Liebe Leserin, lieber Leser,

Zeit ist Geld. Dieser Satz gilt vor allem in der Wirtschaft. Zeitersparnisse auf Handelsrouten sind von besonderem Interesse. Deswegen war es ein historisches Ereignis, als am 11. September 2013 der Frachter Yong Sheng im Hafen von Rotterdam in den Niederlanden anlegte. Yong Sheng war das erste Containerschiff, das über die zeitweise eisfreie Nordwestpassage von China nach Europa gefahren war.

Normalerweise umschiffen Frachter auf dem Weg von Asien nach Europa erst Indien, dann die Arabische Halbinsel, um schließlich durch den Suezkanal ins Mittelmeer zu gelangen. 48 Tage brauchen sie für die mehr als 21.000 Kilometer lange Route. Der Weg durch die arktische See spart dagegen mehr als 5.000 Kilometer und fast zwei Wochen Zeit ein.

Vor etwa zehn Jahren war die Nordost- beziehungsweise Nordwestpassage in der arktischen See das erste Mal eisfrei und schiffbar. Für die Wirtschaft offenbarten sich dadurch Chancen: neue Handelswege und neue Ressourcen. Doch für den Klima- und Umweltschutz und für indigene Völker ist es eine Katastrophe, dass das Eis am Nordpol schmilzt.

Unter dem Eis liegen Rohstoffe wie Erdgas oder Erdöl, die die russische Regierung plündern will. Die Arktis soll Russlands neue Schatzkammer werden, wenn die Ressourcen in Sibirien zur Neige gehen. Dafür schafft das Land die nötige Infrastruktur: Häfen, Kraftwerke, Förderstätten. Die ersten, die unter diesen Vorhaben leiden, sind die indigenen Völker der Arktis. Ihr Lebensraum wird zerstört.

Wie rücksichtslos Russland mit seinen indigenen Völkern umspringt, wenn es um wirtschaftliche Interessen geht, zeigt sich schon seit Jahren am Raubbau in Sibirien. Pavel Suljandziga berichtet in dieser Ausgabe von geradezu alltäglichen Menschenrechtsverletzungen an Indigenen durch Wirtschaftsunternehmen. Geförderte Rohstoffe aus indigenen Gebieten finden ihren Weg durch Pipelines oder in Containern auch nach Europa.

Immer wieder geraten Minderheiten entlang von Handelswegen in Gefahr und Regierungen unter Druck. Das beste Beispiel dafür ist die Neuen Seidenstraße. Bei diesem ehrgeizigen Projekt schafft China über Wasser und zu Land neue Wege, um Waren schneller und preiswerter von A nach B zu schaffen. Etwa 100 Länder sollen an dem Projekt beteiligt sein. Chinesische Unternehmen bauen Häfen und verlegen Schienen. China investiert, verspricht Profite und lockt gerade ärmere Länder in die Schuldenfalle. Sie geraten in Abhängigkeit. Die Auswirkungen davon bekommen aktuell bereits die Kasachen zu spüren.

Eine Bahnstrecke der Neuen Seidenstraße, die von China durch Kasachstan, Russland und Polen führt, endet in der deutschen Stadt Duisburg. Die Welt ist durch den globalen Handel klein geworden – alles ist mit allem verbunden. Menschen und Waren strömen in einem dichten Netz um den Erdball. Wo kommt die Ware her, wie wurde sie abgebaut oder produziert und welchen Weg hat sie genommen? Bei den Antworten auf all‘ diese Fragen schwingen Menschenrechtsverletzungen von Minderheiten und indigenen Völkern mit. Die Verantwortung dafür liegt längst nicht mehr allein bei den Erzeugern, sondern ebenso bei den Empfängern von Waren.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!

Herzliche Grüße
Johanna Fischotter



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