Die armenische Hauptstadt Jerewan und der Ararat im Hintergrund: Der Berg ist das Wahrzeichen der Armenier, obwohl er in der Türkei steht. Bis zum Völkermord 1915 lebten die Armenier größtenteils rund um den Ararat herum.
Foto: Սէրուժ Ուրիշեան (Serouj Ourishian)/Wikipedia CC BY-SA 3.0

 

Die Völkermorde an den Christen im späten Osmanischen Reich leugnet die türkische Regierung bis heute. In den Geschichts- und Lehrbüchern kommen sie nicht vor. Doch die armenische und griechische Enkelgeneration bricht mit den Tabus – vor allem mithilfe der Literatur. So nehmen die Überlebenden von damals ihre Geheimnisse nicht länger mit ins Grab.

Von Tessa Hofmann

Jeffrey Eugenides verarbeitet in seinem Roman die genozidale Vernichtung und Entwurzelung seiner griechischen Vorfahren im spätosmanischen Reich. Für den Roman
wurde er mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.
Foto: © Rowohlt Verlag

Wer Völkermord überlebt, spricht nicht gern darüber – schon gar nicht mit Nachgeborenen. Völkermordüberlebende wollen diese in der Regel vor den Schrecken bewahren, die sie selbst durchlitten haben. Auch Scham schließt den Überlebenden den Mund, oft lebenslang. Denn Völkermord geht einher mit extremen Formen der Entwürdigung und Erniedrigung. Wer spricht schon gerne über seine Vergewaltigungserfahrung? Oder darüber, sich als Überlebende prostituiert haben zu müssen, um sich und die eigenen Kinder vor dem Hungertod zu bewahren? Oder darüber, von den Völkermördern zur Prostitution gezwungen worden zu sein? Wer die Erzählbände des polnischen Auschwitz-Überlebenden Tadeusz Borowski (1922 bis 1951) gelesen hat, wird zudem wissen, dass das von ihm geschilderte „System Auschwitz“ abgestuft war: Es gab nicht nur Opfer und Täter, sondern viele Zwischenformen der Opferkollaboration mit den Tätern. Auch darüber zu sprechen, fällt schwer.

Schweigen und Tabubruch

Das Schweigen der Überlebenden wird oft erst von ihren Enkeln durchbrochen. Das zeigte sich anschaulich etwa in den großen armenischen und griechischen Diasporen (Diaspora: Existenz einer religiösen/kulturellen/ethnischen Gemeinschaft außerhalb der traditionellen Heimat; Anm. d. Red.) der USA. Dort veröffentlichte die Enkelgeneration seit Ende der 1960er Jahre Biographien und Familiengeschichten zum Schicksal ihrer Eltern und Großeltern, die die Völkermorde an ihren Gemeinschaften ab 1914 im damaligen Osmanischen Reich überlebt hatten. Auch international bekannte griechischstämmige Autoren wie Jeffrey Eugenides (geb. 1960, USA) und Aris Fioretos (geb. 1960, Stockholm) verarbeiteten in ihren Romanen Middlesex (2002; dt. 2003) und Der letzte Grieche (2009; dt. 2011) die genozidale Vernichtung und Entwurzelung ihrer Vorfahren im spätosmanischen Reich. Zu den frühen armenischen Tabubrechern gehört der Lyriker und Literaturwissenschaftler Peter Balakian.

Die unsäglichen Leiden der Großmütter werden oft gegen Ende ihres Lebens oder in Extremsituationen an die Enkel weitergegeben. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert Balakians Erinnerungsbuch Black Dog of Fate (1997, dt. Die Hunde vom Ararat, 2000). In diesem schildert er die Offenbarung seiner Großmutter Nafina Arusjan: 1961 liegt ihr elfjähriger Enkelsohn und autobiographischer Erzähler des Buches mit hohem Fieber zu Bett. Seine Großmutter versucht, ihn mit Naturheilmitteln zu retten, als die Schilderung der Vergewaltigungserfahrung aus ihr herausbricht. Die Szene am Bett des Enkels besitzt etwas Magisch-Hexenhaftes. Unter normalen Umständen wäre der emotionale Ausbruch der Großmutter nie erfolgt.

