15.08.2007

Zoroastrier im Iran

Ein Überblick

Zoroastrier bei einer traditionellen Hochzeit - Foto: Cyrus Patel

Einführung

Im 7. Jahrhundert eroberten die gerade muslimisch gewordenen Araber das Sassanidische Königreich Persien. Von nun an wurde der Islam auf dem Territorium des heutigen Iran erst zur Staats-, später auch zur Volksreligion. Die alte persische Religion aber, der Zoroastrismus, welcher unter den Sassaniden seine letzte und größte Blütezeit erlebte, wurde teilweise verfolgt und durch immer häufiger werdende Konversionen zunehmend marginalisiert. Er überlebte jedoch, teils in sehr widrigem, teils in freierem und toleranterem Klima, auch im Iran bis in die heutigen Tage. Im Jahr 1979 übernahmen im Rahmen der islamischen Revolution endgültig muslimisch-schiitische Kleriker die Macht im Iran. Für die Zoroastrier, welche unter dem letzten regierenden Schah relativ viele Freiheiten genossen hatten, änderte sich die politische Situation damit erheblich. Zum ersten Mal seit langer Zeit war man mit einem Regime konfrontiert, das den Islam nicht nur als Staatsreligion, sondern auch als Staatsdoktrin betrachtete. Aber auch in diesem Staatssystem konnte sich der Zoroastrismus, wenn auch nur in geringer Zahl, als religiöse Minderheit in Iran behaupten und bis in die Gegenwart überdauern. Zu Gute kam ihm dabei die schon vor langer Zeit erfolgte faktische Anerkennung als Religion der Schrift, welche es den Klerikern ermöglichte und noch ermöglicht, den Zoroastrismus als religiöse Minderheit anzuerkennen und ihm in der Verfassung einen "legalen" Status zuzuerkennen.

Wie aber sieht das Leben dieser zoroastrischen Minderheit im Iran konkret aus? Welche Möglichkeiten der politischen Partizipation und Meinungsäußerung stehen den Zoroastriern offen, wie wirken sich die politischen Theorien der islamischen Republik und der Status als anerkannte religiöse Minderheit auf das tägliche Leben der Angehörigen dieser Religion aus?

In der vorliegenden Arbeit soll zunächst die Geschichte des Zoroastrismus im Iran von der Eroberung durch die Araber bis zur Ausrufung der islamischen Republik kurz erläutert werden. Dann wird die Entstehung der heutigen iranischen Verfassung und ihre Bedeutung für die Zoroastrier verdeutlicht. In diesem Abschnitt soll auch der Einfluss erwähnt werden, den die Zoroastrier selber auf die Ausarbeitung dieser Verfassung hatten. Im letzten Teil wird dann aufgezeigt, welchen Niederschlag die politischen Theorien im täglichen gesellschaftlichen und religiösen Leben tatsächlich haben. Hier soll besonders auf die Bereiche Religion und Bildung sowie auf die Emigrationsproblematik eingegangen werden. Im Fazit soll dann die Frage beantwortet werden:

Zoroastrier in der islamischen Republik Iran – toleriert oder integriert?

1. Der Zoroastrismus von der arabischen Eroberung bis zur Ausrufung der islamischen Republik Iran

Die Araber begannen Mitte des 7. Jahrhunderts langsam das ganze ehemalige Sassanidische Königreich unter ihre Kontrolle zu bringen. Obwohl um 650 die bedeutendsten sassanidischen Städte fielen, gab es noch bis weit in das 8. Jahrhundert hinein in einigen Gegenden Widerstand. Unter den vier rechtgeleiteten Kalifen und der anschließenden Umayyadendynastie blieb der Iran vorwiegend zoroastrisch. Die Zoroastrier, die keinen Widerstand leisteten, mussten eine Kopfsteuer (gizya) bezahlen, durften dafür aber ihrer Religion weiter nachgehen und ihr Land behalten. Von größeren Massakern an den Zoroastriern im Laufe der Eroberungen ist nichts bekannt.

