Deutschland/ Israel: Militärischer Handschlag unter dem Meer

Foto: Marco Kuntzsch/Wikimedia BY 3.0

von Kaan Orhon

Das von Günter Grass im April 2012 veröffentlichte Gedicht „Was gesagt werden muss“ schlug hohe Wellen und löste eine heftige mediale Debatte aus – in der es sich vor allem um die bereits vielfach diskutierte Frage der „legitimen Kritik“ an Israel sowie um Antisemitismus drehte. Grass kritisiert in seinem Gedicht Israel wegen seiner Iran-Politik sowie seines Arsenals an Nuklearwaffen. Wenig diskutiert wurden in diesem Zusammenhang indes die Lieferung von sechs U-Booten an Israel, von denen die ersten beiden vollständig und alle anderen anteilig von Deutschland finanziert werden. Das erste lief bereits im Frühjahr 1996 vom Stapel, das letzte soll 2017 fertiggestellt werden. Die Produktion dieser U-Boote kostet etwa 2,3 Milliarden Euro, von denen Deutschland etwa 900 Millionen Euro trägt. Dazu erwirbt Deutschland unbemannte Flugkörper – Drohnen – und andere Rüstungsgüter im Wert von 135 Millionen Euro von israelischen Herstellern. Diese Summe verwendet Israel dann wieder zur Finanzierung der U-Boote. Mit dem Export der U-Boote verletzt die deutsche Regierung jedoch ihre eigenen Richtlinien: den Export von militärischen Gütern in Kriegs- und Krisengebiete. Richtlinien, die ohnehin dehnbar sind, wie deutsche Panzerlieferungen an die Türkei oder Saudi-Arabien sowie die endlose Verbreitung deutscher Kleinwaffen in so vielen Regionen der Welt zeigen. Doch im Fall der israelischen U-Boote argumentiert Deutschland mit einer historischen Verantwortung Israel gegenüber: Deutschland müsse – angesichts der andauernden Bedrohung von Israels nationaler Sicherheit – mit zur Selbstverteidigung des jüdischen Staates beitragen, beispielsweise mit der Lieferung von Rüstungsgütern.

Doch geht es in diesem Fall nicht nur um den Schutz eines Staates, sondern auch um den Verwendungszweck der U-Boote. Rüstungsgegner und internationale Medien berichten immer wieder, dass die U-Boote in Israel umgebaut werden, um den Abschuss von Marschflugkörpern mit Atomsprengköpfen zu ermöglichen. Alle israelischen Regierungen, die seit der Erteilung des Auftrages für die U-Boote im Amt waren, hielten an der israelischen Politik der „Nuclear Ambiguity“ fest, also der Taktik, den Besitz von Nuklearwaffen weder zuzugeben noch zu dementieren. Das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit, ein privates Friedensforschungsinstitut, wirft der Bundesregierung vor, mit der Lieferung der U-Boote „Beihilfe zur nuklearen Proliferation“(1) zu leisten.

Ausgerechnet Deutschland, wo die Gesellschaft selbst der zivilen Nutzung von Kernkraft mit breitem Widerstand begegnet. Unfälle und Katastrophen, von Tschernobyl bis Fukushima, sind für die Atomkraftgegner Beweis, dass bereits die friedliche Nutzung ein nicht zu verantwortendes Risiko für die Menschheit ist. Die Ablehnung nicht nur nuklearer, sondern jeder Form von Massenvernichtungswaffen ist in Deutschland praktisch gesellschaftlicher Konsens. Deutschland wäre schließlich fast selbst Opfer eines Einsatzes von Atomwaffen geworden: Getrieben von der Angst vor dem vermuteten Atomprogramm der Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges arbeiteten Wissenschaftler in den USA unter Hochdruck daran, eine einsatzbereite Kernwaffe zu produzieren. So habe Präsident Franklin Roosevelt Leslie Groves, den damaligen militärischen Leiter des US-amerikanischen Atomprogramms, im Februar 1945 angewiesen, eine Atombombe über einer deutschen Stadt zum Einsatz zu bringen – falls der Krieg in Europa bis zu deren Fertigstellung noch nicht beendet sei. Doch mit der Kapitulation am 8. Mai entging Deutschland der Katastrophe. Getestet wurde die neue „Superwaffe“ im Sommer 1945 in den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki. Weit mehr als 100.000 Menschen starben bei diesem Inferno.

