Nachruf: Der indianische Widerstandskämpfer und Pop-Poet John Trudell ist tot

John Trudell ist am 8.Dezember 2015 von uns gegangen. Foto: © Claus Biegert

 

Talking Rock aus dem roten Amerika

von Claus Biegert

John hatte zwei Leben: Als Aktivist von Alcatraz und Frontfigur des American Indian Movement – und als Poet und Pop-Star und Stimme von Turtle Island*. Das zweite Leben und seine Karriere begannen für den indianischen Widerstandskämpfer im Februar 1979, dem Jahr, in dem er in Washington die US-Flagge verbrannte. Ein Jahrzehnt davor war er Wortführer der United Indians of all Tribes („Vereinigte Indianer aller Stämme“), die die frühere Gefängnisinsel Alcatraz besetzten, um in den ehemaligen Kerkern eine indianische Universität einzurichten. Er startete den Inselsender Radio Free Alcatraz, bis die Staatsgewalt nach 19 Monaten das alternative Projekt mit Gewalt beendete. Schon damals war Musik dabei: Die Rock-Band Creedance Clearwater Revival kam übers Wasser und zeigte, dass das andere Amerika künftig auf Seiten der ersten Amerikaner sein würde. Dieses andere Amerika sollte John in seinem späteren Leben noch zum Klingen bringen. Nach Alcatraz trat er dem American Indian Movement (AIM) bei, jener pan-indianischen Widerstandsbewegung, die in Minneapolis-St. Paul ihren Anfang genommen hatte, die sich als Nicht-Organisation bezeichnete und quer durch Nordamerika die geschwächten Stämme vereinte und immer wieder mit spektakulären, militanten Aktionen auf sich aufmerksam machen sollte.

Am 15. Februar 1946 in Omaha, Nebraska als Sohn eines Dakota und einer Mexikanerin geboren, hatte er zuerst ein Medienstudium begonnen, dann in Vietnam gekämpft, bevor er die Seiten wechselte und eloquent die USA der Menschenrechtsverletzungen und die Industriegesellschaft der Erdzerstörung anklagte. Sechs Jahre lang leitete er AIM.

Die Besetzung von Alcatraz 1969-1971 war die erste große Aktion des American Indian Movement, an der John Trudell teilgenommen hat. Foto: © rocor via Flickr

Alcatraz war ein Meilenstein. Ein weiterer war Wounded Knee. Im Februar 1973 folgten die Stadtindianer aus Minneapolis-St. Paul einem Hilferuf der traditionellen Oglala-Lakota und besetzten den historischen Ort in dem Reservat Pine Ridge im US-Bundesstaat South Dakota. Dort hatte die 7. US-Kavallerie im Dezember 1890 mehr als 200 unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder der Minneconjou-Lakota niedergemetzelt. Anfang der 1970er Jahre herrschte im Pine-Ridge-Reservat Bürgerkrieg. Traditionelle Lakota – gemeinsam mit Dakota und Nakota als Sioux bekannt –, die die vom Bureau of Indian Affairs (BIA) eingeführte Regierungsform ablehnten, standen regierungstreuen Stammesmitgliedern gegenüber, den sogenannten „Good Indians“. 71 Tage hielten die Besetzer des AIM dem US-Militär stand.**

Das FBI versorgte die „Guten“ mit Munition und Bier und nutzte den Zwist, um in der Zeit rund 2.000 ihrer „Special Agents“ im Reservat auszubilden. In diese Ära fällt der berüchtigte Schusswechsel vom 26. Juni 1975, bei dem zwei FBI-Agenten und ein junger Indianer ums Leben kamen. Als Mörder der Agenten wurde Leonard Peltier ausgesucht und zu zweimal lebenslänglich verurteilt – Beweise gab es nur gefälscht. Peltier, seit 1976 in Haft, wird von Amnesty International als politischer Gefangener geführt. Trudell, schon immer wortgewaltig und dies auch in der Tat, verbrannte am 11. Februar 1979 als Protest den Sternenbanner vor der Zentrale des FBI.

