Im März 2016 verurteilte das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag Radovan Karadžić wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er legte Berufung ein. Die GfbV erinnerte zusammen mit den Müttern von Srebrenica vor dem Gerichtsgebäude an die Opfer des Genozids.
Foto: © GfbV

 

Die Serbisch-orthodoxe Kirche unterstützte den Völkermord an den bosnischen Muslimen/Bosniaken im Bosnienkrieg (1992 – 1995). Kriegsverbrecher nahm sie in Schutz, Mördern schenkte sie ihren Segen und in Predigten glorifizierte sie die Idee eines „Großserbiens“. Damit trug sie zur steten Eskalation bei. Seit Kriegsende zurückgekehrten Bosniaken gelten Kirchen, die an Orten früherer Moscheen stehen, bis heute als Symbol des Unrechts.

Von Jasna Causevic

Der in Serbien populäre Abt Gavrilo segnete im Jahr 2005 einige Männer. Diese sind Mörder. Sie haben nachweislich sechs muslimische Zivilisten aus Srebrenica getötet. Von der Segnung existieren Videoaufnahmen. „Die Serbisch-orthodoxe Kirche (SOK) hat die Ermordung und Vertreibung der bosnischen Muslime und damit die Auslöschung des 500 Jahre alten mitteleuropäischen Islam aus Bosnien bedingungslos unterstützt“, ordnete Tilman Zülch, ehemaliger Präsident der Gesellschaft für bedrohte Völker International und kürzlich verstorben, die Aufnahmen damals ein. „Das Video belegt einmal mehr, wie unmittelbar diese Kirche in den Genozid an den bosnischen Muslimen verstrickt gewesen ist“, betonte Zülch.

Eine ähnliche Szene zeigt ein weltweit verbreitetes Foto der Agentur Reuters: Patriarch Pavle, der seit 1990 bis zu seinem Tod im November 2009 höchste Geistliche der Serbisch-orthodoxen Kirche, reicht Radovan Karadžić und Ratko Mladić geweihtes Brot. Das Foto entstand im Juli 1995 nahe der bosnischen Hauptstadt Sarajevo – nur wenige Tage vor der Erschießung von mindestens 8.000 bosnischen Männern und Jungen aus der ehemaligen UN-Schutzzone durch serbische Einheiten in Srebrenica, Ostbosnien. Der Krieg in Bosnien samt „ethnischen Säuberungen“ und Massenvergewaltigungen tobte da schon seit Jahren (1992 – 1995). Karadžić und Mladić gelten als hauptverantwortlich für Genozid und Kriegsverbrechen. Sie sind heute zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt.

Die Lüge von einem „Völkermord an den Serben“

Die Würdenträger der SOK leugneten damals, dass serbische Truppen in Bosnien und Herzegowina Völkermord begingen. Alle Vorwürfe seien frei erfunden, hieß es in einem „Appell an das russische Volk“ von April 1993. Zu dessen Unterzeichnern gehörten neben einer Reihe serbischer Intellektueller auch der damalige Metropolit von Montenegro, Amfilohije Radović [gestorben im Oktober 2020; Anm. d. Red.], sowie Bischof Atanasije Jevtić [gestorben im März 2021; Anm. d. Red.].

Die serbischen Angriffskriege gegen Kroatien und Bosnien-Herzegowina sind aus der Sicht der SOK „Verteidigungskriege“. Die Serben seien Opfer eines Völkermords, der während des Zweiten Weltkrieges begonnen hätte und sich nach dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien fortsetzte. In seiner Osterbotschaft von 1994 beschuldigte Patriarch Pavle den Westen, das serbische Volk zu isolieren: „Wir machten eine bittere und tragische Erfahrung, verursacht […] besonders durch die tyrannischen obersten Machthaber der Welt, die uns eingesperrt und von allen anderen Nationen isoliert haben.“ Luftangriffe der NATO zum Schutz der bosnischen Bevölkerung erklärte der Patriarch mit einem von ihm unterstellten Sadismus der Vereinten Nationen: Die Isolation sei nicht genug gewesen, „deshalb schickten sie uns Bomber, die eine unschuldige Nation töten und zerstören sollen, deren Schuld darin besteht, serbisch und orthodox zu sein.“

Zur Verschwörungstheorie der SOK gehörte auch, dass die westlichen Medien im Einverständnis mit den Regierungen des Westens die Serben als einzige Übeltäter im Bosnienkrieg dargestellt hätten: Das serbische Volk sei in Wirklichkeit aber nur „Opfer“, beteuerte Bischof Irinej bei einem Besuch in München im Mai 1995 [Irinej folgte im Jahr 2010 Pavle als serbisch-orthodoxer Patriarch nach. Er starb 2020; Anm. d. Red.]. Die Berichte über die Massenvergewaltigungen von muslimischen Bosnierinnen durch serbische „Tschetniks“ seien nichts als „böswillige Erfindungen“. Damit folgte Irinej einer Stellungnahme des Heiligen Synod der SOK-Bischöfe [Leitungsgremium der SOK; Anm. d. Red.] vom 10. Dezember 1992, in welcher die Massenvergewaltigungen als Kriegspropaganda abgetan wurden.

