Tomaten aus dem Kolonialwarenladen

Völkerrechtswidriger Wasserverbrauch in der Westsahara

Foto: Evgeni Zotov/Flickr CC BY-NC-ND 2.0

von Frederik Kirmeier

Süß, rot und verlockend glänzend wie Kirschen liegen sie zwischen Gurken, Radieschen und Zwiebeln im Supermarkt – Cocktailtomaten, die so manch italienisches Essen zu einem Gaumenschmaus werden lassen. Doch woher stammt dieses leckere Gemüse? Das macht sich der Verbraucher oft nicht bewusst. Vor allem das franzosisch-marokkanische Unternehmen Idyl und die Azura Group geben als Herkunftsland Marokko an. Doch das ist falsch deklariert. Die REWE-Gruppe bezog nach Angaben des hauseigenen Pro-Planet-Siegels, das nachhaltig produzierte Ware kennzeichnet, seine Tomaten eben nicht nur aus dem marokkanischen Agadir, sondern auch aus dem in der Westsahara gelegenen Dakhla. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat im Sommer 2014 an deutsche Einzelhandelsketten geschrieben, um auf die Problematik hinzuweisen. Das Pro-Planet-Label hat auf die Initiative reagiert und seinen Lieferanten Azura vertraglich dazu verpflichtet, nur noch Tomaten aus Marokko zu liefern. Doch warum hat die GfbV eigentlich etwas gegen Tomaten aus der Westsahara?

Afrikas letzte Kolonie

Seit 1975 halt Marokko die Westsahara völkerrechtswidrig besetzt. 1991 konnte zwar ein Waffenstillstand zwischen Rabat und der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario ausgehandelt werden. Doch die Widerstandskampfer stimmten dem Frieden auf Zeit erst zu, nachdem Marokko versprochen hatte, eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit unter den etwa 75.000 Bewohnern der Westsahara, den Sahrauis, abzuhalten. Bis heute hat dieses Referendum noch nicht stattgefunden. Die Vereinten Nationen fuhren die Westsahara als „Non-Self-Governing Territory“, also als „nichtautonomes Territorium“. Das hat zur Folge, dass dort eigentlich keine Bodenschätze abgebaut werden dürfen, bis der rechtliche Status der Region endlich geklärt ist. Deutsche Unternehmen haben sich auch in den vergangenen Jahren zunehmend aus dem Geschäft mit dem Abbau von Phosphor, das in Düngemitteln zum Einsatz kommen, zurückgezogen. Doch mit dem Anbau von Tomaten in Dakhla beginnt eine neue Form der Ausbeutung, die den deutschen Verbraucher direkt erreicht.

Ausbeutung der endlichen Wasserreserven

2012 schlossen die Europäische Union und das Königreich Marokko ein Freihandelsabkommen, das die Westsahara als Anbaugebiet von Obst und Gemüse nicht ausdrücklich ausschließt. Die marokkanische Regierung plant eine gewaltige Expansion des Tomatenanbaus auf dem Wüstenboden vor der Stadt Dakhla mit Hilfe von industriellen Großbetrieben. Kleinbauern existieren in dieser Gegend nicht. Die großen unterirdischen Süßwasserreserven in der Westsahara werden angezapft und ausgebeutet.

Der Anbau von wasserintensiven Tomaten in einer Wüstenregion ist ohnehin aus ökologischer Sicht höchst fragwürdig. Im Gebiet um Dakhla liegt der jährliche Niederschlag bei 40 Litern pro Quadratmeter. Das entspricht noch nicht einmal der monatlich durchschnittlichen Regenquote in Berlin. Die Ausbeutung der Wasserressourcen ist darüber hinaus völkerrechtswidrig und nimmt einem zukünftigen Staat der Sahrauis eine wichtige Lebensgrundlage.

Zudem besteht die Gefahr, dass die Westsahara zunehmend marokkanisiert wird. Die Gemüseplantagen um Dakhla schaffen neue Arbeitsplätze, die vor allem marokkanische Siedler besetzen werden. Marokko verfestigt durch die Besiedelung der Westsahara mit seinen eigenen Bürgern den Anspruch auf das Territorium und konnte somit bei einem zukünftigen Referendum über die Unabhängigkeit des Landes eine Volksabstimmung für sich entscheiden. Ob der Verbraucher nun bewusst getauscht wurde, oder ob die Verantwortlichen einfach nichts über den völkerrechtlichen Status der Westsahara wussten, ist nicht nachweisbar. Da die Tomaten aus Dakhla nach Agadir transportiert und dort mit marokkanischen Tomaten vermischt werden, konnten die Händler die Herkunft oft nicht nachvollziehen. Selbst die deutsche Bundesregierung ist sich der falschen Deklarierung nicht bewusst. In einer parlamentarischen Anfrage im Jahr 2013 bestritt sie, dass Gemüse aus Marokko nur unzureichend deklariert werde.

Schwedische Supermarktketten haben den Handel mit Tomaten aus der Westsahara bereits 2013 eingestellt. Nun hat zumindest die REWE-Gruppe vorbildlich reagiert. Vielleicht führt dieser Schritt auch zu einem Umdenken bei anderen Einzelhandelsketten. Denn der für die Industrie lukrative Tomatenanbau in einer 3.000 Kilometer entfernten und völkerrechtswidrig besetzten Wüstenregion darf keine Zukunft haben.


Die Reaktion des Pro-Planet-Labels auf die GfbV-Initiative im Oktober 2014:


„Als wir im Juli [2014, d. Red.] den Entzug des Labels für Tomaten der Firma Azura geschlossen haben, geschah dies in einem Zwiespalt. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren die Produktionsbedingungen verbessert und dabei mehrere soziale und ökologische Hot Spots beseitigt, oder ist dabei, Investitionen zu tätigen, um dies zu erreichen. Zugleich ist die von Ihnen aufgeworfene Frage, ob Tomaten aus der Westsahara gelabelt gehandelt werden sollten, ein wichtiger Hinweis gewesen. Die REWE Group hat reagiert und ihren Lieferanten Azura vertraglich dazu verpflichtet, Pro-Planet- gelabelte Tomaten ausschließlich aus Marokko zu liefern. Die Rewe Group wird dies durch ein externes Audit kontrollieren lassen.“


pogrom im Online-Shop der GfbV bestellen.

 

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