Die Tänzerinnen und Tänzer der Buang stehen auf beiden Seiten des Weges Spalier. Foto: Johanna Fischotter/GfbV

In Papua-Neuguinea gibt es mehr als 800 verschiedene Volksgruppen mit je eigenen Sprachen und Bräuchen: Feuertänze, Eiersucher am Vulkanhang und weitere Geheimnisse gilt es zu entdecken. Ein kleiner Einblick in ein Land der Vielfalt.

Von Johanna Fischotter

Foto: Wikipedia, gemeinfrei; Bearbeitung: Alexander Becker

Auf beiden Seiten des Wegrandes stehen die Buang-Tänzerinnen und -Tänzer Spalier; vorne die Männer, dahinter die Frauen. Auf ihren Köpfen tragen fast alle einen Kamm aus schwarzen Paradiesvogelfedern. Zwei längere rote Federn schießen links und rechts über diesen Kamm hinaus. Ihre Gesichter haben die Buang mit schwarzer und roter Farbe in einem vierteiligen Karomuster bemalt. Die Oberkörper der Männer sind frei. Nur eine Vielzahl von Ketten kreuzt sich über ihrer jeweiligen Brust. In den Händen hält jede*r Buang eine Trommel, die aufgestellt vom Boden bis zu ihren Hüften reicht. So erwarten sie uns.

Wir sind unterwegs im Hochland Papua-Neuguineas, genauer gesagt im Tal der Volksgruppe der Buang. „Wir“, das sind sieben Hobbyfotograf*innen unter der Leitung von Basti Hofmann. Basti und seine Frau, die Fotojournalistin Ulla (geborene Lohmann), kommen jedes Jahr nach Papua-Neuguinea. (Nur dieses Mal ist Ulla nicht dabei.) Seit einigen Jahren bieten sie kleine Gruppenreisen an. Diese stehen unter dem Motto „Erwarten Sie das Unerwartete“. Und unerwartet war, dass wir an diesem Mittag in diesem Dorf der Buang landen würden – selbst für Basti. Unser einheimischer Begleiter Samson, selbst Buang, hatte auf unserem Weg plötzlich gesagt, dass wir an einer Weggabelung abbiegen müssten. Und nun standen wir vor dem Spalier aus Tänzer*innen.

Die Kopfbedeckung dieser Tänzerin klappt bei jedem Schritt auf und zu. Die daran befestigten Muscheln rasseln dabei im Rhythmus. Foto: Johanna Fischotter/GfbV

Wir treten zwischen sie. Im gleichen Moment wendet sich die ganze Gruppe in unsere Laufrichtung, hebt die Trommeln an und entfesselt einen Rhythmus aus Fußstampfen und Trommelschlägen. Begleitet von der Tanzgruppe gelangen wir so auf einen mehr oder weniger runden Platz. Einzelne Grasflecken lockern den plattgetretenen Stein- und Erdboden etwas auf. Um den Platz herum sitzt oder steht – gefühlt – die gesamte Dorfgemeinschaft. Zum Teil tragen die Buang traditionelle Kleidung wie die Tanzgruppe. Zum Teil haben sie T-Shirts, Hosen und Flipflops an. Alle tragen sie bunt.

Am Rand des Platzes haben die Buang eine Hütte mit einem Dach ohne Wände errichtet – eine Art Loge. Auf ihr weht die Flagge Papua-Neuguineas und die Flagge des Bulolo-Distrikts, zu dem das Buang-Tal gehört. Wir steuern auf diese Loge zu. Davor steht eine Gruppe Frauen mit Blumenkränzen im Haar und großen Blätterwedeln über ihren Röcken und Shirts. Ein älterer Mann tritt auf uns zu. Als einziger trägt er keine schwarz-rote Gesichtsbemalung, sondern eine gelb-schwarze. Er begrüßt uns, schüttelt allen die Hand. Danach hängen uns die Frauen Blumenketten um die Hälse. Dann bedeuten sie uns, Platz zu nehmen. Was geht hier vor?

