Die Beduinen: Zwischen allen Fronten

Eine Gruppe von Touristen begutachtet den Schmuck eines Beduinen an der Straße von Jerusalem nach Jericho. Nach der Zerstörung ihrer traditionellen Lebensgrundlage ist der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle für die Beduinen. Foto: miljko via iStock

Von Klemens Ludwig

Der Begriff „Beduine“ stammt aus dem Arabischen und bedeutet einfach „Nomade“. Wie viele nomadische Völker in allen Teilen der Erde unterliegen die Beduinen erheblichen Diskriminierungen und Einschränkungen, die ihre traditionelle Lebensweise ernsthaft bedrohen. Nationalstaaten mit festen Grenzen sowie ihrem Bedürfnis zur Überwachung, stehen der nomadischen Tradition fundamental entgegen. Durch Ansiedlungsprogramme kann die Überwachung am effektivsten durchgesetzt werden. Diesen Angriff auf ihre traditionelle Lebensart sind die Nomaden in Tibet ebenso ausgesetzt wie die Massai in Ostafrika oder die Tuareg in der Sahara. Auch die Beduinen bleiben davon nicht verschont, und zwar in arabischen Ländern ebenso wie in Israel. Dabei betrachten sie sich selbst als Araber und gehören nahezu ausschließlich dem Islam an.

Die Beduinen konnten sich der staatlichen Erfassung lange dadurch entziehen, dass sie in Familienclans organisiert sind. Die Oberhäupter oder Scheichs besitzen eine weit höhere Autorität als staatliche Institutionen. Sie schlichten Streitigkeiten, üben Richterfunktion aus, regeln Hochzeiten und viele andere öffentliche Tätigkeiten.

Die traditionelle Lebensgrundlage der Beduinen ist die Viehzucht. Die Basis dafür bilden Dromedare, Schafe und Ziegen. Über Generationen zogen sie mit ihren Herden durch die Wüsten der Arabischen Halbinsel, Teile der Sahara, durch Syrien, den Sinai und der Negev-Wüste im Süden Israels. Das Gebiet mit der Form eines Dreiecks umfasst knapp 60 Prozent der israelischen Landfläche, allerdings wird es nur von knapp zehn Prozent der acht Millionen. Bewohner besiedelt. Die größte Stadt Beer Scheva hat etwa 200.000 Einwohner.

Start in Israel

Als Israel 1948 gegründet wurde, lebten in seinen Grenzen etwa 55.000 Beduinen. Die große Mehrheit floh in die angrenzenden arabischen Staaten, mit denen sie sich kulturell näher verbunden fühlte. Offensichtlich waren die Lebensbedingungen in Israel aber dennoch günstig, denn die Beduinen verzeichneten einen beispiellosen Bevölkerungszuwachs. Heute übertrifft ihre Zahl in den israelischen Grenzen die ursprünglichen Werte um mehr als das Vierfache. Vermutlich etwa 220.000 Beduinen leben in Israel; zurückhaltendere Schätzungen gehen von 150.000 aus.

Die Mehrheit der Beduinen in Israel musste die traditionelle nomadische Lebensform aufgeben. Dazu trugen staatliche Maßnahmen ebenso bei wie natürliche Katastrophen. Parallel zur Gründung des Staates Israel wurde die Negev-Wüste in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren von einer Dürreperiode heimgesucht, die es den Beduinen selbst unter günstigen gesellschaftlichen Bedingungen schwer gemacht hätte, an ihrer nomadischen Lebensform festzuhalten. Aufgrund der Dürre wurden ihre Herden dezimiert; manchen drohte sogar die völlige Vernichtung, weil die Weideflächen ausgedörrt waren. So mussten viele Beduinen Lohnarbeit suchen, um ihren Lebensunterhalt sicherzustellen. Rücksichtslose Geschäftsleute nutzten ihre Notlage aus und vermittelten sie zu unwürdigen Bedingungen. Es waren die Leiter von örtlichen Kibbuzen, die ihnen halfen, aus derartigen Abhängigkeitsverhältnissen herauszukommen. Inspiriert von der sozialistischen Idee waren viele Kibbuze angetreten, einen Staat von gleichen und freien Bürgern aufzubauen, egal welcher religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit.

