Taos Pueblo ist wohl die älteste, durchgängig bewohnte Siedlung in den USA. Die Häuser sind aus Lehm gebaut und mehrere Stockwerke hoch. Dabei bilden die Dächer der unteren Etagen Terrassen für die oberen Stockwerke. Bild: Andy Smith via Flickr CC BY-NC-ND 2.0

Völkerverständigung? Ehrliches Interesse an fremden Kulturen? Die Suche nach Exotik? Oder gar der Anspruch, Entwicklungshilfe zu leisten? Tourismus bei indigenen Völkern hat viele Facetten.

von Yvonne Bangert

Der San Geronimo Day im indianischen Dorf Taos Pueblo am Rio Grande in New Mexiko im Südwesten der USA ist ein hoher Feiertag. San Geronimo ist der Schutzpatron des Pueblo (Pueblo = Dorf und zugleich Volk). Jedes Jahr wird er Ende September mit Umzügen, Tänzen und allerlei Schabernack der Koshare-Tänzer gefeiert. Koshare haben eine ähnliche Funktion wie Clowns oder Hofnarren. Sie genießen Narrenfreiheit. Bürger des Pueblo bekommen von ihnen den Spiegel über ihre Verfehlungen des zurückliegenden Jahres vorgehalten. Nicht-indigene Gäste sind geduldet, solange sie sich an die Spielregeln halten. Das heißt, die Tänzer nicht behindern, sich respektvoll verhalten und das Verbot, zu fotografieren oder zu filmen, beachten. Wer sich nicht daran hält, wird von den Koshares mit viel Gejohle über den Dorfplatz gejagt und bekommt vorübergehend die Kamera weggenommen, damit die Aufnahmen vernichtet werden können.

Taos Pueblo wirkt auf den ersten Blick wie ein kommerzielles indianisches Disney Land. Kaum ein Bildband über den Südwesten der USA, in dem keine Fotografien der mehrstöckigen, in der Adobe-Lehmbautechnik errichteten Dorfhälften zu sehen sind, die sich am Dorfplatz gegenüberliegen. Ein striktes Regelwerk grenzt die Bewegungsfreiheit und den Handlungsrahmen der Touristen jedoch ein:


  1. Bitte respektieren Sie die Hinweise auf innerhalb des Ortes gesperrte Gebiete. Sie dienen dem Schutz der Privatsphäre unserer Bürger und der Stätten, an denen wir unsere Religion praktizieren.

  2. Wir bitten Sie, nur diejenigen Gebäude zu betreten, die eindeutig als Läden und Geschäfte gekennzeichnet sind; alle anderen Gebäude sind nicht für die Öffentlichkeit zugänglich.

  3. Bitte fotografieren Sie keinen Taos Pueblo ohne seine Erlaubnis.

  4. Fotografieren in der San Geronimo-Kirche ist grundsätzlich verboten.

  5. Bitte respektieren Sie unseren Friedhof und betreten Sie ihn nicht. In seinen Grenzen befinden sich auch die Überreste der alten Kirche. Das Gebiet ist durch eine Adobe-Mauer erkennbar.

  6. Gehen Sie nicht in den Fluss, er ist unsere einzige Trinkwasserquelle.

  7. Zu guter Letzt: Wir heißen Sie in unserem Zuhause willkommen; bitte respektieren Sie es als sei es Ihr eigenes.

Taos Pueblo ist nicht rund um die Uhr und nicht in allen Bereichen für Touristen zugänglich. Besucher müssen Eintritt und eine Gebühr für Fotos zahlen. Was auf den ersten Blick wie schnöde Geschäftemacherei wirkt, dient der Erwirtschaftung eines wichtigen Teils des Einkommens der Taos Pueblos und der Abgrenzung von privaten Bereichen innerhalb des Dorfes ausschließlich für seine Einwohner.

In New Mexiko gibt es 19 Pueblos. Jedes der Dörfer bildet mit dem umgebenden Land ein kleines Reservat. Sie nutzen unterschiedliche Möglichkeiten, um einerseits vom Tourismus zu profitieren und sich andererseits vor Zudringlichkeiten und Respektlosigkeiten von Fremden zu schützen. Einige Pueblos unterhalten Hotels in Städten wie Santa Fe und Albuquerque oder Casinos auf ihrem Land. Dadurch generieren sie Einkommen und Jobs. Beides lebt vor allem von Touristen.

Aus den Wohnbereichen der jahrhundertealten Dörfer halten die meisten Pueblos Touristen heraus. Verständlich, schließlich würde es wohl niemandem von uns gefallen, wenn Fremde einzeln oder in Gruppen ungefragt durch unser Wohnzimmer traben und unser Zuhause abfotografieren würden. Manche Pueblos kanalisieren die Touristengruppen, indem sie Museen und Läden für ihr Kunsthandwerk außerhalb der eigentlichen Dörfer an den Zufahrtsstraßen errichten, oder sie nur zu bestimmten Anlässen für Fremde öffnen.

Acoma Pueblo ist auch als Himmelsstadt bekannt. Sie liegt etwa 120 Meter über der Steppe. Die meisten Acoma leben heute jedoch nicht mehr auf dem Tafelberg, sondern in der Ebene. Bild: Marshall Henrie via Wikipedia Commons CC BY-SA 3.0

Acoma Pueblo, eine bekannte Touristenattraktion, die sich mit dem Label Sky City vermarktet, lässt nur geführte Gruppen in das historische, auf einem Tafelberg gelegene Dorf. Dort oben liegen auch die Kivas, für die Religionsausübung der Pueblo-Völker wichtige Zeremonie- und Versammlungsräume, die für nicht-initiierte Menschen tabu sind. Die Führer achten daher sehr darauf, dass niemand die Gruppe verlässt. Die meisten Familien haben in der Ebene zu Füßen des Felsens neue Häuser gebaut. Dort liegt auch das Besucherzentrum für Touristen mit einem Museum, Souvenirshop und Gastronomie. Hier können sich alle informieren, die keinen Platz in einer der geführten Gruppen bekommen haben. 

