Antiziganismus in Wahlkampagnen

Charme-Offensive der Stadt Gießen gegen romafeindliche NPD-Hetze: Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz solidarisiert sich öffentlich mit den Sinti und Roma. Foto: Stadt Gießen

Vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma

Sinti und Roma in Europa werden häufig Opfer von Rassismus, Hassrede und Hetzkampagnen, insbesondere in Wahlkämpfen. Politiker, nicht nur von rechtsextremen Parteien, sondern auch aus dem politischen Mainstream, setzen im Wettkampf um Wählerstimmen oft auf populistische Strategien, die Ablehnung und Vorurteile gegenüber Sinti und Roma schüren und die Minderheiten zu Sündenböcken erklären.

Rassistischer Wahlkampf der NPD

Mit Wahlplakaten „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ und Flugblättern „Zigeunerflut stoppen!“ stilisierte die NPD während des Bundestagswahlkampfs 2013 Sinti und Roma zu einer Gefahr für die Bevölkerung. Ein solches Ausmaß der öffentlichen Ausgrenzung und rassistischen Hetze gegen unsere Minderheit hatte es seit 1945 nicht gegeben. Die Aufrufe der NPD erinnerten stark an die Parole „Kauft nicht bei Juden!“, mit der die Nazis die jüdische Minderheit verunglimpft und aus der Gesellschaft ausgeschlossen haben. Der staatlich organisierte Völkermord an den Juden sowie an den Sinti und Roma wurden mit den gleichen Methoden eingeleitet und gerechtfertigt. Deshalb darf es mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust für solch eine Aufstachelung zum Rassenhass keinen Platz mehr geben.

Die Strategie ist leicht zu durchschauen: Die NPD versuchte, die Ängste der Bevölkerung um die Sicherheit der Renten zu instrumentalisieren, Hass gegen Sinti und Roma zu schüren und so politisches Kapital daraus zu ziehen. Die rechtsextremistischen Parteien wissen, dass solche rassistischen Kampagnen bei einigen Menschen auf Sympathie stoßen – ähnlich wie das bei antisemitischen Parolen der Fall ist.

Einige Kommunen in Deutschland intervenierten gegen diese Volksverhetzung und ließen die NPD-Plakate entfernen. Ihnen gebührt großer Respekt. Es ist beschämend und ein Skandal für unsere demokratische Rechtsordnung, dass sie von den Verwaltungsgerichten gezwungen wurden, die Plakate wieder aufzuhängen. Diesen Entscheidungen fehlte offenbar nicht nur jede historische Sensibilität, sondern auch das Bewusstsein, dass derartige Hetze durch internationale Abkommen untersagt ist. Diese gesetzlichen Verbote setzen verbindliche Grenzen für die freie Meinungsäußerung in Deutschland und in ganz Europa.

Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz beauftragte Stefanie Schmahl, Professorin für deutsches und ausländisches öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht, mit einem Rechtsgutachten. Sie bestätigte, dass rassistische und fremdenfeindliche Wahlkampfplakate die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedrohen. In Abwägung gegenüber der Meinungsfreiheit und der Parteienfreiheit kommt Schmahl zu dem Schluss, dass auf Grundlage von Menschenrechtsnormen eine öffentliche Pflicht dazu besteht, die Opfer rassistischer Wahlkampagnen zu schützen.

Fallstudien aus vier europäischen Ländern

Hassrede gegen Roma, Flüchtlinge und andere Gruppen ist ein wesentliches Element in den Wahlkämpfen politischer Parteien in Ost- und Westeuropa, wie etwa Ataka in Bulgarien, Jobbik in Ungarn, Lega Nord in Italien oder Front National in Frankreich. Wir müssen davon ausgehen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen den gewalttätigen Angriffen auf Roma und Sinti in verschiedenen europäischen Ländern und der antiziganistischen und rassistischen Rhetorik von Teilen der politischen Elite gibt. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma veröffentlichte im Sommer 2017 vier Fallstudien über Antiziganismus in öffentlichen Debatten und Wahlkämpfen.