Schon 21 Jahre zuvor, so lässt sich fast am Schluss und wie nebenbei Balakians Buch entnehmen, kam es im Leben der Großmutter zu einem vergleichbar erschütternden Einbruch der Vergangenheit in ihre scheinbar heile Welt der amerikanischen Vorstädte: 1941 erleidet Nafina Arusjan während des japanischen Angriffs auf Pearl Harbour Erinnerungsschübe an die Deportationszeit im Ersten Weltkrieg. Diese werden ihr, dem therapeutischen Stand der Zeit entsprechend, mit Elektroschocks bis zur vermeintlichen Normalisierung ausgetrieben.

Fethiye Çetins Doppelbiographie über ihre Großmutter und sie selbst bricht im Jahr 2004 in der Türkei ein Tabu: über armenische Vorfahren zu sprechen, die den Völkermord überlebt haben.
Foto: © Verlag auf dem Ruffel

Identitätsschock

Während armenischstämmige Autoren der USA und Frankreichs mit ihren Familiengeschichten ihre nicht-armenischen Leser mit dem weitgehend vergessenen Schicksal ihrer Vorfahren konfrontieren wollen, thematisieren türkischstämmige Autoren den Identitätsschock, den die Enthüllungen ihrer armenischen Großmütter bei ihnen auslösen. Beispielhaft hierfür ist das Memoir Anneannem (2004; dt. Meine Großmutter, 2011) der Anwältin und Menschenrechtlerin Fethiye Çetin.

Im Alter von 70 Jahren berichtet die Großmutter Seher ihrer Enkelin, dass sie eigentlich Hranusch Gadarjan heiße und 1905 als armenische Christin zur Welt kam. Als sie zehn Jahre alt war, befand sich Hranusch 1915 mit ihrer Mutter, Großmutter und weiteren Familienangehörigen auf einem Todesmarsch. Sie erlebt damals mit, wie ihre Großmutter zwei ihrer Enkel, die ihre Eltern verloren hatten und nicht mehr weiterlaufen konnten, im Fluss ertränkt und sich dann selbst ins Wasser wirft. Wenig später wird Hranusch gewaltsam ihrer Mutter entrissen und von dem kinderlosen türkischen Oberst Hüseyin in seinen Haushalt aufgenommen. Hüseyin billigte den Massenmord an armenischen Männern, zeigte jedoch Mitleid mit Frauen und Kindern.

Wie wird ein Mensch damit fertig, 60 Jahre lang sein Kindheitstrauma und seine lebenslange Ohnmacht mit niemandem teilen zu können? Auf diese und andere Fragen gibt das Buch keine Antwort. Çetin lässt die Leser mit ihren Fragen ebenso allein, wie sie sich selbst allein und verunsichert gefühlt hat, als ihr die Großmutter von ihren Leiden berichtete – ohne Kommentare oder Erklärungen anzubieten. Jede Frage ihrer Enkelin beantwortete sie mit der Gegenfrage: „Wie könnte ich es denn wissen?“ Fassungslos versucht Çetin zu begreifen, warum ihre Großmutter in der Türkei geblieben ist. Die Antwort erschließt sich aus dem Verhalten der Familie, in die Hranusch/Seher hineingezwungen worden war.

Viele während der Deportation verschleppte armenische Mädchen wurden noch als halbe Kinder mit Muslimen zwangsverheiratet. So verheiratete nach Oberst Hüseyins Tod dessen Witwe die ihr unerwünschte 15-jährige Hranusch mit einem nichtsnutzigen Verwandten – auch er erst 16 Jahre jung. Seher/Hranusch gebiert eigene Kinder; ihre armenische Herkunftsfamilie darf sie nie wiedersehen. Bis zu ihrem späten Lebensende im Jahr 2000 wird Seher/Hranusch von ihren als Türken aufgezogenen Nachkommen bevormundet.

