ASADI – Den Flüchtlingen eine Stimme geben

„ASADI“ heißt „Freiheit“ auf Persisch, Dari, Kurmanci, Sorani, Zaza, Urdu und Tadschikisch. Es ist aber auch der Titel eines mehrsprachigen Printmagazins, das seit 2015 in Rendsburg/Schleswig-Holstein monatlich erscheint und kostenlos in der Region verteilt wird. ASADI verfolgt das Ziel, Migranten und Flüchtlingen eine eigene Stimme zu geben, damit diese für sich selbst sprechen können. Herausgegeben wird das Magazin vom Verein Umwelt Technik Soziales (UTS) mit Sitz im Kreis Rendsburg-Eckernförde. Lernen Sie nun den Hazara Ali aus Afghanistan kennen, dessen Geschichte bereits in ASADI veröffentlicht wurde.

Ich möchte nicht mehr allein sein

Mein Name ist Ali, ich bin 17 Jahre alt und komme aus Ghasni in Afghanistan. Als ich fünf Jahre alt war, haben die Taliban meine Mutter, meinen Vater und meine Geschwister getötet, weil wir Hazara sind. Die Hazara sind eine Minderheit in Afghanistan, wir sind Schiiten. Die Taliban dagegen gehören den Sunniten an. Es gab immer wieder Versuche, Es gab immer wieder Versuche, mein Volk auszulöschen. Als die Taliban kamen, wurden ganze Hazara-Dörfer ausgelöscht. Ich habe diese Angriffe überlebt, weil meine Nachbarn mich versteckt hatten und mit mir in den Iran geflohen sind. Sie sind ebenso Hazara und wollten nicht hingerichtet werden. Anfangs war die neue Familie gut zu mir, ich dachte, ich wäre wie eines ihrer eigenen Kinder. Ich besuchte sechs Jahre lang eine geheime Schule. Wenn die Polizei uns erwischt hätte, hätten sie die Lehrerin festgenommen und ich weiß nicht, was sie mit uns Kindern gemacht hätten.

Als ich 13 Jahre alt war, sagten sie zu mir, dass ich nun arbeiten gehen muss und sie die Schule nur für ihre eigenen Kinder weiter bezahlen würden. Im Iran werden Afghanen massiv unterdrückt, verfolgt und erpresst. In einigen Städten dürfen sie nicht einmal die Schule besuchen. In anderen ist ihnen das zwar erlaubt, doch am Ende bekommen sie kein Zeugnis wie ihre Mitschüler. So wird ihnen die Aussicht auf eine Zukunft verwehrt.

Das war für mich ein Schock, so etwas von meiner neuen Familie zu hören; sie waren für mich wie meine eigene Familie. Ich war sehr verletzt und entschied mich, sie zu verlassen.

Der Hazara Ali bei einem Praktikum. Foto: © ASADI

Ich habe Arbeit in einer Taschenfabrik gefunden, ich habe tagsüber dort gearbeitet. Sie haben mir dafür etwas zum Essen gegeben, mich abends auf dem Boden schlafen lassen und ein bisschen Taschengeld habe ich ebenfalls bekommen. Dort habe ich mit vier anderen gemeinsam gelebt.

Nach ein paar Monaten habe ich einen anderen Job gefunden, in einer Kleiderfabrik. Dort habe ich acht Stunden am Tag gearbeitet. Ich habe für sie die Kleidung gebügelt. Sie ließen mich auch dort auf dem Boden schlafen, gaben mir zu essen und bezahlten mir etwa 30 Euro im Monat. Mit 14 wechselte ich wieder die Arbeit und kam zu einer Bettenfabrik. Meine tägliche Schicht ging von 8 bis 20 Uhr. Ich habe dort zweieinhalb Jahre gearbeitet, bis ich mich entschieden habe, nach Europa zu fliehen.

Seit ich das Haus meiner „Adoptiveltern“ verlassen hatte, habe ich meine Zeit fast nur bei der Arbeit verbracht, obwohl ich noch ein Kind war. Ich hatte Angst, auf die Straße zu gehen. Die Polizisten schlagen häufig Afghanen, wenn sie einen treffen. Sie werden erpresst oder entführt. Denn die Iraner wissen, dass die Afghanen oft illegal in ihrem Land sind. Sie bringen sie dorthin, wo sie sehr hart für sie arbeiten müssen. Dafür gibt es kein Geld, sondern nur das Leben. Ich blieb also immer in den Fabriken. Ich las dort alles, was ich in die Finger bekam. Ich liebe das Lesen, ich liebe die Schule und ich wollte so gern die Schule besuchen. Derzeit werden die jungen Männer im Iran dazu gezwungen, im Krieg zu kämpfen. Man hat im Iran nur zwei Möglichkeiten: Entweder muss deine ganze Familie den Iran verlassen und zurück nach Afghanistan gehen oder einer deiner Söhne muss für die Islamische Republik im Krieg kämpfen. Die Familien wissen, dass sie diesen Sohn nie wieder sehen würden.

