Das Osterreiten ist eine sorbische Tradition. Am Ostersonntag reiten die katholischen Männer einer Kirchengemeinde auf festlich geschmückten Pferden in die Nachbargemeinde und verkünden, dass Jesus Christus auferstanden ist. Bild: © Hagens World Photography

Wenn die Goldene Hochzeit im engsten Kreis von 86 Personen gefeiert wird und zur Beerdigung das ganze Dorf erscheint, bleiben Sprache und Kultur lebendig

Von Marcel Braumann

Prenje slowa macerne serbske bechu, lubozne, nihdy njezacpeju je, serbsce recu žiwe dny.“ Die ersten Worte der Mutter waren sorbische, liebliche, niemals verachte ich sie, sorbisch rede ich alle Tage des Lebens. – Dieses Motto des Großvaters meiner Frau Feliks Hajna steht auf dem Becher aus Ton, der über unserem Kamin platziert ist.

Wir zwei reden miteinander nur Sorbisch, unsere Herzenssprache. Insofern kann Feliks Hajna zufrieden sein. Denn als Erfolgskriterium für die Sprachweitergabe gilt schon fast offiziell, dass man es zumindest bis zu den Enkeln schafft. Wir sind auch beim Sorbischen geblieben, als wir zwei Jahre lang zwei Syrer bei uns im Hause hatten. Da war der Abendbrottisch dreisprachig: Wir sprachen untereinander sorbisch, sie miteinander kurdisch, alle zusammen deutsch. Und manchmal schon auch ein bisschen sorbisch, denn sie spielten ein Jahr in einer sorbischen Fußballmannschaft mit und mussten da wissen, dass zum Beispiel der Ruf „pój wróco!“ des Mannschaftskameraden auf dem Spielfeld „komm zurück!“ heißt.

Die Sorben lieben es zu singen, schon Kleinkinder imitieren Osterreiter-Gesänge. Es gibt eine bemerkenswerte Fülle an Chören und jugendlichen Musikgruppen. Hinzu kommen Laientheaterensembles in den Dörfern. Die Quote der kulturengagierten Sorben ist vermutlich im Vergleich zu jeder anderen Population in Europa rekordverdächtig. Damit wird in Eigenregie Raum für das wichtigste Kulturgut geschaffen: die eigene Sprache. Ich selbst bin kein musischer Typ, ich kann nur schreiben. Also habe ich vor zehn Jahren einen sorbischen Blog („Piwarc“ für Brauer, also Braumann) erfunden, in dem ich mich mit dem beschäftige, was unsere kleine und große Welt bewegt.

Im vergangenen Herbst habe ich begonnen, zeitgenössische sorbische Online-Erzählungen zu produzieren, deren Hauptdarsteller Handrij für die Zielgruppe steht: junge Männer. Frauen sind ja traditionell literaturaffiner, da sollte die männliche Hälfte des Kosmos mit bedacht werden. Zumal heute die Mutter- oft die Vatersprache ist, wenn die Partnerin nicht Sorbisch kann.

Obwohl ich kein Vereinsmeier bin, unterstütze ich als Mitglied gleich drei sorbische Vereine – und bin damit allenfalls im Durchschnitt. Die Gesellschaft zur Förderung des Sorbischen Nationalensembles (Name ist Programm), die Macica Serbska, den ältesten sorbischen Verein, der sich der Förderung von Sprache und Kultur verschrieben hat, und den Cyrill-Methodius-Verein der katholischen Sorben, der die auflagenstärkste sorbischsprachige Publikation, den wöchentlich erscheinenden „Katolski Posol“, herausgibt.

Man könnte denken, dass die Dachmarken zeitgenössischer Denke, Zivilgesellschaft und Netzwerkbildung sorbische Erfindungen sind. Deshalb ist ja auch der Dachverband zur Vertretung sorbischer Interessen, die 1912 gegründete Domowina, schlicht das Bündnis derer, die in ihrer Freizeit das Sorbische gesellschaftlich organisieren und politisch vertreten. Sie hat sogar Verbot und Verfolgung in der Nazizeit bruchlos im Untergrund überstanden und war bereits am Tag nach Kriegsende offiziell bei der Besatzungsmacht registriert. Denn die wahre Macht im Sorbenland ist die „serbska swójba“, die sorbische Familie, weshalb auch als erstes nicht nach Beruf und Besitzstand gefragt wird, sondern „ceja“ oder „ceji“, also: Aus welcher Familie kommst du?