Ungarn

Die Fallstudie von Dr. Henriett Dinók über die Stadt Miskolc in Nordostungarn zeigt, wie die AntiRoma-Rhetorik nicht nur von der rechtsradikalen Partei Jobbik* genutzt wurde, sondern auch von gemäßigten Parteien, um Wähler zu mobilisieren. Der Auftakt der nationalen Wahlkampagne von Jobbik im Jahr 2014 war geprägt von einer Anti-Roma-Stimmung, die Roma als Problem öffentlicher Sicherheit darstellte. In den darauffolgenden Kommunalwahlen bedienten sich auch die rechtsgerichtete Fidesz-Partei und Kandidaten der linken Parteien MSZP und DK dieser Rhetorik. Die Gemeinde Miskolc änderte daraufhin ihre Sozialwohnungspolitik. Sie ordnete die Vertreibung von Roma an, die in der Slumsiedlung „Nummerierte Straßen“ lebten. Der Oberste Gerichtshof, der Beauftragte für Grundrechte und die Gleichbehandlungsbehörde intervenierten zwar gegen die Räumung der Roma-Siedlung. Doch die Kommune ließ sich davon nicht abhalten. 2016 forderten schließlich internationale Organisationen wie das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte die Stadt Miskolc auf, die Räumungen zu stoppen und den Menschenrechtsstandards entsprechende, nachhaltige Wohnungslösungen zu schaffen.

https://romediafoundation.wordpress.com/2014/10/01/displacing-the-roma-in-miskolc-between-the-rhetoric-of-slum-eradication-and-the-ethnicization-of-poverty/
Romnija protestieren 2014 gegen die Zwangsvertreibung aus ihrer Siedlung in der ungarischen Stadt Miskolc. Foto: www.romediafoundation.wordpress.com

Bulgarien

Einen ähnlichen Fall beobachtete Ognyan Isaev in Bulgarien. Auch dort ist in weiten Teilen der Gesellschaft Antiziganismus vorherrschend. Deshalb führte die Gemeinde Garmen im Sommer 2015 im Vorfeld der Kommunalwahlen Zwangsvertreibungen von Roma durch. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte intervenierte und sah die internationalen Standards für Zwangsräumungen verletzt. Wie im ungarischen Miskolc hatte die einstweilige Verfügung keine Wirkung. Die Gemeinde ließ unbeirrt mehrere von Roma bewohnte Häuser, die sie für illegal erklärt hatte, zerstören. In Bulgarien gibt es viele illegal errichtete Häuser, so auch in Garmen. Damit beging die Kommune ethnische Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen. Den vertriebenen Roma wurden keine Alternativunterkünfte angeboten, sodass sie obdachlos wurden. In ihrem fünften Bericht über Bulgarien kritisierte die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), dass nationalistische und faschistische politische Parteien Hass gegen Roma verbreiten, problemlos gesellschaftlich sowie institutionell anerkannt sind und staatliche Subventionen erhalten.

Spanien

Eine Fallstudie des Politikexperten Ismael Cortés analysiert den Wahlkampf der Partido Popular (PP) in Badalona (Katalonien, Spanien) in den Jahren 2010/2011. Die PP setzte in ihrem Wahlkampf auf AntiRoma-Stimmung. Sie gewann die Kommunalwahlen im Mai 2011 mit einer Mehrheit in 28 von 34 Wahlbezirken. Der Spitzenkandidat der Partei, Xavier García Albiol, verteilte 15.000 Flugblätter, die eine Verbindung zwischen zugewanderten Roma und Kriminalität herstellten. Die ganze Minderheit wurde stigmatisiert als „kulturelle Gruppe, die von Prinzipien geprägt ist, die gegen die Werte und den Lebensstil der lokalen Mehrheit gerichtet sind“. Der spanische Rat für die Beseitigung rassistischer oder ethnischer Diskriminierung verurteilte Albiols Verhalten, während SOS Racisme und die katalanische Föderation der Gitano-Vereinigungen (FAGiC) Albiol für Aufstachelung und Hass anzeigten. Im Dezember 2013 erklärte ihn der 18. Strafgerichtshof von Barcelona jedoch für unschuldig. Die Fallstudie kommt zu dem Schluss, dass Antiziganismus in Spanien gesellschaftlich tief verwurzelt ist, sowohl in den Köpfen der Menschen als auch bei staatlichen Institutionen. Sie identifiziert drei Arten der Reaktion auf die gegen Roma gerichtete Hetze.

Soziale Reaktion: Die PP wurde nicht für ihre Kampagne sanktioniert, sondern ins Amt gewählt.

Juristische Reaktion: Der Politiker Albiol wurde von der Beschuldigung, diskriminierende Handlungen begangen und Hassrede verbreitet zu haben, freigesprochen. De facto akzeptierte das Gericht so die rassistischen Argumente von Albiol.

