"Beihilfe zu Massenmord in Kriegen und Bürgerkriegen"

Jürgen Grässlin: Deutschlands hartnäckigster Rüstungsgegner im Gespräch

Foto: IPPNW Deutschland/Flickr CC BY-NC-SA 2.0

Seit mehr als 30 Jahren sagt der Freiburger Friedensaktivist und Lehrer Jürgen Grässlin der deutschen Waffenindustrie den „Kampf “ an. So gründete er mit anderen Friedensfreunden 1992 den Verein RüstungsInformationsBüro mit dem Ziel, „Rüstungsproduktion und -exporte zu recherchieren und aufzudecken“. Seine Enthüllungen sind Rüstungsunternehmen ein Dorn im Auge: Der DaimlerKonzern und die beiden Vorstandsvorsitzenden – der frühere Daimler-Chef Jürgen Schrempp und dessen Nachfolger Dieter Zetsche – erstatteten 2005 Strafanzeige. Grässlin sollte konzernkritische Aussagen unterlassen. Er ließ sich jedoch nicht einschüchtern, zog bis vor das Bundesverfassungsgericht und bekam vollumfänglich Recht. Seither drehte er den Spieß um und stellte mehrfach Strafanzeige gegen die Firmen Heckler & Koch und Carl Walther wegen des Verdachts illegaler Waffenexporte nach Mexiko bzw. Kolumbien. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart laufen. Im Oktober 2013 war der Friedensaktivist zu Gast bei der Jahreshauptversammlung der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Er referierte dort über die Profiteure der deutschen Kriegswirtschaft sowie die Verantwortungslosigkeit deutscher Politiker, Waffenexporte ohne kritisches Hinterfragen zu befürworten. Kerstin Kesselgruber und Hanno Schedler von der GfbV sprachen mit Grässlin über sein Engagement gegen Lobbyisten und profitgierige Waffenproduzenten.

von Kerstin Kesselgruber und Hanno Schedler

bedrohte Völker: Was versprechen Politiker im Hinblick auf Waffenexporte und was tut sich tatsächlich?

Jürgen Grässlin: Im Bereich des Waffenhandels besteht eine eklatante Diskrepanz zwischen den Versprechen der Oppositionsparteien und ihrem späteren Gebaren als Regierungspartei. Mir geht es nicht darum, was eine Partei vor einer Wahl verspricht, sondern wie sie agiert, wenn sie an der Macht ist, also Waffenexporte genehmigen oder untersagen kann. Denn man muss wissen, dass sich die Bundesregierung gemäß Artikel 26 (2) des Grundgesetzes verantwortlich zeichnet für die Genehmigung von Rüstungsexporten.

bedrohte Völker: Weshalb kritisieren Sie so vehement Waffenexporte nach Saudi-Arabien?

Jürgen Grässlin: Saudi-Arabien war 2012 das Empfängerland Nummer eins der Genehmigung deutscher Kriegswaffentransfers. Entscheidend ist die Frage, ob dorthin Mercedesmilitärfahrzeuge, Eurofighter-Kampfflugzeuge exportiert und ein 9.000 Kilometer langer Grenzsicherungszaun der EADS um das Land errichtet werden dürfen. Dieser dient einerseits zur Flüchtlingsabwehr von außen, andererseits setzt Saudi-Arabien damit auch gegenüber der Demokratiebewegung ein ganz klares Abschreckungssignal. Zu allem Übel wurde noch eine Fabrikaktionsanlage zur Fertigung von G36-Sturmgewehren geliefert. Würden die in den Politischen Grundsätzen zum Rüstungsexport vom Januar 2000 seitens der Bundesregierung propagierten Menschenrechtsaspekte gelten, dann wäre die Antwort klar: Natürlich nicht! Denn in Saudi-Arabien herrscht die Scharia. Das bedeutet beispielsweise Kreuzamputationen oder öffentliche Exekutionen von Menschen, die vom Islam zum Christentum konvertieren. Dessen ungeachtet sollen noch Patrouillenboote und – was wir bisher als Kampagne verhindern konnten – auch die Kampfpanzer Leopard II geliefert werden. Allerdings belegt der im Juni 2014 publizierte Rüstungsexportbericht 2013, dass Saudi-Arabien noch immer in der Spitzengruppe deutscher Empfängerländer rangiert – auch aufgrund immens hoher Kleinwaffenexporte.

bedrohte Völker: Sie bezeichnen Kleinwaffen – wie das G3- oder G36-Gewehr – als die tödlichste Waffengattung. Was macht den Export dieser Gewehre so gefährlich?

