Editorial

Foto: privat

Liebe Leserinnen und Leser,

vor gar nicht allzu langer Zeit lebte in den Tiefen des brasilianischen Regenwaldes der Curupira* – ein Zwerg mit flammend rotem Haar, der zu manch lustigen Streichen aufgelegt war. Er sah gar seltsam aus: Seine Füße waren nach hinten verdreht, doch er wusste diese anatomische Kuriosität zu nutzen. Ungebetene Gäste, die sich habgierig an den Schätzen des Urwaldes vergreifen wollten, führte er an der Nase herum. Folgten sie ahnungslos seinen Fußspuren, so kamen die Störenfriede immer wieder an ihren Ausgangspunkt zurück. Für dreistere Schurken, die sich davon nicht abschrecken ließen, hatte der Curupira noch mehr Schabernack auf Lager. Mit einem schrillen Pfeifen verjagte er auch sie.

Eines Tages landeten schier unbesiegbare Eindringlinge an der Küste. Die Possen des Zwerges schien ihnen nichts auszumachen. Voller Forscherdrang betraten die Fremden das unbekannte Land – bereit, es sich zu Eigen zu machen. Was sie sahen, gefiel ihnen: die hohen grünen Wipfel des Regenwaldes, die sich durch das Land schlängelnden kleinen und großen Flüsse sowie unzählige Tiere und Pflanzen, die die Entdecker gar nicht alle zu erfassen vermochten. Doch noch mehr gierten sie nach unsäglichen Reichtümern, nach Gold und Juwelen, die sie dort vermuteten. Unter den Fremden waren passionierte Forscher, Missionare, Grosgrundbesitzer und andere Zeitgenossen, die mit Leidenschaft und Enthusiasmus die neue Heimat nach ihren Wünschen umgestalten wollten.

Doch wer sollte die kräftezehrende Arbeit verrichten? Ihr Einfallsreichtum kannte keine Grenzen und so versklavten die neuen Herren Brasiliens die einheimische indianische Bevölkerung. Das reichte jedoch lang noch nicht aus. Und so sandten sie ihre Schiffe nach Afrika, wo die Menschenfänger fündig wurden. Die Knechte und Mägde mussten sich sogleich ans Tagwerk begeben. Wälder wurden dem Erdboden gleichgemacht, denn die Welt schrie nach Kaffee mit Zucker. Die Flüsse wurden begradigt und gestaut, um dem Chaos der Natur Herr zu werden. Flora und Fauna verschwanden nun zunehmend von allein. Das was da immer noch kreuchte und fleuchte, konnten die ach so gescheiten Herrscher nun an einer Hand abzählen. Und sie fanden auch das, wonach sie suchten: Schätze von unvorstellbaren Wert in den Tiefen der Erde.

Und was geschah mit dem Curupira? Der brasilianische Pumuckl ward schon lang nicht mehr gesehen. Seine Spuren verloren sich in dem immer lichter gewordenen Regenwald.

Ihre Sandy Naake

Redakteurin von
„bedrohte Völker – pogrom“


* Der Curupira ist eine mythische Gestalt der indigenen Tupi-Guarani, die im Amazonasbecken Brasiliens leben. Er ist der Beschützer der wilden Tiere und der Wälder. Der Legende nach bestraft er all diejenigen, die der Natur keinen Respekt zollen.
 

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