Patriarch Pavle ruft zu den Waffen

Schon im September 1991, anlässlich der serbischen Aggression gegen Kroatien, schrieb Patriarch Pavle in einem Brief an den Vermittler der Europäischen Gemeinschaft (EG) Lord Carrington [Peter Carington, 6. Baron Carrington, war ein britischer Politiker und Verhandlungsführer der EG-Friedenskonferenz für den Balkan; Anm. d. Red.]: „Als ewiger Wächter der serbischen Geistigkeit und der serbischen nationalen […] Identität ist die Serbisch-orthodoxe Kirche voller Sorge um das Schicksal des serbischen Volkes. Zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert ist das serbische Volk vom Genozid bedroht und von der Vertreibung von Territorien, auf denen es seit Jahrhunderten lebt. […] Mit der neuerlichen Ausrufung des unabhängigen Kroatien begann ein möglicherweise in seinen Folgen noch tödlicheres Leid der Serben in Kroatien.“ Und er rief im Brief die Serben für einen angeblichen Verteidigungskrieg zu den Waffen: „Der serbische Staat und das serbische Volk müssen mit allen legitimen Mitteln einschließlich der bewaffneten Selbstverteidigung die serbische Bevölkerung und alle serbischen Gebiete schützen.“

Die Truppen der „Serbischen Republik Bosnien-Herzegowina“ erhielten bei vielen Gelegenheiten den Segen der SOK. Während Patriarch Pavle in der Schweiz am 23. September 1992 bei einem interkonfessionellen Gipfel der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und des Rates der europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) den Friedenswillen der SOK beteuerte, reiste Nikolaj Mrđa, von 1992 bis zu seinem Tod 2015 Metropolit von Dabar-Bosnien, zu den Karadžić-Truppen und segnete das neugegründete „Drina Korps“ in Vlasenica. Dieses beging Kriegsverbrechen und war später während des Völkermords von Srebrenica vor Ort.

Auch andere hochrangige Würdenträger der SOK standen Kriegsverbrechern nahe: Metropolit Amfilohije Radović ließ sich von dem international gesuchten Kriegsverbrecher Željko Ražnjatović „Arkan“ Leibwächter stellen. Dessen paramilitärische Gruppe „Weiße Adler“ werden für besonders grausame Morde und Massaker in Bosnien verantwortlich gemacht.

Patriarch Pavle und seine Bischöfe sprachen sich zudem bei jeder Gelegenheit deutlich für die Einrichtung „Großserbiens“ aus: für den Zusammenschluss derjenigen Gebiete, die seit 1991 von serbischen Truppen mit Angriffskrieg und Völkermord erobert wurden. Die verschiedenen Friedens- und Teilungspläne der westlichen Unterhändler wurden von der SOK abgelehnt. So kommentierten die Bischöfe den Vance-Owen-Plan (eine Aufteilung Bosnien-Herzegowinas in drei nach ethnischen Kriterien gebildete Kantone) als „neue drohende Teilung unseres Volkes“. Empörte Vorwürfe wegen der Anerkennung Bosnien-Herzegowinas hatten die Bischöfe schon im Mai 1992 in einem Memorandum an die westlichen Regierungen gerichtet. Offen predigten die Bischöfe „Großserbien“: „Unsere serbische orthodoxe Kirche ist für die Einheit aller serbischen Länder“.

Auch den Genfer Friedensplan vom Sommer 1994, der die Abtretung von einem Drittel der eroberten Gebiete an die bosnisch-kroatische Föderation vorsah, lehnte die SOK, vor allem Patriarch Pavle, ab. Ähnlich wie General Mladić, der jede Änderung der mit „serbischem Blut gezogenen Grenzen“ in Bosnien ablehnte, weigert sich auch Pavle, „mit serbischem Blut erkämpftes bosnisches Territorium“ aufzugeben. Im Juli 1994 wurde das serbische Volk von der Bischofskonferenz der SOK, „angeführt von Seiner Heiligkeit, dem serbischen Patriarchen Pavle“ gar zu einem „Heiligen Krieg“ gegen die Genfer Vorschläge aufgerufen.

