17.12.2005

Zweisprachige Schule in der Provinz

Niederlande/Friesland

Friesland ist eine der zwölf Provinzen im Königreich Niederlande. In dieser Provinz leben etwa 600.000 Menschen. Die Landwirtschaft ist bis auf den heutigen Tag ein wichtiger ökonomischer Faktor geblieben. Neben Industrie, Landwirtschaft und Dienstleistung ist in der Nachkriegszeit der Fremdenverkehr ein wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden. Friesland ist jedoch keine autonome Provinz so wie Südtirol in Italien oder Katalonien in Spanien. Das Königreich der Niederlande ist seit der napoleonischen Zeit ein Einheitsstaat. Die Provinz Friesland hat ihre eigene Sprache, die sich von der Nationalsprache, dem Niederländischen, unterscheidet. Die Sprache ist das wichtigste Identitätsmerkmal der Friesen. Die Provinz Friesland ist zweisprachig, die Mehrheit der Einwohner ist zweisprachig: Friesisch-Niederländisch.

Eine völlig neue Lage für die friesische Sprache entstand durch die starke Einwanderung von Nichtfriesen nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Niederländische drang in Domänen ein, die Jahrhunderte lang dem Friesischen vorbehalten waren. Das homogen friesischsprachige Dorf besteht nicht mehr. Die offene und sehr mobile Gesellschaft ist aber eine Bedrohung für die traditionelle Diglossiesituation. Auch wenn heute die friesischsprachige Bevölkerung als zweisprachig gilt, gleicht diese Lage mehr einer transitorischen Zweisprachigkeit hin zur Einsprachigkeit: Das Fortbestehen der Zweisprachigkeit ist gefährdet. Die Umgangssprache auf dem Lande ist nicht mehr stets und selbstverständlich Friesisch, weder bei Kindern noch bei Erwachsenen, und die holländischen Einflüsse auf die Sprache nehmen sehr schnell zu.

Daher hat sich der Akzent in der Argumentation für den Schulunterricht im Friesischen in den letzten Jahrzehnten verlagert: von den Interessen des Kindes (das viel mehr mit dem Friesischen als mit dem Niederländischen vertraut war) hin zur Pflege des kulturellen friesischen Erbes. Die friesische Sprache ist noch lange nicht ausgestorben. Aus den Zahlen des Forschungsprojekts "Sprachgebrauch und Einstellung gegenüber den Sprachen in Friesland" (1984) ergibt sich, dass Friesisch für 55% der Bevölkerung die normale Umgangssprache in der Familie ist (35% Niederländisch, 9% Lokaldialekt). Als mündliches Medium ist die Sprache also durchaus lebendig. Die Bevölkerung Frieslands kann Friesisch zu 94% gut verstehen, zu 73% gut sprechen, zu 65% lesen, jedoch nur zu 11% ohne große Mühe schreiben.

Was die Fähigkeit betrifft, Friesisch zu lesen, existiert ein Teufelskreis. Eine kleine Anzahl von Lesern hat kleine Auflagen zur Folge. Da der Friesischunterricht derzeit ausgebaut wird, gibt es aber Anlass zur Hoffnung, dass dieser Teufelskreis durchbrochen werden kann. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts haben sich viele um das Fortbestehen der friesischen Sprache als Volks- und Kultursprache bemüht. Im 20. Jahrhundert hat sich die friesische Bewegung zum Ziel gesetzt, die Anerkennung der friesischen Sprache in Wort und Schrift im öffentlichen Leben zu verwirklichen, z.B. im Schulunterricht, im kulturellen Leben (Theater, Musik, Literatur), im Rundfunk und Fernsehen, aber auch im Bereich der Verwaltung und der Justiz.

Als Hauptgrund für die Verwendung des Friesischen in den Gemeinderäten, in der Provinzverwaltung und bei der Justiz gilt nicht länger das praktische Argument, dass die Friesen sich besser in der eigenen Sprache als in niederländischer Sprache ausdrücken können: heutzutage wird mehr Nachdruck auf das Recht gelegt, sich auch bei offiziellen Gelegenheiten in der Muttersprache äußern zu dürfen.

Am Sitz der Provinzialverwaltung setzt sich das Friesische als Umgangssprache mehr und mehr durch, während der Schriftverkehr auf Friesisch nicht so recht in Gang kommt. Der Gebrauch des Friesischen sollte von nun an nicht mehr eine Begünstigung, sondern ein verbrieftes Recht sein. Die Provinzialregierung hat mit dem Staat einen Vertrag zur Erhaltung der friesischen Sprache und Kultur abgeschlossen.