Jürgen Grässlin: Ja, das stimmt. Die zweite wichtige Frage in der jetzigen Legislaturperiode der Bundesregierung bis 2017 wird sein, ob es uns gelingt, den Export der tödlichsten Waffen, den sogenannten Kleinwaffen, zu unterbinden. Aufgrund ihres Einsatzes in Kriegen und Bürgerkriegen werden 19 von 20 Opfern getötet. Deutschland liegt beim Export dieser Waffen auf Platz zwei weltweit. Wir sind also auf einem unrühmlichen Silberrang. Zuallererst muss der Export von Kleinwaffen unterbunden werden – und zwar sofort.

bedrohte Völker: Erklärt sich die Tatsache, dass geschätzte 15 Millionen G3-Gewehre von Heckler & Koch weltweit im Einsatz sind, durch Exporte vom Hersteller in Oberndorf am Neckar?

Jürgen Grässlin: Nicht nur. Denn ein zentrales Problem ist die Vergabe von Lizenzen, also Nachbaurechten. Und auch da wieder nach Saudi-Arabien im Fall der erfolgten Lizenzvergabe für das Sturmgewehr G36 von Heckler & Koch. Wenn es die Demokratiebewegung in Riad, Medina oder Mekka wagen sollte, auf die Straße zu gehen, werden diese Menschen mit in deutscher Lizenz gefertigten Sturmgewehren zusammengeschossen. Und natürlich stellt sich auch hier die Frage der Einhaltung des vertraglich vereinbarten Endverbleibs. Das bedeutet, dass die gelieferten Waffen im Empfängerland bleiben müssen. Leider gibt es viele Fälle, wo genau das nicht passiert. So hat Saudi-Arabien in Lizenz gefertigte G3-Schnellfeuergewehre illegal in die Bürgerkriegsländer Sudan und Somalia geliefert. Damit hat die Regierung in Riad den Endverbleibsvertrag gebrochen. Und dennoch hat genau diese Regierung 2008 eine Lizenz zum Eigenbau von G36-Sturmgewehren erhalten. Diese Lizenzvergabe – meines Erachtens die folgenschwerste Rüstungsexportentscheidung des noch jungen 21. Jahrhunderts – geht auf das Konto von Frau Merkel und Herrn Steinmeier in der großen Koalition von 2005 bis 2009.

bedrohte Völker: Wie funktioniert die Lizenzvergabe bei Waffenexporten? Welche Folgen hat sie?


Jürgen Grässlin: Anders als man denkt, müssen Lizenzvergaben nicht genehmigt werden. Genehmigungen müssen lediglich der Export von Blaupausen beziehungsweise von Produktionsmaschinen erteilt werden. So geschehen im Fall der Errichtung einer Fabrik für G36-Sturmgewehre südlich von Riad. Die Lizenzvergaben sind mit Abstand die schlimmste Form von Rüstungsexporten, was die Öffentlichkeit so gar nicht wahrnimmt. Wenn beispielsweise hundert Gewehre in ein Land wie Somalia geliefert werden, dann sagt man, dies sei unglaublich schlimm. Was stimmt, denn mit Schnellfeuergewehren kann man unglaublich viele „Weichziele“, so die Werbesprache von Heckler & Koch, töten. Das G3-Gewehr von H&K verfügt über die Einstellung „Dauerfeuer“: So können 20, 30 oder 40 Menschen in Sekundenschnelle erschossen werden. Viele der Überlebenden werden verstümmelt und bleiben ihr Leben lang traumatisiert. Bei Lizenzvergaben aber sprechen wir nicht von hundert Gewehren. Mit einer Lizenzvergabe vergeben wir das Recht und die Möglichkeit, zehntausende Gewehre pro Jahr zu produzieren. Saudi-Arabien wird zunächst die eigenen Truppen mit dem G36 ausrüsten. Anschließend – nach ungefähr fünf bis acht Jahren – wird die Produktion fortgeführt. Die neuen Gewehre werden an befreundete und zahlungswillige Staaten geliefert. Die Bundesregierung bestreitet dies mit der Begründung, dass der Endverbleib gewährleistet sei – was definitiv falsch ist. Die Vorgabe des gesicherten Endverbleibs zählt zu den schwerwiegendsten Lügen einer jeden Bundesregierung, gleich welcher politischen Couleur.

bedrohte Völker: Was also tut Deutschland, um den Endverbleib zu gewährleisten?

