Der ignorierte Stellvertreterkrieg im Jemen

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Diese Frau musste wegen des Huthi-Konflikts mit ihrer Familie fliehen. Nun lebt sie in Mazrak, einem Flüchtlingslager im Nordwesten des Jemen. Foto: Hugh MacLeod/IRIN via Flickr

Von Kamal Sido

Dem Jemen droht aus Sicht des UN-Nothilfekoordinators Stephen O'Brien der Kollaps, „falls die Konfliktparteien nicht bald ein Friedensabkommen schließen“. Übertrieben hat er dabei nicht. Die Lage der Zivilbevölkerung im Jemen ist in der Tat katastrophal: 21,2 Millionen Menschen, also fast 85 Prozent der Bevölkerung, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. 7,6 Millionen, darunter drei Millionen Kinder und Frauen, leiden an Unterernährung. Auch Epidemien wie Cholera sind bereits ausgebrochen. Zudem wurden seit Beginn der saudischen Intervention im März 2015 3.799 Zivilisten getötet, 6.711 verletzt und mindestens drei Millionen Jemeniten sind mittlerweile auf der Flucht.

Wie andere, bekanntere Krisen in der Region ist der aktuelle Konflikt auf Proteste im Jahr 2011 zurückzuführen. Damals begannen die Menschen gegen den autoritär regierenden Präsidenten Ali Abdullah Salih zu protestieren und forderten ihn auf, zurückzutreten. Salih stand bereits seit 1978 an der Spitze des jemenitischen Staates und stützte seine Macht auf seine Herkunft aus einem einflussreichen Clan sowie viele Stammesbündnissen. Zuerst war er Präsident der Arabischen Republik Jemen (Nord), ab 1990 dann Staatsoberhaupt der vereinigten Republik der zwei früheren Staaten Nord- und Südjemen. Als Salih am 1. Januar 2011 eine Verfassungsänderung vorlegte und damit plante, seinen Sohn zum Präsidenten zu ernennen, folgten die Menschen in Sanaa dem Beispiel Tunesiens und Ägyptens und gingen auf die Straße.

Auch in diesen beiden Ländern wollten die dortigen Herrscher ihre Söhne zu ihren Nachfolgern bestimmen. Dies bot Anlass für Proteste, die in den sogenannten Arabischen Frühling mündeten. Der „schnelle Erfolg“ des Aufstandes in den beiden nordafrikanischen Staaten gab vielen Menschen im Jemen Hoffnung und Mut. Doch die Krise im Jemen, das einst wegen seiner fruchtbaren Ländereien als „Arabia Felix“ (glückliches Arabien) bekannt war, stürzte das Land in einen Bürgerkrieg.

Erst schienen die Proteste Erfolg zu zeigen: Präsident Salih kündigte noch für 2011 Neuwahlen an, in denen er nicht mehr kandidieren würde. Im November gab er offiziell seinen Rücktritt bekannt und übergab das Präsidentenamt innerhalb von 30 Tagen an seinen vorherigen Stellvertreter Abed Rabbo Mansur Hadi, der bei der anschließenden Präsidentschaftswahl im Februar 2012 offiziell zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Doch das Militär wollte dem aus dem Süden stammenden Hadi nicht Folge leisten. Zudem verweigerte Salih, der aus dem Norden des Landes kommt und bis heute Vorsitzender der dominierenden Regierungspartei Allgemeiner Volkskongress ist, dem neuen Staatsoberhaupt faktisch jegliche Zusammenarbeit. Mit diesem Regierungsstreit, den Protesten, an denen sich auch bestehende Rebellengruppen wie die Huthi und islamische Gruppierungen beteiligten, und den gewaltsamen Repressionen fiel das Land in einen Bürgerkrieg.

Blutiger Konflikt im Norden

Von den Unruhen zwischen den Anhängern von Hadi und Salih, die seit 2012 immer größere Ausmaße annahmen, profitierten vor allem die gegen die sunnitisch geprägte Zentralregierung in Sanaa kämpfenden schiitischen Huthi-Rebellen. Diese politisch-militärische Bewegung kämpft bereits seit 2004 militärisch gegen die Zentralregierung. Als diese sich 2012 zerstritt, konnten die Huthi ihren Einfluss auf große Teile des Landes geltend machen und sogar im September 2014 die Hauptstadt Sanaa besetzen.