Da Zoroastrier laut islamischem Recht nicht zu den Schriftreligionen gehören, hätten sie eigentlich verfolgt und zur Konversion gezwungen werden müssen. Aber "Theorie und Praxis stimmen nicht immer überein. Zoroastrier wurden auf Grund ihrer Rolle in Wirtschaft, Finanzen, Medizin und Wissenschaft vom neuen Regime benötigt. Weiterhin war es von finanziellem Vorteil für die Araber, den Zoroastriern zu erlauben die gizya zu bezahlen und so die Staatsfinanzen zu unterstützen." Dennoch galten Zoroastrier als rituell unrein. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass zunächst in der zoroastrischen Gemeinde unter anderem diskutiert wurde, ob es denn religiös vertretbar sei, ein moslemisches Bad zu nutzen, was zeigt, dass ihnen dies trotz ihrer rituellen Unreinheit gestattet war. So wurden die Zoroastrier in den ersten Jahrhunderten nach der Eroberung mit Einschränkung wie die Mitglieder einer Schriftreligion behandelt. Die Praxis orientierte sich dabei im Wesentlichen an islamischem Recht und an einem Ausspruch Mohammeds, der lautet: "Ihr könnt so mit ihnen verfahren, wie mit Angehörigen der Schriftreligionen, aber ihr dürft ihre Frauen nicht heiraten oder von ihnen geschlachtetes Fleisch essen." Man kann sagen, dass die Zoroastrier unter den Muslimen zunächst nicht anders behandelt wurden, als die Sassaniden ihrerseits Angehörige anderer Religionen behandelten. So war auch die Auswanderung einiger Zoroastrier nach Indien eher dadurch motiviert, den gesellschaftlichen und politischen Status zu wahren, als durch Angst vor religiöser Verfolgung oder dem Zwang zur Konversion. Lokale Führer versuchten sogar, diese zu verhindern um damit die Steuereinnahmen zu erhalten und so die Staatsfinanzen zu stützen. Dass dennoch Konversion in großer Zahl stattfand, lag daran, dass diese die einzige Möglichkeit darstellte, Zugang zu öffentlichen Ämtern zu bekommen und den gesellschaftlichen Status zu erhalten. Spezifisch zoroastrischer militärischer Widerstand existierte bis auf wenige Ausnahmen nicht. Wenn es zu Unruhen kam, wurden diese meist von konvertierten Muslimen ausgelöst, die sich gegenüber den Arabern benachteiligt fühlten.

Der Druck auf die Zoroastrier erhöhte sich unter den Abbasiden und gegen Ende des 9. Jahrhunderts unter den Buyiden. Zum Islam konvertierte Muslime genossen nun gleiche Rechte wie die arabischen Muslime, was den Anreiz zur Konversion noch erhöhte. Das Erstarken der Schia als spezifisch iranische Richtung des Islam "brachte eine deutliche Allianz zwischen Islam und persischem Nationalismus, welche die konvertierten Muslime weiter stärkte und die Rolle der Zoroastrier als die wahren Perser marginalisierte." Zum ersten Mal wirklich gewaltsam getroffen wurde die zoroastrische Bevölkerung durch die Einfälle der Mongolen im 13. Jahrhundert und die späteren Eroberungszüge der Timuriden. Durch diese Bevölkerungsreduzierung überdachten die Zoroastrier erstmalig ihre Haltung dazu, außerhalb der Gemeinde zu heiraten, eine Praxis, welche die indischen Parsen bis heute strikt ablehnen.

"Vom 15. bis zum 19. Jahrhundert partizipierten die Zoroastrier nur minimal in der nationalen Gesellschaft. Nur in Perioden des Aufschwungs und Wohlstandes durften sie ihre Gottesdienste verrichten." Tatsächlich ist an der Situation der Zoroastrier die politische Gesamtsituation im Iran abzulesen. In Phasen politischer Stabilität genossen die Zoroastrier die Freiheit, ihren Glauben zu praktizieren, wohingegen sie in Übergangsphasen und unter schwachen Königen hart bedrängt und verfolgt wurden. Im Jahr 1719 wurde die zoroastrische Bevölkerung erneut stark dezimiert, als afghanische Armeen auf ihrem Weg zum Sturz der Safawidendynastie auf ihrem Durchmarsch in Kerman ein Blutbad in der Gemeinde anrichteten. Generell kann man sagen, dass die anschließende "Regierungszeit der Qajarendynastie, die von 1796 bis 1925 dauerte, eine Zeit großen Leides für die iranischen Zoroastrier war. Erst mit dem Aufkommen der Pahlavidendynastie (1925-1979) verbesserten sich die Bedingungen für die Zoroastrier." Zum ersten Mal seit die Araber den Iran eroberten, wurden die Zoroastrier "unter der Regierung von Reza Schah Pahlavi und seinem Sohn Mohammed Reza Schah für beinahe 55 Jahre mit menschlicher Würde und gleichen Rechten behandelt."