Jürgen Grässlin: Nichts. Rufen Sie zur Verifizierung meiner Aussagen beim Bundesausfuhramt in Eschborn an und lassen sich mit der Abteilung für die Endverbleibskontrolle verbinden. Da ergeht es Ihnen wie bei dem Sketch von Karl Valentins „Buchbinder Wanninger“. Das heißt, Sie werden von Abteilung zu Abteilung verbunden und irgendwann um 18 Uhr sagt man Ihnen, nunmehr sei Betriebsschluss. Wenn Sie am nächsten Tag erneut anrufen, stellen Sie fest, dass es keine Abteilung für den Endverbleib gibt. Es gibt nicht einmal einen einzigen Beamten, der den Endverbleib vor Ort unangekündigt kontrolliert. Dennoch versuchen Politiker ständig, die kritische Öffentlichkeit mit der Behauptung zu beruhigen, der Endverbleib sei gewährleistet. Aber es wird nirgendwo kontrolliert, selbst dann nicht, wenn der Endverbleib nachweislich gebrochen wurde.

bedrohte Völker: Kann man denn nicht Politiker auf gebrochene Endverbleibs-Regelungen ansprechen?


Jürgen Grässlin: Da gibt es eine spannende Geschichte. Ich habe mal ein Mitglied der damaligen rotgrünen Bundesregierung auf den Bruch von Endverbleib angesprochen. Und habe ihm gesagt, dass ich nachweisen kann, dass die Türkei MP5-Maschinenpistolen von Heckler & Koch in den Nahen und Mittleren Osten sowie nach Indonesien unter Bruch von Endverbleibserklärungen geliefert hat. Er meinte, dass er da nicht reagieren könne. Denn nach den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung müssen in solch einem Fall, da der Endverbleib nicht eingehalten wurde, alle Rüstungsexporte in dieses Land gestoppt werden – bis dieser Fall aufgeklärt ist. Der Regierungsvertreter sagte mir im Vier-Augen-Gespräch, dass ich Recht habe. Doch die Folge davon sei ein internationaler Skandal, da dann alle Waffenexporte in die Türkei gestoppt werden müssten – was er nicht wollte.

bedrohte Völker: Wie nehmen Waffenproduzenten Einfluss auf die deutsche Politik?

Jürgen Grässlin: Gehen wir das Problem von der positiven Seite an. Dank der Tatsache, dass die Friedens- und Menschrechtsbewegung sowie die beiden großen christlichen Kirchen die Kampagne Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel! gegründet haben, findet erstmals ein ernst zu nehmender Lobbyismus gegen Rüstungsexporte statt. Dies erklärt auch die immense Ablehnung von Waffenhandel in der Bevölkerung. Eine repräsentative Umfrage von Emnid belegt, dass 78 Prozent der Deutschen für einen völligen Stopp des Waffenhandels sind. Dennoch ist Deutschland Europameister und Nummer drei der Weltwaffenexporteure bei Großwaffensystemen. Wie kann das sein, obwohl die Mehrheit der Gesellschaft und auch weite Teile in den Parteien – in der CDU/CSU und der SPD zumindest an der Basis – gegen Waffenexporte sind? Die Lobby, vor allem des Bundes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (BDSV) (1), schafft es gegenüber der Regierung durchzusetzen, dass weiterhin Waffen in exorbitant hoher Zahl produziert und exportiert werden. In der Spitze des BDSV ist etwa der SPD-Politiker Georg Wilhelm Adamowitsch vertreten. In der Vorstands- und Geschäftsführungsebene finden sich renommierte Politiker von SPD, FDP und der Union. Außerdem ist der BDSV besetzt mit Generälen, Ex-Generälen, Bundeswehr-Offizieren und natürlich Vertretern der Rüstungsindustrie. Das Ergebnis dieser leider erfolgreichen Lobbypolitik ist desaströs: Da die deutschen Streitkräfte aufgrund der Bundeswehrreform in den kommenden Jahren weniger Waffen kaufen, werden zurzeit Rüstungsexporte selbst für problematische Schwellenlänger genehmigt. Schimmer noch: Letztlich genehmigt die Bundesregierung den Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern an kriegführende und menschenrechtsverletzende Staaten – darunter Diktaturen. Und das gegen den Willen der breiten Mehrheit der Bevölkerung.

bedrohte Völker: Werden Rüstungsexporte aufgrund dieses erfolgreichen Lobbyismus womöglich weiter steigen?