In einem Land der Vielfalt

Seit fast zwei Wochen sind wir nun schon in Papua-Neuguinea unterwegs. In der Zeit haben wir viel gesehen und erlebt: An der Küste der Insel Neubritannien in der Nähe der Stadt Rabaul durften wir den Feuertanz der Baining beobachten. Mit überdimensional großen Holzmasken vor den Gesichtern, aber barfüßig tanzen die Männer dieser Volksgruppe zu anheizender Trommel-Musik um ein Feuer. Immer wieder springen sie mitten in die Flammen oder treten so heftig in die Glut, dass diese nach allen Seiten stiebt. Niemand weiß, was dieser Tanz der Baining zu bedeuten hat. Früher hätte es für Außenstehende gar den Tod bedeutet, diesem Tanz auch nur aus der Ferne beizuwohnen, erzählt uns Basti nach einem Gespräch mit den Tänzern.

Auf dem Dorfplatz heißt uns die Gemeinschaft willkommen. Foto: Johanna Fischotter/ GfbV

Ebenfalls in der Nähe von Rabaul, am Fuße des Tavurvur-Vulkans, haben wir die Eiersammler der Volksgruppe Tolai kennengelernt. Sie suchen die Eier des Thermometerhuhns, ein Vogel, der ausschließlich auf Papua-Neuguinea lebt. Das Huhn brütet seine Eier nicht selbst aus, sondern verbuddelt sie in der lockeren Schicht aus Asche und Erde des Vulkanhangs. Mit seinem Schnabel misst es die Temperatur des Bodens und legt das Ei genau in der Tiefe ab, wo es von dem aktiven Vulkan wohl temperiert ausgebrütet wird.

Die Eiersammler der Tolai graben nach den schmackhaften Eiern der Thermometerhühner an den Hängen des Tavuvur-Vulkans. Ihr Körper ist mit einer Schicht aus Asche und Erde bedeckt. Foto: Johanna Fischotter/GfbV

Die Eier sind schmackhaft und lassen sich auf dem Markt verkaufen. Und so verwandeln die Tolai die Vulkanwand auf ihrer Suche nach den Eiern in eine Kraterlandschaft. Die Löcher, die sie graben, sind tief – so tief, dass die Männer komplett darin verschwinden. Es ist ein gefährlicher Job: Wenn die instabile Wand des Lochs aus lockerer Asche und Erde abrutscht, begräbt sie die Männer lebendig. Dennoch ist es eine jahrzehntealte Tradition der Tolai, nach diesen Eiern zu suchen – und trotzdem ist die Population der Hühner seit Jahren stabil.

In Papua-Neuguinea leben mehr als 800 verschiedene Volksgruppen mit je eigenen Sprachen und Bräuchen – dabei ist das Land nur etwa 100.000 Quadratkilometer größer als Deutschland. Mit der Eroberung durch Kolonialmächte etablierte sich als meistverbreitete Verkehrssprache das Tok-Pisin unter den verschiedenen Volksgruppen. Tok-Pisin ist eine Kreolsprache, also eine Sprache, die aus mehreren Sprachen neu entstand. Tok-Pisin weist große Einflüsse aus dem Englischen, Melanesischen und aus dem Deutschen auf.

Gerade im Hochland Papua-Neuguineas leben viele Volksgruppen sehr abgeschieden. Zum Teil sind sie erst in den 1950ern von Missionaren kontaktiert worden. Straßen bestehen aus Schlamm und rutschen an Berghängen oder Flussläufen immer wieder ab – wenn sie überhaupt existieren. So kommt es, dass das Hochland Papua-Neuguineas fast gar nicht touristisch erschlossen ist. Die einzigen Ausländer*innen, die in diese Bereiche zuweilen vordringen, sind australische oder chinesische Minenbesitzer*innen auf der Suche nach Goldvorkommen oder anderen Rohstoffen – und wir in dieser Woche im Juli 2019.

Die vielleicht ersten Fremden im Dorf

Die Buang, in deren Tal wir uns befinden, sind schon länger kontaktiert. Schon früher hatten sie den Ruf, friedlich und gastfreundlich zu sein. Trotzdem verirren sich auch hierher Außenstehende nicht häufig. In dem Buang-Dorf, in dem wir nun in unserer kleinen Ehrenloge sitzen, sollen wir gar die ersten Fremden überhaupt sein. Das erklärt das enorme Interesse der Dorfgemeinschaft.

