Karenische Flüchtlinge in Thailand: Impressionen aus Mae La

Eine Großfamilie ruht sich im Schatten ihres Hauses aus. Zwischen März und Mai wird es nahezu täglich 40 Grad heiß, die Luft ist unerträglich schwül, die Sonne brennt auf der Haut. Foto: Julia Gorlt

Dichtbewachsene Berge umgeben das Mae-La-Camp, an den Hängen reihen sich kleine Holzhäuser aneinander, Kirchen und buddhistische Tempel stehen einträchtig nebeneinander, Hähne krähen, Kinder singen: Mae La scheint auf den ersten Blick ein idyllischer Ort zu sein. Doch es fallen die vielen militärischen Kontrollposten an der Straße zum Camp auf sowie der Stacheldrahtzaun, der das Camp umschließt. Er ist zwar bereits teilweise stark verrostet, spiegelt aber die Flüchtlingspolitik der thailändischen Regierung wider: Die Menschen dürfen für eine bestimmte Zeit in Thailand Schutz suchen, die Camps jedoch in der Regel nicht verlassen. Viele Camp-Bewohner klagen über psychische Probleme und die Suizidrate ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Sie fühlen sich wie in einem Käfig, in dem sie lediglich essen und schlafen würden. Sie leben nicht freiwillig hier. Doch sie mussten hierher kommen weil Mae La ihnen ein besseres Leben im Vergleich zu ihrer Heimat bietet. Dennoch: Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit macht einige zu passiven Empfängern von Hilfsgütern, die weder alle Bedürfnisse stillen noch ein Leben in Würde ermöglichen. Andere indes haben ihre eigenen Strategien, um ihrer trostlosen Lage zu entkommen: Sie verlassen die Camps heimlich und nehmen damit ein hohes Risiko auf sich, um auf den umliegenden Feldern als Tagelöhner zu arbeiten oder in den Wäldern Nahrung zu suchen. Einige nehmen an Projekten verschiedener NGOs teil, die ihre Eigenständigkeit fördern und es ihnen ermöglichen, kleine Läden zu eröffnen. Viele Christen im Camp haben durch die Kirche einen starken Partner, der ihnen nicht nur ein breites soziales Netzwerk bietet, sondern vor allem Hoffnung auf bessere Zeiten schenkt, in denen sie vielleicht eines Tages in ihre Heimatregionen zurückkehren können.

Diese religiösen, transnationalen Netzwerke sind jedoch stark missionierend ausgerichtet und vertreten nicht die Interessen aller Bewohner. Daher muss die thailändische Regierung dafür sorgen, dass jeder Flüchtling im Exil, unabhängig von seiner sozialen Stellung und seinem Bildungsstand, ein selbstbestimmtes Leben in Würde führen kann, fordern Organisationen wie Human Rights Watch und The Border Consortium. Dazu gehört insbesondere der Abbau von Arbeits- und Bewegungsbeschränkungen.


Hintergrund

Als General Ne Win 1962 die Macht in Burma übernommen hat, begann eine nicht enden wollende Spirale von Gewalt, Vertreibung, Zensur und erzwungenem Nationalismus. 1984 flohen Angehörige ethnischer Minderheiten dauerhaft aus dem Land, denn in diesem Jahr hatte das burmesische Militär seine Offensive gegen die de facto autonomen Gebiete der Shan, Karen, Mon und Karenni im Osten des Landes massiv ausgedehnt. 1987 starteten Massenproteste gegen das Militärregime. Diese wurden im Folgejahr blutig niedergeschlagen. Tausende kamen dabei ums Leben. Erneut flohen mehrere tausend Menschen in die Flüchtlingslager entlang der thailändischburmesischen Grenze. In den 1990er Jahren stiegen die Flüchtlingszahlen in den thailändischen Camps weiter an. Auch nach der politischen Öffnung im Jahr 2011 kommt Burma nicht zur Ruhe. Aufgrund erneuter Unruhen zwischen Freiheitsbewegungen im Mon- und Karen-Staat sowie aktuell im Kachin- und Shan-Staat und dem burmesischen Militär flohen erneut Menschen. Das thailändische Militär hat den Schutzsuchenden die Grenzüberschreitung verwehrt oder sie zurück in die Gefahrenzone jenseits der Staatsgrenze deportiert.


Klicken Sie auf die Fotos, um in die Welt karenischer Flüchtlinge in Mae La einzutauchen.