Foto: Marcel Braumann
Und auf Sorbisch? In der Stadt Bautzen leben Sorben und Deutsche schon seit mehr als 1000 Jahren zusammen. Alle Straßen und Plätze sind zweisprachig beschildert – oder sollten es zumindest sein … Foto: Marcel Braumann

Wie jemand in die Familie gekommen ist, ob leiblich oder adoptiert, gebürtig oder Migrant, ist weniger wichtig. Denn das Sorbische ist kein „Blut und Boden“-Konstrukt, sondern Bekenntnis und Zugehörigkeit. Die sorbische Erde spielt sprichwörtlich erst nach dem Tod eine Rolle: Njech je jemu serbska zemja lochka!, wird gerne gesagt – möge ihm die sorbische Erde leicht sein.

Das Gütesiegel der „serbska swójba“ ist die Mehrgenerationenpräsenz. Bei runden Geburtstagen Hochbetagter ist die Mehrheit der Gäste mindestens zwanzig, dreißig Jahre jünger als das „Geburtstagskind“. Die Goldene Hochzeit meiner Schwiegereltern fand im „engsten Familienkreis“ statt: mit 86 Personen. Wird jemand zu Grabe getragen, ist es üblich, dass mehr oder weniger das ganze Dorf zur Beerdigung erscheint. Man nimmt sich Zeit füreinander.

In unserem 300-Einwohner-Dorf Luga gibt es nur wenige sorbische Familien. Aber wenn die Osterreiter-Prozession durch unseren Ort zieht, wird sie von drei sorbischen Fahnen begrüßt: Eine wird von Bewohnern des ehemaligen Gutshauses aufgehängt, eine von uns – und die am Sportplatz offiziell von der Gemeinde Neschwitz. Das haben wir uns vor ein paar Jahren so gewünscht, und das Rathaus erfüllt diesen Wunsch seither beständig.

Anfeindungen wegen des Sorbischen im Alltag haben wir persönlich noch nie erlebt. Uns blieben Begegnungen des Typs „Hier wird deutsch gesprochen!“ erspart. Was ich gelegentlich wahrnehme, wenngleich nicht in unserer unmittelbaren Umgebung, ist die Kritik, die Sorben würden sich zu sehr nach außen hin abkapseln, wollten unter sich bleiben. Das korrespondiert in merkwürdiger Weise mit der immer noch fortlebenden Realität, dass im Regelfall – ob zwei oder zehn –Sorben aufhören, sorbisch zu sprechen, sobald ein Deutscher hinzutritt – der „im Normalfall“ der sorbischen Sprache nicht mächtig ist. Gerade weil wir so hochgradig höflich und gastfreundlich sind, möchten wir aber auch Gelegenheiten haben, in unserer Sprache sprudeln und schwimmen zu können.

Neulich hat die niedersorbische Zeitschrift „Nowy Casnik“ am selbstbewussten Umgang mit einem aktuellen Diskriminierungsfall kommentiert, dass „Beutesorben“, also Menschen, die nicht ins Sorbische hineingeboren, sondern erst später hinzugekommen sind, unbelastet vom Erbe der Erniedrigungen vergangener Zeiten auftreten können. Das trifft auch auf mich zu. Deshalb erhebe ich mit meinen Bemerkungen keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.

Wie im Deutschen mit den Klagen übers „Denglisch“ haben wir auch im Sorbischen eine Sprachqualitätsdebatte. Wer das Sorbische liebt, möchte es nicht zu einer Kopie des Deutschen mit sorbischem Vokabular herabsinken lassen. Der Ton macht die Musik, nicht allein die Noten. Die slawische Melodie, eigene Sprachbilder und das „sorbische Denken“ sollen auch in hundert Jahren in der Lausitz lebendig sein.

Gerade mehr und mehr junge Sorben spüren sensibel die Zerfallserscheinungen als Folge der Omnipräsenz von Massenmedien und „social media“. Sie mühen sich mit Hingabe um Heilung. Als wir von einem jungen sorbischen Landschaftsgestalter einen sprachlich bezaubernden, künstlerisch gestalteten sorbischen Brief zum Jahreswechsel bekamen, wussten wir: Es wird gelingen.


Marcel Braumann, Mitglied des Präsidiums und Vorsitzender des Bildungsausschusses des sorbischen Dachverbandes Domowina

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