Durch die internetbasierenden Messenger-Dienste auf den Smartphones können Nutzer Gerüchte, Hassnachrichten und Falschmeldungen rasend schnell verbreiten. Foto: Alvy/Microsiervos/Flickr CC BY 2.0

Die weltweite Verbreitung sozialer Medien und internetbasierender Messenger-Dienste war mit Hoffnung verbunden: Ein größerer Teil der Bevölkerung sollte an politischen Entscheidungen mitwirken; offizieller Propaganda gerade autoritär regierter Staaten sollte entgegengetreten werden. Doch wer die modernen Dienste missbraucht, verbreitet Hass auf Minderheiten – rasend schnell.

 

Von Ulrich Delius

Messenger-Dienste wie WhatsApp sind beliebt. Sie erleichtern Kommunikation und fördern Freundschaften. Indien ist einer der weltweit größten Märkte für das US-amerikanische Kommunikations-Netzwerk. Nutzten es dort im Jahr 2016 rund 100 Millionen Menschen, so sollen es bis 2020 schon 450 Millionen Personen sein, schätzt die BBC im November 2018.

Doch WhatsApp schafft nicht nur Freundschaft und Nähe. Der Messenger wird auch gezielt benutzt, um Angehörige von Minderheiten auszugrenzen oder Hass-Botschaften gegen sie zu verbreiten und sie zu verfolgen.

Sehr schmerzhaft erfuhr dies die Familie von Pehlu Khan. Der muslimische Tierhändler war am 1. April 2017 gemeinsam mit seinem Sohn Arif in seinem mit Tieren beladenen Lastwagen unterwegs, als er von 200 Hindu-Nationalisten gestoppt wurde. So berichtete es die indische Nachrichtenwebseite „The Wire“ im September 2018. Überall in Indien haben die Gruppen der Hindu-Nationalisten großen Zulauf, seit die BJP-Regierung Hindu-Nationalismus salonfähig gemacht hat. Öffentlich geloben sie den militanten Schutz der für Hindus heiligen Kühe. Sie schrecken aber auch nicht vor der Jagd auf Andersgläubige zurück.

Als sie den Lastwagen von Pehlu Khan erspähten, mobilisierten sie per Messenger-Dienst binnen kurzer Zeit genug Leute, um den Transporter gewaltsam zu stoppen. Dem Fahrer warfen sie vor, heilige Kühe zu schmuggeln. Pehlu Khan konnte zwar nachweisen, dass er die zwei Kühe und die anderen Rinder ordnungsgemäß auf einem Viehmarkt gekauft hatte. Doch die Aktivisten interessierte das nicht. Sie waren davon überzeugt, einen in ihren Augen „Ungläubigen“ gestellt zu haben, der den Schutzstatus heiliger Kühe missachten würde. Pehlu Khan wurde vom Mob erschlagen. Sein Sohn überlebte schwer verletzt.

Das Verbrechen filmten die Hindu-Aktivisten und verbreiteten das Video im Internet. So erfuhr auch Pehlu Khans Ehefrau nach drei Tagen von der Bluttat. Dorfbewohner hatten das Video laut der indischen Tageszeitung „The Indian Express“ gesehen und sie über den Mord an ihrem Mann informiert.

Auch zwei Jahre nach dem Verbrechen sind die Täter noch immer straflos geblieben. Angriffe auf religiöse Minderheiten werden in Indien meist nicht geahndet, weil die Täter darauf vertrauen können, von Polizei, Justiz und Politik gedeckt zu werden.

Doch Muslime wollen die Verfolgung nicht länger hinnehmen. Tausende muslimische Frauen protestierten im März 2019 in der Hauptstadt Neu-Delhi für die Annahme eines von ihnen vorgelegten 39 Punkte-Plan gegen Hass und Gewalt gegen Minderheiten. Vor allem fordern sie ein Gesetz zur Prävention und Bestrafung von Lynchmorden. The Indian Express hat über die Proteste berichtet.
Durch WhatsApp haben Lynchmorde Hochkonjunktur in Indien. Nach Recherchen der Zeitung The Straits Times und der BBC wurden aufgrund von Gerüchten und Falschnachrichten und deren Verbreitung durch Messenger-Dienste mindestens 31 Inderinnen und Inder in den Jahren 2017 und 2018 getötet.

Falschnachrichten und Gerüchte gab es schon immer. Doch über WhatsApp finden sie eine viel schnellere und größere Verbreitung. Das Unternehmen WhatsApp zeigte sich betroffen von dem Missbrauch seines Netzes und rief in einer landesweiten Anzeigen-Aktion dazu auf, Ideen zu sammeln, wie die Verbreitung von Falschnachrichten eingedämmt werden könne.