Politische Reaktion: Die PP hat niemals die Absicht geäußert, Albiol für sein Verhalten zu sanktionieren. Im Gegenteil: Er wurde in den folgenden Regionalwahlen zum Spitzenkandidaten gekürt.

Slowakei

Eine Fallstudie von Marek Szilvasi zu Anti-Roma-Wahlkampagnen in der Slowakei zwischen 2010 und 2014 kommt zu dem Schluss, dass „die Slowakei zu den Ländern gehört, in denen Anti-Roma-Haltungen zu einem festen Bestandteil des Wahlkampfes der politischen Parteien geworden sind. Politische Parteien und einzelne Politiker in der Slowakei rufen regelmäßig in populistischer Weise dazu auf, „Roma-Kriminalität“ zu bekämpfen, Fortpflanzungsmöglichkeiten der Roma einzuschränken, ihre Siedlungen niederzureißen oder ihren Zugang zu Sozialleistungen zu beschränken, und tragen so verschärfend zu den ethnischen Spannungen im Land bei.

Während der Wahlen 2012 führte die Slowakische Nationalpartei, die von 2006 bis 2010 eine Koalitionsregierung mit der sozialdemokratischen Partei SMER bildete, eine intensive, rassistische, gegen Roma gerichtete Plakatkampagne. Aber auch politische Parteien des Mainstreams wie die beiden rechtsliberalen Parteien Freiheit und Solidarität (SaS) und die Slowakische Christlich-Demokratische Union - Demokratische Partei (SDKÚ-DS) setzten in ihren Kampagnen auf Bezichtigungen über die Abhängigkeit der Roma von Sozialleistungen. Die rechtsextreme Volkspartei Unsere Slowakei nahm die Anti-Roma-Agenda offiziell in ihr Parteiprogramm auf. Ihr Parteiführer Kotleba gewann die Wahlen 2014 in der Region Banská Bystrica und wurde zum Regionalpräsidenten. Die neu gewählte Regionalregierung stellte für eine Verwaltungsposition Vladimir Gürtler ein. Gürtler ist der ehemalige Anführer der regionalen Partei Die Glorreichen Sieben, die Maßnahmen wie die Sterilisation von Romnija mit einem Freiwilligenbonus von 10.000 Euro, Räumungen und kostenlose Flüge für Roma nach Brüssel proklamierte.

Die Notwendigkeit von Sanktionen gegen Antiziganismus

Antiziganismus ist nicht nur eine unmittelbare Bedrohung für Roma und Sinti in Europa, sondern auch für unsere Demokratie und unsere Wertegemeinschaft. Es ist die Aufgabe staatlicher Institutionen, Antiziganismus genau wie Antisemitismus zu sanktionieren und zu ächten. Dazu benötigen wir politische Führungsstärke, um Antiziganismus zu begegnen, Vorurteilen, Diskriminierung, Hassrede und Hassverbrechen gegen Roma und Sinti entgegenzutreten und Anti-Roma-Rhetorik und rassistische Gewalt öffentlich zu verurteilen. Politische Parteien müssen die mittels der Charta der Europäischen Politischen Parteien für eine nichtrassistische Gesellschaft eingegangenen Verpflichtungen unterstützen und respektieren. Sie müssen jegliches Verhalten unterlassen bzw. sanktionieren, das Vorurteile, Feindseligkeiten und Spaltung zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer oder nationaler Herkunft oder religiöser Überzeugungen entfacht. Die Regierungen sind dazu aufgefordert, ihre eigenen rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen und die einschlägigen internationalen Abkommen wie das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten, das jede Diskriminierung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit verbietet, durchzusetzen.

*Die Art und Weise, wie es Jobbik in den vergangenen 15 Jahren bis ins Zentrum der ungarischen Gesellschaft geschafft hat, ist alarmierend. Die Stimmenanteile von Jobbik bei den ungarischen Parlamentswahlen stiegen von 2,2 Prozent im Jahr 2006 auf 20,2 Prozent im Jahr 2016. Bei den Wahlen ins Europäische Parlament 2014 erhielt die rechtsradikale Partei 14,7 Prozent.


Eine ursprüngliche Version des Artikels wurde unter dem Titel „Antigypsyism in election campaigns“ veröffentlicht in: The Greens/EFA in the European Parliament (2017): Countering Antigypsyism in Europe



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