30.04.2005

Zur Lage Vertriebener in der Türkei

59. Sitzung der UN Menschenrechtskommission 2003 - Genf 17.03.03-24.04.03

Schriftliche Stellungnahme der Gesellschaft für bedrohte Völker

Item 14 c

 

Die Gesellschaft für bedrohte Völker ist in großer Sorge um das Schicksal von Vertriebenen aus dem Südosten der Türkei. Noch immer warten 2.500.000 in andere Gebiete der Türkei vertriebene Kurden auf eine Gelegenheit, in ihre zerstörten Dörfer im Südosten des Landes zurückkehren zu können. Nach Jahrzehnten des Bürgerkrieges zwischen Türken und Kurden ist die Lage im kurdischen Südosten des Landes verzweifelt. Einer Untersuchungskommission des türkischen Parlamentes zufolge wurden dort insgesamt 3428 kurdische Dörfer und Weiler zerstört. Obgleich der Bürgerkrieg seit drei Jahren beendet ist, macht der Wiederaufbau keine Fortschritte.

Politische und bürokratische Hindernisse stehen der Rücksiedlung der Vertriebenen im Weg, von denen die meisten unter elenden Bedingungen in den Randgebieten größerer Städte und Ortschaften in den kurdischen Siedlungsgebieten und in anderen Provinzen der Türkei leben. Selbst kleine Kinder sehen sich gezwungen, zu arbeiten oder zu betteln, um zum überleben ihrer Familien beizutragen, die meist in Hütten und Baracken leben.

Zur Zeit hat kaum einer von ihnen irgendeine Aussicht auf Heimkehr. Nach Angaben des türkischen Innenministeriums sind bislang gerade 77 Familien in ihre Dörfer in der Umgebung von Städten wie Diyarbakir oder Sirnak zurückgekehrt. Gerade 2859 Familien wurden in das Rückkehrerprogramm aufgenommen, in dessen Rahmen 555 Häuser wieder aufgebaut wurden, das ist zwar ein Anfang, aber wenig mehr als der Tropfen auf dem heißen Stein. Das Innenministerium hat bestätigt, dass zur Zeit insgesamt 52 dieser 3428 Dörfer wieder bewohnbar sind

Bislang ist jedoch das Verfahren zur Klärung des Anspruches der Vertriebenen auf ihren Besitz und auf Entschädigung nicht abgeschlossen. Der Generalsekretär der Anwaltskammer von Diyarbakir befürchtet darüber hinaus, dass der türkische Staat den Besitz in Dörfern, die seit zehn Jahren nicht bewohnt sind, übernimmt und die vormaligen Einwohner enteignet. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei bereits aufgefordert, die Vertriebenen zu entschädigen, aber sein Urteil wurde bislang nicht in Kraft gesetzt.

Die Türkei bemüht sich um Aufnahme in die EU und hat sich verpflichtet, die Kopenhagener Kriterien vollständig und ohne Einschränkungen zu erfüllen. Die politischen Vorbedingungen schließen Anerkennung und Gleichberechtigung der kurdischen Kultur ein. Folgerichtig verabschiedete das türkische Parlament im August 2002 ein Reformpaket, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Türkei Unterricht in kurdischer Sprache und Hörfunk- und Fernsehsendungen in Kurdisch ermöglicht. Das Gesetz ist jedoch ein halbherziger Kompromiss, denn es räumt der kurdischen Sprache keine Gleichberechtigung ein, sondern spricht lediglich von "Dialekten". Kurdisch wird an staatlichen Schulen und Universitäten noch immer nicht gesprochen, wie dies in Art. 42 der türkischen Verfassung festgelegt ist.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert die Menschenrechtskommission auf:

  • die Türkei eindringlich aufzufordern, eine umfassende Kampagne zum Wideraufbau der zerstörten kurdischen Dörfer in die tat umzusetzen sowie die entsprechenden Gesetze ohne Verzug zu erlassen und anzuwenden
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  • jegliche Beschlagnahme von Land und Besitz der Vertriebenen sofort einzustellen und künftige Enteignungen auszusetzen
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  • unverzüglich Reformen durchzuführen, insbesondere bezogen auf eine routinemäßige Verwendung der kurdischen Sprache auf öffentlichen Plätzen, an Schulen und Universitäten, bei Behörden und Medien in Südanatolien und in den kurdischen Siedlungsgebieten
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  • die unverzügliche Freilassung von Leyla Zana anzuordnen, der demokratisch gewählten kurdischen Abgeordneten, die seit acht Jahren im Gefängnis ist.
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