Doch man scheint aus den fatalen Folgen des Zweiten Weltkriegs nichts gelernt zu haben. Während des Kalten Krieges erwog auch Deutschland die Anschaffung von Atomwaffen. Die Göttinger 18, eine Gruppe prominenter Physiker und Wissenschaftler, veröffentlichte am 12. April 1957 ein Manifest, in dem sie eindringlich vor der atomaren Bewaffnung Deutschlands warnte. Zu dieser kam es letztlich nie. Dennoch: Die USA und Großbritannien stationierten während des Kalten Krieges bis zu 5.000 Atomsprengköpfe auf deutschem Boden. Derzeit soll es noch mindestens 20 in der Bundesrepublik geben.

Der militärische Nutzen der U-Boote und deren nukleare Bewaffnung sind für die Sicherheit Israels überaus fragwürdig. Die Bedrohungen, denen der jüdische Staat ausgesetzt ist, haben sich gewandelt: An die Stelle von Armeen in den arabischen Staaten, die von der damaligen Sowjetunion hochgerüstet worden waren, sind nun nicht-staatliche Akteure getreten. Eine unüberschaubare Zahl von bewaffneten Organisationen bekämpfen derzeit mit Kleinwaffen die israelische Armee in den Städten und Flüchtlingslagern des Westjordanlandes und feuern selbstgebaute Raketen auf jüdische Siedlungen ab. Palästinensische, israelische und internationale Nichtregierungsorganisationen wie das International Solidarity Movement, Gush Shalom oder das Popular Committee against the Wall organisieren zivilen Widerstand gegen Siedlungen, Kontrollpunkte der israelischen Armee und die sogenannte Sicherheitsmauer durch das Westjordanland. Die global agierende BDS-Bewegung(2) versucht, Israels Regierung durch internationale Isolation unter Druck zu setzen. Das Bündnis von pro-palästinensischen NGOs, Parteien, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften und Einzelpersonen fordert einen wirtschaftlichen, kulturellen und akademischen Boykott Israels. Gegen diese Bedrohungen können die deutschen U-Boote keinen Schutz bieten.

Die deutsche Regierung rechtfertigt die U-Boot-Lieferungen durch die mutmaßliche Bedrohung durch den Iran, der ein eigenes Atomprogramm betreibt. Der Iran beteuert, Atomkraft nur für zivile Zwecke zu nutzen. Europäische, amerikanische und vor allem israelische Politiker gehen jedoch davon aus, dass der islamische Staat das Land nuklear zu bewaffnen versucht, um seine Macht in der Region zu festigen. Die deutschen U-Boote würden indes abschrecken und verhindern, dass der Iran einen atomaren Angriff startet. Israelische Politiker sind überzeugt, dass es zu so einem Szenario kommen könnte, da das iranische Regime das Staatsgefüge Israel nicht anerkennt und eine zukünftige politische Ordnung des Nahen Ostens propagiert, in der der jüdische Staat keinen Platz hat.

Die Argumente für die deutsche U-Boot-Lieferung finden bei Gegnern von Rüstungsexporten und Kritikern der israelischen Sicherheitspolitik allerdings kein Gehör. Zum einen halten sie das Szenario eines iranischen Angriffes mit atomar bestückten Raketen für unrealistisch. Es wäre in jedem Fall das Ende des Regimes – auch ohne einen israelischen Gegenschlag. Die USA haben unter Obama nicht anders als unter Bush erklärt, zur Not auch durch militärisches Eingreifen zu verhindern, dass die islamische Republik überhaupt in den Besitz von Atomwaffen kommt. Sollte Israel einem militärischen Angriff, ob mit konventionellen oder nicht konventionellen Waffen, nicht gewachsen sein, gilt ein Eingreifen der USA unter Diplomaten und Militärs erst recht als sicher. Der Iran kann nur verlieren. So gebe es keine Möglichkeit, die palästinensische Bevölkerung, als deren Verteidiger sich der Iran dauerhaft in Szene setzt, vor den Folgen eines Atomangriffs bewahren. Ebenso wenig könnte Teheran die auch den muslimischen Iranern heiligen Stätten in Jerusalem vor atomarer Strahlung schützen. Kritiker, auch in Israel selbst, betonen, dass solch eine Offensive nicht realistisch sei. Repräsentanten der arabischen Minderheit in Israel, Friedensbewegungen, Rüstungsgegner sowie linke Politiker warnen davor, die immer stärkere Aufrüstung und die Militarisierung der Gesellschaft mit Sicherheit zu verwechseln.

Die deutsche Bundesregierung muss sich fragen, ob die Sicherheit Israels tatsächlich durch Waffenlieferungen garantiert werden kann, und ob diese die richtigen Konsequenzen aus der deutschen Geschichte sind.

 

(1) Proliferation bedeutet „Verbreitung von Waffen“.

(2) BDS: Boycott, Divestment and Sanctions (Boykott, Kapitalentzug und Sanktionen)

 


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