Vergewaltigung als Kriegswaffe: Sexuelle Gewalt an Yezidinnen

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Viele Yezidinnen werden ein Leben lang traumatisiert sein. (Symbolbild) Foto: © Volkan Olmez via unsplash

 

Die Vergewaltigung ist eine Form der Gewalt, die die betroffene Gesellschaft als Ganzes in Atem hält. Sie ist die wohl grausamste Kriegswaffe, die die Menschheit kennt. Die verheerenden Auswirkungen der Gewalt an der Frau sind jedem Widersacher wohl bekannt, weshalb ein skrupelloser Gegner diese systematisch zum Einsatz bringt. So haben in den 1990er Jahren serbische Täter bis zu 30.000 muslimische Mädchen und Frauen während des Bosnienkrieges vergewaltigt. Diese Bilder und Geschichten haben sich in unsere Köpfe eingebrannt. Ähnliches spielt sich nun im Nahen Osten ab, wo Yezidinnen von den Barbaren des selbsternannten „Islamischen Staates“ (IS) seit August 2014 gefangen gehalten, gedemütigt, gefoltert, versklavt und vergewaltigt werden.

von Melav Bari

Ein Krieg ist zumeist ein Kampf „Mann gegen Mann“. Frauen sind meist nicht Teil einer bewaffneten Auseinandersetzung, bei der es um Macht und Landgewinn geht. Dass Frauen jedoch einbezogen werden in die „Männersache“, ist eine Provokation der gegnerischen Seite, gleichzusetzen mit dem roten Tuch im Stierkampf. Die Anwendung dieser Gewalt ist ein Überschreiten jeglicher Grenzen und jeglicher Fairness, falls man überhaupt noch von fair und unfair reden kann.

Besonders brutal wird es dann, wenn der Mann sich nicht dem Mann stellt. So sucht er nämlich bewusst andere Ziele: Frauen, Kinder, Alte und Schwache. Der „klassische“ Krieg, etwa ein Belagerungskrieg, ein Krieg zwischen zwei oder mehreren regionalen Mächten hat meist klar definierte Ziele: das Eliminieren des Feindes. So endete beispielsweise der Zweite Weltkrieg mit dem Niederschlagen der Nazi-Herrschaft und ihrer Kapitulation. Was ist aber, wenn es kein Krieg zwischen Ethnien ist, sondern ein Krieg der Religionen? Oder vielmehr: ein Krieg der Kriegswilligen und der Kriegsunfähigen. Endet ein solcher Krieg mit der Kapitulation, oder ist die Vernichtung einer religiösen Gemeinschaft das Ziel?

Dieser Krieg im Irak trifft besonders die Töchter, Ehefrauen und Mütter der Yeziden. Die Yeziden – eine religiöse Minderheit, die ethnisch zu den Kurden gezählt wird – zählen knapp eine Million Angehörige weltweit. Neben ihrer weltweiten Verteilung in der Diaspora, lebte etwa die Hälfte aller Yeziden in der NineveEbene im Nordirak am Sinjar-Gebirge. In der Nacht zum 3. August 2014, als der Islamische Staat die Yeziden in ihren Dörfern im Nordirak auf abscheuliche Art überraschte, entführte er Frauen und Kinder, während er ihre Ehemänner, Väter und Brüder vor ihren Augen hinrichtete. Die Vereinten Nationen veröffentlichten zum Massaker an den Yeziden, den sie einem Völkermord gleichsetzen, vorläufige Zahlen: mindestens 5.000 Yeziden wurden getötet, bis zu 7.000 entführt und etwa 430.000 Menschen aus dem Sinjar sind auf der Flucht.

Die Dorfbewohnerinnen wurden nach ihrer Entführung in drei Gruppen unterteilt: Frauen, die Kinder haben, verheiratete Frauen und Jungfrauen. Diese Gruppen wurden auf unterschiedliche Orte verteilt. Nahezu jede Familie hat weibliche Mitglieder in den Händen des IS zu beklagen – nicht einmal der Ort ihrer Gefangenschaft ist den Familien bekannt. Tag für Tag, Nacht für Nacht werden die Yezidinnen von den Mördern ihrer Familien vergewaltigt. Blutig geschlagen vom Feind, geschwängert von Vernichtern ihrer Identität. Als Sklavinnen – um rein sexuell oder auf andere Art zu dienen – werden sie immer noch an Reiche und Händler, etwa nach Saudi-Arabien und Syrien, verkauft. Der Wert der Frauen richtet sich nach ihrem Aussehen, ihrem Alter und anderen Faktoren, die einem Käufer von Bedeutung sein könnten. Einige von ihnen stehen nicht zum Verkauf – diese behalten die terroristischen Truppen für sich selbst. Die IS-Rebellen tauschen die Yezidinnen untereinander aus – als „Geschenk“ für ihren erbrachten Dienst für den Islamischen Staat.

