In München treffen sich jeden Samstag uigurische Kinder zum Sprachunterricht. Foto: © Hanno Schedler/GfbV

 

Während die chinesische Regierung die uigurische Sprache verboten hat und bis zu eine Million Uiguren ohne Prozess in Umerziehungslagern verschwunden sind, versuchen Uiguren im Exil, ihre Sprache und ihre Kultur zu bewahren. Bedrohte Völker – Pogrom hat den Verein „Uigurische Mütter in Deutschland“ in München besucht. Er bietet Uigurisch-Kurse und einiges mehr an.

 

Von Hanno Schedler

„Natürlich gibt es Hausaufgaben!“, antwortet Dilnar Hazneci lachend auf die Frage, ob die jungen Uigurinnen und Uiguren auch Zuhause etwas für ihre Muttersprache tun müssen. Hazneci hat im Jahr 2018 gemeinsam mit anderen uigurischen Frauen in München den Verein „Uigurische Mütter in Deutschland e.V.“ gegründet. Ziel des Vereins ist es, den in München aufwachsenden uigurischen Kindern die uigurische Sprache beizubringen. In München leben inzwischen ungefähr 750 Uiguren, deutschlandweit sind es etwa 1.200. Sie mussten vor der Verfolgung durch den chinesischen Staat flüchten. Hier, 6.000 Kilometer entfernt von ihrer Heimat Ostturkestan, das von der chinesischen Regierung „Xinjiang“ genannt wird, haben sie eine Zuflucht gefunden.

Dilnar Hazneci und ihre Mitstreiterinnen wollen dafür sorgen, dass junge Uigurinnen und Uiguren im gemeinsamen Unterricht ihre Muttersprache lernen können. Jeden Samstagvormittag treffen sich inzwischen 87 Kinder im Alter von vier bis 17 Jahren in den Räumlichkeiten des „Ausländischen Elternvereins“ in der Goethestraße, ein paar Gehminuten vom Münchener Hauptbahnhof entfernt.

In vier Gruppen machen die Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrerinnen Sprech- und Grammatikübungen, schreiben Tests und bekommen am Ende des bayerischen Schuljahres Zeugnisse ausgestellt. Hazneci ist überzeugt, dass durch das Erlernen der uigurischen Sprache auch das Deutsch ihrer Schüler verbessert wird: Mit der uigurischen Sprache wird die uigurische Kultur vermittelt. Und wer sich seiner Kultur gewiss ist, wird sich selbstbewusster auf die „andere“, neue Kultur und Sprache einlassen können.

Hazneci erinnert sich an den Tag, an dem die ersten 24 Kinder mit ihren Eltern zum Unterricht in die Goethestraße kamen. Es sei ein sehr emotionaler Tag gewesen, viele Eltern hätten geweint. „Wir waren glücklich, dass wir hier leben und unsere Sprache beibringen können. Auf der anderen Seite sind wir fern von unserer Heimat und viele haben keinen Kontakt mehr zu ihren Verwandten. Sie wissen nicht, ob sie noch am Leben sind oder nicht.“

Mit uigurischen Lehrbüchern lernen die Kinder die Sprache ihrer Eltern und Großeltern. Foto: © Hanno Schedler/GfbV

 

Gülziye Taschmamat ist eine der vielen Uigurinnen und Uiguren, deren Familienangehörige in China verschwunden sind. Die Mutter zweier Kinder floh 2011 nach Deutschland und engagiert sich ebenfalls bei „Uigurische Mütter in Deutschland“. In der Goethestraße liest sie jungen Uigurinnen und Uiguren aus Bilderbüchern vor und spielt mit ihnen. Ihre Schwester hatte in Malaysia studiert und flog im Dezember 2017 nach China, weil sie seit September desselben Jahres ihre Eltern nicht erreichen konnte. Im Januar 2018 erfuhr Taschmamat, dass ihre Schwester in einem der mittlerweile mehr als 1.200 chinesischen Lager festgehalten wird. „Seitdem suche ich meine Schwester. Ich suche überall, aber ich habe keinen Kontakt mehr.“ Bis heute weiß sie nicht, wie es ihrer Schwester geht. Auch die Familie ihres Mannes ist verschwunden.

Elanur Letipmosa hat seit zwei Jahren nichts mehr von ihrer Familie gehört. Sie hat in ihrer Heimat als Chemikerin gearbeitet. In München macht sie eine Ausbildung zur staatlich geprüften Kinderpflegerin und ist eine der Uigurisch-Lehrerinnen in der Goethestraße. Im Jahr 2015 war sie zum letzten Mal zu Besuch in ihrer Heimat. Sie berichtet, wie die Überwachung durch den chinesischen Staat im Alltag der Uiguren ein Klima der Angst erzeugt habe: Jeden Tag seien ihr chinesische Polizisten in Zivil auf Schritt und Tritt gefolgt. Sie habe in der allgegenwärtigen Präsenz der Polizisten nicht über Politik und persönliche Dinge mit ihren Eltern sprechen können.

Damit die uigurische Kultur angesichts der chinesischen Repressionen nicht ausstirbt, sollen wenigstens die Kinder in der Diaspora die uigurische Sprache, uigurischen Lieder und uigurische Traditionen lernen. „Die Kinder sind sehr froh, hierher zu kommen.“ Einige Eltern haben Letipmosa erzählt, dass ihre Kinder sie morgens wecken und antreiben, damit sie schnell zum Samstagsunterricht können.

Elanur Letipmosa, Dilnar Hazneci und Gülziye Taschmamat (v.l.n.r.) mit uigurischen Schulbüchern. Foto: © Hanno Schedler/GfbV

 

Man kann sich kaum vorstellen, wie es sich anfühlen muss, wenn die Mütter, Väter, Schwestern, Brüder oder Großeltern in der Heimat verschwunden sind. Die Aktivistinnen vom „Verein Uigurische Mütter“ sind selbst betroffen. Gleichzeitig versuchen sie, die eigene Sprache und Kultur zu bewahren und Selbstbewusstsein zu vermitteln. Zurück in ihre alte Heimat werden sie voraussichtlich nie können. Die chinesische Regierung schickt diejenigen, die zurückkehren, ins Lager.

Staatspräsident Xi Jinping und seine Kommunistische Partei setzt – in Verletzung der chinesischen Verfassung – auf totale Assimilation: Den Uiguren in China soll ihr Uigurisch-Sein ausgetrieben werden. Sie sollen ihre Sprache nicht mehr an die nächsten Generationen weitergeben dürfen. Sie sollen sich von ihrer muslimischen Religion distanzieren und die Slogans der Kommunistischen Partei auswendig lernen. Der Kontakt zu Familienmitgliedern im Ausland wird systematisch unterbunden. Umso wichtiger ist es, dass die eigene Sprache und Kultur in der Diaspora bewahrt und weitergeben wird. 

Dilnar Hazneci betont, dass der Sprachunterricht nicht das einzige Ziel des Vereins ist. Im Februar findet ein Seminar mit einer Psychologin statt. Bei diesem sollen Frauen, deren Familien in China verschwunden sind, seelische Unterstützung bekommen. Im April wird es einen interkulturellen Jugendtreff geben. Langfristig sollen auch Deutsch- und Englischkurse sowie Hausaufgabenbetreuung angeboten werden. Dilnar Hazneci und ihr Verein haben noch viel vor.


Hanno Schedler ist Referent im Bereich „Schutz der Zivilbevölkerung und Völkermordprävention“ der Gesellschaft für bedrohte Völker.



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