Goranen in Dragash/Kosovo: Die junge Generation zieht weiter

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Einsame Landschaften in Gora: Vor allem junge Goranen verlassen die Region, weil sie dort keine Perspektiven für sich sehen. Foto: Flickr/transition_girl

„Wir sind bekannt als fleißige Leute, wir arbeiten nur und fragen nicht, um was für eine Arbeit es sich handelt. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht versuchen, etwas zu verdienen“, erzählt der Gorane Ajnur Islami, der in Dragash in der Region Gora im Süden des Kosovo lebt. Die Stadt liegt 1.050 Meter über dem Meeresspiegel. Hügel und ausgedehnte Weideflächen prägen das Landschaftsbild. Viehzucht und Milchwirtschaft sind zwar gute Einnahmequellen für die Goranen, jedoch auch die einzigen. Die Region ist wirtschaftlich völlig verarmt. Die junge Generation sieht dort keine Perspektive und wandert ab. Ohne die finanzielle Unterstützung der Exil-Goranen könnten die Daheimgeblieben kaum überleben.

von Džafer Buzoli

Der 63-jährige Ajnur Mehmeti fühlt sich einsam in Dragash. Wie dort trifft man auch in vielen anderen Orten vorwiegend nur alte Menschen. „In dieser Region haben wir 19 Dörfer, in denen mehrheitlich Goranen leben. Es gibt dort so viele schöne und große Häuser, die jedoch leer stehen. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt jetzt irgendwo im Ausland“, beklagt Ajnur. Viele Goranen verließen während und nach dem Kosovo-Krieg (1999) das Land. Lebten 1991 noch etwa 16.000 von ihnen dort, sind es heute laut Volkszählung von 2011 noch etwa 10.000. Doch viele Exil-Goranen zieht es immer wieder in die Heimat zurück. Jeden 6. Mai treffen sich am St.-Georg-Tag* Goranen aus ganz Europa im Kosovo in der Region Gora. Oder sie verbringen die Sommerferien dort. Diese Treffen nutzen viele, um neue Bekanntschaften zu schließen. Oft sind auch potenzielle Heiratskandidaten darunter.


Wer sind die Goranen?

Die Goranen sind slawischsprachige Muslime. Einige Historiker vermuten, dass sie Nachkommen von zum Islam konvertierten Bogomilen sind, die vor Verfolgung durch die orthodoxe und katholische Kirche in die Berge geflüchtet waren. Die Bogomilen waren eine streng asketisch lebende Gemeinschaft, deren Bewegung sich im Mittelalter von Bulgarien aus in anderen Balkanländern, im byzantinischen Kaiserreich und bis nach Russland verbreitete. Andere sind der Ansicht, dass die Goranen der serbisch-orthodoxen Bevölkerung angehört haben, die aus Bulgarien kam, sich in der Region Gora niederließ und zum Islam konvertierte. Die Goranen nennen ihre Sprache „Našinski“, was so viel bedeutet wie „unsere Sprache“. Es ist eine slawische Sprache, die serbische, mazedonische, bulgarische und türkische Einflüsse hat. Die meisten Goranen leben in der Region Gora.


Viele Goranen haben die doppelte Staatsbürgerschaft** – von der Republik Kosovo und der Republik Serbien. Durch Vermittlung der Interimsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo(UNMIK) und anderen Institutionen lernen die Goranen nach den Lehrplänen und -programmen der Republik Serbien. In der Region Gora haben junge Goranen die Möglichkeit, Unterricht in serbischer oder bosnischer Sprache zu erhalten. Das größte Problem ist, dass es nur zwei weiterführende Schulen für die 6- bis 14-jährigen Kinder gibt. Danach sind Schüler, die weiter lernen wollen, gezwungen, entweder in die serbische Hauptstadt Belgrad oder nach Mitrovica im Norden des Kosovo zu gehen. Doch warum ist das so? Im Kosovo sind Albanisch, Serbisch, Bosnisch, Türkisch und in wenigen Gemeinden Romanes Amtssprachen. Die Goranen sprechen und verstehen Bosnisch, Serbisch und ihre Muttersprache Našinski. Die Lehrveranstaltungen der meisten Universitäten im Kosovo werden jedoch nur auf Albanisch gehalten. Die einzige Ausnahme ist die Universität in Nord-Mitrovica, an der auch auf Serbisch gelehrt wird. Viele junge Goranen sehen sich deshalb gezwungen, nach Serbien, Bosnien-Herzegowina oder in die Türkei zu gehen, um sich weiterzubilden.

Das Erbe des Krieges

Der Kosovo war und ist eine multiethnische Region. Vielfach teilten slawische Minderheiten des Kosovo, darunter Goranen, Torbeschen/Pomaken, Bosniaken, gemeinsam mit den Minderheiten der Roma, Aschkali, Ägypter und Türken das Verfolgungsschicksal der albanischen Mehrheit im Krieg 1999. Sie gerieten auch politisch zwischen die Fronten des serbischen und albanischen Nationalismus und mussten sich oft auf die eine oder andere Seite schlagen. Nicht selten wurden sie bezichtigt, mit den Serben im Krieg kollaboriert zu haben. Die Verbrechen an den Angehörigen der Minderheiten wurden bis heute nicht geahndet.


*  Der St.-Georg-Tag ist ein Feiertag zu Ehren des Heiligen Georg, der von orthodoxen Serben, Makedonen und Bulgaren, aber auch von katholischen Kroaten sowie von orthodoxen und muslimischen Roma und Goranen in Ex-Jugoslawien als Frühlingsfest gefeiert wird.

**  Das Gemeindegebiet Dragash ist in einen nördlichen, albanisch dominierten Teil (OPOPJA) und einen südlichen Teil namens Gora geteilt, der nur von Goranen bewohnt wird. Die Identität der Goranen war vor der Unabhängigkeit des Kosovo 2008 sehr stark proserbisch beziehungsweise projugoslawisch ausgerichtet. Nicht zuletzt deshalb, weil serbische und/oder jugoslawische Behörden die Goranen bevorzugt behandelten. Sie verfolgten damit das Ziel, kleine ethnische Gruppen zu unterstützen und gleichzeitig die Mehrheitsbevölkerung der Albaner zu schwächen.

 

[Zum Autor]

Der Roma Džafer Buzoli ist Repräsentant der Gesellschaft für bedrohte Völker im Kosovo.


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