 

Hetze gegen Friedensbemühungen

Als der serbische Präsident Slobodan Milošević unter Druck der internationalen Gemeinschaft im August 1994 halbherzige Sanktionen gegen die „Serbische Republik Bosnien-Herzegowina“ verhängte, stellte sich die SOK offen auf die Seite von Radovan Karadžić. Während die Sanktionen Belgrads auch ein Einreiseverbot für die Politiker der „Serbischen Republik Bosnien-Herzegowina“ umfassten, reisten Würdenträger der SOK mehrmals demonstrativ und provozierend nach Bosnien. Im November 1994 traf sich die Bischofskonferenz der SOK in Banja Luka, einer Hochburg der serbischen Extremisten in der „Serbischen Republik Bosnien-Herzegowina“, um sich über die Sanktionen Serbien-Montenegros gegen die bosnischen Serben zu beraten. Auch Radovan Karadžić war eingeladen, vor den Bischöfen zu sprechen.

Als das UN-Tribunal in den Haag im April 1995 bekannt gab, dass gegen Karadžić wegen Kriegsverbrechen ermittelt würde, stellte sich der Patriarch bei einem Treffen in Bosnien vor den bosnischen Serbenführer. Pavle forderte die bosnischen Serben zum Durchhalten und Weiterkämpfen auf und protestierte gegen die Politik des serbischen Präsidenten Milošević. Dieser wolle die Brüder in Bosnien zur Annahme des Friedensplans in Bosnien zwingen. „Es ist besser zu sterben, als unsere Seelen zu verraten“, hetzte der Patriarch. Radovan Karadžić sah sich durch den Patriarchen in seiner „göttlichen Mission“ bestätigt: „Es ist unsere Pflicht, uns zu verteidigen. Alles andere würde Gott nicht gefallen und würde der orthodoxen Tradition nicht entsprechen. Unser Volk harrt (im Leiden) aus und wer ausharrt, wird siegen“, zitierten ihn damals Nachrichtenagenturen.

Im Mai 1995 wurde Milošević dann von westlichen Regierungen gedrängt, Bosnien anzuerkennen. Als Reaktion appellierte der heilige Synod der SOK an ihn, „in diesem schicksalsträchtigen Augenblick trotz des Drucks der Mächtigen dieser Welt Bosnien und Kroatien nicht in deren künstlichen Grenzen anzuerkennen“, so zitierte ihn die dpa.

Als einziger serbisch-orthodoxer Bischof gab Konstantin Đokić, damals Bischof für Mitteleuropa, in einer gemeinsamen Erklärung mit der Evangelischen Kirche in Deutschland am 5. März 1993 ein Schuldeingeständnis für die serbische Seite ab: „Wir, die Vertreter der serbisch-orthodoxen Kirche, bedauern zutiefst das Ausmaß der Beteiligung bestimmter serbischer Kräfte als Täter in diesem blutigen Konflikt. […] Wir (EKD und SOK) setzen uns gemeinsam dafür ein, dass ein internationales Gericht die begangenen Kriegsverbrechen untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht.“

Leider haben auch die westlichen Kirchen die schwersten Kriegsverbrechen in Bosnien und Herzegowina viel zu lange ignoriert: Völkermord, die Betreibung von Internierungs- und Konzentrationslagern und Massenvergewaltigungen durch serbische Truppen. Gegenüber der SOK haben die westlichen Kirchen, von einzelnen Wortmeldungen abgesehen, nicht entschlossen Position bezogen. Umso lieber ließen sie sich von abstrakten Friedensappellen betören, welche die Bischöfe der SOK regelmäßig und mit viel Bedacht in die Welt setzten. Der katholische Bischof von Hildesheim, Josef Homeyer, lobte den Patriarchen gar als Repräsentanten der Kräfte der Versöhnung und des Friedens in Serbien.

 

Die religiösen Spuren des Kriegs

Heute gibt es viele Stätten in Bosnien-Herzegowina, wo früher Moscheen oder Bethäuser standen, die im Krieg zerstört wurden. Statt ihrer wurden hier neue serbisch-orthodoxe Kirchen errichtet. Zudem entstanden Kirchen an Orten, die Eigentum von Bosniaken waren. Vielerorts gelten die neuerrichteten Kirchen für Vertriebene, die nach dem Krieg zurückkehrten, als eine Art Provokation: Sie sind Symbole des Siegs des Unrechts in besonders kriegsgeschundenen und vom Völkermord gezeichneten Regionen Ostbosniens. Fata Orlović ist eine dieser Zurückgekehrten.