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Die Negev-Wüste, Heimat der Beduinen. Foto: Israeltourism via Flickr

Ein besonderer Fürsprecher der Beduinen war der 1918 in Wuppertal geborene Arie Efrat. Seine Familie war 1933 zunächst nach Prag ausgewandert. Als der Zweite Weltkrieg begann, emigrierte Efrat nach Palästina und schloss sich der Kibbuz-Bewegung in der Negev-Wüste an. Als Oberhaupt eines Kibbuz’ unterhielt er engen Kontakt mit den Beduinen und sorgte dafür, dass sie nicht nur anderen Arbeitern gleichgestellt wurden – wenn sie schon Lohnarbeit leisten mussten – sondern ermöglichte ihnen eine Krankenversicherung, eine schulische Versorgung und andere Sozialleistungen.

Als die Dürre überstanden war, setzte sich Efrat dafür ein, dass sich die Herden der Beduinen erholen konnten, indem die Weideflächen vergrößert wurden. Die wenigsten konnten allerdings noch als Nomaden frei durch den Negev ziehen. Die Mehrheit lebte als Halbnomaden mit einem festen Anlaufpunkt, von dem aus sie die Herden zu den Weideflächen führen konnten.

Veränderungen unter Zwang

Insgesamt blieben Initiativen wie die von Efrat die Ausnahme. Aufgrund seiner strategischen Lage mit einer langen Grenze zu Ägypten und dem Gazastreifen wurde der Negev für die israelische Armee zu einem wichtigen Operationsgebiet. Militärische Sperrzonen schlossen Zivilisten jeder Art aus. Bereits 1951 wurde ein großes militärisches Sperrgebiet im Norden für zunächst 15 Jahre eingerichtet. Es erstreckte sich über große Teile des Siedlungsraums der Beduinen. Doch nach den 15 Jahren wurde es den ursprünglichen Bewohnern nicht erlaubt, in ihre alten Siedlungsgebiete zurückzukehren.

Auch in anderen Teilen des Negev schränkte die militärische Nutzung den Radius der Beduinen stark ein. Viele von ihnen wurden in den Nordosten der Wüste umgesiedelt, in ein Gebiet das gerade einmal zehn Prozent der Gesamtfläche ausmacht.

Zivile administrative Maßnahmen taten ihr übriges, um die traditionelle Lebensweise zu zerstören. Das Abgrasen der Weiden durch die Ziegen wurde aus Gründen des Umweltschutzes in manchen Regionen verboten; Weideflächen verstaatlicht und parzelliert; jüdische Siedler in den alten Weidegebieten angesiedelt; Beduinen-Clans in neu gegründete Städte zwangsumgesiedelt. Dazu wurden sieben sogenannte Planstädte errichtet.

Nach Statistiken des Zentrums für Beduinenstudien und -entwicklung an der Ben-Gurion-Universität des Negev lebt heute etwa die Hälfte der Beduinen in den Komplexen, die der Staat zur Verfügung gestellt hat. Dort ist für die traditionelle Lebensweise kein Raum. Die andere Hälfte verharrt in den staatlich nicht anerkannten, zum Teil traditionellen Siedlungen. Dort leben sie in Zelten, Wellblechhütten oder gar unter Plastikplanen. 35 Dörfer der Art mit unregelmäßiger Strom- und Wasserversorgung, schlechter Infrastruktur und wenigen Schulen zählen die Unterstützer der Beduinen. Richten sich die Beduinen längerfristig ein, droht die Räumung durch die Armee.