Zerrissen – Überlebende wie Nachfahren

Çetin erreicht ihre türkischen Leser, indem sie einen der ersten Völkermorde des 20. Jahrhunderts auf ein Einzelschicksal herunterbricht und die hilflose Erklärungsunfähigkeit der Großmutter zum Stilmittel erhebt, um die Fakten für sich sprechen zu lassen. Mit der Türkei unvertraute Leser werden aus dem Buch viel über die Stigmatisierung und Diskriminierung der Nachfahren armenischer Überlebender beziehungsweise zwangsislamisierter Armenierinnen erfahren; ebenso über den rassistischen Geist einer Gesellschaft, die diese Menschen sprachlich als „kılıç artıkları“ („Überbleibsel des Schwertes“) oder „unreines Blut“ verunglimpft.

Die Erkenntnis ihrer armenischen Abstammung, ausgelöst durch die Enthüllungen ihrer Großmutter, traf Fethiye Çetin 1975 völlig unvorbereitet. Sie löste „Schockwellen“ bei ihr aus, über die sie mit niemand sprechen konnte: „Meine Welt hatte sich verkehrt, meine Verzweiflung war sehr stark, und ich versuchte, allein damit fertig zu werden“, schreibt Çetin im Buch. Auch diese Aussage setzt voraus, dass die Leser nachvollziehen, warum man sich in der Türkei nach gesellschaftlicher Lesart seiner armenischen Vorfahren schämen muss.

Çetins Tabubruch jedoch war erfolgreich und beispielgebend. Anneannem wurde in zehn Sprachen übersetzt, darunter Ost- und Westarmenisch. Mit der Anthropologieprofessorin Ayşe Gül Altınay gab sie 2009 den Sammelband Torunlar (Die Enkel) heraus, in dem 24 Personen halb anonym davon berichten, wie die Entdeckung der armenischen Abstammung ihr Leben und ihre Ansichten erschütterte.

Vor allem türkeistämmige Autoren armenischer Abstammung treibt ihre hybride beziehungsweise fluide Identität um. In einem Artikel in der Wochenzeitung DIE ZEIT versuchte der in München aufgewachsene Komponist Marc Sinan die Traurigkeit und Wut zu erklären, die seiner Meinung nach den Grundklang der Türkei bilden: „In jeder Familie in der Türkei gibt es eine Geschichte von Armut, Verletzung, Unterdrückung, Flucht, Vertreibung oder Vernichtung. Wenn nicht in der Gegenwart, dann in der Vergangenheit. Für diese selbst erfahrenen oder ererbten Traumata gibt es keinen Ort, kein Gehör, kein Verständnis, keine Empathie, ja, noch nicht einmal ein Bewusstsein. (…) Diese Erfahrung eint nicht, sie vereinzelt. Deshalb kann keiner für den anderen sprechen. Auch ich spreche für niemanden. Keiner will hören, was ich zu sagen habe, ich bin weder ein richtiger Türke, noch ein richtiger Armenier, noch ein richtiger Deutscher, noch ein richtiger Migrant, noch ein richtig Verletzter, noch ein richtig Privilegierter, weder arm, noch reich.“

 

„Viel zu schwer zum Tragen!“, der Vater rät der Protagonistin im Roman davon ab, das armenische Erbe anzutreten. Ein Armreif ist Auslöser für die Suche nach der eigenen Identität und eine Reise nach Armenien. Doch das Land bleibt fremd.
Foto: © Klett Cotta
Vergeltung zu üben für einen vor Generationen begangenen Völkermord ist
absurd. Doch auch Vergebung ist unmöglich angesichts der bis heute vorherrschenden und offiziellen Leugnung des Genozids in der Türkei.
Foto: © Rowohlt Verlag

Erinnern oder vergessen? Erbstücke

In den postgenozidalen Familienromanen spielen Erbstücke eine große Rolle, denn sie fordern die Protagonisten zu Handlungen auf. Oft werden diese Erbstücke bei Beerdigungen überreicht, so etwa in den Debütromanen von Laura Cwiertnia (Auf der Straßen heißen wir anders, 2022) und Marc Sinan (Gleißendes Licht, 2023) oder in Katerina Poladjans Roman Hier sind Löwen (2019).