In der folgenden Nacht fing das Haus seiner Schwiegereltern auf dem Shoshone-Reservat Duck Valley im Bundesstaat Nevada Feuer; seine schwangere Frau Tina, seine drei Kinder und seine Schwiegermutter verbrannten. Die Brandursache wurde nie untersucht. In Trudells Augen war es ein Racheakt des FBI; Beweise dafür gab es jedoch keine. Er war nah daran, sein Gleichgewicht für immer zu verlieren. Um sich zu retten, griff der Aktivist zu Papier und Stift und heilte sich durch Poesie. Er schrieb und schrieb und produzierte „Lines“ – Zeilen –, wie er sich ausdrückte. Seine ersten Büchlein „Living in Reality“ und „Stickman“ sind Kult.

Ich traf John das erste Mal im Frühjahr 1977 auf der Franklin Avenue in Minneapolis. Wir fuhren über den Mississippi von Minneapolis nach St. Paul und von St. Paul nach Minneapolis. John plötzlich: „Elvis tought us how to move, he made us feel alright. We Indians will need music, our movement needs to dance. Elvis showed us how. Resistance will not work without music.” Diese Worte im Auto waren wieder da, als ich „Baby Boom Che” hörte, stark die Gitarre von Jesse Ed Davis, Elvis-Melodien zitierend, und dann Johns Stimme, rauh, intim, fordernd: „You wanna know what happened to Elvis? I’ll tell ya what happened. I oughta know, man, I was one of his army. I mean, man, I was on his side. He made us feel all right.”

John war ein früher Anti-Atom-Aktivist. Im Sommer des Tschernobyl-Jahres 1986 standen wir zwischen Wacholderbüschen auf der Hochebene von Big Mountain. Crow Dog hatte einen Sonnentanz zu den Navajo gebracht, um ihren Widerstand gegen gewaltsame Umsiedelung zu unterstützen. Von dort hörten wir Gesang, es war ein Hintergrund, wie ihn John gern verwendete. Ich erzählte ihm vom Landrat Hans Schuierer, der sich gegen die Wiederaufbereitungsanlage von Wackersdorf wehrte. Ich entwarf einen Plan, John nach Bayern zu holen, ihn mit dem Landrat bekannt zu machen. Es blieb ein Plan.

Wir, die wir in der deutschen Anti-Atom-Bewegung gegen Uranabbau kämpften, waren in engem Kontakt mit der Cree-Aktivistin Adele Ratt aus Saskatchewan. Adele starb 2014, John hatte mit ihr zwei Kinder. Durch Adele war für uns auch John immer präsent.

John ging barfuß auf die Bühne. Es war seine Art, seinen Auftritten ein Gefühl von Bescheidenheit zu geben. Er hat uns alle berührt. Er war ein Fänger: Menschen blieben an seinen Worten hängen und blickten dann auf die Ureinwohner von Turtle Island, die sie vorher nicht wahrgenommen hatten. Seine Töne wurden von Mal zu Mal präziser, schärfer, radikaler, ohne jemals die Werte zu vergessen, auf die es ihm ankam: Liebe und Verantwortung. Die Bewertungen der Musikkritiker waren meist euphorisch; die Bewertung des FBI konnte sich daneben sehen lassen: „Very eloquent … very dangerous.“

Nach einer Lesung in Los Angeles, Anfang der Achtziger war das, kam ein Indianer aus dem Publikum auf ihn zu und sagte, er hätte die Musik zu Johns Worten. Es war der Sänger und Gitarrist Jesse Ed Davis, ein Kiowa, in der Welt des Pop seit George Harrisons „Concert for Bangladesh“ ein bekannter Name. John und Jesse produzierten ihr erstes Tape: „Grafitti Man“. Der Wortkünstler warf seine Lines auf den Klangteppich, den der Rock-Musiker vor ihm ausbreitete.