Jürgen Grässlin: Genau das befürchten wir. Der jetzige Rüstungsexportanteil liegt bei etwa 60 Prozent. Die Rüstungsindustrie hat angekündigt, dass sie diesen Anteil auf 70 Prozent erhöhen wolle, weil die Bundeswehr aus ihrer Sicht nicht mehr genug Waffen kauft. Airbus/EADS, die MBDA, Krauss-Maffei Wegmann, Rheinmetall, ThyssenKrupp Marine Systems oder Heckler & Koch wollen ihre Produktionskapazitäten halten und neue Exportmärkte erschließen.

bedrohte Völker: Wie funktioniert der Lobbyismus zugunsten von Rüstungsproduzenten vor Ort, zum Beispiel im Fall von H&K?

Jürgen Grässlin: Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar ist das folgenschwerste Beispiel eines massiven Rüstungslobbyismus. Dieser Kleinwaffenhersteller und -exporteur ist das tödlichste Unternehmen in Europa. Mehr als zwei Millionen Menschen wurden bisher durch Kugeln aus dem Lauf von H&K-Waffen getötet. In diesem Sinne haben deutsche Kleinwaffenexporte und Lizenzvergaben vielfach Beihilfe zu Massenmord in Kriegen und Bürgerkriegen geleistet. Leider kann ich hier keine der fünf bisherigen Regierungsparteien aus der Verantwortung entlassen.

bedrohte Völker: Wie ist das Verhältnis von Heckler & Koch zu seinen Wahlkreisabgeordneten?

Jürgen Grässlin: Im Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen, in dem H&K seinen Stammsitz hat, wirkte bisher Ernst Burgbacher als Staatssekretär der FDP im Bundeswirtschaftsministerium, das den Waffenexport eigentlich überwachen und kontrollieren sollte. Ich freue mich, dass die FDP aus dem Bundestag geflogen ist, denn Vertreter dieser Partei traten traditionell als Lobbyisten der Firma Heckler & Koch auf. Doch der derzeit einflussreichste Protegé von Heckler & Koch ist augenscheinlich der Bundestagsabgeordne-te Volker Kauder. Der Vorsitzende der Bundestagfraktion von CDU/CSU ist zugleich Wahlkreisabgeordneter der CDU in Rottweil-Tuttlingen. Während des Bundestagswahlkampfs 2009 hat Andreas Heeschen, Hauptgesellschafter von Heckler & Koch, den damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Jung und eben Volker Kauder empfangen. Heeschen dankte Kauder bei einer Pressekonferenz ausdrücklich für die Förderung der Rüstungsexportgeschäfte. Was für eine spannende Aussage!

bedrohte Völker: Volker Kauder ist allerdings nicht Bundeswirtschaftsminister, also nicht verantwortlich für Rüstungsexportgenehmigungen.

Jürgen Grässlin: Das stimmt. Kauder gehört auch nicht dem Bundessicherheitsrat (BSR) an. Beim BSR handelt es sich um ein geheim tagendes Gremium, das von der Kanzlerin und dem Vizekanzler geführt wird und dem weitere sieben Minister angehören. Neun Personen entscheiden also in geheimer Runde über die brisantesten und zugleich tödlichsten Waffenexporte Deutschlands – bar jeglicher demokratischen Entscheidungsprozesse. Der Bundessicherheitsrat hat in den vergangenen Jahren nahezu alle diskutierten Waffenexporte genehmigt. Wieso also bedankt sich Andreas Heeschen bei Volker Kauder? Man kann nur mutmaßen. Volker Kauder gilt als rechte Hand von Frau Merkel, die Kanzlerin wiederum leitet den geheim tagenden Bundessicherheitsrat. So funktioniert Rüstungslobbyismus im Wahlkreis Rottweil. Dabei bezeichnet sich Kauder als überzeugten Christen, der sich dafür einsetzt, dass Christenverfolgungen weltweit gestoppt werden – wie scheinheilig! Saudi-Arabien steht auf dem Ranking der weltweiten Christenverfolgung auf Platz zwei direkt nach Nordkorea. Und genau an dieses Land liefert Deutschland unter anderem Eurofighter, deren Bordkanonen in den ehemaligen Mauser-Werken, heute Rheinmetall, in Oberndorf gefertigt werden – und damit gleichsam in Kauders Wahlkreis.

bedrohte Völker: Gibt es Aussteiger aus der Waffenindustrie?

