Gute Stimmung in Ghana?

Jenseits von Krieg und Frieden

Foto: waterdotorg/Flickr CC BY-NC-SA 2.0

Afrika! Vielfach assoziiert das Publikum unserer eurozentrischen Medien damit einen von Bürgerkriegen, Krankheiten und anderen Katastrophen gebeutelten Kontinent, der zunehmend in Chaos und Anarchie zu versinken droht. Grund dafür sind regionale Konflikte, die allzu häufig als transkontinentale Krise benannt werden und das Bild eines schwachen und armen Afrika transportieren. Internationale Beobachter sehen die Gründe für prekäre Verhältnisse auf dem afrikanischen Kontinent oftmals in seiner ethnischen Vielfältigkeit und den daraus resultierenden Unstimmigkeiten zwischen den Völkern. Dabei ignoriert die gängige Berichterstattung weitgehend positive Entwicklungen, wie beispielsweise erfolgreiche Demokratisierungsprozesse oder auch das friedliche Zusammenleben der Menschen in vielen afrikanischen Regionen, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu Religion und Ethnie. Stefanie Handke besuchte im Sommer 2012 für wenige Tage Burkina Faso und reiste für ein studentisches Forschungsprojekt in Eigenregie für insgesamt zehn Wochen durch Ghana, um zur politischen und gesellschaftlichen Situation des Landes zu recherchieren. Sie konnte dort feststellen, dass insbesondere Ghana sich in den vergangenen Jahrzehnten vorbildlich gemausert hat.


von Stefanie Handke


Bevölkerungsstruktur
Ghana hat rund 24 Millionen Einwohner. Seine Bevölkerung lässt sich hauptsächlich in vier Volksgruppen einteilen: die Akan (53 Prozent der Bevölkerung), die Mole-Dagbani (17 Prozent), die Ewe (13 Prozent) und die Ga-Adangbe (8 Prozent). Neben der Amtssprache Englisch ist Akan die wichtigste Sprache in Ghana, die von 70 Prozent der Bevölkerung beherrscht wird. Experten zählen rund 80 verschiedene Sprachen, wobei die Unterscheidung zwischen Sprache und Dialekt variiert. Fanti, Twi, Akwapim, Akim und Brong zählen beispielsweise als Dialekte des Akan. Die Mitgliedszahlen der Religionen schwanken je nach Quelle sehr stark. Etwa 40 Prozent der Ghanaer bekennen sich zum Christentum. Muslimischen Glaubens sind circa 15 Prozent der Bevölkerung. Rund 40 Prozent sind Anhänger traditioneller Glaubensrichtungen, wie beispielsweise dem Animismus. Allerdings verschwimmen hier oft die Grenzen, weil viele Ghanaer ihren Glauben zu einem Gott mit dem Ahnenkult verknüpfen.


In Gesprächen vor Ort äußern sich die Ghanaer sehr stolz über ihr friedliches Land und seine demokratische Entwicklung. Die verschiedenen Religionen und Volksgruppen (Siehe Infokasten) leben voller Respekt für den jeweils anderen Glauben neben- und miteinander. Ghana erfüllt längst demokratische Standards nach europäischer Idealvorstellung. Die Machtwechsel des Mehrparteiensystems in den vergangenen zwanzig Jahren seien, so ist zu erfahren, stets ohne nennenswerte Zwischenfälle geschehen, obwohl sich die Wähler der beiden großen Volksparteien aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in zwei Gruppen unterscheiden: Wähler des National Democratic Congress (NDC) gehören überwiegend den Ewe an, die in der Volta-Region die Mehrheit stellen. Die New Patriotic Party (NPP) wird eher von den Ashanti gewählt, die sich zum Volk der Akan zählen. Auch wenn es manchmal Unstimmigkeiten zwischen den Völkern gebe, so würden sich die meisten Ghanaer in erster Linie ihrer Nation zugehörig fühlen, die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe sei eher zweitrangig. Aber man sei sich der Gefahr durchaus bewusst, dass Konflikte zwischen den Volksgruppen das Land sehr schnell spalten könnten.