Dennoch billigten auch Zoroastrier die Revolution, die 1979 schließlich islamische Geistliche an die Macht bringen und zur Ausrufung der Islamischen Republik Iran führen sollte. Die Änderungen, die diese Revolution für die zoroastrische Gemeinde nach sich zog, sollen in den folgenden Minuten beleuchtet werden.

 

2. Der "legale Status" – Die Zoroastrier und die iranische Verfassung

2.1 Der Einfluss der Zoroastrier auf die Entstehung der Verfassung

Ein erster Verfassungsentwurf wurde bereits vor der Rückkehr des Revolutionsführers Ayatollah Khomeini in den Iran vorgelegt. Obwohl dieser in großen Teilen weniger spezifisch-islamische Passagen enthielt als die später verabschiedete Verfassung, die noch heute gültig ist, wurde auf Druck der Oppositionskräfte im August 1979 eine verfassungsgebende Versammlung einberufen. Die Mitglieder dieser Versammlung wurden gewählt. Unter den 73 Teilnehmern der Versammlung befand sich auch je ein Vertreter der Gruppen, die im Laufe dieser, den Status einer "anerkannten religiösen Minderheit" (im Folgenden ARM) erhalten sollten: Assyrer, Armenier, Juden und Zoroastrier. Die Versammlung wurde von den Ayatollahs Beheshti und Montazeri geleitet, welche das Recht der ARM auf freie Meinungsäußerung in jeder Sitzung stärkten. Dies und andere Faktoren führten dazu, dass die Verhandlungen in einer offenen und freien Atmosphäre stattfanden, die eine bis dato neue Erfahrung im Iran war. "Während die ARM-Vertreter keine direkte politische Autorität hatten, genossen sie doch eine relative Freiheit, ihrer Opposition gegen die in der Versammlung verrichtete Arbeit Ausdruck zu verleihen."

Die Vertreter der ARM waren allesamt Geistliche, die manchmal zusammen arbeiteten, meist aber die Bedürfnisse ihrer eigenen Gemeinde vertraten und so nicht immer mit einer Stimme sprachen. Der Vertreter der Zoroastrier war der Priester Rostam Schahzadi, der sich bereits "kurz nach der Revolution für das Beibehalten der iranischen Nationalfarben in der Flagge eingesetzt hatte und auch in der Öffentlichkeit keinen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber der Vermischung von Politik und Religion gemacht hatte." In einer seiner ersten Reden vor der Versammlung betonte er, dass die Zoroastrier die eigentlichen Iraner seien und dass die konvertierten Muslime lediglich den Namen ihres Gottes und Propheten getauscht hätten. Wie besonders die gemischten Krankenhäuser und Schulen in Yazd und Kerman bewiesen, seien Zoroastrier und Muslime eigentlich ein Volk. Mit dieser Äußerung wollte er dagegen protestieren, dass die Zoroastrier in der Verfassung als religiöse Minderheit bezeichnet werden sollten. Schahzadi sah sie eben nicht als religiöse Minderheit, sondern als Teil der Mehrheit. Er nutzte, wie alle ARM-Vertreter, die Situation, um auf Unzulänglichkeiten in der Verfassung hinzuweisen. Er beklagte, dass die ARM behandelt würden, als hätten sie den Islam bis gestern bekämpft und würden nun seinen Schutz suchen. Er kämpfte gegen Diskriminierungen, die trotz der Proteste der ARM im Verfassungsentwurf erhalten blieben. Besonders und erfolgreich setzte er sich dafür ein, dass weiter die persische und nicht die arabische Sprache an den Schulen gelehrt wird.

