornickel an, den Bergbau auf Taimyr um 75 Prozent zu steigern. So wollen sie der Nachfrage an Rohstoffen für die E-Mobilität gerecht werden.

Auf Taymir leben unter anderem die indigenen Enzen und die Nenzen, auf der Kola-Halbinsel die Samen. Für die Gemeinschaften sind die Rentierhaltung und der Fischfang existentiell. Doch der durch den Bergbau verursachte Schaden an der Vegetation resultiert in Nahrungsknappheit für Rentiere. Giftige Stoffe in Boden, Luft und Wasser bedrohen die Gesundheit von Mensch und Tier.

Gegenüber der britischen Tageszeitung „The Guardian“ sprachen indigene Aktivist*innen nach der Verschmutzung des Daldykan von Schönmalerei in den Medien. So sei die Rotfärbung des Flusses zunächst als natürliche Färbung durch Lehm erklärt worden. Generell gelangen nur wenige Informationen aus der Region nach außen – abgesehen von Nornickels Berichten. Die Situation der indigenen Gemeinschaften lässt sich so schwer nachvollziehen.

Nornickel schreibt in seinem Unternehmensbericht 2019 in einem kurzen Abschnitt über ihren Umgang mit indigenen Gemeinschaften. Es habe 2018 keine „Aufzeichnung“ von Verletzungen der Rechte indigener Gemeinschaften gegeben. Zudem fördere das Unternehmen Projekte und Festivals für Indigene. Dazu steuere Nornickel Geschenke wie Zelte und Generatoren bei oder stelle Essen für Kinder zur Verfügung. Die Unterstützung beruht vor allem auf finanziellen, materiellen Mitteln. Maßnahmen zum Umweltschutz bleiben größtenteils aus. Nornickel verschmutzt bereits jahrzehntelang den Lebensraum der indigenen Gemeinschaften; der Nickelabbau bedroht ihre Lebensgrundlage und Gesundheit. Zudem lässt sich schwer prüfen, inwieweit Nornickels Darstellungen der Wahrheit entsprechen.


Esther Wesselkämper studiert Englische Philologie und Ethnologie an der Georg-August-Universität Göttingen. Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Region Ozeanien und dem Themengebiet Umweltethnologie.



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