Der Mohawk-Älteste und spirituelle Führer Tom Sakokwenionkwas Porter im Sommer 2019 zu Besuch bei der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen. Foto: Caroline Siems/GfbV

Anführerin der Beeren oder große Medizin - die Erdbeere hat bei den Mohawk verschiedene Namen und eine besondere Bedeutung. Schließlich dreht scih der Kreis des Lebens weiter, wenn die Früchte erntereif sind. Eine Geschichte der Kanatsiohareke Mohawk in New York State.

 

Von Yvonne Bangert

Als uns der Mohawk-Älteste und spirituelle Führer Tom Sakokwenionkwas Porter im Sommer 2019 in Göttingen besuchte, war gerade Erdbeerzeit. Bepackt mit mehreren Kilos vollreifer Früchte kam er von einem Ausflug in die Altstadt zurück und machte sich ans Werk, sie in eine – alkoholfreie – Erdbeerbowle zu verwandeln. Bei seinem Vortrag am Abend schenkte er diese an die Besucher aus.

Was auf den ersten Blick irritiert, erklärt sich auf dem Hintergrund der Kosmologie der Kanatsiohareke Mohawk, in der die Erdbeere eine besondere Bedeutung hat. Tom wollte diese mit seinem Publikum teilen: Weil sie wie ein Herz geformt ist, gilt die Erdbeere den Kanatsiohareke Mohawk als Symbol des Lebens. Sie haben ihr ein eigenes Fest gewidmet, das Kanatsiohareke Mohawk Community Strawberry Festival (dt. etwa: Kanatsiohareke Mohawk Gemeinschaft Erdbeerfestival). An jedem letzten Wochenende im Juni feiern die Kanatsiohareke Mohawk bei diesem Fest das Leben und ihre Traditionen.
 

Erinnert in ihrer Form an ein Herz: eine Wald-Erdbeere. Foto: Foolip/Wikipedia gemeinfrei

Geehrt wird dabei nicht die Erdbeere aus der Monokultur, die wir aus dem Supermarkt kennen, sondern ihre wilde Schwester. Kay Olan (Ionataiewas), Angehörige der Mohawk Nation und Geschichtenerzählerin der Kanatsiohareke, erklärt: „Sobald die wilde Erdbeere erntereif ist, wissen wir, dass nun auch alle anderen Beerenfrüchte reifen werden und der Kreis des Lebens sich weiterdreht, so wie es sein soll. Die nach den überlieferten Traditionen lebenden Haudenosaunee (Menschen aus dem Langhaus) drücken dann mit einer Erdbeer-Zeremonie ihre Dankbarkeit gegenüber diesen Früchten und allen Facetten der natürlichen Welt aus. Die Erdbeere wird auch Anführerin der Beeren genannt, weil sie als erste von ihnen reift. Sie wird aber auch „große Medizin“ genannt, denn sie hat die Form eines Herzens und wenn wir ihren Saft trinken, werden wir verjüngt. Die Erdbeere hat wichtige Heilkräfte, die das Blut stärken.“

Das Erdbeerfestival ist nicht nur Zeremonie, sondern auch ein fröhliches Fest. Bei diesem kann man allen danken, die im zurückliegenden Jahr die Kanatsiohareke-Mohawk unterstützt haben. Die indigenen und nicht-indigenen Teilnehmer reisen von weit her an, aus anderen Gebieten der sechs Nationen wie Akwesasne, Kahnawake, Tyendinaga, Oneida, Onondaga, aber auch aus Seattle an der Westküste der USA, aus Kanada oder Florida, aus New York City oder Kalifornien. „Dann werden alte Freundschaften erneuert und neue geschlossen“, sagt Olan. Es ist außerdem ein Kulturfestival, bei dem indianisches Kunsthandwerk angeboten, traditionelle Spiele gespielt und Geschichten erzählt werden. Zu traditioneller wie moderner Musik wird außerdem getanzt. Es ist ein wenig wie ein Unterricht über die Haudenosaunee-Kultur.