Schahzadi tat sich unter den Vertretern der ARM besonders hervor. Er erkannte schnell, dass die Anliegen der Zoroastrier in der islamischen Mehrheit zwar gehört wurden, aber kaum Beachtung fanden. Er fragte also mit "einer klaren Linie und rhetorischem Geschick" immer nach dem Nutzen eines Verfassungsartikels für das gesamte iranische Volk. Auf diese Art und Weise wurde er zu einem "Gewissen der Nation." Zusammenfassend kann man sagen, dass Schahzadi durch dieses Geschick den Zoroastriern unter schwierigsten Umständen einige Rechte sicherte und dass er entscheidend dazu beitrug, dass der Verfassung in vielen Passagen der spezifische islamische Wortlaut genommen wurde. Er nutzte also seinen Spielraum voll aus, um einen größtmöglichen Einfluss auf die Verfassungsbildung zu nehmen.

2.2 Die Stellung der Zoroastrier in der iranischen Verfassung

Nach Artikel 12 der iranischen Verfassung vom 15. November 1979 gilt, "dass die unabänderliche Staatsreligion dieser Republik die 12er Schia ist." Im nächsten Artikel folgt jedoch eine Passage, die in der alten Verfassung noch nicht auftauchte:

"Zarathustrische, jüdische und christliche Iraner werden als einzige religiöse Minderheiten anerkannt, die im Rahmen des Gesetzes in der Ausübung ihrer religiösen Rituale frei sind und in Familien- und Erbangelegenheiten und im Religionsunterricht gemäß ihren religiösen Vorschriften handeln."

Der Zusatz "im Rahmen des Gesetzes" schränkt die in diesem Artikel garantierten Rechte erheblich ein. Was das für die Zoroastrier bedeutet, wird im nächsten Abschnitt erläutert werden. Durch diesen Artikel, der in erster Linie eingefügt wurde, um die Bahai von der Liste dieser "anerkannten Religionen" ausdrücklich auszunehmen, erlangten die Zoroastrier zum ersten Mal seit der Eroberung des Iran durch die Araber juristische Legitimität. Während der verfassungsgebenden Versammlung wurde über den Wortlaut dieses Artikels heftig diskutiert. Die ARM-Vertreter wehrten sich besonders gegen die Bezeichnung "religiöse Minderheit" und schlugen vor, diese durch "Gemeinschaft" zu ersetzen. Bei dieser Gelegenheit versuchte jeder der ARM-Vertreter seine Gruppe durch die Betonung der historischen Verbindung mit den Muslimen möglichst positiv darzustellen. Außerdem wollte man den Terminus "anerkannt" (kann auch mit legal übersetzt werden, Anm. des Autors) durch "offiziell" ersetzen. Diese Vorschläge wurden abgelehnt, um eine klare Grenze zwischen den ARM und den Bahai zu ziehen. Während auch eine politische Gruppierung eine Gemeinschaft sein kann, und eine inoffizielle Gruppierung offiziell werden kann, kann eine Gruppe auf der Basis des Islam nur legal oder illegal sein. Diese Formulierung schließt damit die Bahai vom Status der juristischen Legitimität definitiv aus. Ein weiterer interessanter Artikel ist Artikel 14: Er ruft die Muslime auf,

"[…] gegenüber Nichtmuslimen nach bester Sitte, mit Anstand und unter Wahrung islamischer Gerechtigkeit zu handeln. […] Dieser Grundsatz gilt nicht gegenüber denen, die sich gegen den Islam und die islamische Republik Iran verschwören und betätigen."

Dieser Artikel ist in gewisser Weise charakteristisch für die Haltung der iranischen Verfassung gegenüber nicht-islamischen Minderheiten. Auf der einen Seite werden zwar Gleichberechtigung und Gleichbehandlung innerhalb der Menschenrechte zugesagt, auf der anderen Seite gelten die Menschenrechte aber nur, solange ein Individuum nicht "gegen den Islam" handelt, ein Ausdruck, der höchst unterschiedlich interpretiert werden kann. Artikel 19 besagt des Weiteren:

"Alle Iraner, welchen Volkes oder Stammes sie auch sein mögen, genießen gleiche Rechte. Hautfarbe, Rasse Sprache oder dergleichen dürfen kein Grund für Privilegien sein."