Jürgen Grässlin: Ja, erfreulicherweise gibt es sie. Mehrere von ihnen zählen zu meinen wichtigsten Informanten. Beispielsweise hat mich im Sommer 2009 ein Beschäftigter von Heckler & Koch angerufen und mir mitgeteilt, dass er das Unternehmen verlassen habe. Als überzeugter Christ sei er nicht bereit, illegale Waffenexporte, wie im Fall Mexiko, mitzutragen. Ich habe mich mehrfach mit dem Insider getroffen. Er hat in zwei der vier mexikanischen Unruheprovinzen Chiapas, Chihuahua, Guerrero und Jalisco, in die keine Waffen geliefert werden dürfen, die Polizei im Umgang mit G36-Gewehren geschult. In mehreren vertraulichen Treffen hat er mittels präziser Aussagen aufgedeckt, wie die an das mexikanischen Verteidigungsministerium gelieferten G36-Gewehre in besagte Unruheprovinzen gelangt sind, in denen bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Am 19. April 2010 habe ich über meinen Rechtsanwalt Holger Rothbauer erstmals Strafanzeige gegen Verantwortliche von Heckler & Koch wegen des Verdachts des illegalen Waffenhandels mit Mexiko gestellt.

bedrohte Völker: Wie hat Heckler & Kochauf die Vorwürfe reagiert?

Jürgen Grässlin:Drei Jahre lang hat H&K behauptet, dass an den Vorwürfen nichts dran sei und gab vor, dass das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingestellt werden würde. 2013 hat die Firma zwei Personen entlassen mit der Begründung, dass diese verantwortlich den widerrechtlichen Waffenhandel mit Mexiko betrieben hätten. In einem Fall war der Vorwurf womöglich nicht unbegründet, da eine der beiden Personen tatsächlich zu dem H&K-Team in Mexiko gehört hat. Bei der anderen Person handelt es sich um eine Sacharbeiterin aus Oberndorf, die augenscheinlich als Bauernopfer dienen sollte. Ich glaube vielmehr, dass man in der Führungsebene sehr wohl davon wusste, was in Mexiko gelaufen ist. Nach meiner Strafanzeige ist Peter Beyerle, einer der drei Geschäftsführer von H&K, zurückgetreten. Angeblich aus Altersgründen, obwohl sein Vertrag noch lange nicht ausgelaufen war. Beyerle war Präsident des Landgerichts in Rottweil, bevor er zu H&K kam. Das ist das Gericht, das über die rechtlichen Verfehlungen von Heckler & Koch entscheidet. Beyerle wurde nach seiner Pensionierung als Landgerichtspräsident H&K-Geschäftsführer und war zuständig für die Rechtsgeschäfte der Waffenschmiede. Das heißt, dass er den Mexiko-Deal mit dem BAFA, dem Bundesausfuhramt in Eschborn, geregelt hat. Beyerles Abteilung hat beantragt, dass für mehr als 9.000 Gewehre Genehmigungen für alle 32 mexikanischen Provinzen erteilt werden, also auch die verbotenen Provinzen. Nachdem rund die Hälfte der Sturmgewehre in die vier verbotenen Gebiete gelangt waren, hat er in Runde zwei den Antrag gestellt, dass für die im Einsatz befindlichen Kriegswaffen Ersatzteile geliefert werden dürfen – gleichsam in die Unruheprovinzen. Erst jetzt will man im Bundesausfuhramt bemerkt haben, dass hier etwas nicht stimmen kann.

bedrohte Völker: Wie aber hat sich Herr Beyerle in seiner Notlage herausgeredet?