Ich entschied mich also, nach Europa zu gehen. Ich wollte die Schule besuchen und danach studieren. Ich habe gehört, dass in Deutschland jeder zur Schule gehen darf und dafür nicht bezahlen muss. Ich wollte in so einem Land leben. Ich kam vom Iran zu Fuß hierher. Von der Türkei nach Griechenland nahmen wir ein Schlauchboot; es war einen Meter breit und neun Meter lang. Wir waren 43 Personen. Ich hatte sehr viel Angst. Ich kann nicht einmal schwimmen. Ich hatte auf dem Weg immer große Angst: Angst vor der Dunkelheit, Angst vor der Polizei, Angst, zurück in den Iran abgeschoben zu werden, Angst vor dem, was als Nächstes kommt.

Mittlerweile hat Ali eine neue Familie gefunden, die ihn aufnehmen möchte. Foto: © ASADI

Eine Mutter zu haben ist etwas Schönes. Ich habe mir also vorgenommen, eine Familie zu suchen, die für mich die Vormundschaft übernimmt. Ich möchte zusammen mit einer Familie in Rendsburg leben. Es wurde mir gesagt, im November wirst du 18 Jahre alt, dann darfst du nicht mehr mit der Familie leben, wenn du eine findest. Dann bist du auf dich allein gestellt. Ich möchte eine Familie, ich brauche eine Mama, ich brauche jemanden, der mich liebt und den ich lieben kann. Ich brauche jemanden, der sich Sorgen um mich macht. Ich brauche jemanden, der mir hilft, alles hier zu verstehen – nicht weil sie Geld dafür bekommen, sondern weil sie meine Eltern sind. Ich möchte eine Familie haben, die abends danach fragt, wie mein Tag war und mir das Gefühl gibt, nicht mehr allein auf dieser Welt zu sein. Eine Familie, die mir hilft, optimistisch in die Zukunft zu schauen, und die mir sagt, du wirst alles schaffen, was du vorhast. Ich möchte Arzt werden. Ich liebe es zu lernen. Der Weg ist sehr lang, aber ich mache gerade meine ersten Schritte. Ich werde das schaffen. Ich möchte nur nicht mehr allein sein.


ASADI im Porträt

Bei ASADI kann jeder mitmachen, auch Menschen, die gerade erst angekommen sind und noch kein Wort Deutsch sprechen und schreiben können. Die Texte und Interviews werden in Englisch oder in der Muttersprache verfasst, die Übersetzung erfolgt dann ins Deutsche. Dies können deutschsprachige Integrationspartner sein, aber auch Zugewanderte, die bereits länger in Deutschland leben und übersetzen. Wer nicht schreiben kann, wird interviewt und kann seine Geschichte erzählen. Deutschsprachige Integrationspartner unterstützen das Projekt vielfältig, zum Beispiel durch eine Schreibwerkstatt für ASADI. Flüchtlinge lernen ihre Erlebnisse aufzuschreiben, sie lernen dabei Deutsch, knüpfen neue Kontakte zu anderen, schließen Freundschaften und das hilft, das Erlebte zu verarbeiten.

Einige Flüchtlinge und Unterstützende haben ASADI ins Leben gerufen, um die Kommunikation untereinander, besonders aber mit der deutschen Aufnahmegesellschaft zu verbessern. ASADI möchte, dass Deutsche und Flüchtlinge ins Gespräch kommen. Wer sind diese Menschen, die zu Tausenden kommen und hier leben möchten? Es ist ein Anliegen des Magazins, den Blick des Einzelnen zu fördern. Denn hinter jedem Flüchtling, hinter jeder Flucht steckt eine Geschichte, ein Einzelschicksal. Es gibt nicht DIE Flüchtlinge, denn diese Stigmatisierung aller leistet Ausländerfeindlichkeit Vorschub.

Sie erzählen: Wovor sind sie geflüchtet? Was haben sie auf der Flucht erlebt? Wie war das Ankommen in Deutschland? Was machen sie gerade in Deutschland? Was haben sie schon erreicht? Was haben sie noch vor? Sie erzählen über die Sitten und Gebräuche in ihrem Heimatland. Über Missverständnisse zwischen Unterstützenden und Flüchtlingen, und wie diese vermieden werden können. Sie erzählen über ihre Probleme und Angebote, die ihnen zu Verfügung stehen. Sie zeigen ihre Landesküche, erklären Redewendungen, stellen Gedichte und Liedertexte vor.

Viele Texte erscheinen gleichzeitig in verschiedenen Sprachen, etwa in Deutsch, Persisch oder Arabisch. Herausgegeben wird ASADI von dem gemeinnützigen Verein Umwelt Technik Soziales (UTS), der sich seit 1992 für die Integration von gesellschaftlich Benachteiligten und seit 2002 vor allem für die Integration von Flüchtlingen und Zugewanderten einsetzt. Rosana Trautrims und Jana Walther leiten das Projekt ASADI Zum festen Team gehören: Nazar Mohammad Onywal (Afghanistan), Shafi Wassal (Afghanistan), Lina Brandes (Deutschland), Ramez Sarwary (Afghanistan). Zudem hat ASADI einen festen Platz in der Landeszeitung. Einmal im Monat wird den Flüchtlingen und Migranten aus der Region eine Seite in der Zeitung unter dem Titel „Willkommen in Rendsburg!“ gewidmet.


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