Foto: Soungpoe
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Foto: Julia Gorlt
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Foto: Julia Gorlt

 

Momentan leben noch etwa 110.000 Flüchtlinge in neun Camps entlang der thailändisch-burmesischen Staatsgrenze auf thailändischem Staatsgebiet, von denen Mae La das größte Lager ist. Dort haben etwa 40.000 Menschen Zuflucht gefunden. Die meisten sind Angehörige der Karen, Burmas drittgrößter Bevölkerungsgruppe. 2005 stieg die Flüchtlingszahl in den Camps auf bis zu 150.000 Menschen an, kurz bevor ein Drittstaaten-Programm in Ländern wie den USA, Kanada, Norwegen und Australien, das sogenannte Resettlement Program, gestartet wurde. Nur vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR registrierte Flüchtlinge konnten sich dafür bewerben. Die thailändische Regierung hörte noch im gleichen Jahr damit auf, Flüchtlinge zu registrieren, und das Programm lief 2005 aus. Mehr als 103.000 Menschen konnten jedoch in einen Drittstaat umgesiedelt werden. Die meisten von ihnen waren vergleichsweise gut ausgebildet; viele arbeiten im Aufnahmeland und schicken ihren zurückgebliebenen Familien Geld. Diese Fachkräfte fehlen nun in den Camps, die zuvor dort gearbeitet haben. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten Organisationen, die humanitäre Hilfe in den Camps leisten, nun einen Großteil ihrer Gelder für den Wiederaufbau in Burma verwenden. Die Kürzungen elementarster Leistungen treffen vor allem die marginalisierten Campbewohner empfindlich, unter ihnen oft Menschen, die ein geringes Bildungsniveau haben oder keiner religiösen Institution, wie der baptistischen Kirche, angehören, die ihnen den Zugang zu gut ausgebauten transnationalen Netzwerken ermöglicht. Hinzu kommen die scharfen Restriktionen seitens der thailändischen Regierung, insbesondere nach dem Militärputsch im Mai 2014. Thailand, als Nichtunterzeichner der Genfer Flüchtlingskonvention, sieht Flüchtlinge prinzipiell als illegale Einwanderer und potentielles Sicherheitsrisiko an. Die seit 1984 existierenden Grenzcamps werden immer noch als Orte zeitlich begrenzter Zuflucht bezeichnet. Das ist jedoch paradox, denn viele, die heute erwachsen sind, wurden in den Camps geboren und haben ein Leben außerhalb nie kennengelernt.

Die tägliche Angst, ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten zu können, die Verweigerung eines emanzipierten und selbstbestimmten Lebens, Traumata und Schikanen seitens der Campaufsicht haben zu einem Anstieg von Drogen- und Alkoholmissbrauch geführt. Die Lage der Menschen in Mae La ist prekär, es muss ihnen eine Stimme gegeben werden, damit sie im Zuge internationaler Euphorie über den Sieg der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) in Burma nicht ungehört bleiben und zu früh in ihr Heimatland zurückgeschickt werden.

Foto: Soungpoe

Aktuelle Entwicklungen

Just im Oktober 2015 wurde ein sehnlich erwartetes Waffenstillstandsabkommen mit acht von insgesamt 15 ethnischen Armeen geschlossen. Die Wahlen zum nationalen Parlament vom 8. November dieses Jahres können zu Recht als historischer Moment bezeichnet werden. Aung San Suu Kyis NLD gewann mit absoluter Mehrheit und stellt nun 390 von 664 Mandaten im Parlament. Trotz des insgesamt positiven Ausgangs der Wahlen gibt es in einigen Regionen des Landes noch immer Kämpfe, bei denen Zivilisten getötet und verletzt werden. Das löst neue Flüchtlingsbewegungen aus. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation Fortify Rights und der Yale Law School werden die systematische, von staatlicher Autorität geduldete und aktiv unterstützte Verfolgung und Vertreibung der Rohingya im Westen des Landes, die Widerrufung ihrer burmesischen Staatsbürgerschaft und ihre Ghettoisierung als starke Indizien für einen gegenwärtigen Völkermord bezeichnet. Die dramatische Lage dieser Bevölkerungsgruppe sowie die wieder entfachten Kämpfe im Kachin- und Shan-Staat stellen einen dramatischen Rückschlag für eine positive Entwicklung des Landes dar. Deshalb misstrauen die Menschen in Burma, aber auch die, die im Exil leben müssen, dem Militär und Noch-Präsidenten und Ex-General Thein Sein. Auf keinen Fall dürfen diese Menschen in naher Zukunft in ein politisch noch allzu instabiles Land zurückgeschickt werden, wo Landraub und weitverbreitete Armut vorherrschen, wo die systematische Diskriminierung ethnischer Nationalitäten und anderer Minderheiten noch immer stattfindet, wo Straffreiheit herrscht und wo der Frieden brüchig ist. Der Regierungswechsel, welcher frühestens im März des kommenden Jahres stattfinden wird, wird weder von einem auf den anderen Tag Wunder bewirken können, noch wird er die tief sitzenden Traumata der Flüchtlinge heilen oder Tausende Landminen in den Minderheiten-Regionen verschwinden lassen. Die gegenwärtigen Reformen sind unzureichend und kommen nicht allen im Land zu Gute. Daher darf die thailändische Regierung den Sieg der NLD auf keinen Fall als Legitimierung zur Schließung der Camps ausnutzen, sondern sollte die Eigenständigkeit der Flüchtlinge fördern, damit diese gestärkt nach Burma zurückkehren können, sobald für sie selbst der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Die Zahl derer, die bisher dauerhaft aus den Camps zurück nach Burma gekehrt sind, sprechen für sich, denn sie liegt bei nahezu null. Um nachhaltigen Frieden in Burma zu schaffen, bedarf es in erster Linie der Mitsprache derer, die durch den Konflikt vertrieben worden sind.


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