Dann ging alles seinen Gang. Ein Freund ließ bei einer Party die Kassette in die Rocktasche von Bob Dylan gleiten und der meldete sich schon bald, ließ wissen, nur gewisse Talente seien Meister im Talking Rock, Talente wie Lou Reed oder eben John Trudell. Eine Zeitlang ließ Dylan in den Pausen seiner Konzerte Trudells Tape laufen. Jesse Ed Davis hatte gute Kontakte in der Musikbranche, die ersten gemeinsamen Auftritte wurden gebucht – da fand man den Musiker am Boden in einem Waschsalon: Überdosis.

Trudell schrieb neue „Lines“ und stellte eine neue Truppe zusammen. Jackson Brown half ihm dabei, er fand zusätzlich einen indianischen traditionellen Sänger, Quilt Man, und produzierte Album um Album; insgesamt vierzehn, dreimal erhielt er den Native American Music Award. Er begann, in Filmen aufzutauchen, „Thunderheart“ von Michael Apted und „Smoke Signals“ von Chris Eyre ragen dabei heraus, schließlich wurde ein Film über ihn gedreht und preisgekrönt: „Trudell“ von Heather Rae. Mit dem Folksänger Willie Nelson gründete er das „Hempstead Project Heart“, um den Hanfanbau für Baumaterial und Kleidung voranzutreiben, auch im Hinblick auf kleine, regionale Wirtschaftsmodelle in den Reservaten. Dies war auch der Beweggrund, als er mit seiner letzten Lebenspartnerin Marcheline Bertrand die Stiftung All Tribes Foundation gründete. Beide Initiativen sind heute Vermächtnis: Bertrand starb im Januar 2007, Nelson im Mai 2015. John Trudell folgte ihnen am 8. Dezember 2015. Er starb, umgeben von seinen Kindern und Freunden in seinem Haus im Santa Clara County in Nord-Kalifornien.


* Als „Turtle Island“, „Schildkröteninsel“, bezeichnen viele indianische Völker den Kontinent Nordamerika.

** AIM wurde 1973 von traditionsbewussten Reservatsbewohnern zu Hilfe gerufen, weil die Lakota unter dem Terrorregime des korrupten Stammespräsidenten Dick Wilson litten. Er hat damals rund 60 Indianer von seiner Schlägertruppe ermorden lassen, um jeden Widerstand gegen den Verkauf von Teilen ihres Landes, auf dem es größere Uranvorkommen gibt, zu ersticken. Gegen die Bürgerrechtler setzte die US-Regierung damals die Nationalgarde und das FBI ein. Die Indianer hielten trotz der Bedrohung auch durch Panzer und Helikopter 71 Tage lang stand, bevor sie am 8. Mai aufgeben mussten. Während der Protestaktion wurden zwei Demonstranten von Sicherheitskräften erschossen.

 

Eine gekürzte Version erschien am 10. Dezember 2015 in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Feuer“.

 

[Zum Autor]

Claus Biegert arbeitet für den Bayerischen Rundfunk, die Süddeutsche Zeitung sowie für die Magazine Oya und natur. Er wurde bekannt durch zahlreiche Publikationen über seine Recherchen bei den Indianern in den USA und Kanada. 1992 hat er mit anderen die Weltkonferenz „World Uranium Hearing“ in Salzburg organisiert. Indigene Völker berichteten dort von den Folgen der Atomindustrie. Biegert ist Gründer des „Nuclear-Free-Future-Award“, eine Auszeichnung, die seit 1998 an Menschen verliehen wird, die sich für eine Welt ohne Atomenergie und Atomwaffen engagieren. Er ist zudem Beiratsmitglied der Gesellschaft der bedrohte Völker.


Header Foto: © Claus Biegert

Foto Mitte: © rocor via Flickr

 

GfbV-Zeitschrift "pogrom - bedrohte Völker im Online-Shop bestellen.

Lesen Sie weiter