Der Rohingya Na San Lwin informiert regelmäßig über den auf Facebook verbreiteten Hass gegen sein Volk. Hier ist er bei einer GfbV-Aktion für Rohingya zu sehen. Foto: Hanno Schedler/GfbV

Hexenjagd in Burma

Noch dramatischere Ausmaße hat der Missbrauch sozialer Medien im Nachbarland Burma angenommen. Menschenrechtsorganisationen und Rohingya werfen Facebook vor, für Verbrechen gegen die Menschlichkeit an mehr als 700.000 Rohingya mitverantwortlich zu sein.

Die Ausgrenzung der muslimischen Bevölkerungsgruppe begann in Burma lange vor der Gründung von Facebook. Bereits vor mehreren Jahrzehnten wurden Rohingya entrechtet, ihnen ihre Bürgerrechte entzogen und sie als Staatenlose missachtet und verfolgt. Zehntausende Rohingya flohen in den 1980er- und 90er-Jahren vor diesen schweren Menschenrechtsverletzungen in das Nachbarland Bangladesch. Doch als die Verfolgung der Rohingya seit dem Jahr 2012 erneut zunahm, spielte das soziale Netzwerk Facebook eine große Rolle.

Mit der politischen Öffnung Burmas von einer Militärdiktatur zu einem demokratischeren System nahmen auch die Spielräume zu, öffentlich politische Meinungen zu äußern. Für die meisten der 20 Millionen Internet-Nutzer in Burma besteht das Internet vor allem aus Facebook. Die meisten im Land verkauften Mobiltelefone sind für die Nutzung von Facebook bereits vorgerüstet. Innerhalb des Jahres 2017 stieg die Zahl der Facebook-Nutzenden um 29 Prozent auf 20 Millionen Menschen (Facebook in Myanmar, Report, S.13, The Business of a Better World, Oktober 2018).

Nationalistische Buddhisten, mit Rohingya verfeindete buddhistische Rakhine und selbst Militärs und Abgeordnete des Regionalparlaments im Bundesstaat Rakhine verbreiteten auf Facebook jahrelang Hass-Botschaften gegen die Minderheit. Die Nachrichtenagentur Reuters dokumentierte und analysierte mehr als tausend hasserfüllte Posts, die gegen die muslimische Minderheit gerichtet waren. Rohingya werden darin als Hunde, Maden und Vergewaltiger bezeichnet. In den Posts wird gefordert, sie auszurotten, zu vertreiben oder wie Schweine zu behandeln. Fast alle Äußerungen sind in der Landessprache Burmesisch verfasst.

Der Hass gegen Rohingya wird auch von führenden Politikern und Militärs genährt, indem sie den Rohingya Bürgerrechte verweigern, sie entrechten und zu Sündenböcken für viele Probleme im Land erklären. Bei einer Analyse von 4.000 Posts von Politikern der Arakan National Party (ANP), der beliebtesten Partei im Rakhine-Staat, stellte sich heraus, dass in einer von zehn Botschaften Hass propagiert worden sei. Die ANP bekräftigt, die Interessen der Rakhine gegen die muslimische Minderheit zu vertreten. Sie sieht nichts Anrüchiges in den umstrittenen Posts.

Facebook räumte ein, zu spät gehandelt zu haben. „Ich möchte sagen, dass wir wissen, dass wir in den letzten drei Jahren zu langsam Inhalte entfernt haben“, erklärte David Caragliano gegenüber dem US-amerikanischen Medienportal Buzzfeed. Lange Zeit stand zu wenig Personal zur Verfügung, um bei Facebook die burmesischen Inhalte zu überprüfen. Laut Spiegel-Informationen standen nur über einen Dienstleister in Burma wenige Leiharbeiter für diese Arbeit zur Verfügung. Dabei hatte es an Warnungen nicht gefehlt.

 

WhatsApp schürt Konflikte in Nigeria

Auch in Afrika ist die Verbreitung von Gerüchten über Messenger-Dienste ein großes Problem. Besonders in Nigeria heizen solche Meldungen Spannungen zwischen verfeindeten Bevölkerungsgruppen an. Im Konflikt zwischen muslimischen Fulani-Nomaden und überwiegend christlichen Bauern im Zentrum Nigerias haben die Auseinandersetzungen zum Beispiel auch aufgrund von falschen WhatsApp-Nachrichten deutlich zugenommen. Im Januar 2018 warnte die Regierung Nigerias vor einem gefälschten Twitter-Account, der angeblich im Namen der Regierung den Angriff von Fulani auf Christen rechtfertigte. Regelmäßig führen solche Falschmeldungen zu neuer Gewalt. Sie stoßen bei 26 Millionen Facebook-Nutzern in Nigeria auf breite Resonanz.

Der Missbrauch sozialer Medien zeigt, wie wichtig es ist, dass auch in sozialen Medien die Verbreitung von Hass-Botschaften unterbunden wird. Sie haben eine größere Reichweite als traditionelle Medien. Jeder Missbrauch kann viel mehr Schaden verursachen.


Ulrich Delius ist Direktor der Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker.



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