Eine yezidische Frau wird von ihren Gefühlen überwältigt, nachdem sie Anfang April 2015 - wie 300 weitere yezidische Gefangene - vom Islamischen Staat freigelassen wurde.

 

Etwa 900 Frauen und Mädchen ist es gelungen, aus der Gefangenschaft ihrer Peiniger zu entkommen – sie wurden entweder freigekauft oder nutzten die Gelegenheit zur Flucht. Immer mehr von ihnen berichten öffentlich von den Gräueltaten und geben Interviews. So ist das Schicksal von drei Schwestern aus Sinjar bekannt geworden. Die Jüngste, erst 16 Jahre alt, wurde von vier Männern vergewaltigt, bevor sie an einen Mann aus Saudi-Arabien verkauft wurde. Ihre beiden Schwestern Rana (25) und Sara (21) sahen ihre Schwester nie wieder. Rana und Sara selbst wurden von einem Kasachen und einem Russen regelmäßig vergewaltigt.

Die Entkommenen berichten von kleinen Mädchen, denen sich ein großer bärtiger Mann aufdrängt. Sie berichten von Zwangsheirat, von Folter und Misshandlung, von dem Aufzwingen des islamischen Glaubens, von erfolgreichen und erfolglosen Suizidversuchen der Frauen. Sie berichten von schreienden Frauen, von weinenden Mädchen und nach ihren Müttern rufenden Kindern.

Eine Betroffene erzählt von grausamen Prozeduren, die die Terroristen ausleben: Ein Emir bereitet Lose mit 14 Namen der gefangenen Frauen vor, zwei der IS-Kämpfer sollen sich jeweils ein Los ziehen. Die gezogenen Namen werden aufgerufen und die Mädchen ins Hinterzimmer gezerrt. Sie sind 15 und 18. Die zwölf anderen Gefangenen hören nur noch Geschrei. Der Emir lacht. Die Mädchen kehren nach 20 Minuten blutverschmiert und im Schockzustand zurück. Sie erzählen, dass sie vergewaltigt wurden.

Doch nicht nur Yezidinnen haben solches Leid zu beklagen. Die junge yezidische Frau Zeytun (24), die dem Grauen entkommen konnte, erzählt in einem Interview von schiitischen Mädchen, die unmittelbar mit Benzin übergossen und verbrannt wurden, als die Terrorbande in ihr Dorf eingedrungen war.

Abgesehen davon, dass den Mädchen und Frauen körperliche und unvorstellbare seelische Schmerzen zugefügt werden, werden auch ihre Väter, Ehemänner und Brüder gedemütigt, vor allem in Kulturen, in denen der Erhalt der „Ehre“ der Frau sehr wichtig ist. Insbesondere der sexuelle Aspekt – die Jungfräulichkeit und die monogame Lebensweise – machen einen großen Teil dieser Ehre aus. Der Großteil der Entführten befindet sich noch immer in Gefangenschaft des IS. Die Gewissheit darüber, dass ein weibliches Familienmitglied permanent gefoltert wird, versetzt Betroffene in eine Situation der Hilfslosigkeit und Ohnmacht. Einerseits getroffen von den seelischen und körperlichen Schmerz der Misshandelten, andererseits das volle Bewusstsein darüber, dass die Beschädigung der „Ehre“ aus der Unschuld heraus geschah. Deshalb ist diese Kriegswaffe eine vielfältige systematische Vernichtungswaffe – physisch wie psychisch „sammelt“ der IS direkt und indirekt Massen an Opfern.

Dieses eigentlich tabuisierte Thema ist seit dem vergangenen Sommer in den Mündern aller Yeziden weltweit. Aber nicht nur Yeziden wissen um das Schicksal ihrer Glaubensschwestern. Inzwischen haben viele Außenstehende eine Vorstellung darüber, was im Nordirak passiert und wer die Yeziden überhaupt sind.

Was passiert mit den Frauen, die entkommen konnten? Wie kann sich eine Seele von diesem Elend erholen? Für uns Unbeteiligte ist das Zuschauen bei der Hinrichtung unserer Väter, Brüder und Ehemänner, der Anblick von Hunderten Leichen, weinenden Waisen und die anschließende Entführung, Demütigung und Vergewaltigung durch genau diese Massenmörder eine unvorstellbare Prozedur.

Was passiert mit den Frauen, die immer noch in der Gefangenschaft der Terroristen sind? Werden sie jemals wieder frei kommen? Während sich andere Kurdinnen – ob yezidisch oder nicht – durch den Kampf gegen den IS Ansehen und Lob von der internationalen Weltgemeinschaft einholen, geraten die yezidischen Gefangenen immer mehr in Vergessenheit. Vermutlich wird jetzt beim Lesen dieser Zeile eine Yezidin vergewaltigt.

 

[Zur Autorin]

Die in Syrien geborene Yezidin Melav Bari lebt seit 1992 in Deutschland. Sie studiert Medizin in Essen und ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Universitätsklinik Essen. Sie ist zudem Vorstandsmitglied der Gesellschaft Ezidischer AkademikerInnen.


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