Die Obamas und die Native Americans - Versuch einer Bilanz

Barack Obama unterzeichnet am 29.Juli 2015 den "Tribal Law and Order Act", der die Befugnisse der Stammesgerichte erweitert, gegen Drogenmissbrauch und häusliche Gewalt in den Reservaten vorzugehen. Foto: National Congress of American Indians / Flickr

 

von Yvonne Bangert

Als Barack Obama 2008 zum mächtigsten Mann der Welt gewählt wurde, trugen ihn auch die Hoffnungen vieler Native Americans ins Amt. Im offiziellen indianischen Amerika ist er noch immer sehr beliebt. Zweifellos nimmt er ihre Belange ernster, sucht intensiver das Gespräch zu den Vertretern der „Stammesverwaltungen“ und „Stammesräte“* als seine Vorgänger. Auf diese Ebene scheint er sich jedoch zu beschränken. Mit indianischen Bürgerrechtlern, Aktivisten von Basisbewegungen oder wirtschaftskritischen Gegnern der Rohstoffausbeutung auf indianischem Land, die sich außerhalb dieser Strukturen der offiziell anerkannten 566 „Stämme“ bewegen, pflegt er weniger regen Umgang.

Mit der Einsetzung der White House Native Tribal Conference erfüllte er 2009 das Wahlversprechen, die Native Americans stärker in Entscheidungen über ihre Belange einzubinden. Jedes Jahr treffen sich seitdem Vertreter der Stammesräte und hochrangige Beamte des Regierungsapparates in Washington, D.C. zu Konsultationen. In vielen Behörden besetzte Obama wichtige Posten mit indianischen Mitarbeitern, so etwa im Bureau of Indian Affairs (Amt für indianische Angelegenheiten/BIA) oder dem Indian Health Service (Indianisches Gesundheitsamt). Und seine Regierung brachte 2012 das Verfahren der Blackfeet Eloise Cobell gegen das BIA zum Abschluss. Mehr als 100 Jahre lang hatte das BIA Einkünfte aus Verpachtungen und Lizenzeinnahmen für Rohstoffförderung, auf die die Native Americans Anspruch hatten, falsch berechnet und veruntreut. Seit 1996 hatte Cobell stellvertretend für 300.000 Kläger um Entschädigungsleistungen gekämpft. Bekommen haben sie einen Schadensersatz von 3,4 Milliarden US-Dollar, was nur einem Bruchteil des entgangenen Gewinns entsprechen dürfte. Der größte Teil dieser Summe fließt in das sogenannte Land Buy-Back Program für den Rückkauf von indianischem Land, das im Zuge des Dawes Act von 1887 enteignet wurde. Sie müssen also mit der viel zu geringen Entschädigung für Unterschlagung und Betrug ein zweites Mal für die Rückgabe von Land bezahlen, das ihnen widerrechtlich genommen wurde.

Ein weiteres wichtiges Gesetz der Obama-Regierung ist das Gesetz „Helping Expedite and Advance Responsible Tribal Homeownership“ (HEARTH Act) von 2012, das den anerkannten „Stämmen“ die Verpachtung von Stammesland ohne Auflagen des BIA erleichtern soll. Der Zugriff auf die Bodenschätze (Subsurface rights) ist davon jedoch ausgeschlossen. Mit dem „Affordable Care Act“ und dem „Indian Health Care Improvement Act“ sind zwei Regelwerke für die Native Americans auch Bestandteil von Obamas Gesundheitsreform. Der „Tribal Law and Order Act“ schließlich erweiterte die Befugnisse der Stammesgerichte, gegen Drogenmissbrauch und häusliche Gewalt in den Reservaten vorgehen zu können.

Im August 2015 gab Obama dem höchsten Berg der USA, ehemals Mount McKinley, seinen alten Namen zurück:"Denali" bedeutet in der Sprache der Koyukon, die zur Familie der Athabasken-Sprachen gehört, so viel wie "der Große". Foto: Denali National Park and Preserve / Flickr

Zu Beginn seiner zweiten Legislaturperiode setzte Obama im Sommer 2013 den White House Council on Native American Affairs ins Amt als Gremium aus leitenden Angestellten aller Ministerien und Behörden, die mit Angelegenheiten der Native Americans befasst sind und diese koordinieren. Das Organ der Stammesräte, der National Congress of American Indians (NCAI), begrüßte dies ausdrücklich.

Warum nimmt Präsident Obama die Native Americans offenbar ernster als seine Vorgänger? Das Schweizer Fernsehen SRF nennt in einem Beitrag am 3. Dezember 2014 unter anderem zwei Gründe: Es gebe durch Spielcasinos inzwischen einige wohlhabende Native Nations, die durch Parteispenden Einfluss auf die Politik zu nehmen begännen, zum anderen hätten die Native Americans in Staaten wie Alaska, Montana, New Mexiko und South Dakota einen so großen Bevölkerungsanteil, dass sie bei Wahlen zum Zünglein an der Waage werden könnten.