Man beachte, dass hier die Religionszugehörigkeit explizit ausgenommen ist. Paragraphen wie diese bringen den Tübinger Iranisten Heinz Gaube dazu, die iranische Verfassung als von "Oberflächlichkeit, Hintertürchen und Zumutungen gekennzeichnet" zu charakterisieren. In der Tat fällt auf, dass in allen Artikeln, die die Rechte der ARM betreffen, ambivalente Lesarten möglich sind und dass in diesen Artikeln einmal gewährte Rechte häufig durch den Zusatz "im Rahmen des Gesetztes" wieder eingeschränkt werden. Ein weiteres Beispiel für diese Ambivalenz ist der Artikel 64. In ihm wird den ARM das Recht zugestanden, jeweils einen Vertreter in das iranische Parlament zu entsenden. Eine Mindestrepräsentation ist also garantiert. Diese Mindestrepräsentation ist aber durch getrennte Wählerschaften zugleich eine Maximalpartizipation. Zoroastrier dürfen nur über ihren Abgeordneten entscheiden und haben des Weiteren keinen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments, können folglich auch keine Reformpolitiker islamischen Glaubens wählen. Dadurch sind Zoroastrier auch von hohen Regierungsposten oder gar dem Präsidentenamt ausgeschlossen.

Während der verfassungsgebenden Versammlung genossen die Zoroastrier Meinungsfreiheit. Dieser Zustand hat sich, auch durch die Verfassung gestärkt, bis heute erhalten. Was aber politische Partizipationmöglichkeiten angeht, so werden diese den Zoroastriern seit der Verabschiedung der Verfassung auch durch ihren Inhalt verwehrt. Die Anliegen der Zoroastrier bleiben im Parlament meist ohne Beachtung.

 

3. Religion, Bildung, Beruf und Emigration – der Zoroastrismus im Alltag

Wie viele Zoroastrier heute in Iran leben, ist nur schwer abzuschätzen. Ein iranischer Zensus von 1986 meldet 90.000 Zoroastrier in Iran. Ali A. Jafarey, ein amerikanisch-zoroastrischer Autor spricht gar von 60.000 neuen Zoroastriern im Zeitraum zwischen dem Ende der siebziger Jahre und dem der achtziger Jahre. Dieser Anstieg soll auf die Öffnung der zoroastrischen Gemeinde für Konvertiten zurückzuführen sein. Solche Angaben erscheinen allerdings unrealistisch, es dürfte heute nach realistischeren Schätzungen etwa 30.000 Zoroastrier im Iran geben. Die meisten iranischen Zoroastrier leben heute in den Städten Teheran, Yazd und Kerman. Während sich deren Situation im liberaleren Teheran vergleichsweise positiv entwickelt hat, bleibt das Leben im ländlicheren und konservativeren Yazd für die dort ca. 3000-5000 Personen umfassende Gemeinde schwierig.

3.1 Das religiöse Leben

Auch im modernen Zoroastrismus spielen die korrekt ausgeführten Rituale und die Verehrung des Feuers als eines Symbols des zoroastrischen Gottes Ahura Mazda eine große Rolle. Während die Vorschriften zur Einhaltung der Reinheitsgebote, zum Beispiel schwangere Frauen betreffend, mittlerweile etwas weniger strikt gehandhabt werden, steht die Verehrung des Feuers nach wie vor im Mittelpunkt der Gottesdienste und Rituale. Dies setzt die Zoroastrier immer wieder dem Vorwurf aus, Feueranbeter und somit unrein zu sein. Auf Grund der geringen Zahl der Zoroastrier "wurden in den letzten Jahren nur wenige neue Feuertempel eröffnet" , obwohl dies grundsätzlich nicht von der iranischen Regierung verboten wird. Während diese, besonders von Khomeini propagierte, Unreinheit keinerlei Einfluss auf das den Zoroastriern verfassungsgemäß zugestandene Recht auf freie Religionsausübung hat, führt sie doch zu vielfältigen Diskriminierungen im täglichen Leben. So waren Berufe, welche sich mit der Lebensmittelproduktion auch für Muslime beschäftigten, den Zoroastriern lange Zeit nicht zugänglich und in Geschäften und Restaurants musste, falls diese von Zoroastriern betrieben wurden, in den Jahren unmittelbar nach der Revolution mit Schildern darauf hingewiesen werden. Interessant ist anzumerken, dass diese von der Führung verbreitete Theorie die meisten Muslime kaum interessierte und diese weiter in ihren gewohnten Geschäften einkauften - unabhängig von der Religionszugehörigkeit des Besitzers. "Viele dieser Schilder sind seid 1997 wieder verschwunden, obwohl die entsprechende Verordnung nach wie vor in Kraft ist."