Blick über die Hauptstadt Sanaa. Im Jemen führen Saudi-Arabien und der Iran einen Stellvertreterkrieg. Foto: naes/istock

Auch wenn die aus dem Nordjemen stammenden Huthi in den früheren Jahren gegen die Regierung unter der Führung von Salih kämpften, waren sie nun bereit, mit ihm zu kooperieren. Salih gehört ebenfalls zu den schiitischen Zaiditen. Auch als Ex-Präsident, den die sunnitisch-saudische Dynastie in früheren Jahren unterstützt hatte, war Salih bereit, gegen den neuen Feind Saudi-Arabien zu kämpfen. Aufgrund dieser Kooperation und mit Hilfe der Unterstützung der Salih loyalen Armeeeinheiten gelang es den Huthi nach und nach, weitere Gebiete des Landes einschließlich der südjemenitischen Metropole Aden zu besetzen.

Doch die verfeindeten Regierungslager und die Huthi-Rebellen sind nicht die einzigen Akteure im jemenitischen Bürgerkrieg. Während die schiitischen Rebellen Gebiete in Nord- und Südjemen eroberten, besetzte die sunnitische Terrorgruppe Al-Qaida einige Regionen im Südosten des Landes. Mitte Oktober 2014 sprengte sich ein Selbstmordattentäter der islamistischen Gruppierung in einer Huthi-Versammlung in die Luft und riss 50 Personen mit in den Tod. Wenige Tage später, am 21. Oktober, mussten weitere 33 Menschen bei einem Bombenanschlag in einer Behörde sterben. Die Täter wurden in den Reihen des Terrornetzwerks Al-Qaida oder des sogenannten Islamischen Staats vermutet. Die Zentralregierung versuchte vergeblich, Herr über die Lage zu werden. Viele sunnitische Stammeskämpfer verbündeten sich indes mit Al-Qaida gegen die Huthi. Diese erzielten jedoch immer weitere Erfolge: Im Januar 2015 zwangen sie Präsident Hadi zum Rücktritt, erließen im Februar 2015 eine Übergangsverfassung und erklärten das Parlament für aufgelöst. Die Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Präsidenten Salih wurde dadurch noch enger. Gleichzeitig war die Hauptstadt während dieser Zeit immer wieder Anschlägen und Angriffen von Al-Qaida ausgesetzt.

Saudische Intervention verschärfte den Bürgerkrieg

Die vollständige Einnahme der Hauptstadt Sanaa durch die Huthi und die enge Kooperation zwischen ihnen und Salih versetzten die Saudis in Angst und Schrecken. Sie befürchteten, dass der Jemen vollständig unter die Kontrolle des schiitischen Rivalen Iran kommen könnte, da dieser angeblich die Huthi-Rebellen unterstütze. Mit den Huthi an der Macht könnte es dem Iran gelingen, die Meeresenge Bab al-Mandab zu kontrollieren, was für Saudi-Arabien wiederum ein großer strategischer Verlust wäre. Die Erfolge der Huthi und die Angst des saudischen Königshauses vor einem erstarkten schiitischen Nachbarn waren die Hauptursache der am 26. März 2015 begonnenen saudischen Militärintervention, Operation „Amaliyyat Asifat Al-hazm“ (Sturm der Entschlossenheit) genannt. Unterstützt von den USA, Frankreich und Großbritannien griff die saudi-arabische Luftwaffe Ziele in ganz Jemen an. Auch Ägypten, Bahrain, Katar, Kuwait, Jordanien, Marokko, Sudan und die Vereinigten Arabischen Emirate leisteten den Saudis Hilfe, allerdings nur nominell. Selbst die Vereinten Nationen unterstützten den saudischen Krieg im Jemen, da Saudi-Arabien formell die sogenannte Initiative des Golfkooperationsrates (GKR-Initiative) zur Lösung der Krise im Jemen durchsetzen wollte. Diese Initiative, die auf Vermittlungen des Kooperationsrats der arabischen Staaten des Golfes 2011 zurückgeht, legte die einzelnen Schritte fest, wie der Übergangsprozess nach dem Abdanken von Präsident Salih ablaufen soll. Salih hatte diese auch im November 2011 unterzeichnet.