Auch das qualitativ hochwertige Kunsthandwerk ist seine manchmal hohen Preise wert und wird als Kunst gesammelt. Traditionell getöpferte, in handgesetzten Öfen gebrannte und mit selbst hergestellten Farben bemalte Keramiken, gewebte Teppiche oder der für den Südwesten typische Silberschmuck sind Handarbeit. Die indigenen Produzenten werden in Listen geführt und kennzeichnen ihre Erzeugnisse mit einem individuellen Logo. So kann jeder Interessent ein Original vom imitierten Billigprodukt aus Mexiko oder Fernost unterscheiden und so die indianischen Produzenten unterstützen und einen Beitrag zum Erhalt ihrer Kultur leisten.

Wer in den USA indigenen Schmuck oder Handwerksgegenstände kaufen möchte, … Bild: Johanna Fischotter
… sollte auf das eingravierte Signet achten. Auch für das ungeübte Laienauge ist es ein sicherer Indikator, um das Original vom Imitat zu unterscheiden.
Bild: Johanna Fischotter

Vom Mythos des sanften Tourismus

Der sogenannte sanfte oder nachhaltige Tourismus ist nicht automatisch besser als Massentourismus, denn er schützt die Indigenen nicht vor der Kommerzialisierung ihrer Lebenskonzepte. Die UN riefen 2017 zum Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung aus. Kritisch setzen sich damit die Tourismusexpertin Anita Pleumarom und Chee Yoke Ling, Direktorin des Third World Network, in einem über die Global Forest Coalition verbreiteten Aufsatz auseinander (nachzulesen unter: www.socialwatch.org/node/17308). In dieser Koalition sind NGOs und Organisationen indigener Völker zusammengeschlossen, die sich weltweit für den Schutz der Wälder und für soziale Gerechtigkeit einsetzen. Das internationale Jahr des nachhaltigen Tourismus führe in die Irre, heißt es in dem Aufsatz. Es verdecke die wirklichen Folgen des Tourismus gerade für indigene Völker und für den Klimaschutz. Weit entfernt davon, Armut zu bekämpfen oder die Ziele nachhaltiger Entwicklung zu fördern, seien die meisten touristischen Unternehmungen eher negativ belastet zum Beispiel durch die Förderung von Ungleichheit, durch Menschenrechtsverletzungen, kulturelle Erosion, Verschlechterung der Umweltbedingungen und Gefährdung des Klimagleichgewichts.

Der Reiz dieser Art von Tourismus liege gerade darin, in zerbrechliche Ökosysteme und angestammte Ländereien indigener Völker zu führen. Das könne nicht nur den Verlust an Biodiversität und kulturellem Erbe mit sich bringen, sondern gehe in der Regel auch mit Langstreckenflügen und den damit verbundenen Belastungen für das Klima einher. Außerdem werde dieser Tourismus meist von großen auswärtigen Unternehmen betrieben, nicht von kleinen oder gar den Indigenen selbst. Die Zerstörungen blieben im Land, die Gewinne würden ins Ausland abfließen. Öffentliches Land werde privatisiert und an Investoren für Luxus-Tourismus aus dem Ausland verkauft. Das führe zu Vertreibung und Entmachtung der einheimischen Bevölkerung. Diese stark deregulierte Wirtschaftsform bringe Preissteigerungen und Spekulation und damit hohe Risiken für die lokale Wirtschaft, die heimische Lebensweise und die Sozialstrukturen.

Weiter heißt es im Artikel, die Tourismusorganisation der UN (UN World Tourism Organization / UNWTO) befasse sich nicht ausreichend mit den ungerechten und unhaltbaren Folgen des Tourismus. Sie versuche, den sogenannten nachhaltigen Öko-Tourismus als Problemlösung zu propagieren. Zuerst aber sei es nötig, Gesetze und Regeln in Kraft zu setzen, die wirksam die lokale Bevölkerung und ihre Gemeinschaften vor den schädlichen Auswirkungen des Tourismus schützen. Dazu müssten auch Mechanismen gehören, welche Reise- und Tourismusunternehmen zu Entschädigungen für negative soziale Folgen und etwaige Umweltschäden verpflichten.

Kritische Stimmen zum Tourismus bei indigenen Völkern findet man auch über die in Belgien entstandene Facebook-Seite der Indigenous Tourism Organisation. Über sie sind indigene und nicht-indigene Organisationen vernetzt und tauschen sich zum Thema Tourismus aus. Nur wenn die Indigenen selbst die Regie darüber haben, welche Teile ihrer Kultur sie zeigen wollen und welche nicht, wie viele Fremde sie wie lange bei sich beherbergen wollen und erst, wenn Reisende und Tourismusunternehmen diese Entscheidungen respektieren, wird man von einem gleichberechtigten Miteinander von Reisenden und Bereisten sprechen können.


Yvonne Bangert ist seit 1980 bei der Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker zunächst als Redakteurin der Zeitschrift „bedrohte Völker – pogrom“ und seit etwa zehn Jahren als Referentin für indigene Völker beschäftigt.


GfbV-Zeitschrift im Abo

Wir würden uns besonders darüber freuen, wenn Sie unsere Zeitschrift regelmäßig lesen möchten: Das Abonnement umfasst sechs Ausgaben im Jahr und kostet inklusive Versand 25 Euro pro Jahr (ermäßigt 20 Euro).

Jetzt Zeitschrift abonnieren oder kostenloses Probeheft anfordern.


Lesen Sie weiter