Jürgen Grässlin: Der H&K-Geschäftsführer hat behauptet, dass beim Ausfuhrantrag für Gesamtmexiko ein formaler Fehler unterlaufen sei, da man bei H&K den alten Antrag für die Gewehrausfuhren in alle Provinzen übernommen habe. Infolge meiner Strafanzeige wurden seitens der Staatsanwaltschaft und des Zollkriminalamts zwei Hausdurchsuchungen bei Heckler & Koch und führenden Mitarbeiten durchgeführt. Sobald der Bericht des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg abgeschlossen ist – das dürfte jetzt anstehen – kann die Staatsanwaltschaft Stuttgart auf der Basis des Kriegswaffenkontroll- und des Außenwirtschaftsgesetzes Anklage erheben. Dann müsste es Ende 2014 oder Anfang 2015 endlich zum Prozess kommen. Die Ausgangslage erscheint mir hervorragend, sodass womöglich ein oder mehrere Vertreter der H&K-Führungsebene vor Gericht stehen werden. Denn Auslandsreisen dürfen nur stattfinden, wenn mindestens ein Geschäftsführer unterzeichnet – also auch die Reisen in die verbotenen Regionen in Mexiko. Und auch die Hotelrechnungen und Flüge wurden ja in Oberndorf abgerechnet. Auch diese Dokumente liegen der Staatsanwaltschaft Stuttgart vor.

bedrohte Völker: Wie geht die Waffenindustrie gegen Kritiker wie Sie vor?

Jürgen Grässlin: Der Daimler-Konzern, der in den 1990er Jahren führender Anteilseigner des Rüstungsriesen EADS – heute Airbus – war, hat versucht, mich auf juristischer Ebene mundtot zu machen und finanziell auszubluten. Die Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp und Dieter Zetsche sowie der Konzern haben mich 2005 vor Gericht gezerrt und auf Unterlassung konzern- und personenkritischer Aussagen geklagt. Die deutsche Rechtslage ist so, dass ein Unternehmen, das klagt, alle rund 140 Landgerichte in Deutschland abklappern kann. Die Landgerichte in Köln und München stellten fest, dass die Kritik durch die grundgesetzlich verbriefte Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt ist. Das Landgericht Hamburg und das Hanseatische Oberlandesgericht, weithin gefürchtet aufgrund ihrer Urteile gegen Journalisten, Buchautoren und Kritiker, haben Schrempps Klage stattgegeben. Letztlich hat es vier Jahre und zwei Monate gedauert und mich mehr als 80.000 Euro gekostet, bis ich dann vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe schließlich Recht bekommen habe. Erst der BGH hat bestätigt, dass die in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland auch bei spontanen personenbezogenen Äußerungen gilt und über dem Persönlichkeitsschutz eines Topmanagers steht.

bedrohte Völker: Das Urteil hat Ihnen Mut gemacht?

Jürgen Grässlin: Dieser Entscheid hilft allen Unternehmenskritikern, wir sind weiterhin höchstrichterlich abgesichert. Nicht nur dann, wenn wir die Geschäftspolitik von Konzernen pauschal anprangern sondern auch, wenn wir Vorstandsvorsitzende für Missstände und Fehlentwicklungen persönlich verantwortlich erklären. Seit dem BGH-Urteil vom Herbst 2009 habe ich den Spieß umgedreht: Zurzeit laufen vier Ermittlungsverfahren aufgrund der Strafanzeigen meinerseits bzw. des Sprecherkreises der Kampagne Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel! gegen Heckler & Koch bzw. Carl Walther: Dabei geht es um den Verdacht illegaler Waffengeschäfte mit Mexiko und Libyen bzw. Kolumbien.

bedrohte Völker: Welches Signal erhoffen Sie von diesen juristischen Schritten?


Jürgen Grässlin: Kommt es zu Verurteilungen auf der Basis des Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollgesetztes, dann drohen den Beschuldigten aus der Rüstungsindustrie Haftstrafen – wohlgemerkt von zwei Jahren an aufwärts. Das wäre ein gutes Signal dafür, dass illegale Waffenexporte in Deutschland auffliegen und nicht ungestraft bleiben. Ich möchte allen Menschen in der Rüstungsindustrie Mut zusprechen, sich an uns zu wenden und weitere solcher Fälle publik zu machen, damit wir neuerlich Strafanzeigen stellen können. Wir sind auf einem guten Weg.



(1) Der Bund der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitiktransportiert nach eigenen Angaben „die gebündelten Interessen der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI). Damit unterstützt er die Unternehmen im nationalen und internationalen Wettbewerb. Er versteht sich dabei als Ansprechpartner für Unternehmen aller Größenordnungen eines sich stark wandelnden Wirtschaftssektors“.


pogrom im Online-Shop bestellen

 

Lesen Sie weiter