Eine große Verantwortung tragen in dieser Hinsicht die traditionellen Oberhäupter im Land. Parallel zur modernen parlamentarischen Demokratie existiert in Ghana eine sehr lebendige Monarchie. In Kumasi, der Hauptstadt des ehemaligen Ashanti-Reiches, das durch seinen Reichtum und auch durch seinen hartnäckigen Widerstand gegen die britischen Kolonialisierungsversuche bekannt geworden ist, lebt der König oder die Königin im Palast. Der Hoheit ordnen sich zunächst die Gebietskönige und schließlich die Ortskönige unter. Dem ein oder anderen vielleicht unter dem Begriff des „Chief“ bekannt, spielen sie eine sehr wichtige Rolle im gesellschaftlichen wie auch im politischen Leben der Ghanaer. Als traditionelle Oberhäupter verschiedener ethnischer Gruppen oder Clans genießen sie großes Ansehen unter ihren Landsleuten. Sie bewähren sich vor allem als Streitschlichter, um in der Gemeinschaft für Ordnung und Harmonie zu sorgen. Als Grundlage dient ihnen das mündlich überlieferte Gewohnheitsrecht. Dieses ordnete das gemeinschaftliche Leben bereits lange Zeit bevor Verfassungen verabschiedet wurden. Der Chief und seine Berater bilden ein Gremium, das bei Meinungsverschiedenheiten und Problemen über das weitere Vorgehen entscheidet. Der Vorteil dieser Methode ist, dass das Gremium aus Mitgliedern der Gemeinschaft besteht und über die sozialen und ökonomischen Umstände der betroffenen Personen bestens informiert ist. So können die Verhandlungen stets im Sinne des Erhalts der Gemeinschaft geschehen. Nach Meinung der von mir Befragten sei die Bedeutung der Chiefs in der Gesellschaft sehr groß. Noch immer seien sie Ansprechpartner und Ratgeber und würden ihre rechtsprechende Funktion nutzen – allerdings nur, solange sie sich nicht mit dem staatlichen Rechtssystem überschneide. In regelmäßigen Abständen finden sich die traditionellen Herrscher zusammen, um sich über gesellschaftliche und politische Fragestellungen auszutauschen. Obwohl die Chiefs offiziell nur in rein beratender Funktion Kontakte zu Politikern pflegen, wird ihnen eine weit größere Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse nachgesagt. Als weitere Erklärung für die friedliche Stimmung in Ghana dient wohl die Bereitschaft, neben der eigenen Muttersprache und der Amtssprache Englisch noch andere Sprachen und Dialekte zu lernen. Drei und mehr Sprachen sprechen und auch schreiben zu können, ist in Ghana keine Seltenheit – vielmehr gilt diese Fähigkeit unter den befragten Ghanaern als eine Selbstverständlichkeit. Auf diese Weise müssen sie sich bei der Auswahl der sozialen Kontakte nicht auf den eigenen Kulturkreis beschränken. Ethnische Konflikte und Eskalationen in anderen afrikanischen Staaten beobachten die Westafrikaner sehr besorgt über die Medien und fühlen sich dadurch in ihrer Praxis von Völkerverständigung bestärkt. Die kulturelle Vielfalt nämlich müsse man nutzen, um voneinander zu lernen. Mit gutem Grund sind die Ghanaer also stolz auf ihr Gemeinschaftsgefühl, das sie schließlich zu einer Nation hat werden lassen.


Stimmen aus Ghana

Nana Kwadu Amponsem II.*
Die Bildung der Kinder sei entscheidend für das Schicksal Ghanas, betont Nana Kwadu Amponsem II., deshalb lege er großen Wert auf den Ausbau und die Förderung guter
Schulen. Seit dreizehn Jahren ist er das traditionelle Oberhaupt des Akona-Clans in der Ashanti-Region. Wenn er am späten Nachmittag von seiner Arbeit bei der Forstgemeinschaft
in Fomena nach Hause kommt, beginnt seine Aufgabe als Chief des Clans. Nana Kwadu Amponsem II. agiert in dieser Position nicht nur als Streitschlichter, sondern ist vor allem darum bemüht, das Sozialsystem in seiner Region auszubauen. Dazu sammelt er in seiner Sprechstunde Vorschläge der Bürger und diskutiert diese jeden Dienstagvormittag im Chief Palace in Fomena mit rund 20 anderen Oberhäuptern der Ashanti-Region. Zusätzlich dazu kümmert er sich an den Wochenenden um seine eigene Kokospalmenplantage. Sein wichtigster Job aber, sagt Nana Kwadu Amponsem II., seien seine vier Kinder, für deren Besuche er sich trotz aller anderen Pflichten immer Zeit nehme.

Henry
In Henrys Ehe soll keine Kultur dominieren, weder die der Ashanti noch die der Ewe. Deshalb würden die Unterschiede zwischen der Volta-Region, aus der seine Frau stammt, und seiner Heimat, der Ashanti-Region, in ihrer „demokratischen“ Beziehung kaum thematisiert. Miteinander und mit ihren Kindern sprechen die beiden Englisch und Twi. Henry ist stolz auf seine Nation, in der das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen so gut funktioniere. Als gläubiger Christ setzt er sich für Bedürftige ein: In der Nähe der
Hauptstadt Accra gründete er 2007 ein Kinderheim, in dem mittlerweile 120 Waisenkinder leben. Mit der Hilfe seiner Frau und vieler Wohltäter konnte Henry Schlafsäle, Schulräume, eine kleine Krankenstation und eine Tierfarm für den Eigenbedarf aufbauen. Und die Gründung eines weiteren Kinderheims im Norden des Landes ist schon in Planung. Den Internetauftritt des Kinderheims finden Sie unter: www.chcint.wordpress.com


* Aus Gründen des Datenschutzes hat die Autorin auf die Nachnamen der Befragten verzichtet.


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