Zentrale Punkte der theologischen Diskussionen unter Zoroastriern waren und sind die Felder Endogamie und Konversion. Die Heiratspolitik betreffend vertreten einige Gelehrte mittlerweile die Meinung, dass "Exogamie positiv zum Überleben der Gemeinschaft beitragen würde." Ähnliches geschieht mit der Ansicht über Konversion. Die iranischen Gemeinden beginnen sich gegenüber Konvertiten zu öffnen. Mittlerweile ist es allgemeiner Konsens, dass Kinder eines zoroastrischen Vaters und einer andersgläubigen Mutter die Chance haben sollen, Zoroastrier zu werden. Die Tendenz geht dahin, dass diese Regeln weiter aufgeweicht werden. Hochzeiten außerhalb der Gemeinschaft und Konversion sind mittlerweile zwar möglich, aber nach wie vor nicht gern gesehen. Eine Hochzeit innerhalb der Gemeinschaft wird immer noch bevorzugt. Auch die Begräbnisrituale werden den Gegebenheiten der Zeit angepasst. So werden heute in Iran keine Zoroastrier mehr auf den Türmen des Schweigens beigesetzt.

"Jedes Jahr im Frühling feiern die Zoroastrier ihr Neujahrsfest, das dem islamischen Newroz-Fest entspricht." Zu diesem Anlass kommen Zoroastrier aus der ganzen Welt für fünf Tage in einer Tempelanlage in Chak-Chak, circa 50 Kilometer außerhalb von Yazd zusammen und zelebrieren ihren Glauben. Diese Veranstaltung wird von der iranischen Regierung akzeptiert, wird aber vom Militär überwacht. Religiöse Feste wie dieses dürfen "zwar begangen werden, aber teilweise nur nach vorheriger Anmeldung, […] öffentliche Ansprachen bei diesen Gelegenheiten [müssen] erst der Zensurbehörde vorgelegt werden." An diesem Beispiel wird klar, was mit dem Zusatz "im Rahmen des Gesetztes" in Verfassungsartikel 12 gemeint war, in welchem den Zoroastriern freie Glaubensausübung zugesichert wurde. Die Ausübung des zoroastrischen Glaubens ist zwar möglich, unterliegt aber der absoluten staatlichen Kontrolle.

Feste, wie das in Chak-Chak sind "auch die einzige Möglichkeit für die Frauen, den Schleier in der Öffentlichkeit abzulegen." Grundsätzlich unterliegen also auch die Zoroastrier den islamischen Bekleidungsvorschriften. Sie dürfen in der Öffentlichkeit keine religiösen Symbole zur Schau stellen und Frauen müssen das islamische Kopftuch tragen. Im Privatleben sind die Zoroastrier allerdings von den islamischen Regeln unbehelligt. Bereits "1983 dekretierte Khomeini größere Zurückhaltung bei Eingriffen ins Privatleben und gestattete den religiösen Minderheiten den (privaten) Konsum von Alkohol."

Zusammenfassend kann man sagen, dass sich der zoroastrische Glaube in einigen Punkten den Erfordernissen der Situation als Minderheit in einer islamischen Republik angepasst hat und dass die Regierung den Zoroastriern Freiheiten in der Glaubensausübung gewährt, so lange diese im Privaten stattfindet. Sobald die Zoroastrier allerdings die Öffentlichkeit suchen, unterliegen sie der staatlichen Zensur.

