FUEN Präsident Loránt Vincze bei dem offiziellen Start der Minority SafePack Initiative am 19.Mai 2017. Bild: FUEN

FUEN Präsident Loránt Vincze sprach am 14. Januar 2018 mit Jan Diedrichsen über die Aufgaben, Probleme und Ziele des größten Dachverbandes der europäischen Minderheiten.

Als Dachverband der europäischen Minderheiten hat die FUEN mit der Minority SafePack Initiative politisch den ersten Schritt zur Förderung und dem Schutz europäischer Minderheiten gemacht. Warum tut sich Brüssel mit den Minderheiten so schwer?

Vincze: Wir sprechen hier von über 50 Millionen Bürgern der Europäischen Union, die einer autochthonen, nationalen Minderheit angehören oder eine Minderheitensprache sprechen. Seit der Gründung der EU, was vor allem aus wirtschaftlichen Gründen geschah, wurden diese Menschen und ihre Bedürfnisse ignoriert. Die Verantwortung für die Anerkennung und den Schutz der Minderheiten tragen die Mitgliedsstaaten. Würden alle Mitgliedsstaaten dabei ihr Bestes tun, wäre das auch gar kein Problem. Dem ist aber leider nicht so. Die Rechte von Minderheiten sind in vielen Staaten tagtäglich bedroht. Die Welt verändert sich. Die EU wird vielseitiger, sie entwickelt sich. Wir können einfach nicht akzeptieren, dass Minderheitenangehörige wie Bürger zweiter Klasse behandelt werden.

 

Was fordern Sie ganz konkret?

Unser oberstes Ziel ist ein rechtlicher, europäischer Rahmen zum Schutz der nationalen Minderheiten, der die langfristigen Rechte und die Entwicklung der Minderheiten garantiert. Dies würde die kleinen und gefährdeten Sprachen und unser kulturelles und sprachliches Erbe in Europa schützen. Dieses Erbe ist ein Reichtum, das mehr als eine kurze Phrase in einem netten europäischen Motto „Einheit in der Vielfalt“ verdient hat. Es braucht Maßnahmen, Strategien und Finanzierung. Ein Projekt ist zum Beispiel, ein neues EU-Zentrum der sprachlichen Vielfalt für die kleineren und weniger genutzten Sprachen zu gründen. Sie brauchen die europäische Unterstützung, um überleben und stärker werden zu können. Darum geht es bei der Minority SafePack Initiative (MSPI).

 

Die Bedürfnisse von Minderheiten sind sehr unterschiedlich. Die Ungarn in Rumänien haben andere Anliegen als etwa die Saterfriesen. Wie schafft es die FUEN, allen gerecht zu werden?

Minderheiten in Europa leben in sehr unterschiedlichen Situationen. Das Spektrum reicht von jenen, die in dem Staat, in dem sie leben, nicht einmal anerkannt sind – wie etwa die Türken in Griechenland oder die Okzitanier, die Bretonen und die Elsässer in Frankreich. Bis hin zu denen, die die ganze Palette an Kollektivrechten und Autonomie besitzen: Etwa die Südtiroler in Italien, die Deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien oder die Schwedenfinnen. Die Ungarn in Rumänien haben Individualrechte für Minderheiten. Aber es kommt einem Verbrechen gleich, vor den rumänischen Behörden über Autonomie oder selbstverwaltete Institutionen zu sprechen. Ich könnte die verschiedenen europäischen Regionen erwähnen, die verschiedene Perspektiven auf Minderheiten haben, wie etwa die Ukraine, die Westbalkan- oder die Kaukasus-Region. Die FUEN agiert als die gemeinsame Basis für alle. Wir haben für sie spezielle Projekte und wir streben danach, ihnen und ihren Bedürfnissen eine starke Stimme in Europa zu geben – basierend auf Solidarität. Wir sind in den wichtigsten europäischen Institutionen, im Europarat, in der OSCE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Anm. d. Red.), im Europaparlament und im Europäischen Ausschuss der Regionen vertreten. Außerdem intervenieren wir zwischen den nationalen Mächten und der Minderheit, wenn unsere Mitglieder um Hilfe fragen.
Natürlich ist die Minority SafePack Initiative nicht das einzige Projekt der FUEN. Aber sie ist in diesem Fall ein gutes Beispiel, weil sie ein bedeutsames Projekt für alle ist. Sogar für die Minderheiten, die zufrieden mit ihren aktuellen Ländern sind. Es wäre eine Versicherung der EU für die Zukunft, dass ihnen ihre Rechte nicht genommen werden können, selbst wenn es politische Veränderungen in den Mitgliedstaaten gäbe. Sie zielt auch darauf, die auf EU-Ebene am besten funktionierenden Beispiele zu zeigen und diese auch in anderen Mitgliedstaaten zu fördern.

