Zwischen staatlicher Fürsorge und langsamer Assimilierung

Minderheiten in Israel

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Tänzerinnen und Tänzer der Tscherkessen, die mit etwa 4.000 Angehörigen zu den zahlenmäßig kleinsten Minderheiten in Israel gehören. Foto: Israeltourism via Flickr

Von Mordechai Zaken

Israel wird als Staat des jüdischen Volks bezeichnet. 75 Prozent der Bevölkerung sind Juden, während die restlichen Staatsbürger zu religiösen, ethnischen und nationalen Minderheiten gehören. Die Unabhängigkeitserklärung von Israel garantiert, dass die Regierung „…volle soziale und politische Gleichberechtigung aller Bürger ohne Unterschied der Religion, der Rasse und des Geschlechts gewähren [wird].“ (IsraelNet) Der Staat hat sich dazu verpflichtet, soziale und politische Gleichberichtigung für all seine Bürger zu garantieren. Zudem hat er die freie Religionsausübung, sowie den Schutz heiliger Stätten aller Religionen versprochen.

Allen Bürgern Israels wird das aktive und passive Wahlrecht zugesprochen. Ihnen stehen Sozialleistungen und Gesundheitsvorsorgeleistungen, ein israelischer Reisepass sowie ein Personalausweis zu. Momentan gibt es 17 arabische Mitglieder in der Knesset, bei einer Gesamtzahl von 120 Abgeordneten. Neben 13 von 14 Mitgliedern der Vereinten Arabischen Liste gibt es vier arabische Parlamentarier in zionistischen Parteien.

Arabisch ist eine der offiziellen Amtssprachen Israels. Der Gebrauch der arabischen Sprache stieg in den 1990er Jahren in Folge von Beschlüssen des Obersten Gerichtshofes wesentlich an. Regierungsministerien veröffentlichen alle öffentlichen Dokumente auf Hebräisch. Ausgewählte Unterlagen werden in das Arabische übersetzt.

Den israelischen Arabern werden volle politische sowie Bürgerrechte zugesprochen, um ihnen eine uneingeschränkte Teilhabe an der israelischen Gesellschaft zu ermöglichen. Sie nehmen aktiv an Israels sozialem, politischem und bürgerlichem Leben teil und genießen Repräsentanz im israelischen Parlament, Auslandsdienst und Rechtssystem. Das Arbeitsrecht berücksichtigt alle religiösen Feiertage der Minderheiten in Israel.

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Karte: Dr. Michael Izady

Die Minderheitengruppen in Israel, insbesondere die Muslime, Christen und Drusen, genießen juristische Autonomie in allen religiösen, familiären und kommunalen Angelegenheiten. Zudem genießen sie in ihrer religiösen Bildung Autonomie. Der Staat hat das Gerichtswesen der Shari'a für Muslime eingeführt und erkennt das interne Gerichtssystem der verschiedenen christlichen Kirchen sowie der Drusen ebenfalls an.

Ein Alleinstellungsmerkmal der arabischen Minderheiten in Israel ist, dass sie ein Teil der arabischen Welt sind, welche Israel umgibt. Einige arabische Politiker haben ein Überdenken der israelischen Flagge und der Nationalhymne gefordert mit dem Argument, dass der Davidstern in der Mitte der Flagge ein ausschließlich jüdisches Symbol ist, und dass der Liedtext der Nationalhymne „Hatikvah“ nur jüdische Hoffnungen und Wünsche nach einer Rückkehr in ihr Heimatland repräsentiert.

2009 erklärte der israelisch-arabische Journalist, Khaled Abu Toameh, einem muslimischen Publikum während der Durban Review Conference, dass, obwohl die Araber in Israel mit ernsthaften Problemen konfrontiert seien, „Israel ein wundervoller Ort zum Leben ist und wir froh sind, dort zu sein. Israel ist ein freies und offenes Land. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber in Israel als zweitklassiger Bürger leben, als ein Erste-Klasse-Bürger in Kairo, Gaza, Amman oder Ramallah zu sein“.

