In diesem Schulgebäude befand sich früher die umkämpfte sorbische Mittelschule. Heute wird das Gebäude anders genutzt. Die Grundschule ist in einem benachbarten Bau. Foto: © Marcel Braumann

 

Die Sorben zwischen Freistil-Sprachlernen und Zwängen der Staats-Schulen: Darf man im Zeitalter der Inklusion für „sprachliche Homogenität“ eintreten? Die sorbische Gemeinschaft in Deutschland stellt ihr Bildungssystem auf den Prüfstand.

 

Von Marcel Braumann

Die neue Vorsitzende des sorbischen Kindervereins Zeißig, ein in die sächsische Kreisstadt Hoyerswerda eingemeindetes Dorf, arbeitet in Nachtschicht. In einer Bäckerei, ein gutes Dutzend Kilometer vom Wohnort entfernt, verpackt die engagierte Mutter Brötchen. Der Backwaren-Betrieb ist sorbisch geprägt. Im Kollegen-Kreis dominiert die sorbische Sprache. Ihre persönliche Konsequenz war der Besuch eines Sorbisch-Kurses.

 Auf der vorweihnachtlichen Veranstaltung bei uns im Hoyerswerdaer Domowina-Haus hat mich das Auftreten dieser Frau tief bewegt. Sie nutzt jede Gelegenheit, sich in der noch ungewohnten Sprache auszuprobieren. In Zeißig trifft sich regelmäßig ein Kreis von Menschen zum Sorbisch-Sprechen und -Singen. Unter ihnen ist auch eine hoch betagte, jugendlich wirkende Musiklehrerin, die Sorbisch nicht mit der Muttermilch aufgesogen hat. Sie ist eine Zugezogene. Jetzt singt sie mit den Kindern „Dzens wonja tu“ (nach dem deutschen „Oh, es riecht gut“).

Mein Job ist es, den Müttern und Kindern die sorbische Kinderzeitschrift „Plomjo“ in die Hand zu drücken. Doch die „Flamme“, so heißt der Titel übersetzt, ist bei den meisten schon entzündet – sie haben das Heft bereits. Was in Kindergarten und Grundschule an Sorbisch vermittelt wird, findet hier begeisterte Anwendung.

Schule als Verlernort?

Doch wie sieht es allgemein an den Schulen aus? Als unlängst die Untersuchung der Ergebnisse des Sorbisch-Unterrichts im Nachbarland Brandenburg das Licht der Öffentlichkeit erblickte, war der Schrecken groß: Es gebe zum Beispiel Schüler, die in der 6. Klasse weniger Sorbisch können als im Kindergarten. Schule als Verlernort? In Sachsen ergab die Evaluation der neu eingeführten „2plus“-Methode, bei der Kinder in zwei Sprachen – sorbisch und deutsch – gleichzeitig alphabetisiert werden, schon vor Jahren Ähnliches: Muttersprachliche Kinder wussten am Ende des Schuljahres weniger von ihrer Muttersprache als am Anfang.

Kurz vor Weihnachten 2018 platzte die bildungspolitische Bombe: 14 Leiter sorbischer Institutionen wandten sich in einem Brandbrief an den sächsischen Kultusminister und die Amtskollegin in Brandenburg. Sie artikulierten dringenden Gesprächsbedarf: Es sei „sehr schwer“, überhaupt noch „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit den erforderlichen sorbischen Sprachkenntnissen zu finden.“ Sie stellen die Funktionsfähigkeit des Bildungssystems mit Blick aufs Sorbische infrage.

Unter vielen Sorben mittleren Alters ist eine politisch unkorrekte Überzeugung Konsens: Die schulische Vermittlung souveräner Sprachbeherrschung endete mit der DDR. Eine bittere Ironie. Viele religiös gebundene Sorben hatten mit dem ideologischen Psychoterror in der DDR ihre Not. Mit diesem sollte überzeugten Christen beispielsweise die Jugendweihe aufgenötigt werden. Es gab jedoch die „A-Klassen“, in denen die Unterrichtssprache Sorbisch war. Manchmal besuchten gerade einmal sieben sorbische Schüler diese Klassen.

Nun gibt es nach Meinung einiger auch sorbischer Bildungsexperten eigentlich keine „sorbischen Kinder“ mehr. Sie seien nur noch Zugehörige zu Sprachgruppen: von Gruppe 1 für Kinder auf nahezu muttersprachlichem Niveau bis Gruppe 3 für Kinder, die weder zu Hause noch durch den Kindergarten an Sorbisch herangeführt wurden.