Foto: Simplemaps.com; Bearbeitung: Alexander Becker

Kanatsiohareke, ausgesprochen wie ‘Gah nah joe hah lay geh‘, bedeutet „Ort des sauberen Topfes“. Er ist benannt nach einem etwa drei Meter breiten und drei Meter tiefen Loch, das vom Wasser eines Baches aus dem Gestein herausgewaschen wurde. Die gleichnamige Gemeinschaft wird geleitet von dem Mohawk-Ältesten und spirituellen Führer Tom Sakokwenionkwas Porter. Kanatsiohareke ist ein sehr alter Siedlungsort des Mohawk-Bären-Clans. Alte Dorfreste lassen sich dort noch in mehreren Lagen übereinander finden.

Wie kommt das? Nach dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775 bis 1783) mussten die meisten Mohawk ihr Tal verlassen und andernorts Zuflucht suchen. Einige von ihnen nahmen die Prophezeiung mit, eines Tages in ihre angestammte Heimat zurückzukehren. Diese Prophezeiung wurde mündlich von Generation zu Generation weitergegeben, bis schließlich 1993 eine Gruppe von Mohawk unter der Führung von Tom Porter aus dem Reservat Akwesasne tatsächlich ins Tal der Mohawk zurückkehrte. Sie ersteigerten dort eine Farm, renovierten die Gebäude, legten Obst- und Gemüsegärten an, bauten eine Viehherde auf. Sie öffneten einen Laden für Kunstgewerbe und ein B&B. Inzwischen bieten sie auch Workshops zu ganzheitlicher Medizin und zu Diabetes an, organisieren Konferenzen und Kulturaustausche mit Colleges und Gemeinden. Sie arbeiten daran, die Sprache, Kultur und Spiritualität der Mohawk wiederzubeleben. 


Yvonne Bangert ist Referentin für indigene Völker bei der Gesellschaft für bedrohte Völker.

 

Eine Schöpfungsgeschichte wie sie die Huronen erzählen

Am Anfang der Zeit bestand die Erde nur aus Wasser. Hier schwammen Schildkröten, Biber und Wasservögel wie Enten. Im Himmel lebten die Menschen. Ihre Landschaft ähnelte der heutigen Erde. Eines Tages erkrankte ein Himmelshäuptling schwer. Um ihn zu heilen, musste ein bestimmter Baum gefällt werden, dessen Früchte als Medizin genutzt wurden. Aataentsic, die schwangere Frau des Häuptlings, schlug mit der Axt in den Baumstamm. Daraufhin zerbrach der Baum und versank in einem tiefen Loch. Die Frau blickte hinein und sah den Baum in die Tiefe stürzen. Schnell sprang sie hinterher und stürzte aus dem Himmel in Richtung Erde.

Als die Tiere im Wasser die Frau fallen sahen, beschlossen sie ihre Rettung. Die Schildkröte befahl, dass alle Tiere auf den Grund des Wassers tauchen sollten, um Schlamm an die Oberfläche zu bringen. Die Schildkröte breitete den Schlamm auf ihrem Panzer aus. So entstand bald eine weiche Insel, auf der die fallende Frau landen konnte. Die Insel wuchs und wurde zur Erde, auf der die Menschen heute leben. Schon bald bekam die gestürzte Frau eine Tochter. Als sie erwachsen war, gebar sie zwei Söhne: Tawiskaron und Iouskehan. In einem harten Kampf besiegte der freundliche Iouskehan seinen bösen Bruder und vertrieb ihn in die Wälder. Nun ordnete Iouskehan die Welt, so wie die Huronen sie kennengelernt haben.

Quelle: Dr. Josef Leopold: Die Völker der nordamerikanischen Indianer. Cheyenne, Navajo und Huronen; Arbeitsmaterialien für den Unterricht; Traumfänger Verlag Hohenthann, 2014



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