2014 hat die Knesset neue Gesetze verabschiedet, welche Christen und Muslime unterteilt. Das Ziel ist es, einen Vertreter der Christen sowie einen der Muslime in ein Komitee für Gleichberechtigung in der Arbeitswelt zu wählen. Ebenso ermöglichte der Innenminister 2014 die Registrierung der christlichen Bürger aramäischen Ursprungs unter dem Artikel der religiösen Nationalität in ihren Ausweisdokumenten. Die Entscheidung betrifft die meisten Christen, die in Israel leben, obwohl sich nur ein paar Hundert Familien selbst als „aramäisch“ registriert haben. Einige arabische Politiker haben diese Neuerung kritisiert, da so die automatische Registrierung von Christen als „arabisch“ beendet wird.

Der arabische Markt in der Altstadt von Jerusalem. Foto: alexsi via iStock

Die Minderheiten

Ungefähr 1,8 Millionen Menschen, das entspricht 24 Prozent der Bevölkerung, sind in Israel nicht jüdisch. Obwohl man sie zusammenfassend als arabische Bürger Israels bezeichnet, bestehen sie aus unterschiedlichen Gruppen, die hauptsächlich arabisch sprechen, aber verschiedene ethnische Merkmale aufweisen sowie unterschiedlichen Religionen angehören.

Muslimische Araber, mehr als 1,2 Millionen Menschen und mehrheitlich Sunniten, leben meistens in kleinen Städten oder Dörfern. Geografisch sind dies größtenteils drei Regionen: in Galiläa in Nordisrael, wo sie mehr als 50 Prozent der Bevölkerung ausmachen; in der Mitte Israels, in einer Gegend, welche als „das Dreieck“ bekannt ist; und in der südlichen Wüstenregion, Negev, wo überwiegend Beduinen leben. Zudem gibt eine größere Anzahl von Arabern in den gemischten Großstädten, wie Haifa, Jerusalem, Jaffa, Akkon, Lod und Ramla.

Die arabischen Beduinen sind Muslime. Die ungefähr 250.000 Beduinen waren zunächst Nomaden, die sich langsam von einer nomadischen und stammes-sozialen hin zu einer ortsgebundenen Lebensweise wandelten, sowohl in Galiläa als auch in Negev.

Ungefähr die Hälfte der beduinischen Bevölkerung lebt in folgenden südlichen Städten: Rahat, Ar'arat an-Naqab, Bir Hadaj, Hura, Kuseife, Lakiya, Shaqib al-Salam (Segev Shalom) und Tel as-Sabi' (Tel Sheva). Die übrigen Beduinen leben hauptsächlich in der Negev-Wüste, in nicht registrierten Dörfern“, sodass ihr legaler Status und ihre Planungsprogramme von den Autoritäten noch nicht anerkannt wurden. Dies ist auch ein Streitpunkt zwischen der beduinischen Gemeinschaft und den staatlichen Behörden.

Die Beduinen in Nordisrael leben in Dutzenden Dörfern in Galiläa, wenngleich sich ihre Stammesstrukturen durch das Ende der Nomadisierung und ihre dauerhafte Niederlassung in den Städten und Dörfern langsam auflösen.

Die christlichen Araber, ungefähr 165.000, leben hauptsächlich in urbanen Gegenden, wie Nazareth, Shefar'am und Haifa. Die Mehrheit der christlichen Araber ist der griechisch-katholischen, griechisch-orthodoxen oder der römisch-katholischen Kirche angeschlossen. Historisch gesehen gibt es einen großen Unterschied zwischen den christlichen Arabern und den Muslimen in Israel. Allgemein gesprochen waren die Christen für ihr hohes Bildungsniveau – viele sind Physiker, Rechtsanwälte, Ingenieure, Wissenschaftler –, für ihren hohen Lebensstandard und ihre relativ geringe Anzahl an Kindern in der Familie bekannt. Zudem waren sie liberaler und eher bereit, die jüdische Idee von Israel zu akzeptieren als Muslime. Gleichwohl treffen einige dieser Eigenschaften im Zeitalter des 21. Jahrhunderts und im Wege der Globalisierung auch auf Muslime nach und nach zu.