Aber auch persönliche Betroffenheit sollte man Barack und Michelle Obama nicht gänzlich absprechen. Nach einem Besuch des Reservats Standing Rock in North Dakota im Juni 2014 zeigte sich das Präsidentenpaar tief bewegt von den Schilderungen ihrer jugendlichen Gesprächspartner über ein Leben gezeichnet von Obdachlosigkeit, Alkoholmissbrauch, häuslicher Gewalt, Armut und Suizid. Anschließend legte das Weiße Haus einen Report vor, der angesichts des Zustands der Bildung, der Sozialwirtschaft, der Gesundheit und anderer Punkte bei den Native Americans von einer nationalen Krise sprach. Deutlicher Indikator sei, dass Suizid bei der Altersgruppe der 15- bis 24-jährigen Reservatsbewohner die zweithäufigste Todesursache sei. Das Justizministerium legte einen Report zu häuslicher Gewalt gegenüber indianischen Kindern vor. Und der „2014 Native Youth Report“ des Weißen Hauses befasste sich mit dem Stand der Bildung bei den Native Americans. Die Senatorinnen Heidi Heitkamp (North Dakota) und Lisa Murkowski (Alaska) erarbeiteten daraufhin eine Gesetzesvorlage für die Schaffung einer Kommission für die Belange der indianischen Kinder. Diese soll alle Programme, Stipendien und Dienstleistungen, die Behörden und Stämme bereits für die Kinder bereitstellen, sichten und untereinander abgleichen, besser koordinieren und für einen effektiveren Einsatz der Geldmittel sorgen. Ende Juni 2015 wurde die Gesetzesvorlage dem Repräsentantenhaus vorgelegt.

Auch die Initiative „Generation-Indigenous“ (kurz: Gen-I) geht auf den Besuch in Standing Rock zurück. Diese Bewegung liegt besonders der First Lady am Herzen und soll Programme und Projekte für indianische Jugendliche bündeln und ihnen helfen, durch Wertschätzung ihrer Kultur neues Selbstvertrauen zu gewinnen. „Die Leute im Indianerland“, sagt die First Lady, „wachen ja nicht eines Morgens auf und haben Drogenprobleme. Armut und Gewalt ereignen sich nicht willkürlich. Sie sind das Ergebnis einer langen Geschichte von systematischer Diskriminierung und Missbrauch.“ Am 9. Juli 2015 empfing Michelle Obama mehr als 1.000 Jugendliche von 230 Stämmen zum ersten Tribal Youth Gathering. Die Jugendlichen kamen dabei auch mit Mitgliedern des Kabinetts und des White House Council onNative American Affairs zusammen.

Auch die First Lady Michelle Obama setzt sich für die Native Americans ein. Das von ihr initiierte Programm "Let's move! in Indian Country" des Indian Health Service hat sich zum Ziel gesetzt, übergewichtigen Kindern von Native Americans einen gesünderen Lebensweg, beispielsweise in Form von Ernährungsberatung, zu vermitteln. Foto: National Congress of American Indians / Flickr

Was aber nutzt das alles, wenn es am Geld fehlt, wohlmeinende Programme auch angemessen zu finanzieren. Innenministerin June Jewell will zum Beispiel die Verantwortung für die Schulen, die unter der Verwaltung des Ministeriums für indianische Bildung stehen (Bureau of Indian Education), an die Stämme übertragen. Davon verspricht sie sich unter anderem mehr Hilfsprogramme zur Unterstützung der Schüler an den Reservatsschulen und eine Ausweitung der Anstrengungen zur Suizidprävention. Aber im Etat für 2015 gibt es dafür kein Geld. Karitative Stiftungen, Industrie oder die Wirtschaft und andere private Geldgeber müssten hier ins Boot geholt werden, heißt es. Ein solcher Appell wirkt für europäische Ohren etwas hilflos. Ohne eine aus Regierungsgeldern finanzierte stabile und verlässliche Grundlage lässt sich in dieser Krise nichts verbessern. Aber die entsprechenden Programme sind hoffnungslos unterfinanziert.

Ein Beispiel: Ein beim Justizministerium angesiedeltes Beratungskomitee zu Gewalt gegen indianische Kinder (American Indian and Alaska Native Children Exposed to Violence) führte 2014 vier Anhörungen in North Dakota, Arizona, Florida und Alaska durch. Anschließend legte das Komitee einen 120-seitigen Bericht mit 31 Empfehlungen vor, die in erster Linie Programme für die Kinder von Native Americans betrafen. Obwohl diese Programme schon hoffnungslos unterfinanziert waren, wurde der Etat weiter gekürzt: von 25 Millionen USDollar im Haushaltsjahr 2010 auf fünf Millionen US-Dollar 2014.

Guter Wille allein reicht nicht. Im Haushalt für 2016 wurden mit 20,8 Milliarden US-Dollar zwar 1,5 Milliarden US-Dollar mehr veranschlagt als für 2015. Nach dem Gießkannenprinzip sollen diese Gelder jedoch auf eine Vielzahl von Bundesprogrammen für die offiziell anerkannten Stämme für Bildung, soziale Dienstleistungen, Justiz, Gesundheit, Infrastruktur, Verwaltung von Land, Wasser und anderen Rohstoffen verteilt werden. Das neue Regierungsprojekt der Generation-I soll dabei entsprechende Programme für Jugendliche unterstützen. Außerdem wird das Innenministerium 995.000 US-Dollar an 20 Colleges und Universitäten der Stämme ausschütten – das ist mit gerade mal knapp 50.000 Dollar pro Projekt noch nicht einmal der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein.


* In der US-Behördensprache wird von „Tribes“, „Tribal Governments“ etc. gesprochen, weshalb hier und nur in diesem Zusammenhang der Begriff „Stamm“ benutzt wird.


Header Foto: National Congress of American Indians via Flickr

Foto mitte: Denali National Park and Preserve via Flickr

Foto unten: National Congress of American Indians via Flickr


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