Das Stadion des Mushuc Runa Sporting Club ist an einem Spieltag im November 2018 gut besucht.
Foto: Sdavidortizo/Wikipedia CC BY-SA 4.0

 

Die Möglichkeiten, eigene Ideen umzusetzen, blieben Angehörigen indigener Völker in Ecuador lange verwehrt. Das änderte sich mit der Gründung der indigenen Finanzkooperative Mushuc Runa. Die Mitarbeitenden glauben an die Projekte ihrer Kund*innen und krempeln selbst das Bild im Finanzsektor um – und nicht nur dort streben Indigene nach gleichberechtigter Teilhabe.

Von Maya Erb

In der Andenstadt Ambato im Herzen Ecuadors liegt die Hauptstelle und der Geburtsort der indigenen Finanzkooperative Mushuc Runa. Sie unterstützt Indigene und andere marginalisierte Gruppen, indem sie ihnen beispielsweise finanzielle Mittel bereitstellt, um sich gesicherte Existenzen aufzubauen und Projekte zu verwirklichen. Dabei berücksichtigt die Kooperative das Sumak Kawsay („Buen Vivir“; dt. etwa: Gutes Leben). Das Sumak Kawsay bedeutet ein Leben im Einklang mit der Natur und setzt auf einen respektvollen Umgang miteinander – unabhängig von der Herkunft oder dem Geschlecht.

Mushuc Runa wurde 1997 von Luís Alfonso Chango gegründet. Er ist Chibuleo-Indigener aus Ambato. Die Chibuleo sind ein indigenes Volk der Kichwa-Nationalität aus der andinen Provinz Tungurahua, in der Ambato liegt. Chango ist in einer rassistischen, ungleichen Gesellschaft aufgewachsen. Kredite habe es nur für die Mittel- und Oberschicht gegeben. Indigene, Afroecuadorianer*innen sowie Menschen aus ländlichen Gebieten oder vom Stadtrand seien hier völlig ausgeschlossen worden. Unternehmergeist und Ideenreichtum habe den ethnischen Gruppen niemand zugetraut. Das wollte Chango ändern und war seine Inspiration zur Gründung der Kooperative.

Die Gründung und Legalisierung der Kooperative sei nicht einfach gewesen, erinnert sich Chango in einem Artikel zur Geschichte der Kooperative auf deren Website. Ihm als indigener Mensch sei kein Vertrauen entgegengebracht worden, ein solches Projekt überhaupt durchführen zu können. Doch er blieb beharrlich und überwand letztlich alle Hindernisse. Seit ihrer Gründung hat die Kooperative maßgeblich zur finanziellen Inklusion und Repräsentation der indigenen Völker und anderer marginalisierter Gruppen Ecuadors beigetragen. Das Ziel ist, ethisch und unter der Berücksichtigung des Sumak Kawsays zu wirtschaften: Sei es durch den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen oder den respektvollen interkulturellen Austausch.

 

Die Filialen des indigenen Finanzinstituts in der andinen Stadt Ambato in Ecuador sind stets gut besucht. Vielen Menschen ermöglicht Mushuc Runa neue Perspektiven.
Foto: © Kevin Jordán

 

Koloniale Narrative überwinden

In Lateinamerika sind 8,5 Prozent der gesamten Bevölkerung indigen (Statista 2019). Im Andenstaat Ecuador beträgt der Anteil der indigenen Völker und Nationalitäten nach Angaben der indigenen Dachorganisation CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador) sogar 50 Prozent. Damit ist Ecuador eines der Länder mit der anteilig größten indigenen Bevölkerung des Kontinents. Trotzdem werden Indigene und Afroecuadorianer*innen nach wie vor strukturell benachteiligt und sind am häufigsten von Armut betroffen.

Indigene galten in Ecuador und in ganz Lateinamerika bis zum Ende des 20. Jahrhunderts als „Menschen zweiter Klasse“. Ihnen wurde Ignoranz und Arbeitsscheue vorgeworfen. Dieses Narrativ stammt noch aus der Zeit der Kolonisierung der Amerikas, in Ecuador durch die Spanier*innen. Die Vorurteile und üblen Nachreden halten sich jedoch bis in das heutige Zeitalter. Das Narrativ hängt mit dem starken Widerstand zusammen, den die indigenen Völker den Konquistadoren (Eroberern) gegenüber gezeigt haben.