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Die Kirche vom Heiligen Grab in der Altstadt von Jerusalem ist für alle christlichen Minderheiten ein besonderer Anlaufpunkt. Foto: Yossi Gurvitz via Flickr

Die verschiedenen christlichen Gemeinschaften

Die größte Gruppe der Christen in Israel ist die griechisch-katholische, welche sich hauptsächlich in Nazareth befindet. Die Gemeinschaft hat viele Bildungs-, Sozial-, Gesundheits-, Wohlfahrts- und Religionseinrichtungen für die Öffentlichkeit geschaffen.

Darauf folgt die griechisch-orthodoxe Glaubensgemeinschaft. In Ost-Jerusalem befindet sich ihr Oberhaupt, das Patriachat. Das griechisch-orthodoxe Establishment hat eine lange Tradition der Beziehungen zur russisch-orthodoxen Kirche.

Die Latiner sind die drittgrößte Gruppe: Sie gehören zur katholischen Kirche und erkennen die Autorität des Papstes in Rom an. Die Gemeinschaft wird von dem „Lateinischem Patriarchen von Jerusalem“, welcher von dem Heiligen Stuhl bestimmt wird, verwaltet und ist ebenso für Zypern und Jordanien zuständig.

Die Maroniten sind seit dem Rückzug Israels aus dem Libanon im Jahr 2000 gewachsen. Damals bot Israel den Familien christlicher Soldaten der südlibanesischen Armee, welche seit den frühen 1980er Jahren mit Israel gegen Hisbollah kooperierte, Schutz. Ihre Anzahl beträgt ungefähr 6.000. Dazu kommen kleine Gemeinschaften der Aramäer, Armenier, Kopten und Äthiopisch-Orthodoxen.

Die Aramäer stellen ungefähr 200 Familien, welche im nördlichen Teil Israels leben. Sie wurden im September 2014 als israelische Christen mit eigener ethnischer und nationaler Einheit anerkannt, eng verbunden mit ihren aramäischen Wurzeln, politisch verbunden mit dem Staat Israel und abgegrenzt von der automatischen Zuordnung zu den Arabern, denen sie zuvor zugerechnet wurden.

Die Armenier leben überwiegend im armenischen Viertel in Ost-Jerusalem, manche in Jaffa und manche in Haifa. Ihre Zahl liegt bei ungefähr 3.000. Die Kopten siedeln überwiegend in Jerusalem, einige in Nazareth und einige in Jaffa. Ihre Anzahl beträgt ungefähr 2.000. Die Äthiopisch-Orthodoxen leben überwiegend in Ost-Jerusalem sowie im westlichen Teil Jerusalems nahe der Altstadt.

Zudem gibt es eine steigende Anzahl von Protestanten, die ursprünglich aus westlichen Ländern, insbesondere Nordamerika und Europa, aber auch aus Fernost kamen. Beeinflusst durch die evangelikale Bewegung machen sie Israel aus religiösen Gründen zu ihrer Heimat.

Weitere Minderheiten

Zwei der Minderheitengruppen dienen in der israelischen Armee als Soldaten, da sie dem Wehrdienst verpflichtet sind. Dies sind die Drusen und die Tscherkessen.

Die Drusen, 134.000 Menschen, leben in 22 Dörfern im Carmel-Gebirge in Galiläa und in vier Dörfern auf den Golanhöhen, in welchen Teile der Bevölkerung sich noch Syrien zugehörig fühlen. Sie gelten als eigene Aarabisch sprechende Gemeinschaft. Eine Umfrage aus dem Jahr 2008 zeigte, dass 94 Prozent der Drusen sich selbst als Israelis sehen.

Da die drusische Religion für Außenstehende nicht zugänglich ist, ist eine bekannte Ansicht ihrer Philosophie das Konzept der „taqiyya“ (wörtlich: Umsicht, Angst, Vorsicht). Das bedeutet, dass die drusische Religion absolute Loyalität ihrer Anhänger zum Regime des jeweiligen Landes, in dem sie leben, fordert. Die Drusen sind demzufolge Israel gegenüber loyal und dienen in der israelischen Armee – im Gegensatz zu den meisten Muslimen – wo sie auch hohe Offiziersränge besetzen. Viele arbeiten zudem in Regierungsministerien bei Behörden.

