30.04.2005

Zur Frage der Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich Rassendiskriminierung, Segregation und Apartheid in allen Staaten, unter besonderer Berücksichtigung von Kolonialstaaten und auf andere Weise abhängigen Staaten und Territ

58. Sitzung der UN Menschenrechtskommission 2002 - Genf 18.03.02-26.04.02

Schriftliche Stellungnahme der Gesellschaft für bedrohte Völker

Item 9

 

Schwerwiegende und systematische Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten des tibetischen Volkes durch die Volksrepublik China, einschließlich der Ansiedlung von Chinesen in Tibet, werden auch weiterhin dokumentiert. Die Menschenrechtsverletzungen haben an Zahl und Schwere seit der Annahme der Resolution 1991/10 durch die Sub-Kommission zur Vermeidung von Diskriminierung und dem Schutz von Minderheiten zugenommen. Als Einzelfälle betrachtet, bedürfen diese Menschenrechtsverletzungen der unverzüglichen Intervention durch die Mechanismen der UN-Menschenrechtskommission. In ihrer Gesamtheit ergeben sie ein so um sich greifendes und anhaltendes Muster, dass sie eine sofortige Verurteilung und aktives Handeln der 58. Sitzung des UNHCR erforderlich machen.

Die Regierung Chinas versucht auch weiterhin, die Ausübung und die Unterweisungen des tibetischen Buddhismus zu untergraben. Sie verweigert Besuchern noch immer, sich vom Wohlergehen des elften Panchen Lama Tibets, Gedhun Choekyi Nyima zu überzeugen. Berichte von Menschenrechtsorganisationen und Regierungen geben Hinweise darauf, dass Hunderte von Nonnen und Mönchen inhaftiert oder aus ihren Klöstern vertrieben worden sind, weil sie sich der anhaltenden "patriotischen Umerziehungskampagne" widersetzten. Nach Aufzeichnungen des Tibetischen Zentrums für Menschenrechte und Demokratie mit Sitz in Indien sind zwischen 1996 und 2001 mehr als 12.000 Mönche, die in Opposition zu dieser Kampagne stehen, vertrieben worden.

 

Im Juni 2001 drangen Berichte aus Tibet über eine zunehmende offizielle Überwachung der wachsenden Geistlichkeit des Serthar Buddhist Instituts in der sogenannten "Autonomen Tibetischen Präfektur Karze" in der Provinz Sichuan seitens der Chinesen. Im Frühling jenen Jahres kamen Beamte aus 13 verschiedenen Distrikten von Kanze, Dartsedo, Derge, Nyarong, Sershul und Serthar (Serta) von Kham zum Serthar Buddhist Institut oder zum Larung Ngarig Nangten Institute. Diese Beamten hatten direkte Anweisungen der Regierung aus Peking, dass die mehr als 10.000 im Serthar Institut lebenden Geistlichen auf 1.500 zu reduzieren seien. Die Regierungsvertreter gaben bekannt, dass die ausgewiesenen Angehörigen des Klerus in ihre jeweiligen Distrikte oder Staaten zurückkehren müssten und dass die von ihnen verlassenen Räumlichkeiten des Klosters zu zerstören seien. Die Geistlichkeit des Serthar Buddhist Institute ist grenzüberschreitend. Unter ihnen sind etwa 1.000 ethnisch-chinesische Mönche, Studenten aus Singapur, Malaysia und Hong Kong sowie 4.000 Nonnen, die in einem dem Institut angeschlossenen Nonnenkloster leben und lernen. Die überwiegende Mehrzahl der Studenten am Serthar Buddhist Institute waren Tibeter. Im Oktober 2001 wurde eine weitere tibetische buddhistische Institution mit einem ähnlichen Schicksal konfrontiert: chinesische Ordnungshüter zerstörten den Wohnbereich des Yachen Gar Klosters im Osten Tibets und vertrieben die meisten der Studenten.

Im April 2001 wurde bekannt, dass eine fünf Meter hohe bronzene und goldene Statue des Maitriya Buddha der Zukunft, die am Sarkophag des 7. Dalai Lama ihren Platz hat, aus Tibets Hauptstadt Lhasa nach Shanghai transportiert worden war. Dies und die Nachrichten, dass Statuen und Kunstgegenstände aus einem anderen Schrein im Potala Palast für den Transport vorbereitet wurden, um so schnell wie möglich nach Schanghai gebracht zu werden, haben das tibetische Volk in Trauer und Sorge versetzt. Statuen und Bildnisse aus Gold, Silber, Messing, Edelsteinen und Metall wurden nach China gebracht und landeten nach und nach auf den Märkten von Hong Kong, Shanghai und Tokio, wo Antiquitätenhändler aus dem Westen sie zu Höchstpreisen erwarben. Eine grobe Schätzung der Deviseneinnahmen, die China sich durch Verkauf tibetischer religiöser und profaner Kunst bislang erschaffen konnte, beläuft sich auf mehr als $ 80 Milliarden.