Im Sommer 1996 wurde auf Fata Orlovićs Grundstück in Konjević Polje (Gemeinde Bratunac im Nordosten Bosnien und Herzegowinas) eine Kirche gebaut. Im Jahr 2000 kehrte Orlović nach Konjević Polje zurück und fand ihr Zuhause zerstört, dafür die Kirche vor. Seither suchte Nana Fata (Großmutter Fata), so wurde sie von allen genannt, Gerechtigkeit in allen Justizinstitutionen. Ihr Kampf dauerte Jahre. Jahr für Jahr beteuerte sie, dass sie ihn nicht aufgeben würde, bis die Kirche aus ihrem Garten entfernt würde. Das Grundstück, auf dem sie lebte, gehörte dem Ehemann von Nana Fata und dessen Bruder. Es bestand aus mehreren Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, Feldern und Wiesen. Ihr Mann und mehr als 20 weitere Verwandte waren 1995 beim Völkermord in Srebrenica ums Leben gekommen.

Nach einem langen Rechtsstreit ordnete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 1. Oktober 2019 in einem Urteil an, dass die Republika Srpska (zweite Entität in Bosnien und Herzegowina) die Kirche entfernen müsse. Am 5. Juni 2021 war es endlich soweit: Die illegal errichtete Kirche auf dem Grundstück von Nana Fata wurde abgerissen. Nana Fata verließ das Haus während der Abrissarbeiten nicht. Sie sei erschüttert vor Freude, aber auch von der Qual, die seit 25 Jahren andauerte, ließ sie an die Medien ausrichten.

 

Fotos:  

  1. Wikipedia; gemeinfrei Bearbeitung: studio mediamacs Bozen
  2. Der bosnisch-serbische General Mladić war von 1992 bis 1996 Oberbefehlshaber der Armee der Republika Srpska. Er wurde in einem Berufungsverfahren am 8. Juni 2021 vom internationalen UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. (Foto von 1993) Evstafiev Mikhail/Wikipedia CC BY-SA 3.0
  3. Am 25. Juli 1995 stellte das internationale UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag den Politiker Radovan Karadžić und den General Ratko Mladić als zwei der Hauptverantwortlichen für den Völkermord an den bosnischen Muslimen seit 1992 unter Anklage. Im Berufungsverfahren wurde Karadžić am 20. März 2019 unanfechtbar zu lebenslanger Haft verurteilt.
  4. Pavle war von 1990 bis zu seinem Tod 2009 der 44. Patriarch der Serbisch-orthodoxen Kirche. Er sprach sich für die Errichtung eines Großserbiens aus und trug so zur Eskalation des Konflikts in Bosnien und Herzegowina bei, Stevan Kragujević/Wikipedia CC BY-SA 3.0.
  5. Das Heiligtum des Heiligen Sava/Храм Светог Саве in der serbischen Hauptstadt Belgrad ist eines der größten orthodoxen Gotteshäuser der Welt. Foto: Vol de nuit/Wikipedia CC BY-SA 4.0.
  6. Die Stadt und Gemeinde Foča im Osten Bosniens und Herzegowinas kam im April 1992 unter die Kontrolle bosnisch-serbischer Truppen. Sie vertrieben oder ermordeten die nicht-serbische Bevölkerung. Neun historische Moscheen sprengten sie in die Luft. Die Aladža-Moschee (im Bild) wurde bis 2019 originaltreu wieder aufgebaut. Foto: Julian Nyča/Wikipedia CC BY-SA 3.0

 

[Die Autorin]
Jasna Causevic ist Referentin für Genozid-Prävention und Schutzverantwortung bei der Gesellschaft
für bedrohte Völker. Einer ihrer Schwerpunkte liegt seit vielen Jahren auf der Situation auf dem
Westbalkan.

 

[Quellen]
GfbV, AP, dpa, KNA, verschiedene Tageszeitungen, Bücher und Aufsätze: Tobias Strahl „Kultur, Erbe,
Konflikt: Kulturgutzerstörung in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo 1991-2004“ Wien: Böhlau
Verlag, [2018], Helen Walasek: Bosnia and the Destruction of Cultural Heritage und einige mehr.



GfbV-Zeitschrift im Abo

Wir würden uns besonders darüber freuen, wenn Sie unsere Zeitschrift regelmäßig lesen möchten: Das Abonnement umfasst sechs Ausgaben im Jahr und kostet inklusive Versand 25 Euro pro Jahr (ermäßigt 20 Euro).

Jetzt Zeitschrift abonnieren oder kostenloses Probeheft anfordern.

Lesen Sie weiter