12.10.2011

Zum Mord an Maschaal Tamo - Ein Nachruf

Trauer um syrisch-kurdischen Menschenrechtler

© GfbV

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat einen Freund verloren: den syrisch-kurdischen Menschenrechtler Maschaal Tamo. Er wurde am 7. Oktober 2011 von unbekannten Maskierten in Kamischli im äußersten Nordosten Syriens an der Grenze zur Türkei erschossen. Die Nachricht traf uns wie ein Schlag, hatten wir uns doch vor wenigen Wochen noch darüber gefreut, dass er endlich freigelassen worden war. Fast drei Jahre lang war er als politischer Gefangener inhaftiert. Uns hatte er zuvor und in den wenigen Wochen des Umbruchs in seinem Land, die er noch erleben durfte, zuverlässig über die Lage der Kurden berichtet.

Rund 1500 Kurden seien in Kamishli auf die Straße gegangen, um friedlich für die Menschenrechte in Syrien zu demonstrieren, zitierte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) Maschaal Tamo vor fast fünf Jahren am 12. Dezember 2006. Die Demonstranten seien vom Chef des militärischen Sicherheitsdienstes bedroht worden mit den Worten: "Dies ist ein rein arabisches Land. Alle, die dies nicht akzeptieren wollen, werden vertrieben." Danach seien Schüsse gefallen. "Wir appellieren an die deutsche Bundesregierung, uns zu helfen und sich vor allem im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft vom kommenden Januar an für die Durchsetzung der Menschenrechte in Syrien einzusetzen", sagte Tamo damals. "Es kann nicht sein, dass zwei Millionen Menschen im eigenen Land ohne jegliche Rechte leben und brutal verfolgt werden."

(Pressemitteilung vom 12. Dezember 2006)

Wenn ich mich nicht irre, war dies das erste Mal, dass die GfbV Maschaal Tamo zitiert hat. An dem Tag habe ich ihn angerufen, um mir einen Überblick über die Lage in Kamischli zu verschaffen. Es kam erneut zu Protesten der Kurden gegen das syrische Regime. Tamo war sehr strukturiert und hat mich schnell über die Lage informieren können. Ihn habe ich damals gefragt, ob ich seinen Namen in unserer Pressemitteilung erwähnen soll oder nicht. Tamo sagte: „Anonymes Auftreten vermittelt oft den Eindruck, dass man nicht glaubwürdig ist. Man muss für die Dinge, an die man glaubt, auch gerade stehen können.“

Seit diesem Tag hatten wir in regelmäßigen Abständen miteinander telefoniert oder uns E-Mails geschrieben. Auch mit seinen Kindern und seiner Ehefrau habe ich gesprochen, wenn sich Tamo gerade nicht zu Hause befand.

Im August 2008 wurde Maschaal Tamo von einer Patrouille des syrischen Geheimdienstes verschleppt. Seinen Angehörigen wurde über Wochen jegliche Auskunft über seinen Verbleib verweigert. Erst nachdem die Botschaften der demokratischen Staaten in Damaskus interveniert hatten, gaben die syrischen Behörden bekannt, wo Tamo festgehalten wurde. Kurz darauf wurde er vor Gericht gestellt und wegen angeblicher "Schwächung des Geistes der Nation" zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Als die Welle der Proteste im arabisch dominierten Raum 2011 auch Syrien erfasste, wurde Tamo Anfang Juni 2011 freigelassen.

Nach seiner Freilassung nahm ich einige Male telefonischen Kontakt zu ihm auf. Zuletzt habe ich Tamo Anfang August angerufen, während die GfbV gerade eine kleine Konferenz mit Vertretern der kurdischen Organisationen aus Syrien vorbereitete.

(Pressemitteilung vom 20. September 2011)

Tamo und ich haben darüber gesprochen, wie die kurdischen Organisationen in Syrien ihr Volk „sicher an Land bringen“ können. Ich habe ihn gebeten, alles dafür tun, dass die Kurden in dieser für Syrien schwieriger Zeit einheitlich auftreten können. „Die Kurden haben keine guten Erfahrungen mit den arabischen Parteien Syriens, vor allem mit den Moslembrüdern nicht ...“ Als ich dies sagte, wurde es auf der anderen Seite der Telefonleitung plötzlich sehr still. Ahnte Tamo, was ich ihm sagen wollte, oder war es ihm gleichgültig, was ich da plauderte. Tamo war ein erfahrener Politiker und musste sich nicht von einem im fernen und sicheren Deutschland sitzenden Menschen belehren lassen. Was Tamo in diesem Moment dachte, werden wir nicht mehr erfahren. Eines ist aber sicher: Tamo glaubte felsenfest an die Ideale einer friedlichen Revolution, die ein demokratisches, ziviles und pluralistisches Syrien schaffen sollte. In diesem Syrien hätte auch sein Volk, die Kurden, hätten aber auch alle Syrer gleichberechtigt und in Würde leben können. Uns bleibt nur noch zu hoffen, dass die syrische, arabische Opposition Tamos Erwartungen gerecht wird.

Der 53-jährige Maschal Tamo war der Gründer und Sprecher der kurdischen Zukunftspartei und ein scharfer Kritiker des Regimes von Bashar al-Assad. Nahezu alle kurdischen Organisationen vermuten, dass die Mörder Tamos den zahlreichen syrischen Geheimdiensten oder einem der regimetreuen Schlägertrupps angehörten. Einige wenige jedoch zeigen mit dem Finger auf den nördlichen Nachbarn, die Türkei. Denn auch die Türkei hat verschiedene Interessen an einer Schwächung der kurdischen Nationalbewegung in Syrien und anderswo. Auch die syrischen Machthaber behaupten, der türkische Geheimdienst habe Maschaal Tamo ermorden lassen, weil der türkische Staat für Syrien und Kurden nicht viel übrig hat.

Dass die türkische Politik den Kurden, Assyro-Aramäern, Alaviten, Drusen, Christen und Yeziden gegenüber immer noch feindselig eingestellt ist, ist bekannt. Für den Mord an Tamo ist jedoch nur und allein das totalitäre und blutrünstige Regime in Damaskus verantwortlich. Die Politik dieses Regimes hat dazu geführt, dass Syrien kurz vor einem Bürgerkrieg steht. Es könnte, wenn es wollte, auch alle seine Bürger schützen. Daher wird das Regime von Bashar al-Assad für den Mord an Tamo und alle anderen Morde in Syrien die Konsequenzen tragen müssen.


Free Mashal Tamo