Im Zuge der Assimilationspolitik in Japan waren die Ainu gezwungen, ihre Sprache und andere Elemente ihrer kulturellen Identität aufzugeben. Foto: Cactusbeetroot/Flickr CC BY-NC 2.0

 

Ainu ist die Sprache der gleichnamigen indigenen Bevölkerung Nordjapans und der Kurilen. Doch sie droht zu verschwinden. Ein Verbot der Sprache und die massive Diskriminierung des gesamten Volkes hat kaum einen Muttersprachler übriggelassen. Doch vielleicht verheißen das Jahr der indigenen Sprachen sowie Sprachunterricht an öffentlichen Schulen und Universitäten doch noch ihre Rettung.

 

Von Alina Loup

Linguisten präsentieren traurige Zahlen: Schätzungsweise die Hälfte der rund 6.000 Sprachen weltweit werden bis Ende des Jahrhunderts verschwunden sein. Die Gründe für das Sprachensterben sind vielfältig – von einstiger Kolonialisierung, Diskriminierung und Stigmatisierung über Naturkatastrophen, Völkermorde bis hin zur Globalisierung.

Im Falle der Ainu-Sprache wird das Ausmaß des Sprachensterbens deutlich: Lediglich 304 der schätzungsweise etwa 30.000 bis 50.000 in Japan lebenden Ainu gaben in einer 2006 durchgeführten Umfrage an, der Ainu-Sprache mächtig zu sein – Tendenz sinkend. Es bräuchte eine staatliche Initiative, etwa in Form eines einheitlich an japanischen Schulen und Universitäten eingeführten Sprachunterrichts, um den Ainu bei der Revitalisierung ihrer Sprache zu helfen.

Ein Volk verliert seine Rechte

Doch wie konnte es so weit kommen, dass die Ainu um den Erhalt ihrer Sprache bangen müssen? Eine lange Geschichte der Diskriminierung und Assimilation ging dieser Situation voraus.

Das 19. Jahrhundert leitete auf Ezo, wie die heute als Hokkaido bekannte nördlichste Insel Japans bis zu ihrer Annexion 1869 hieß, das Ende der traditionellen Lebensweise der Ainu ein. Bereits seit dem 14. Jahrhundert drängten die japanischen Bewohner der Hauptinsel Honshu vermehrt Richtung Norden. Dort lebte das Volk der Ainu seit jeher im Einklang mit der Natur und verehrte seine Götter in Form von Tieren und den Naturgewalten.

Mit dem am 2. März 1899 verabschiedeten Hokkaido Former Aborigines Protection Act (dt. etwa: „Schutzgesetz für die ehemaligen ersten Bewohner Hokkaidos“) änderte sich das gewohnte Leben der Ainu endgültig: Das Gesetz sah nicht etwa den Schutz der Ainu und ihrer Kultur und Sprache vor – vielmehr verbarg sich hinter ihm eine aktiv betriebene Assimilationspolitik, deren Auswirkungen bis heute anhalten. Unter dem damaligen Gesetz war es den Indigenen Hokkaidos verboten, die Ainu-Sprache zu benutzen. Außerdem verloren sie ihr Recht auf Land, Fisch- und Walfang und das Tragen traditioneller Tätowierungen.

Heute leben viele Ainu in Armut. Nur wenige von ihnen haben eine akademische Ausbildung genossen. Auf dem Arbeits- und Heiratsmarkt treffen viele immer noch auf Vorurteile. Insbesondere auf Hokkaid? sind die Hürden bei der Arbeitssuche oft am größten. Deswegen zieht es einige Ainu in die Hauptstadt Tokyo und in andere Städte auf der Hauptinsel Honshu. Dort können sie ihre Ainu-Identität verbergen.

Doch bei allen Entscheidungen, die die politische und rechtliche Zukunft der Ainu betreffen, beziehen sich die Gesetzesschreiber häufig lediglich auf die auf Hokkaido lebenden Ainu. Diejenigen, die aufgrund von Diskriminierung die Heimat ihrer Vorfahren verlassen haben, fallen aus dem Raster.

Forderungen nach einem Ainu-Sprachgesetz

Ursprünglich war die Ainu-Sprache eine rein mündlich überlieferte Sprache ohne eigenes Schriftsystem. Sie ist nach heutigem Erkenntnisstand nicht mit dem Japanischen verwandt. Sie gilt als isolierte Sprache, deren Ursprünge bis heute umstritten sind. Diese Umstände sorgten mit dem damaligen Verbot der Ainu-Sprache dafür, dass sie mittlerweile in ihrer Existenz bedroht ist – und damit auch das Wissen um Kultur, Geschichte und Religion der Ainu.