Laura Cwiertnias Protagonistin Karla empfängt auf der Beerdigung ihrer armenischen Großmutter einen Goldarmreif, Marc Sinans Protagonist Kaan einen Jadedolch und Katerina Poladjans Protagonistin Helen wird bei ihrem Praktikum an der Handschriftensammlung Matenadaran in der armenischen Hauptstadt Jerewan mit einer armenischen Familienbibel konfrontiert. Bei Karla und Helen lösen diese Gegenstände Reisen aus. Helen fährt nach Ordu, woher die einstigen Besitzer der von ihr restaurierten Bibel stammten. Karla fliegt mit ihrem armenischen Vater Avedis beziehungsweise Avi nach Armenien, um Lilit Kouyoumcijan zu finden, für die der Goldarmreif ursprünglich bestimmt war. Vater Avedis rät Karla dabei jedoch ab, ihr armenisches Erbe anzutreten: „Viel zu schwer zum Tragen!“

Kaan dagegen greift zum ererbten Dolch, um Rache zu üben – wenn auch erst Jahrzehnte nach dem Tod seiner armenischen Großmutter. Auf der Iftar-Feier (Fastenbrechen; erste Mahlzeit nach Sonnenuntergang während des Fastenmonats Ramadan im Islam; Anm. d. Red.) im Garten des türkischen Präsidenten will sich Kaan mit dem Dolch auf eben diesen stürzen. Der im Roman aufgebaute Gegensatz von Vergeltung und Vergebung ist eine Scheinalternative, denn eine Vergeltung vier oder mehr Generationen post factum ist ebenso absurd wie eine Vergebung angesichts der anhaltenden offiziellen türkischen Leugnung unmöglich ist.

Sinan scheint dies erkannt zu haben. Er lässt im Buch die armenische Großmutter Ani/Vahide an ihren Enkel Kaan appellieren, nach einem dritten Weg zu suchen: „(…) Wähle einen anderen Weg als den der Grausamkeit.“ Sein türkischer Großvater Hüseyin empfiehlt statt Rache therapeutisches Schreiben: „Schreib endlich die Geschichte auf, Kaan. Schreibe, damit du sie vergessen kannst. Denn nur im Vergessen besteht die Chance zu überleben (…).“

Nicht einmal in Armenien sind die Verbrechen aufgearbeitet, die zur Zeit der Sowjetunion an den Armeniern begangen wurden. Susanna Harutyunyan macht mit ihrem Roman einen ersten Schritt in diese Richtung.
Foto: © Friedrich Mauke Verlag

Kaan muss schließlich einsehen, dass seine Hoffnung, mit einem Attentat auf den türkischen Präsidenten eine landesweite Revolution und damit eine dauerhafte Verbesserung des Umgangs mit Minderheiten auszulösen, scheitern muss. Um Misstrauen, Angst und Vorurteile zu überwinden, brauche es noch tausend Jahre.

Die in Deutschland lebenden Autorinnen Poladjan und Cwiertnia besitzen keine türkischen Vorfahren. Sie stellen die Identitätsfrage im Zusammenhang mit Armenien, das ihre Protagonistinnen Helen und Klara als fremd empfinden beziehungsweise als dauerhaftes Aufenthaltsland ablehnen.

Selbstkritische Vergangenheitsaufarbeitung

Die Erinnerungsprosa widmet sich aber nicht nur den verleugneten Genoziden im einstigen Osmanischen Reich. Während der „Großen Säuberung“ (1936 bis 39) erfolgte in
Sowjetarmenien ein zweiter Elitizid, also die Deportation und Ermordung zahlreicher armenischer Intellektueller und Geistlicher: etwa 2.000 Geistliche wurden zwischen 1921
und 1939 deportiert und ermordet. Mit Ausnahme Litauens sind die unter stalinistischer Herrschaft begangenen Verbrechen im postsowjetischen Raum kaum oder gar nicht
aufgearbeitet. Auch nicht in Armenien. Zumindest literarisch schnitt die bekannte Schriftstellerin Susanna Harutyunyan 2014 in ihrem Roman Agṙawnerẹ Noyic' aṙaǰ (2014; dt. Raben vor Noah, 2023) dieses düstere Thema an.