3.2 Zoroastrische Bildungseinrichtungen

Derzeit gibt es in Teheran vier zoroastrische Schulen aller Bildungsstufen und in Yazd "mehrere konfessionelle Kindergärten und eine den 7-11-jährigen Zoroastriern vorbehaltene Grundschule." Nach der Revolution wurde auf die Schulen bis in die Mitte der achtziger Jahre großer Druck ausgeübt. Die Schulen aber, die diese Druckphase überstanden erfreuen sich seitdem eines großen Zulaufs. Dies liegt zum einen daran, dass Zoroastrier in den islamischen Schulen, die sie weiterhin besuchen durften und dürfen, teilweise erheblich diskriminiert werden und sich der Hang zur Religiosität nach der Revolution auch unter den Zoroastriern verstärkte. Dadurch sind diese konfessionell gebundenen Schulen noch expliziter zoroastrisch geworden. Es gibt durch diese neue Tendenz zur Religiosität auch wieder Schulen, die zoroastrische Priester ausbilden. Der Druck auf die Schulen ist seit Mitte der achtziger Jahre zurückgenommen worden. Allerdings müssen sich seitdem auch zoroastrische Schulen an die islamischen Gesetze halten und dürfen nur noch Schüler jeweils eines Geschlechts unterrichten. "Die Schulen dürfen derzeit die zoroastrische Religion unterrichten, islamische Theologie muss aber ebenfalls auf dem Stundenplan stehen. Ungefähr eine Stunde Unterweisung in der zoroastrischen Religion ist, gefolgt von einer Stunde islamischer Theologie, erlaubt. […]. Während die Mehrheit der Lehrer Zoroastrier sind, werden auch muslimische Lehrer beschäftigt."

Auch die zoroastrischen Bildungseinrichtungen unterliegen also den staatlichen Kontrollen und Restriktionen.

3.3 Diskriminierung im Beruf und die Flüchtlingsproblematik

Zoroastrier sind im Iran vielfältigen beruflichen Diskriminierungen ausgesetzt. Es ist für sie sehr schwer, überhaupt eine Ausbildung zu erhalten, mit der sie im übersättigten iranischen Arbeitsmarkt eine Chance auf eine gut bezahlte Arbeitstätte hätten. Oftmals werden sie trotz ausgezeichneter Abschlüsse nicht für höhere Bildungsgänge zugelassen. Ganz offiziell werden Zoroastrier im öffentlichen Dienst benachteiligt. Sie dürfen keine hohen Regierungsämter bekleiden, sind vom Polizeidienst ausgeschlossen und dürfen den Lehrberuf nicht ausüben. Auch ist ihnen die Offizierslaufbahn verwehrt. Dies empfinden viele Zoroastrier als besonders schlimm, da sie, wie alle jungen Iraner, den zweijährigen Militärdienst ableisten müssen und viele von ihnen im Krieg gegen den Irak umkamen. Dies war zudem ein Krieg, den viele Zoroastrier gar nicht als den ihren, sondern als einen Krieg zwischen Muslimen ansehen. Der islamische Glaube verbietet in der Auslegung der iranischen Geistlichen aber, dass Muslime von Nicht-Muslimen kommandiert werden, daher können Zoroastrier im iranischen Militär nur niedrige Posten bekleiden. Die Benachteiligung im öffentlichen Dienst gilt auch für Stellen in der Ölindustrie. Ein weiteres Problem für die Zoroastrier ist, dass in einigen Teilen der Bevölkerung die Theorie von den Zoroastriern als "unreine Heiden" immer noch Gewicht hat. Daher ist es für sie schwierig, Stellen in der lebensmittelverarbeitenden Industrie zu bekommen oder Restaurants zu betreiben. "Selbst die Zoroastrier, die ein eigenes Geschäft haben, können unter den gegebenen Umstanden nicht "der Boss" sein." Wenn ein Zoroastrier die Diskriminierungen im höheren Bildungssystem übersteht, wird er auf dem Stellenmarkt gegenüber einem ähnlich ausgebildeten Muslim benachteiligt.