Auch wenn das Lehren und Sprechen der Ainu-Sprache heutzutage nicht länger verboten ist – es fehlt an Muttersprachlern, die ihre Sprache an die nächste Generation weitergeben und an Möglichkeiten, die Sprache im Alltag zu nutzen. Zwar gibt es eine wachsende Anzahl an Ainu-Lehrbüchern, Sprachwettbewerben und eine in Ainu geführte Radiosendung. Aber die junge Ainu-Generation wächst in einer stark japanisch geprägten Gesellschaft auf. Es gibt kaum äußere Anreize, die eigene Kultur zu erforschen – zumal die Angst vor Diskriminierung immer noch präsent ist.

Shiro Kayano, Direktor des Nibutani Ainu Museums, fordert daher den Erlass eines Ainu-Sprachgesetzes. Es soll die Errichtung eines Sprachraumes vorsehen, in dem Ainu als zweite Amtssprache genutzt wird. Sobald wichtige Dokumente in Ainu verfasst würden, ergäbe sich automatisch die Notwendigkeit, die Sprache zu erlernen. Die japanische Regierung käme nicht länger darum herum, Sprachunterricht an öffentlichen Bildungseinrichtungen einzuführen.

Das historische Siedlungsgebiet der Ainu ist die Insel Hokkaido. Heute gibt es noch etwa 15.000 Ainu auf Hokkaido, von denen nur noch sehr wenige ihre angestammte Sprache sprechen. Foto: Arnold Platon / Wikipedia CC BY-SA 3.0

 

Zwei Grundschulen gehen als gutes Beispiel voran

In puncto Ainu-Sprachunterricht besteht noch viel Handlungsbedarf. Zwei inspirierende Pilotprojekte lassen jedoch hoffen: Der Hokkaido Biratori Nibutani-Grundschule und der Chitose Suehiro-Grundschule ist die Integration von Ainu-Sprach- und Kulturunterricht vor Jahren bereits erfolgreich gelungen. In Kooperation mit Eltern und Anwohnern lernen die Kinder hier bereits früh über die indigene Kultur, die ihre Umgebung prägt. Sie entdecken die Sprache anfangs spielerisch über traditionelle Lieder, Speisen und Spiele.

Die Ainu-Sprache und Kultur steht an der Chitose Suehiro-Grundschule bereits seit 1996 auf dem Lehrplan. Die Hokkaido Biratori Nibutani-Grundschule tat es ihr 2015 gleich. Auch an der Sapporo Universität in der gleichnamigen Stadt auf der Insel Hokkaido können Studierende ihren Ainu-Ursprüngen und der Sprache ihrer Vorfahren im Urespa Club auf den Grund gehen.

Außerhalb dieser Bildungseinrichtungen bleibt den meisten Ainu ein öffentlicher Zugang zum Erlernen ihrer Sprache jedoch weiterhin verwehrt. Auch in der Hauptstadt Tokyo bilden private Sprachkurse für viele die einzige Möglichkeit, die Sprache zu erlernen.

Das Jahr der indigenen Sprachen

Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2019 zum Jahr der indigenen Sprachen auserkoren. Die internationale Kampagne will auf die Vielfalt an Sprachen und Kulturen, aber auch deren Bedrohung in unserer Welt aufmerksam machen. Für Japan wäre 2019 die Gelegenheit, ein Zeichen zu setzen und die Sprache und Kultur der Ainu in ihrer Gesellschaft zu akzeptieren. Ein erster Schritt wäre es, den Beispielen der Chitose Suehiro- und Hokkaido Biratori Nibutani-Grundschule zu folgen und Ainu-Sprachunterricht in den Unterrichtsplan an öffentlichen japanischen Schulen zu integrieren.

In unserer global vernetzten Welt gilt das Erlernen der Sprachen unserer Handelspartner als eine der Schlüsselkompetenzen für wirtschaftlichen Erfolg. Doch das Erlernen einer Sprache kann mehr als kapitalistisch motiviert sein. Sprachliche Brücken ermöglichen den Einblick in fremde Kulturen, deren Komplexität, Werte- und Moralvorstellungen. Sie rauben Vorurteilen das Fundament und sind der erste Schritt für ein friedliches Miteinander – auch auf nationaler Ebene.

Während die japanische Regierung einst versuchte, über das Verbot der Ainu-Sprache die indigene Kultur zu assimilieren, ebnet die gezielte Förderung und Revitalisierung dergleichen den Weg für eine Gesellschaft, in der die Kultur der Ainu als gleichwertiges nationales Kulturgut respektiert wird. Das Jahr der indigenen Sprachen wäre der perfekte Zeitpunkt dafür.


Alina Loup studiert Japanologie und englische Literatur und Linguistik an der Universität zu Köln. In ihrer Bachelorarbeit beschäftigt sie sich aktuell mit der Ainu-Sprache und arbeitet nebenbei als Illustratorin und Texterin.



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