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Beduinen protestieren gegen Prawer, ein Regierungsprogramm, das darauf abzielt, nicht genehmigte Siedlungen zu zerstören. Foto: Tal King via Flickr

Die ärmlichen Lebensbedingungen sollen offenbar dazu beitragen, die Beduinen „freiwillig“ in staatliche Siedlungen zu nötigen. Um den Plänen einen legalen Rahmen zu geben, verabschiedet die Knesset 2011 den sogenannten Prawer-Plan. Danach sollen 40.000 Beduinen in größere Städte des Negev umgesiedelt werden. Offiziell sollen damit ihr Status sowie ihre Integration in die israelische Gesellschaft verbessert werden. Das wird von Menschenrechtsorganisationen bezweifelt. Demnach geht es vor allem darum, die neu gewonnenen Flächen Siedlern zur Verfügung zu stellen. 700 Quadratkilometer Land wurden bereits für die Siedler konfisziert.

Das Zentrum für Beduinenstudien beschreibt die sozialen und psychischen Folgen dieser Politik für die Beduinen: „In den letzten Jahren nahmen die Verelendung und Verslummung in einzelnen Stadtvierteln erheblich zu. Parallel zu der wachsenden Arbeitslosigkeit (ca. 40 Prozent bis 60 Prozent bei Männern, 85 Prozent bei Frauen), folglicher Verzweiflung, Apathie, dem Gefühl gefangen und ausgeliefert zu sein, Drogenkonsum und Kriminalität, stieg auch die Feindseligkeit gegenüber dem Staat selbst an.“ (beduinen-online.de)

Neben den staatlichen Zwangsmaßnahmen gibt es noch ein anderes Problem für die Beduinen: der Raketenbeschuss der Hamas aus dem Gazastreifen. Die Attacken der islamistischen Bewegung treffen nicht nur israelische Siedlungen, sondern auch die der Beduinen. Doch während die Israelis rechtzeitig gewarnt werden und in Luftschutzbunkern Schutz suchen können, stehen solche Einrichtungen und staatliche Fürsorgemaßnahmen den Beduinen nicht zur Verfügung. Die Raketen treffen sie unvorbereitet, und die israelische Regierung hat bislang alle Aufforderungen ignoriert, die Beduinen besser vor den Raketen der Hamas zu schützen.

Perspektiven

Die Beduinen verfolgen unterschiedliche Strategien, sich mit der schwierigen Situation zu arrangieren. Zehntausende versuchen so lange wie möglich in den sogenannten illegalen Siedlungen auszuharren, auch wenn die Lebensbedingungen schlecht sind. Sie sehen darin noch einen Rest ihrer alten, traditionellen Lebensform. Die Beduinen in den staatlichen Siedlungen müssen neue Quellen für den Lebensunterhalt erschließen, wenn sie nicht vollständig verelenden wollen. Der Tourismus ist eine Möglichkeit. Manche verdingen sich als Fremdenführer für Wüstenwanderungen und bringen auf diese Art ihr altes Wissen an.

Auch die Armee ist an dem Wissen interessiert. Zwar unterliegen die Beduinen nicht der Wehrpflicht, aber die Armee weiß um ihre Fähigkeiten beim Spurenlesen. Sie hat deshalb spezielle Einheiten zusammengestellt und für einen potenziellen Wüstenkrieg ausgebildet.

Einen anderen Weg geht das bereits erwähnte Zentrum für Beduinenstudien. Neben der Forschung fördert es die Ausbildung und das Studium junger Beduinen durch die Vergabe von Stipendien. Damit soll eine neue Generation heranwachsen, die sich ihrer Rechte bewusst ist und den unvermeidlichen Wandel der Gesellschaft zumindest teilweise mitbestimmen kann.

[Zum Autor]

Ludwig, Klemens, geboren 1955, war von 1977 bis 1989 haupt¬amtlicher Mitarbeiter der Gesellschaft für bedrohte Völker. Seitdem ist er freier Autor mit dem Schwerpunkt Asien und Buddhismus. Ehrenmitglied der Gesellschaft für bedrohte Völker. Rege Reise- und Vortragstätigkeit. Mehr Informationen: www.klemensludwig.de


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