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Einflussbereiche im Jemen (Stand: 11. März 2015). Karte: www.markmonmonier.weebly.com/yemen.html

Im Februar 2012 fanden Wahlen statt. Präsident Ali Abdullah Salih trat nach 34 Regierungsjahren zurück. Die Hoffnungen seines Nachfolgers Mansur Hadi auf mehr Demokratie und eine ausgleichende Wirkung auf die Kontrahenten hatten sich aber nicht bestätigt. Auch er erwies sich als unfähiger Politiker, der das Land nicht aus der Krise führen konnte. Nach und nach verlor er die Kontrolle über seinen Machtapparat und einzelnen Behörden. Ab dem Zeitpunkt haben viele Generäle sich selbstständig gemacht und wurden zu Warlords, die Kriege im persönlichen Interesse oder im Interesse ihrer Clans führten, bis schließlich am 26. März 2015 die Militärintervention mit saudi-arabischen Luftangriffen im Jemen begann. 

Verdient Deutschland am Krieg in Jemen mit?

Saudi-Arabien bekundete immer wieder Interesse an deutschen Waffen. Dabei geht es vor allem um Munition, aber auch schwere Waffen wie Panzer und Hubschrauber würde Saudi- Arabien gerne kaufen. Und während Saudi-Arabien im Jemen mittlerweile sogar Bodentruppen marschieren lässt, lieferte Deutschland 2016 Mehrzweckhubschrauber. Aber auch andere Waffen und Rüstungsgüter gingen von Deutschland aus nach Saudi-Arabien, deren Gesamtwert für 2016 bereits bei etwa 484 Millionen Euro liegt.

Daher ist die deutsche Bundesregierung verpflichtet, sich um eine friedliche Lösung für den Konflikt im Jemen zu bemühen. Deutschland soll seinen Einfluss auf den Iran nutzen, damit Teheran sich nicht mehr in die inneren Angelegenheiten Jemens einmischt. Und die Saudis müssen ihren Krieg gegen die jemenitische Zivilbevölkerung einstellen.


Der Beginn des Huthi-Konflikts

Die Huthi sind eine politisch-militärische Bewegung der Zaiditen, eine schiitisch geprägte Volksgruppe, die mit 30 bis 45 Prozent einen großen Bevölkerungsanteil im sunnitisch-dominierten Jemen darstellt. Bereits seit Beginn der 1990er Jahre fühlten sich die Huthi im Jemen stark vernachlässigt und diskriminiert. Zu Beginn des zweiten Golfkrieges (1990-1991) wurden viele jemenitische Gastarbeiter aufgrund der pro-irakischen Haltung des Jemen aus anderen Golfstaaten ausgewiesen. Bei ihrer Rückkehr siedelten sich viele von ihnen in den nordjemenitischen Gebieten der Huthi an. Diese fühlten sich von den „Neulingen“ bedroht, da diese vom streng sunnitischen Glauben der wahhabitischen Saudis geprägt waren. Deshalb eröffneten die Huthis schiitische Religionsschulen, mit denen sie den Einfluss der Wahhabiten begrenzen wollten. Die Zentralregierung in Sanaa schloss diese jedoch schon nach kürzester Zeit.

Verstärkt wurde die Diskriminierung und Ausgrenzung der Huthi dadurch, dass sie bei der Stellenvergabe und Besetzung wichtiger Ämter und Positionen im Staatsdienst meist nicht berücksichtigt wurden. Dabei hatten die Huthi in der Geschichte des Jemens eine bedeutende Rolle in Politik und Gesellschaft gespielt. Doch nach der Vereinigung der Arabischen Republik Nordjemen mit der Demokratischen Volksrepublik Südjemen 1990 hatte sich dies drastisch geändert. Die Regierung bemühte sich redlich wenig, die Huthi in politische und gesellschaftliche Prozesse einzubeziehen.

Die Unzufriedenheit der Huthi gipfelte 2004 darin, dass Angehörige der schiitischen Huthi in der nordjemenitischen Provinzhauptstadt Sa’ada gegen den damals vom Präsidenten Salih eingeschlagenen pro-westlichen Kurs demonstrierten. Dabei drückten sie vor allem ihre Angst vor einer „Sunnitisierung“ des Nordens aus. Als die Regierung von Präsident Salih mit Gewalt auf die Huthi-Proteste reagierte, brach ein offener bewaffneter Kampf aus. Dabei warfen sowohl die jemenitische wie auch die saudische Regierung dem Iran immer wieder vor, die schiitischen Huthi mit Waffen zu unterstützen.



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