Nach der „2plus“-Methode wird der Sorbisch-Unterricht nach Gruppen getrennt abgehalten. Den Fachunterricht erteilen Lehrer in „ausbalancierter Zweisprachigkeit“. Dort, wo die sorbischen Kinder in der Minderheit sind, bedeutet dies: Man spricht Deutsch. Ausnahmen sind ein paar sorbische Redewendungen und individuelle Sprach-Zulagen für die sorbischen Kinder. Von einem Eintauchen in die Sprache, wie etwa im Kindergarten, wo die Sprache auf natürliche Weise aufgesogen werden kann, oder von „sorbischen Sprachräumen“, kann in vielen Klassenzimmern keine Rede mehr sein.

Der Bildungsausschuss der Domowina, dem Dachverband sorbischer Vereine und Vereinigungen, hat daher vor Jahresfrist einstimmig gefordert, dass künftig wieder auf größere „sprachliche Homogenität“ zu achten sei. Es müsse wieder „sorbische Klassen“ geben. Wir Sorben sind ein Volk per Bekenntnis, nicht per Abstammung. Deshalb gehören in solche Klassen auch Kinder, egal ob deutscher, vietnamesischer oder kurdischer Herkunft. Sie sollen nur innerhalb eines anvisierten Zeitraums so gut Sorbisch können, dass ihretwegen nicht Deutsch geredet werden muss.

Marcel Braumann, der "župan", Vorsitzender des Regionalverbandes, übergibt Kindern bei der vorweihnachtlichen Veranstaltung im Hoyerswerdaer Domowina-Haus die sorbische Kinderzeitschrift „Plomjo“.
Foto: © Werner Sroka

 

Neues Selbstbewusstsein zur Rettung der Sprache

2001 widersetzen sich beim Jahrhundertereignis „Chróšcan zbežk“, „Crostwitzer Aufstand“ hunderte Menschen wochenlang auf dem Schulhof der schrittweisen Schließung der sorbischen Mittelschule in Crostwitz. In dieser dominierte das Sorbische. Die Schule sollte auslaufen – eine fünfte Klasse sollte es im Sommer 2001 nicht mehr geben. Sie hätte nur aus 17 statt der geforderten 20 Schüler bestanden. Die 17 Mädchen und Jungen kamen trotzdem. Unter Begleitung des örtlichen Pfarrers und gegen den Willen von Kultusministerium und Schulbehörde wurden sie von Lehrern im Ruhestand unterrichtet.

Der Kampf ging zwar verloren, aber das daraus erwachsene Selbstbewusstsein wirkt bis heute nach. Unvergessen, als Sorben plötzlich begannen, auf Fragen des MDR-„Sachsenspiegel“ auf Sorbisch zu antworten. Nach dem Motto: Wenn ihr uns einen Sprachraum nehmt, schaffen wir uns neue. Der Fernsehsender musste mit deutschen Untertiteln arbeiten. Das änderte nichts daran, dass eine weitere Mittelschule geschlossen wurde.

Die Antwort der Bürgermeister auf die staatlich vorgegebenen, aber oft nicht mehr erreichbaren Mindestschülerzahlen lautete damals: Lasst uns eine zentrale, neue Mittelschule für alle bauen! Wir, „das Volk“, lehnten das ab. Stattdessen haben wir nun „gemischte Klassen“ („2plus“), die nur dort gesicherte sorbische Sprachräume bieten, wo man den Mut hat, diese durchzusetzen. So gilt die sorbische Grundschule Crostwitz als „rein sorbische“. Dabei integriert sie inzwischen bis zu 50 Prozent Kinder, die bei der Einschulung nicht zur Sprachgruppe 1 gehören.

Viktor Zakar, Chef des Witaj-Sprachzentrums in der brandenburgischen Niederlausitz, rechnete Ende 2018 vor, dass die Zahl der Familien zunimmt, in denen Niedersorbisch gesprochen wird. Auch in der sächsischen Oberlausitz komme ich zu ähnlicher Schätzung. Diese lässt sich beispielhaft an der sorbischen Grund- und Oberschule (früher Mittelschule) Räckelwitz beobachten. Dortige Lehrer berichten mir: In den oberen Klassen sind Deutsche in der Mehrheit, in den unteren Sorben. Das hat mit Rückkehrern, bewussterem Sprachverhalten (wir sagen anerkennend mit Augenzwinkern: „unsere jungen Patrioten“) und größerer Kinderzahl bei sorbischen Familien zu tun.


Marcel Braumann ist Vorsitzender des Bildungsausschusses, Mitglied des Präsidiums und Regionalverbandsvorsitzender Hoyerswerda des sorbischen Dachverbandes Domowina.



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