Bildnachweis Titel: Foto: Andika Reitama / Flickr gemeinfrei

Liebe Leserin, lieber Leser,


von dem Cover dieser Ausgabe strahlt Ihnen ein Jugendlicher entgegen. Zusammen mit einigen Männern versucht er, einen glitschigen Pfahl hinaufzuklettern. Oben sind Geschenke und manchmal die indonesische Flagge befestigt. Das Ganze ist ein Spiel und Ritual. Es heißt Panjat Pinang – und ist ein Überbleibsel aus der Kolonialzeit.

Jährlich am 17. August erklettern die Menschen vielerorts in Indonesien Pfähle und führen weitere festliche Rituale durch. Es ist ein Tag der Freude, denn der 17. August ist der indonesische Nationalfeiertag: er feiert den Tag, an dem Indonesien im Jahr 1945 seine Unabhängigkeit erklärte. Zuvor war das Land erst circa 350 Jahre lang eine niederländische Kolonie gewesen, dann war es von Japan besetzt.

Das Ende der Kolonialzeit ist jedoch bis heute nicht so perfekt und abgeschlossen, wie es auf unserem Bild vielleicht scheint. Zuerst erkannten die Niederlande Indonesien nicht als eigenständiges Land an. Das passierte erst vier Jahre später. Zudem verlief der gesamte Prozess der Dekolonialisierung holprig und erfasste nie alle Gebiete. Heute hält Indonesien selbst das Gebiet Westpapua besetzt und begeht dort zahlreiche Menschenrechtsverletzungen.

Auch in anderen Teilen der Welt hat die Dekolonialisierung nicht so funktioniert, wie sie sollte. Offiziell 17 Territorien zählen die Vereinten Nationen als „nicht-selbstverwaltete Gebiete“. (Westpapua gehört nicht dazu.) Sie alle drängen weiterhin auf ihre Unabhängigkeit. Die Vereinten Nationen haben ein eigenes Komitee gegründet, um die Menschen in diesen Gebieten in ihrem Ringen um ihr Recht auf Selbstbestimmung zu unterstützen. Es gibt Erfolge. Doch andernorts, wie in der Westsahara, bewegt sich nichts – beziehungsweise verschlimmern die Vereinten Nationen die Situation durch Entscheidungen sogar noch.

Nicht immer ist es so offensichtlich, dass dekoloniale Prozesse nicht abgeschlossen sind. Die politische Unabhängigkeit von Ländern ist jedoch nur die eine Seite. Die andere Seite verlangt, koloniales Denken zu überwinden. Koloniales Erbe findet sich überall: in Stadtbildern wie in Berlin oder Göttingen, in Technologien wie der Künstlichen Intelligenz, in Vorstellungen wie dem christlichen Abendland. Auch aktuelle Konflikte wie der im Sudan haben ihre nicht aufgearbeiteten kolonialen Facetten.

Die Folgen des „alten“, europäischen Kolonialismus noch nicht überwunden, kommen erschwerend heute neue Formen des Kolonialismus hinzu. Es gibt den Grünen Kolonialismus, gerechtfertigt als „guten Zweck“; oder den inneren Kolonialismus, gerechtfertigt als „historischen Auftrag“. Auch diese neuen Formen des Kolonialismus bringen wieder viel Leid über die Welt. Ihre Folgen werden wieder langfristig sein. Eine Antwort darauf wäre schon jetzt: Dekolonialisierung. Sie ist etwas Positives. Sie voranzubringen bedeutet, heute aus den Fehlern von gestern für ein gerechteres Morgen zu lernen.

 

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!

Herzliche Grüße

Johanna Fischotter
 

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