Foto: FUEN
Die Schönheit der bunten Vielfalt in Europa symbolisieren diese Luftballons. Foto: FUEN

Was bietet die FUEN ihren Mitgliedern?

Unsere 1949 gegründete Organisation ist mit mehr als 95 Mitgliedsorganisationen aus 35 europäischen Ländern der größte Dachverband von autochthonen Minderheiten in Europa. Viele dieser Gemeinschaften sind politisch, wenn überhaupt, sehr schwach vertreten. Für sie ist die FUEN die einzige Organisation, die ihnen in Europa Gehör verschafft. Wir sind stark mit den europäischen Institutionen vernetzt, leisten weitreichende Lobbyarbeit und repräsentieren unsere Mitglieder auf europäischer, regionaler und bilateraler Ebene. Wir bringen Projekte im Interesse der Minderheiten auf den Weg. Die FUEN dient auch als Treffpunkt, wo die besten Vorgehensweisen ausgetauscht werden können und wo Repräsentanten mit dem gleichen Ziel zusammenarbeiten können, wie in den Deutsch-, Slawisch- oder Türkischsprachgruppen oder der Arbeitsgruppe der nicht etablierten Minderheiten.

 

In der Vergangenheit wurden Frankreich und Griechenland oft als die „Bad Boys“ betrachtet, wenn es um den Schutz von Minderheiten in Europa ging. Stimmt das heute noch so – oder wo treffen die Minderheiten auf besondere Schwierigkeiten?

Erst vergangene Woche hat der rumänische Premierminister (mittlerweile Ex-Premierminister, Anm. d. Red.) etwas Schreckliches über die Flagge der ungarischen Minderheit in Rumänien gesagt: „Wenn eine dieser Flaggen an öffentlichen Institutionen hängt, werden die Verantwortlichen daneben hängen.“ Trauriger Weise prangerte die Mehrheit die Worte des Premierministers nicht an. Dagegen behauptet Rumänien immer noch, dass sein Schutz der Minderheiten vorbildlich sei. Aber wie kann es sein, dass ein Staatschef eines EU-Staates solch abscheuliche Dinge ungestraft sagen kann? In Griechenland haben die Menschen Angst, die MSPI zu unterschreiben. Auf dem Baltikum haben viele Angehörige einer Minderheit nicht einmal die Staatsbürgerschaft des Landes, in dem sie leben. Und dann sind da noch die unzähligen Probleme in den Ländern, die nicht zur EU gehören. Leider ergreifen die Regierungen von Rumänien, Griechenland und manchmal auch der Slowakei jede Gelegenheit, sich dem Versuch, über die Rechte von Minderheiten auf EU-Ebene zu sprechen, entgegenzustellen. In Frankreich gibt es von höchster Stelle politische Versprechen, dass Paris endlich die Sprachencharta (s. S. 15 Anm. d. Red.) unterschreiben und ratifizieren will. Wir werden sehen. Das wäre meiner Meinung nach absolut bahnbrechend.

