Editorial

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Liebe Leserin, lieber Leser,

eisige Stürme tosen um den schneebedeckten Gipfel von Mount McKinley in Alaska unweit des Polarkreises. Zeigen sie so ihren Unmut, dass der höchste Berg der USA seit 1896 den Namen des US-amerikanischen Präsidenten William McKinley (1843-1901) trägt? Nun wurden sie erhört, die bisher offizielle Bezeichnung ist Geschichte: Barack Obama gab dem 6.168 Meter hohen Eisriesen Ende August 2015 seinen alten Namen „Denali“ zurück. „Denali“ bedeutet in der Sprache der Koyukon, die zur Familie der Athabasken-Sprachen gehört, so viel wie „der Große“.

Auch ein Angehöriger der Pit-River-Indianer kam im Sommer 2015 in Kalifornien zu seinem Recht. Bei der Zeugnisausgabe wollte der 18-Jährige eine Adlerfeder tragen, die ihm sein Vater anlässlich des Schulabschlusses überreicht hatte. Der Adler ist für die Native Americans heilig und seine Feder Bestandteil vieler Zeremonien. Die Schule verwehrte ihm zunächst den Wunsch mit der Begründung, dass sich die Absolventen an Kleidungsvorschriften zu halten hätten. Schließlich konnten sich die Schulleitung und der unnachgiebige junge Mann einigen: Er durfte sich mit der Feder schmücken.

Dies sind kleine Schritte für die Anerkennung des kulturellen Erbes der Alaska Natives und der American Indians – so die offizielle Bezeichnung der indigenen Völker der USA. Doch es gibt noch weitaus mehr zu tun. Rund 5,25 Millionen Menschen gaben bei einer 2013 in den USA durchgeführten Umfrage an, zu einer indigenen Gruppe zu gehören. Drei von zehn Indianern leben in Reservaten, in denen die Lebensverhältnisse oft katastrophal sind. Eine Arbeitslosenquote von mehr als 70 Prozent ist in den Reservaten nicht selten. Während der Kampf der Schwarzen gegen Diskriminierung und unverhältnismäßige Polizeigewalt in den USA seit dem Tod des jungen Afroamerikaners Michael Brown vor mehr als einem Jahr von der Weltöffentlichkeit wahrgenommen wird, geht das Aufbegehren der Native Americans gegen Missstände medial unter. So brachen etwa am 5. Juli 2015 100 Apachen von der Organisation Apache Stronghold zu einem zweieinhalbwöchigen Marsch vom Mount Graham/Arizona in die Hauptstadt Washington D.C. auf, um gegen Kupferförderung in ihrem Gebiet zu protestieren. Ihr Engagement fand nur wenig Beachtung in nationalen sowie internationalen Medien.

In Kanada indes tönte der indianische Widerstand weit über die Landesgrenzen hinaus. Im November 2012 formierte sich die Bewegung Idle no more („Nicht länger untätig“), um gegen die Aufhebung der Grundrechte der kanadischen Indianer und den Ausverkauf ihres Landes zu protestieren. Seit Jahren schnürt der kanadische Premier Stephen Harper ein Gesetzespaket nach dem anderen, um die Rechte der First Nations, wie die indianischen Völker in Kanada genannt werden, weiter zu beschneiden.

Die indigenen Widerstandsbewegungen sowohl in den USA als auch in Kanada werden so lange nicht stillhalten, bis Missstände beseitigt sind und das an ihnen begangene Unrecht gesühnt ist, das vor mehr als 400 Jahren begann. Seit damals eroberten europäische Siedler das Land jenseits des Ozeans und machten die Ureinwohner zu einem Schatten ihrer selbst.

Ihre Sandy Naake

Redakteurin von bedrohte Völker - pogrom

 

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