 

In ihrem Bericht zu Tibet von 1997 erkannte die Internationale Juristenkommission das Muster der Menschenrechtsverletzungen und dessen Grundlagen an; sie kam darin zu dem Ergebnis, dass Tibet unter Fremdherrschaft steht und forderte ein Referendum der Tibeter über die Frage, wie sie regiert werden wollen. Den Tibetern die Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung zuzugestehen scheint der einzige Weg zu sein, die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in Tibet zu beenden. Und tatsächlich forderte die UN-Generalversammlung in ihren Resolutionen von 1959, 1961 und 1965 die Volksrepublik China auf, das Recht des tibetischen Volkes auf Selbstbestimmung zu respektieren.

In einer Rede an die Vollversammlung des Europaparlamentes sagte Seine Heiligkeit der Dalai Lama am 24. Oktober 2001: "Meine Initiativen und Annäherungsversuche, die chinesische Führung zu einem Dialog zu bewegen, bleiben unbeantwortet. Im vergangenen September übermittelte ich durch die Chinesische Botschaft in Neu Delhi unseren Wunsch, eine Delegation nach Peking zu entsenden, die ein ausführliches Memorandum übergeben solle, in dem meine Ansichten zur Tibetfrage ausgeführt sind und die in dem Memorandum enthaltenen Punkte erläutern und diskutieren solle. Ich übermittelte meine Ansicht, dass wir durch persönliche Begegnungen erfolgreich Missverständnisse ausräumen und Misstrauen überwinden würden. Ich gab meiner starken Überzeugung Ausdruck, dass sobald dies erreicht sei auch eine für beide Seiten akzeptable Lösung des Problems ohne große Probleme gefunden werden könne. Aber die chinesische Regierung weigert sich bis heute, meine Delegation zu empfangen."

 

Seit 1979 bereits strebt die Exilregierung Tibets unter Führung Seiner Heiligkeit des Dalai Lama eine Politik des Dialogs mit China an, um die Tibetfrage lösen zu können. Im Geiste von Versöhnung und Ausgleich wurden zahllose Initiativen vom Dalai Lama aufgezeigt. Doch die Regierung Chinas widersetzt sich beständig Verhandlungen ohne Vorbedingungen, obwohl der Dalai Lama nachweislich auf die Unabhängigkeit Tibets verzichtet hat. China hat stattdessen eine ruchlose Kampagne in Tibet begonnen, die dem tibetischen Volk auch weiterhin seine Menschenrechte und Grundfreiheiten vorenthält.

Peking hat sein Verhalten gegenüber "Spaltern" verhärtet und die Unterdrückung in ganz Tibet verschärft, um politisch Andersdenkende auszuschalten. Die zur Zeit zunehmende politische Unterdrückung ist Ergebnis der Regierungspolitik Chinas, die in den offiziellen Stellungnahmen seiner Führer deutlich zum Ausdruck kommt. Während der siebten beratenden Konferenz des chinesischen Volkes sagte Lechog, der Vorsitzende der "Autonomen Region Tibet", am 22. Mai 2000: "Regierungsangestellte sollten die Lokalbevölkerung und ihre Untergebenen dazu anhalten, dem ‚Spaltertum‘ Widerstand zu leisten und alle Verbindungen zum Dalai Lama zu lösen. Die Dalai-Lama-Frage muss untersucht werden und jede in Tibet aktive Untergrundbewegung muss infiltriert und ausgeschaltet werden." Nach der Tragödie vom 11. September in den USA besteht Peking nun hartnäckig darauf, seinen Rückhalt für die internationale Koalition gegen Terrorismus zu benutzen, um seinerseits Unterstützung für seine Politik der Unterdrückung in Tibet zu erhalten.

Abschließend fordern wir die Menschenrechtskommission auf, das anhaltende Muster der Menschenrechtsverletzungen am tibetischen Volk und die unausgesetzte Weigerung der Volksrepublik China, mit Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama oder seinen Repräsentanten in Verhandlungen um eine Lösung der Tibetfrage einzutreten, zur Kenntnis zu nehmen. Dieses Muster der Menschenrechtsverletzungen in Tibet deutet auf die drohende Vernichtung der Tibeter als Volk hin, die solange fortbesteht, bis die internationale Gemeinschaft einschreitet, um die Gewalt zu beenden.