 

Wo funktioniert das Zusammenleben von Minderheiten und der Mehrheit besonders gut? Gibt es Möglichkeiten, voneinander zu lernen?

In den Ländern, in denen die Mehrheit verstanden hat, dass ihnen nichts genommen wird, wenn sie Minderheiten Rechte gewähren, funktioniert die Koexistenz der Gemeinschaften gut. Die wirtschaftliche Situation verbessert sich exponentiell und zufriedene Minderheiten sind loyale Bürger. Italien, Deutschland, Dänemark, Österreich, Finnland und Belgien sind die klassischen guten Beispiele. Aber auch einige osteuropäische Staaten machen ernsthafte Fortschritte in dieser Angelegenheit – zuletzt Mazedonien, das Albanisch als zweite Amtssprache einführte, oder Kroatien, Slowenien und Serbien, die aus ihrer Geschichte gelernt haben und ihren Minderheiten mehr Rechte zugestehen.

Der Austausch funktioniert am besten auf wirtschaftlicher Ebene. Auch der Umweltschutz in der EU klappt gut. Es wäre toll, die gleichen Möglichkeiten auch beim Schutz von Minderheiten zu sehen. Wir wären überrascht, was alte Mitgliedstaaten von nicht-EU-Staaten lernen können.

Foto: FUEN
Die Anerkennung der Minderheitensprachen ist für die FUEN schon lange ein zentrales Thema. Foto: FUEN

Sie sind Ungar aus Rumänien. Was würden Sie sich persönlich von dem rumänischen Präsidenten Klaus Johannis wünschen, von dem bekannt ist, dass er der deutschen Minderheit in Rumänien angehört?

Ein wenig Empathie wäre für eine Veränderung schön. Die ungarische Gemeinschaft verknüpfte große Hoffnungen mit Herrn Johannis. Aber als Repräsentant des Staates wiederholt er nur das offizielle Statement, Rumänien sei ein gutes Beispiel für den Schutz von Minderheiten – obwohl die größte Minderheitengruppe in Rumänien, die 1,2 Millionen Ungarn, das Gegenteil beteuern. Herr Johannis sagte zuletzt über sich selbst, er sei Rumäne mit deutschen Wurzeln. Das ist ein tolles Beispiel für Selbst-Assimilation. Die Individualrechte, die in Rumänien zur Verfügung gestellt werden, mögen für die kleineren Minderheiten wie Deutsche, Kroaten oder Italiener mit ihren paar Tausend Angehörigen ausreichen und sie zufriedenstellen. Aber die ungarische Minderheit, die eine komplett eigene Gemeinschaft bildet, streben zurecht nach Kollektivrechten und Autonomie. Der Präsident hilft den Minderheiten mit seinem Statement nicht nur nicht, er versucht auch immer zu vermeiden, über Minderheiten zu sprechen. Folglich vermindert er sogar unsere Möglichkeiten. Die Leute mögen fragen, über was für Probleme ich überhaupt spreche, wenn sogar der Präsident aus einer Minderheitengruppe kommt.

 

Zuletzt ein Blick in Richtung Zukunft. Wie schätzen Sie die Chancen von Minderheiten ein, in Zukunft mit ihren Forderungen Gehör zu finden?

Europa verändert sich von Tag zu Tag, nicht immer in die Richtung, die wir gerne hätten. Aber jede Veränderung birgt für uns auch immer Chancen. Wir können für uns ein besseres Europa erreichen, wenn wir dort präsent sind, wo die Entscheidungen über unsere Gemeinschaften fallen. Wenn wir unsere Vorschläge parat haben und wissen, wie wir für sie kämpfen. Europa kann bei den Forderungen von autochthonen Minderheiten nicht neutral bleiben. Es kann die Rolle und die Wichtigkeit, sprachliche und kulturelle Minderheiten zu beschützen, nicht herunterspielen. Wir müssen handeln. Wir müssen konsequent und kontinuierlich arbeiten, um dieses Ziel zu erreichen.


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