Die Arbeit der Kooperative sorgt hier für einen Unterschied und einen Wandel. Die Mitarbeitenden von Mushuc Runa glauben an die Projekte ihrer Kund*innen und unterstützen auch junge, indigene Unternehmer*innen. Sie bieten ihnen so erstmals Möglichkeiten, die zuvor der mestizischen [Menschen, deren einer Elternteil europäisch, der andere indigen ist; Anm. d. Red.] und weißen Bevölkerung des Landes vorbehalten waren. Der Gründer selbst leistet zusätzlich einen wichtigen Beitrag zur Repräsentation: Als erfolgreicher indigener Unternehmer setzte er sich beharrlich im Finanzsektor durch, welcher von der (weißen) Oberschicht und Nachkommen der Spanier*innen dominiert war.

Chango und andere indigene Vertreter*innen tragen im Arbeitsalltag die traditionelle Tracht ihres Volks. Damit stellen sie sich auch gegen den europäisch dominierten Status Quo des schicken Smokings im Finanzsektor der Banken. Gleichzeitig brechen sie mit der verbreiteten Wahrnehmung, dass Banker*innen nicht indigen und/oder traditionell sein können. Auch der Name „Mushuc Runa“ spielt darauf an: Er bedeutet übersetzt „neuer Mensch“ und soll das Erwachen der indigenen Völker symbolisieren, die sich aus dieser Position befreien und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, ohne dabei ihre Kultur und Traditionen zu verlieren.

 

Foto: Wikipedia; gemeinfrei
Bearbeitung: studio mediamacs Bozen

 

Eine Idee breitet sich aus

Aktuell betreibt die Kooperative Filialen in ganz Ecuador und ist die erfolgreichste ihrer Art. Sie ist aber schon lange nicht mehr die Einzige. Selbst auf den Galápagos-Inseln existieren indigene Kooperativen. Mushuc Runa arbeitet stetig mit Menschen aus unterschiedlichen Bereichen, wie beispielsweise der Landwirtschaft oder Viehzucht zusammen, um innovative und vor allem nachhaltige Strategien zur Weiterentwicklung zu schaffen. Im Jahr 2016 beispielsweise fand eine Veranstaltung statt, bei welcher indigene und nicht-indigene Unternehmer*innen gemeinsam Ideen zur Verbesserung des Viehzucht-Sektors in Ecuador entwickelten.

Zudem gibt es mittlerweile auch den Mushuc Runa Sporting Club. Durch ihn mischt zum ersten Mal ein indigen geführtes Fußballteam in der nationalen Profiliga mit. In der kleinen Stadt Tisaleo, etwas südlich von Ambato, hat die Mushuc Runa Kooperative zudem ein kulturelles Zentrum aufgebaut. Es verfolgt die Ziele, Menschen die Chibuleo-Kultur nahe zu bringen, indigenes Wissen zu sammeln und es für die Nachwelt festzuhalten. Auch soll den Menschen die besondere Rolle der Natur verdeutlicht werden und warum diese geschützt werden muss. Das gesamte Zentrum wird nur durch Solarenergie betrieben – ein großer Gegensatz zu allem anderen im Land.

Die Mushuc Runa Kooperative ist ein Beispiel dafür, wie das Wesen der Banken auch gehandhabt werden kann. Sie verdeutlicht, dass Wirtschaft und Finanzen nicht differenziert von einer nachhaltigen Entwicklung betrachtet werden müssen. Ihre Arbeit beleuchtet den Weg für einen nachhaltigen Fortschritt und stellt eine Quelle zur Inspiration dar, welche weit über die Grenzen Ecuadors hinaus geht.

[Die Autorin]
Maya Erb studiert Politikwissenschaften und Romanistik an der Universität Kassel. Sie ist in der Andenstadt Ambato aufgewachsen, weshalb sie die Kooperative Mushuc Runa schon von Kind auf kennt. Im Rahmen ihres Studiums befasst sie sich viel mit der Politik in Lateinamerika und den Rechten indigener Völker weltweit.



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