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Miniatur der Ahmadiyya-Moschee in Kababir nahe der Stadt Haifa. Foto: Flavio via Flickr

Die Drusen sind Teil einer Religion, welche sich aus dem schiitischem Islam im 11. Jahrhundert entwickelte. Ihre Anhänger siedeln hauptsächlich in Syrien, im Libanon oder in Israel. Ihr Glaube ist monotheistisch und wird geheim gehalten. Er ist nur den religiösen Drusen, welche sich „Ougal“ nennen, bekannt. Der Rest der drusischen Bevölkerung nennt sich „Juhal“. Ihnen ist es nicht erlaubt, sich in das religiöse Leben der Gemeinschaft einzumischen. Der Glaube besteht aus universalen Werten, wie Toleranz, Gerechtigkeit und Loyalität der Gemeinschaft, des Staates und dem Oberhaupt gegenüber. Zudem sind Männer und Frauen gleichgestellt und es wird Frauen erlaubt, als religiöse Führerinnen zu fungieren.

Die Tscherkessen sind nicht-arabische Muslime. Sie umfassen ungefähr 4.000 Menschen und kommen ursprünglich vom Kaukasus. Die Tscherkessen nennen sich selbst “Adiga”. Sie immigrierten in das Osmanische Reich und manche kamen nach Israel, wo sie zwei Dörfer errichteten: Rehaniya und Kafr Kama. Während sie ihre eigene ethnische Identität bewahren, nehmen sie an Israels Wirtschaft und nationalen Angelegenheiten teil, ohne sich an die jüdische Gesellschaft oder die muslimische Gemeinschaft anzupassen.

Die Ahmadiyya-Muslime sind Anhänger einer neuen Religion, welche ihre Wurzeln in Indien des 19. Jahrhunderts hat. Es handelt sich um eine Verbindung unterschiedlicher Religionen, basierend vor allem auf dem Islam, aber auch mit hinduistischen und christlichen Elementen. Der Schwerpunkt der Ahmadiyya-Muslime liegt bei Frieden und Liebe, was eine Ablehnung der dschihadistisch-militanten Seite des Islam bedeutet. In Haifa leben etwa 2.000 von ihnen.

Die Samaritaner schließlich sind Mitglieder einer national-religiösen Gemeinschaft, derer Religion dem Judentum sehr nahe steht. Ihre Gemeinschaft war im Altertum groß und stark. Aber aufgrund der Konvertierungen zum Islam nahm die Anzahl der Anhänger langsam ab. Heute gibt es noch ungefähr 700 Samaritaner, von denen die Hälfte in Nablus (Shkhem) und die andere Hälfte in Cholon lebt.

Politische Repräsentation der Minderheiten

Die israelische Regierung betrachtet die Beziehung zu den Minderheiten als eine wichtige Angelegenheit, trotz und gerade aufgrund der besonderen Umstände und komplizierten Verbindungen zwischen dem jüdischen Staat und den Minderheitengruppen. So gibt es ein Amt für Minderheitenangelegenheiten, das dem Ministerium für öffentliche Sicherheit angegliedert ist. In Kooperation mit Vertretern der Minderheiten und öffentlichen Personen wurden zwei Foren gebildet, welche regelmäßig über die Belange der Minderheiten mit den Regierungsbehörden diskutieren. Das erste wurde 2013 gegründet und nennt sich Forum der Regierung und der christlichen Organisation. Das zweite heißt Forum der Regierung und der Araber und wurde 2016 ins Leben gerufen. Die arabische Wochenzeitung al-akhbar aus Nazareth hat ihre Titelseite vom 11. März 2016 dem arabischen Regierungsforum gewidmet. Dieses hatte sich zuvor im Ministerium für öffentliche Sicherheit versammelt.

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350 Studentinnen verschiedener Gemeinschaften (Beduinen, Christen, Muslime, Drusen, orthodoxe und säkulare Juden) feiern in Ramla ihr Englisch-Examen. Foto: U.S. Embassy Tel Aviv via Flickr

Übersetzung: Lena Weber

[Zum Autor]

Zaken, Mordechai (Moti), geboren 1958 in Jerusalem, Historiker und Experte für Minderheiten im Nahen Osten, insbesondere der Kurden und Assyrer/Aramäer. Er hat längere Zeit als Berater der israelischen Regierung für Minderheiten und Araber gearbeitet und leitet derzeit das Amt für Minderheitenangelegenheiten im Ministerium für öffentliche Sicherheit.


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