Die "Friese Beweging" fordert seit Einführung der Schulpflicht 1900 Friesischunterricht für alle Schüler in allen Schulen Frieslands. In ihrem Streben ist sie mehr und mehr von den Provinzbehörden unterstützt worden, die den Friesischunterricht zu einem der Schwerpunkte ihrer Sprachpolitik gemacht haben.

Die achtjährige Primarschule wird von Kindern zwischen vier und zwölf Jahren besucht. Bis 1937 war Niederländisch die einzige offiziell erlaubte Unterrichtssprache. Die Gesetzesänderung 1937 machte es formell möglich, unter dem Fach "Sprachunterricht" auch Friesisch zu verstehen. Diese gesetzliche Möglichkeit, Friesisch als Wahlfach zu unterrichten, ist zwischen 1937 und 1980 von 30% der friesischen Schulen genutzt worden, allerdings nur in den zwei höchsten Klassen und meist nur eine oder zwei Stunden pro Woche. Seit 1980 ist in allen Primarschulen Friesisch Pflichtfach. Als Unterrichtssprache ist Friesisch in allen Klassen erlaubt. Die Schulen haben die Freiheit, selber zu entscheiden, wieviel Zeit sie für Friesisch als Fach und wieviel für Friesisch als Unterrichtssprache verwenden wollen. Inzwischen wird als dritte Sprache auch Englisch unterrichtet.

Normalerweise nennt sich eine Schule zweisprachig, wenn beide Sprachen als Fach und als Unterrichtssprache vorkommen. Als Fach wird Friesisch eine Stunde pro Woche unterrichtet. 20% der Unterrichtszeit wird auf Friesisch gestaltet, meistens in den kreativen, teils auch in den weltanschaulichen Fächern.

Der Sekundarunterricht ist für Schüler im Alter von zwölf bis zwanzig Jahren vorgesehen. Die Stellung des Friesischen im Sekundarunterricht ist noch in voller Entwicklung. Seit 1947 konnten die weiterführenden Schulen Friesisch als Unterrichtsfach in den Lehrplan aufnehmen, seit 1970 sogar als Wahlfach für den Schulabschluss. In der Praxis zeigte sich aber, dass das Friesische im Sekundarunterricht nur eine untergeordnete Rolle spielte. Aufgrund einer gesetzlichen Änderung ist Friesisch seit dem 1. August 1993 in der integrierten Gesamtschule für Zwölf- bis Fünfzehnjährige Pflichtfach geworden. Auch hier ist die Regel, dass es im normalen Stundenplan seinen Platz findet. Alle Schulen sind der Meinung, dass Friesisch, als Folge der Einführung des Friesischen als Pflichtfach in den Primarschulen, logischerweise auch in den Gesamtmittelschulen denselben Status haben soll..

Zur Person

Alex M. J. Riemersma, Dozent für Friesisch und Didaktik an der Noordelijke Hogeschool Leeuwarden/Ljouwert und Beauftragter für Friesische Sprach- und Kulturpolitik der Provinz Friesland/Fryslan, Niederlande

Aus: "Scuola e lingue, Schulen und Sprachen, Scola y lingac", herausgegeben vom Istitut Pedagogich Ladin (Autonome Provinz Bozen/Südtirol-Italien) und der Weiterbildungsorganisation Alpha & Beta.

Links

Noordelijke Hogeschool Leeuwarden/Ljouwert: www.nhl.nl/nhl_nl/informatie_voor/hovo/Noordelijke-Hogeschool_Leeuwarden/

Friesen in den Niederlanden:

www.minority2000.net/Gr-15/t12de0.htm

Friesen-Infos:

www.westkuestenet.de/fries4.htm

Fryskebeweging:

www.fryskebeweging.nl/

Links Sprachenpolitik

Teaching Indigenous Languages:

jan.ucc.nau.edu/~jar/Articles.html

Indigenous Language Links:

jan.ucc.nau.edu/~jar/links.html

Stabilizing Indigenous Languages/A Center for Excellence in Education Monograph/Northern Arizona University:

www.ncela.gwu.edu/pubs/stabilize/

Joshua Fishman:

suse-www.stanford.edu/~joshuaafishman/

Dying tongues:

www.in-forum.com/specials/DyingTongues/index.cfm

Gesellschaft für bedrohte Sprachen:

www.uni-koeln.de/gbs/

www.unizh.ch/spw/aspw/dang/

Foundation for Endangered Languages:

www.ogmios.org/85.htm

Minderheitensprachen:

links-guide.ru/sprachen/aussterbende-sprachen.html

Bretagne:

www.breizh.net/icdbl/saozg/nominoe.htm

Jewish Language Research Website:

www.jewish-languages.org/jewish-english.html

Uni Koblenz:

www.uni-koblenz-landau.de/aktuell/archiv/laud04.html