Tourist*innen kommen nicht oft in die Dörfer im Hochland. Das Interesse ist entsprechend groß. Foto: Johanna Fischotter/GfbV

Vor unserer Loge reihen sich nun die Frauen in ihren Blättergewändern auf. In ihren Händen tragen sie je ein großes Bananenstaudenblatt. Es dient als Teller für verschiedene Früchte und Gemüse. Ich erkenne Zuckerrohr, Maniokwurzeln und Orangen. Andere Früchte und Wurzeln habe ich dagegen noch nie gesehen. Doch auch sie sind essbar, wie ich wenig später erfahre. Die Frauen betreten eine nach der anderen unsere Loge und überreichen uns das Essen. Auf Tok-Pisin erklären sie Basti und er übersetzt für uns: „Die Essensübergabe ist eine uralte Tradition der Buang. Sie bedeutet, dass wir hier bei ihnen willkommen sind. Ihr dürft euch frei im Dorf bewegen und Fotos knipsen.“

Dann ergreift der ältere Mann mit der schwarz-gelben Gesichtsbemalung das Wort. Ein Dorfbewohner an seiner Seite wiederholt seine Worte durch ein Megaphon, sodass sie auch die versammelte Dorfgemeinschaft hören kann. Nun erfahren wir endlich, warum wir in diesem Dorf gelandet sind. Basti hatte vor einem Jahr eine Anfrage an die Buang gestellt, ob er einen Berg auf ihrem Gebiet besteigen dürfe. Ein Jahr lang haben die Ältesten der verschiedenen Dörfer über sein Anliegen beratschlagt. Und in dieser Zeremonie, die wir nun miterleben dürfen, teilen sie ihm ihre Entscheidung mit: Ja, er darf. Bei seinen Worten des Dankes an die Gemeinschaft ist Bastis Stimme belegt.

Danach setzt die Tanzgruppe zu einer weiteren Performance auf dem Platz an. Viele Umstehende schließen sich den Tänzer*innen an. Auch wir verlassen nun unsere Loge und mischen uns unter die Dorfgemeinschaft. Abwechselnd schießen wir Fotos: mal die Dorfbewohner*innen mit ihren Handys von uns, mal wir mit unseren Kameras von ihnen. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Obwohl wir nicht direkt mit den Menschen kommunizieren können, weil wir verschiedene Sprachen sprechen, verstehen wir uns doch: durch Zeichen, Blicke, die Geste „ihr seid willkommen“.

Beim Feuertanz der Baining springen die Tänzer immer wieder direkt in die Flammen. Foto: Johanna Fischotter/GfbV

Zum Abschied schütteln wir jedem*r einzelnen Dorfbewohner*in die Hand – manchen auch zweimal. Ein Kind mit einer auffällig gelben Gesichtsbemalung erkenne ich direkt wieder, als es mir seine Hand zum zweiten Mal entgegenstreckt, zu mir hoch schielt und grinst. Seine Freund*innen stehen wenige Meter entfernt und halten sich die Hände vor die Münder, damit ich ihr Lachen nicht sehe. Auch ich muss lachen, ergreife die Hand des Kindes, schüttele sie mit übertriebenen Auf- und Abbewegungen und zeige dem Kind mit meiner anderen Hand eine lange Nase. Noch mehr Gelächter.

Später, als wir uns vom Dorf entfernen, habe ich einen Kloß im Hals. Ein warmes Gefühl hat sich von meiner Brust bis in meine Magengegend ausgebreitet. Freude, Glück und Hoffnung: Freude darüber, dass es auf diesem Planeten Menschen gibt, die auf eine ganz andere Weise leben als ich in Deutschland; Glück empfinde ich, weil diese Menschen bereit sind, diesen Moment ihres Lebens mit mir zu teilen; und Hoffnung habe ich, dass es diese Vielfalt auf unserer Erde noch viele Jahre geben wird.


Johanna Fischotter ist ausgebildete Journalistin und seit Januar 2018 leitende Redakteurin der Zeitschrift "bedrohte Völker - pogrom". 



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