Krimtatarische Kunst vor dem Aus?

Nikolaj Semena/www.avdet.org
Krimtatarischer Künstler Rustem Skibin. Foto Nikolaj Semena via www.avdet.org

Von Mariia Kryvokhzhyna

Für die krimtatarischen Künstler hat die Annexion der Krim weitreichende Folgen. Sie müssen mit der russischen Regierung Kompromisse suchen, um weiter arbeiten und damit auch ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Die offiziellen russischen Vertreter bestehen oft darauf, dass die Kunst und das Handwerk der Krimtataren als „krimisch“ und eben nicht als „krimtatarisch“ bezeichnet werden. Viele Künstler verlassen deshalb ihre Heimat, so wie Rustem Skibin und seine Frau Liana Velyliaeva.

Rustem und Liana haben gespürt, dass ein weiterer Verbleib auf der Krim für sie und ihre Arbeit gefährlich werden könnte. Selbst 1976 in Usbekistan geboren, hat Rustem die Geschichten der Großeltern über die kollektive Deportation der Krimtataren nie vergessen. Daher war der Umzug in das Land seiner Vorfahren 1996 auch ein Weg zu sich selbst und eine Möglichkeit zu verstehen, woher er kommt und wer er ist. Auf der Krim fand er nicht nur seine Heimat, sondern auch seine Bestimmung: als Künstler und insbesondere als Keramiker zu arbeiten. Doch um weiter frei arbeiten zu können, verließ er als einer der ersten Künstler im Sommer 2014 die Halbinsel. Die offen pro-ukrainische Position Rustems versperrt ihm bis heute den Weg zurück auf die Krim.

Kiew war am Anfang nicht besonders gastfreundlich. Für die krimtatarischen Künstler war es schwer, einen Raum für ihre Arbeit zu finden. Doch schließlich hatte Rustem ein Zimmer in einem Industriegebiet gefunden und das Studio „Tamga“ gegründet. Auf eigene Kosten renovierte das Künstlerpaar Rustem und Liana den Raum und bald kamen auch die ersten Schüler.

Revitalisierung des krimtatarischen Kunsthandwerks

Für Rustem steht die Bewahrung des krimtatarischen Kunsthandwerks im Zentrum seiner Arbeit. Die kollektive Deportation der Krimtataren 1944 hat riesige Lücken in die krimtatarische Kultur gerissen. Denn in den zentralasiatischen Verbannungsorten war alles Krimtatarische verboten. Daher gingen viele Fertigkeiten und Kenntnisse verloren. Vor der Deportation gab es 50 Kunsthandwerke, heute sind nur noch 15 bekannt. Für Rustem und seinen Künstlerkreis „El-Cheber“* (aus dem Krimtatarischen für „Land des Meisters“) ist es wichtig, diese Kunsthandwerke zu bewahren und neue Generationen krimtatarischer Künstler auszubilden. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen sie langfristig ein krimtatarisches Kulturzentrum in Kiew aufbauen. Das Projekt „Spuren des Friedens“, das von der Schweiz gefördert wird, ist ein erster Schritt dahin.

Die Künstler sind davon überzeugt, dass Kunst und Handwerk in diesen Zeiten von Krieg und Krise in der Ukraine Menschen zusammenbringen können. Sie wollen sowohl die von der Krim geflohenen Künstler, als auch die, die noch immer auf der Halbinsel leben, einbeziehen.  Die Verbindung zur Krim weiterhin zu halten sei sehr wichtig, sagt Rustem.

Bedeutung krimtatarischer Ornamente

Als indigenes Volk der Krim haben die Krimtataren eine Vielzahl an traditionellem Kunsthandwerk hervorgebracht: Herstellen von Keramik, Sticken, Teppichknüpfen, Nähen, Juwelierkunst, Bau von Musikinstrumenten. Alle Gegenstände werden mit krimtatarischen Ornamenten verziert, die wie ein kultureller Code funktionieren. Die Ornamente enthalten wichtige Werte, Weisheiten und Kenntnisse über die Kultur der Krimtataren. Wenn sie richtig gelesen werden könnten, wäre es möglich, die kulturelle Lücke im krimtatarischen Gedächtnis zu füllen, erklärt Rustem.


Mariia Kryvokhzhyna hat Ethnologie studiert. Seit Jahren setzt sie sich für die Krimtataren in der Ukraine ein und hat bei der Gesellschaft für bedrohte Völker in Berlin ein Praktikum absolviert. Heute arbeitet sie im deutsch-russischen Umweltbüro des  Deutsch-Russischen Austausches.



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