Benachteiligungen und Diskriminierungen wie diese führen dazu, dass viele junge Zoroastrier keine Lebensperspektive mehr im Iran sehen. Berufliche Diskriminierungen wiegen für die junge Bevölkerung wesentlich schwerer, als die oben erläuterten Einschränkungen im religiösen Leben oder in den Möglichkeiten politischer Partizipation. Diese Zukunftsaussichten veranlassen viele junge Zoroastrier dazu, den Iran zu verlassen und eine Zukunft im Ausland zu suchen. Sie lassen ihre Familien zurück und versuchen in westliche Staaten zu emigrieren. Obwohl sie eine iranische Staatsbürgerschaft haben, bekommen sie wesentlich einfacher ein, zum Beispiel US-amerikanisches, Visum. Dies führt zu einer weiteren Dezimierung der zoroastrischen Gemeinde, die nur Teilweise durch das iranische Bevölkerungswachstum wieder aufgefangen werden kann. Viel schwerer wiegt aber noch, dass besonders gut qualifizierte junge Menschen den Iran verlassen, wodurch die zoroastrische Gemeinde unter einem markanten Brain drain leidet.

 

4. Fazit

In der Behandlung der Zoroastrier in der Islamischen Republik Iran klaffen Theorie und Praxis weit auseinander. In der Theorie wird den Zoroastriern Glaubensfreiheit und das Recht zugestanden, nicht auf Grund ihrer Religion diskriminiert zu werden. Die iranische Führung versichert bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass alle Iraner, auch die Mitglieder der anerkannten religiösen Minderheiten, gleich seien und fordert von diesen, sich in patriotischer Haltung für das gesamte Volk hinter die iranische Führung zu stellen. Dafür würden ihnen der Schutz des Islam, Meinungs- und Glaubensfreiheit sowie die Gleichbehandlung vor dem Gesetz garantiert.

In der Praxis werden diese Vorsätze aber kaum umgesetzt. Es gibt zwar tatsächlich keine religiöse Verfolgung oder gewaltsam erzwungene Konversion, religiöse Feiertage aber dürfen nur nach vorheriger Anmeldung und Durchsicht der Ansprachen begangen werden, der zoroastrische Glaube darf nur im Privaten wirklich gelebt werden. Nach wie vor wird durch Diskriminierungen im Alltag und islamischen Religionsunterricht an nicht-islamischen Schulen versucht, Zoroastrier zur Konversion zu bewegen. Selbst die Verfassung lässt die Glaubensfreiheit nur unter höchst auslegbaren Einschränkungen zu. Religiöse und berufliche Rechte sowie Freiheiten in Erziehung und Bildung, die es noch zu Zeiten des letzten regierenden Schahs gab, sind in der Zeit nach der Revolution fast vollkommen wieder abgeschafft worden. Besonders im Berufsleben sind die Diskriminierungen, wie aufgezeigt wurde, enorm. Junge Zoroastrier reagieren auf die immer schlechter werdenden Zukunftsaussichten für sie mehr und mehr durch Emigration oder Konversion. "Es gibt zwar auch Zoroastrier, die aus spezifisch politischen und religiösen Gründen geflohen sind, die Mehrzahl der Migranten hat aber nicht auf Grund von erlittenen Menschenrechtsverletzungen, religiösen Verfolgungen oder einer akuten Bedrohung ihrer Sicherheit ihr Land verlassen, sondern wie die meisten Iraner, aus Frustration über die in jeder Hinsicht unbefriedigende Lage […] sowie die negativen wirtschaftlichen Zukunftsaussichten in ihrer Heimat." Die zoroastrische Gemeinde gerät so immer mehr unter Druck, welcher nur noch durch das hohe Bevölkerungswachstum im Iran kompensiert werden kann.

Somit kann also die eingangs gestellte Frage folgendermaßen beantwortet werden:

Zoroastrier im Iran – toleriert, nicht integriert!

Nach der Revolution hat sich die Situation für die Zoroastrier, wie gesehen, erheblich zum Schlechteren gewandelt. Man kann aber auch sagen, dass sie in den 1400 Jahren nach der Eroberung des Irans durch die Araber schon schlimmere Zeiten erfolgreich überstanden haben. Die iranischen Zoroastrier haben damit begonnen, sich, im Gegensatz zu den indischen Parsen, in den zentralen theologischen Punkten an die Erfordernisse der Zeit anzupassen. Auch wenn sie sicher in einer weitaus schwierigeren Umgebung leben als die indischen Parsen, so haben sie doch auf Grund dieser geistigen Flexibilität und einer langen Erfahrung im Überlebenskampf eine gute Chance, auch diese neue politische Situation als religiöse Gemeinschaft zu überstehen.

Literaturverzeichnis

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