Zudem hat kein Autor vor ihr die landläufige armenische Auffassung von Schande und Ehre so selbstkritisch hinterfragt. Harutyunyan thematisiert in ihrem Roman zum Beispiel die Ablehnung weiblicher Opfer von Vergewaltigungen und Zwangsschwängerungen durch ihre patriarchalen Herkunftsgesellschaften. Nicht nur literaturhistorisch die bedeutsamste Neuerung von Agṙawnerẹ Noyic' aṙaǰ besteht jedoch darin, dass der Roman die Schuld sowjetarmenischer Juristen und Polizeibeamter thematisiert. Bemerkenswert ist vielleicht auch, dass ihr Roman trotz mehrfacher Tabubrüche in Armenien deutliche Anerkennung fand. 2016 brachte er ihr den höchsten Literaturpreis des Landes ein.

Der Roman erzählt episodenhaft die Entstehung und das Schicksal eines Gebirgsdorfs in Harutyunyans Heimatregion am Sewansee, diesem „letzten Schluck von Gottes Zorn“. Es ist eine auf ihre Grundelemente beschränkte, raue Hochgebirgslandschaft. Dort lässt sich 1894 der aus dem Osmanischen Reich geflüchtete Pertsch mit seinem kleinen Neffen Haruth in den Ruinen eines im 17. Jahrhundert entvölkerten und in Vergessenheit geratenen Dorfs nieder.

Später bringt der herangewachsene Haruth auf nur ihm bekannten Wegen weitere Verfolgte und Flüchtlinge ins Dorf. Als dessen Oberhaupt spricht Haruth Recht und vollstreckt auch seine Urteile. Unter den während des Genozids von 1915 aufgenommenen Flüchtlingen befindet sich Nachschun (die Schöne). Die einstige Sängerin des armenischen Klosters von Musch war auf ihrer Flucht von Wan nach Jerewan immer wieder vergewaltigt worden. Haruths Dorf erreicht sie hochschwanger.

Haruth fordert von Nachschuns Vater Sarkis, entweder seine Tochter oder sich selbst zu töten, um die Schande zu tilgen. Einige Dorfbewohner bitten für Sarkis um Gnade, aber Haruth vertreibt den alten Mann gnadenlos in die Wildnis. Die westarmenischen Flüchtlinge im Dorf dagegen verstehen Haruths Haltung und werfen Nachschun vor, nicht Selbstmord begangen zu haben. Die Dorfheilerin Satho weigert sich, die Zwillinge abzutreiben, die Nachschun erwartet. So kommen ihre Töchter Anahit und Astrik zur Welt und wachsen auf in einem Milieu des Misstrauens. Sie gelten als Türkinnen und entwickeln sich den allgegenwärtigen Vorurteilen entsprechend zu zänkischen „Flittchen“.

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges holt die sowjetische Wirklichkeit das abgeschiedene Dorf ein, als eine Gruppe deutscher Kriegsgefangener in dessen Nähe ihre Arbeit aufnimmt. Ihre armenischen Bewacher stoßen bald auf Nachschuns ‚Grab‘, das sie ihrer ermordeten Familie symbolisch errichtet hat. Nachschun wird aufgefordert offenzulegen, in welchem Verhältnis sie zum Vater ihrer Kinder steht. Weil ihr die Scham den Mund verschließt, wird sie nach Sibirien deportiert. Haruth gerät zeittypisch in den Verdacht, ein türkischer Spion zu sein. Ob ihm die rechtzeitige Flucht gelingt, bleibt offen.

Nachschuns Tochter Astrik lässt sich mit einem Kriegsgefangenen ein, dem Gänseforscher Konrad (eine Anspielung auf Konrad Lorenz). Am Ende verlassen der Deutsche und die „Türkin“ zusammen das Dorf, dem sie fremd geblieben sind.

 

[Die Autorin]
Prof. h.c. Dr. phil. Tessa Hofmann ist Philologin und Soziologin und war bis April 2015 am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin tätig. Sie publizierte zahlreiche Bücher zur Geschichte, Kultur und Gegenwartslage Armeniens, der armenischen Diaspora, zur Genozid-Forschung und zu Minderheiten in der Türkei und im Südkaukasus. Seit 1979 ist sie ehrenamtliche Armenien-Koordinatorin der Gesellschaft für bedrohte Völker und seit 2009 Ehrenmitglied.



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