Editorial

Ulrich Delius - © GfbV

 

Liebe Leserin, lieber Leser

wird der 8. November 2015 ein historischer Tag für Burma sein? Zumindest hatte man an diesem Tag in der Millionenmetropole Yangon das Gefühl, als Tausende auf die Straße gingen, um den Wahlsieg der Nationalen Liga für Demokratie(NLD) zu feiern. Der Weg scheint jetzt frei für die erste demokratisch gewählte Regierung seit 1962. Die ethnischen Minderheiten erwarten nun, dass nach mehr als 60 Jahren Krieg und Flucht endlich Frieden ins Land kommt und die Menschenrechte gewahrt werden.

Menschenrechtler sind jedoch skeptisch, ob Burma nach der Parlamentswahl die Schatten der Militärdiktatur abwerfen kann. Zwar haben der noch amtierende Präsident Thein Sein und Min Aung Hlaing, Oberbefehlshaber der Armee, versichert, dass sie das Ergebnis anerkennen. Aber das Militär wird auch weiterhin großen Einfluss auf das politische Geschehen im Land haben. So schreibt die Verfassung vor, dass 25 Prozent der Parlamentssitze dem Militär vorbehalten sind. Das Militär kann zudem bestimmen, wer Innen- und Verteidigungsminister sowie Minister für Grenzsicherheit wird – wichtige Ressorts, die es dem künftigen Präsidenten nicht leicht machen werden, Entscheidungen ohne die Zustimmung des Militärs durchzudrücken.

Erst im Frühling 2016 wird mit dem Regierungswechsel gerechnet. Es bleibt also abzuwarten, wie sich Burma entwickeln wird, denn das Land hat nach wie vor mit vielen Problemen zu kämpfen: So erstarkt etwa der buddhistische Nationalismus. Organisationen wie die 969-Bewegung oder Ma Ba Tha hetzen in der Öffentlichkeit gegen Andersgläubige, vor allem gegen Muslime. Diese Hetzparolen vergiften jedoch das politische und soziale Klima im Land und schüren gezielt Spannungen zwischen der buddhistischen Mehrheitsbevölkerung und Andersgläubigen.

Auch in der Politik mischen buddhistische Nationalisten mit. Ma Ba Tha hat vier Gesetzesentwürfe vorgelegt, die die Regierung 2015 verabschiedet hat. Diese legen den Grundstein für die politische Diskriminierung von Nicht-Buddhisten. So müssen Buddhisten etwa eine Erlaubnis bei  Behörden einholen, wenn sie jemanden heiraten wollen, der einer anderen Religion angehört. Ein weiteres Gesetz schreibt vor, dass nicht-buddhistische Frauen innerhalb von drei Jahren nach der Geburt eines Kindes kein weiteres gebären dürfen.

Doch nicht nur die Drangsalierung religiöser Minderheiten ist besorgniserregend: Die Gier nach Land und Ressourcen öffnet Tür und Tor für Menschenrechtsverletzungen vor allem in den Minderheiten-Regionen, in denen die meisten Bodenschätze wie Gold, Jade oder Erdgas lagern. Menschen werden von ihrem angestammten Land vertrieben, um Förderstätten in Betrieb zu nehmen, Staudämme zu bauen oder Pipelines für den Erdgas- und Erdöltransport zu verlegen.

Alle Hoffnungen ruhen nun auf der NLD und ihrer Generalsekretärin Aung San Suu Kyi. Das Präsidentenamt ist ihr zwar verwehrt, dennoch hat sie vor, die neue Regierung entscheidend mitzuprägen. Hoffentlich kann Burma die fast 50 Jahre andauernde Militärdiktatur hinter sich lassen und geht den bereits eingeschlagenen Weg zu einem demokratischen Staat, in dem alle Menschen die gleichen Rechte haben, konsequent weiter.

Ihr Ulrich Delius

Asienreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker

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